Die Umwelt als ein vergessenes Kriegsopfer
Der Deutsche Bundestag wird Ende Februar 2024 die Reform des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) beschließen, nachdem im November 2023 erstmalig der Entwurf im Bundestag gelesen wurde und Ende Januar 2024 eine öffentliche Anhörung stattfand. Einige Reformansätze bleiben jedoch außen vor. Eine bisher unberücksichtigte Forderung bezieht sich auf Kriegsverbrechen gegen die Umwelt, welche aktuell in § 11 Abs. 3 VStGB geregelt sind. Diese Norm ist reformbedürftig, denn sie weicht unter anderem in der aktuellen Fassung vom geltenden Völkergewohnheitsrecht ab. Dabei wurde bei der Verabschiedung des VStGB 2002 laut Gesetzesbegründung eigentlich Wert daraufgelegt, nicht nur die Vorgaben des Römischen Statuts in der nationalen Implementierung zu erfüllen, sondern auch bestehendes Völkergewohnheitsrecht umzusetzen. Ferner beinhaltet § 11 Abs. 3 VStGB in Teilen einen Wortlaut, der als solcher vom einheitlichen Wortlaut der einschlägigen internationalen Verträge wie dem 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen und dem Römischen Statut abweicht, und damit unnötig für Verwirrung bei der Auslegung und Einordnung sorgt. Darüber hinaus bestünde durch eine Reformierung auch die Möglichkeit, Klarstellungen im Hinblick auf die spezifischen Norminhalte vorzunehmen, und damit international eine Vorreiterrolle zu bekleiden.
Die Gelegenheit wäre nun gegeben, 20 Jahre nach Inkrafttreten der deutschen Umsetzung des Römischen Statuts im Völkerstrafgesetzbuch. Nur scheint der politische Wille oder das entsprechende Reformbewusstsein parteiübergreifend zu fehlen. Dabei müssen wir den Blick nicht weit schweifen lassen, um die Relevanz der Thematik und zugleich auch die Problematik zu begreifen.
Der Krieg in der Ukraine zeigt aktuell, welchen Schaden die Umwelt, beispielsweise Feuchtgebiete und Tiere, durch Kampfhandlungen nehmen. Die Beschädigung und Zerstörung von Fabriken führt zu Umweltverschmutzungen und Verseuchungen und Angriffe im Umfeld von Kernkraftwerken können weitreichende Folgen für Menschen und die Umwelt haben. Auch der Konflikt in Gaza verdeutlicht, dass urbane Kriegsführung Umweltschäden verursacht. Letztendlich kann der Schutz der Zivilbevölkerung nicht ohne den Schutz der Umwelt gedacht werden. Ohne eine ansatzweise intakte Umwelt sind kriegsbedingte Gebietsgewinne wenig wert, und auch das Überleben der Bevölkerung nach Kriegsende wird mit verseuchter Fauna und Flora nur schwer zu gewährleisten sein. Umso erstaunlicher ist es, dass trotz der Präsenz des Themas in den Medien weder die Bundesregierung noch die Mitglieder des Deutschen Bundestags Bemühungen unternommen haben, § 11 Abs. 3 VStGB in die Reform mit einzubeziehen. Dabei sind einige Reformansätze niedrigschwellig umsetzbar.
Korrektur eines redaktionellen Versehens
Auch wenn wenig Hoffnung auf eine Kriminalisierung des sogenannten Ökozids besteht, so sollte das aktuelle Reformbestreben der Bundesregierung doch zumindest redaktionelle Versehen korrigieren. Der Wortlaut des § 11 Abs. 3 VStGB, obwohl angelehnt an Art. 8(2) lit. b(iv) Römisches Statut, welcher wiederum auf § 35 Abs. 3 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen beruht, wurde abweichend von der deutschen Übersetzung des 1. Zusatzprotokolls mit einem anderslautenden Wortlaut versehen. Anstelle des deutschen Wortlauts des § 35 Abs. 3 1. Zusatzprotokoll („ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt“) ist im VStGB aktuell anderslautend von „weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt“ die Rede, obwohl beide englischsprachigen Normen wortgleich sind. Das sachkundige Publikum weiß, dass derartige Abweichungen juristisch zumindest erklärungsbedürftig sind, insbesondere bei Abweichen von einer einheitlichen englisch-, französisch- und auch spanischsprachigen Version als autoritative Sprachen des 1. Zusatzprotokolls und des Römischen Statuts. Es ist mit den öffentlich zugänglichen Dokumenten jedoch nicht zu rekonstruieren, wie es zu dem abweichenden deutschen Wortlaut im VStGB kam. Ohne viel Erklärungsbedarf könnte dieses redaktionelle Versehen in der Übersetzung in § 11 Abs. 3 VStGB nun an den initialen Wortlaut des 1. Zusatzprotokolls angepasst werden.
Ausweitung auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte
Bedauerlich ist zudem, dass Straftaten gegen die Umwelt in der aktuellen Version des VStGB nur für den internationalen bewaffneten Konflikt, also Kriege zwischen Staaten wie aktuell im Russland-Ukraine-Konflikt, kriminalisiert werden. Denn völkergewohnheitsrechtlich können Straftaten gegen die Umwelt auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt als Kriegsverbrechen gewertet werden. Belege für eine solche Feststellung hat nicht nur die Studie des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zum Völkergewohnheitsrecht gesammelt, sondern auch die UN Völkerrechtskommission ermittelt. Nicht-internationale bewaffnete Konflikte werden zwischen nicht-staatlichen Akteuren (wie Terrororganisationen oder Rebellengruppen) und Staaten geführt, wie im Falle Syriens, Süd-Sudans oder Kolumbiens. Sie galten lange Zeit bis zur völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in die Ukraine als relevanteste Konfliktform der letzten Jahrzehnte. Ihre Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht weniger schlimm als bei einem Krieg zwischen Staaten, brennende Ölquellen oder verseuchte Landzüge sind auch hier eine Kriegsfolge. Die Bundesrepublik könnte nun unter Verweis auf geltendes Völkergewohnheitsrecht eine Reform des § 11 Abs. 3 VStGB begründen und eine Anwendung auf nicht-internationale bewaffnete Konflikte ermöglichen.
Das eigentliche Problem: Undefinierter Wortlaut und Unverhältnismäßigkeitsschwelle
Nicht unerwähnt bleiben soll aber eine grundsätzliche Problematik der Kriegsverbrechen gegen die Umwelt. Selbst bei Korrektur des Wortlauts und Anpassung an geltendes Völkergewohnheitsrecht bleibt das Problem der bisherigen Unanwendbarkeit der Norm bestehen. Es gibt einen Grund, warum weder die deutschen Ermittlungsbehörden noch die Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs Ermittlungen aufgenommen geschweige denn Anklage im Falle von Straftaten gegen die Umwelt erhoben haben. Die Krux liegt zum einen im Wortlaut der Ursprungsnorm des § 35 Abs. 3 1. Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen. Es ist unklar, was unter den Schadensattributen der „ausgedehnten, langanhaltenden und schweren“ Schäden zu verstehen ist. Es gibt keine Legaldefinition dieser drei Attribute, und in den travaux préparatoires, welche die Positionen der Staaten und Diskussionsinhalte bei Verhandlung des 1. Zusatzprotokolls dokumentieren, ist auch kein Konsens hinsichtlich der Begrifflichkeiten zu identifizieren. “Langanhaltend” wurde beispielsweise von einigen Staatendelegationen als “mehr als zehn Jahre andauernd” definiert, andere Staaten gingen von einem Zeitraum von mehr als zwanzig oder dreißig Jahren aus. Selbst das Regelungsobjekt, die „natürliche Umwelt“, konnte mangels Konsens zwischen den Staaten nicht definiert werden.
Ferner müssen alle drei Schadensattribute kumulativ erfüllt sein, damit eine Handlung unter Art. 35 Abs. 3 1. Zusatzprotokoll der Genfer Konventionen und Art. 8(2) lit. b(iv) Römisches Statut fällt. Auch hier könnte der deutsche Gesetzgeber im Rahmen einer Reform überlegen, von der kumulativen Voraussetzung abzuweichen, und lediglich die Erfüllung von zwei der drei Attribute fordern. Als Folge könnte die Norm trotz der weiterhin hohen Anforderungen zumindest in einigen Fällen angewandt werden. Es könnten außerdem im Rahmen der Gesetzesbegründung Definitionen aufgenommen werden, die zum einen die deutschen Behörden leiten und zugleich als Inspiration für andere Staaten dienen.
Zusätzlich zu den beschriebenen Herausforderungen der Regelung des Art. 35 Abs. 3 1. Zusatzprotokoll und Art. 8(2) lit. b(iv) Römisches Statut tritt im Römischen Statut die Unverhältnismäßigkeitsschwelle hinzu. Aufgrund dieser werden nur Handlungen kriminalisiert, die zu Schäden führen, die “eindeutig außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.” Auch wenn das Römische Statut eine solche zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung vorsieht, könnte die deutsche Regelung darauf verzichten. Das humanitäre Völkerrecht sieht eine Unverhältnismäßigkeitsschwelle nicht vor und beinhaltet bereits nicht einfach zu erreichende Voraussetzungen. Den Erfordernissen des Römischen Statuts würde die Bundesrepublik trotzdem gerecht, und sie würde zeitgleich ein Zeichen setzen, dass auch der Schutz der Umwelt im bewaffneten Konflikt ein erstgemeintes Anliegen darstellt.
So hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, gerade erst letzte Woche verlauten lassen, dass er Ende des Jahres die Veröffentlichung eines policy paper zu Umweltverbrechen plant. Mit einer erweiterten deutschen Reform, welche auch § 11 Abs. 3 VStGB adressiert, könnte die Bundesrepublik diese neue Initiative maßgeblich unterstützen und beeinflussen, und damit einen wichtigen Beitrag zum effektiveren Schutz der Umwelt im Krieg leisten.
Dieser Beitrag basiert auf der Veröffentlichung Dienelt, „Straftaten gegen die Umwelt“, in: Jeßberger/Aziz (Hrsg.), Zwanzig Jahre Völkerstrafgesetzbuch: Anwendungspraxis und Reformbedarf, Nomos (2023), 213 – 233, abrufbar hier.