Die Woche der Sicherheitspakete
Evidenzbasierte Gesetzgebung geht anders
Rund drei Wochen nach dem brutalen Angriff mit einem Messer auf Besucher*innen eines Volksfestes in Solingen überbieten sich Regierungs- und Oppositionsparteien in gesetzgeberischem Aktivismus. Auf der einen Seite preschen die Ampelfraktionen mit neuen Gesetzesentwürfen zur „Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ und zur „Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ vor; auf der anderen Seite hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Gesetzentwurf zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland (Zustrombegrenzungsgesetz) vorgelegt. Auch in NRW wurde ein Paket zu Sicherheit, Migration und Prävention in Nordrhein-Westfalen beschlossen und der Innenminister lässt verlauten: „Terroristen und Gefährder dürfen nicht länger unbemerkt kommunizieren und sich im Netz tummeln. Unser Paket ist ein echter Meilenstein. Damit bekommen unsere Sicherheitsbehörden endlich die seit Jahren geforderten Werkzeuge an die Hand, um bei der Erkennung von Gefahren Schritt zu halten.“ Als hätte die Landesregierung hierauf nicht schon vor Solingen reagieren können. Sogar der grüne Justizminister in NRW fordert die Vorratsdatenspeicherung von IP Adressen.
Anders als in den Gesetzentwürfen der Ampel wird im Entwurf des NRW-Sicherheitspakets jedoch nicht nur mit Law and Order-Ansätzen argumentiert, sondern auch „der Prävention von islamistischer Radikalisierung eine zentrale Rolle“ zugeschrieben. Nachfolgend sollen die beiden Gesetzentwürfe der Ampel (i) mit Blick auf Maßnahmen gegen Angriffe mit Messern, (ii) die Verwendung biometrischer Daten zur Suche nach Personen im Internet durch die Polizei und (iii) die automatisierte Datenanalyse einer ersten kritischen Betrachtung unterzogen werden. Die Gesetzentwürfe wurden offenkundig mit Blick auf die Landtagswahl in Brandenburg und den Aktionismus der CDU/CSU vorgelegt. Sie basieren in Teilen auf einem Anfang August 2024 vorgestellten Referentenentwurf zu weitreichenden neuen Eingriffsbefugnissen für BKA und Bundespolizei. Hierzu zählten auch das heimliche Betreten von Wohnungen zur Infiltration informationstechnischer Systeme, das nach einem lauten Aufschrei seinerzeit mit diesem Paket (noch) nicht umgesetzt werden soll.
In der Gesamtschau lassen die Gesetzesentwürfe rationale und evidenzbasierte Antworten auf die wirkliche Bedrohungslage durch Islamismus oder „Messergewalt“ indes vermissen. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, es handele sich um einen Versuch, politische Gestaltungsfähigkeit zu simulieren und zugleich der politischen Rechten das Wasser abzugraben.
Mitführen von Messern
Der Besitz und das Mitführen von Messern sind als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit grundsätzlich von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und einschränkbar, soweit diese Einschränkungen notwendig, geeignet, erforderlich und angemessen sind. Der Erwerb und Besitz von Schusswaffen ist im Waffengesetz vergleichsweise restriktiv geregelt, der von Messern bisher kaum. Auffällig ist, dass in beiden Gesetzentwürfen an keiner Stelle Empirie zum Regelungsgegenstand angeführt wird. Dargelegt wird nicht, wie viele Straftaten mit welchen Arten von Messern bei welchen Gelegenheiten unter welchen Umständen und von welchen Personen in den letzten Jahren verübt wurden. Unklar ist auch, welche „Messerdelikte“ allein ein Mitführen betrafen, ohne dass diese rechtswidrig gebraucht wurden. Die bereits 2023 diskutierte Meldestelle für Attacken mit Stichwaffen im öffentlichen Raum existiert bis heute offenbar nicht, sodass für die aktuelle Diskussion wichtige Zahlen gar nicht erst vorliegen.
Es wird im Gesetzentwurf auch nicht soziologisch oder kriminologisch unterlegt, welche gemeinsamen Schnittpunkte zwischen einer Verbesserung der Inneren Sicherheit mit Blick auf Straftaten mit Messern und dem Asylsystem sowie terroristische Straftaten bestehen sollen. Stattdessen wird argumentiert: „Bei Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen, an kriminalitätsbelasteten Orten, im Öffentlichen Personenverkehr und seinen Haltestellen wird der Umgang mit Messern unabhängig von der Klingenlänge künftig untersagt oder untersagbar, um Angriffen mit Messern und Gewalttaten besser vorzubeugen. Zur Überprüfung der Einhaltung dieser neuen Verbote werden erweiterte Kontrollbefugnisse ergänzt.“ In Zügen des Fernverkehrs soll zukünftig nach § 42b WaffG das Führen jedweden Messers verboten sein. Auch ein einfaches Taschenmesser, das für die Reise mitgeführt wird, wäre hiervon umfasst, soweit nicht eine gesetzliche Ausnahme greift oder wenn das Messer „nicht zugriffsbereit“ von einem Ort zum andern befördert wird. Das wird spannende Anwendungs- und Bestimmtheitsfragen aufwerfen, etwa wie das Schälen eines Apfels am Platz einzuordnen ist.
Verboten werden soll in § 42 WaffG das Führen jedweden Messers „bei öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen“. Kann dies gezielte Angriffe wie in Solingen auch nur im Ansatz verhindern? Wer eine Straftat mit einem Messer plant, wird sich von einem Verbot des (Mit-)Führens davon kaum abhalten lassen. Und was ist mit der Nutzung von Messern zur Begehung von Straftaten im öffentlichen Raum jenseits der eingangs erwähnten Orte? Stellen Straßen und Plätze im öffentlichen Raum nicht viel häufiger Orte solcher Straftaten dar als öffentliche Vergnügungen? In den Gesetzentwürfen hierzu gibt es kein Wort der Differenzierung oder gar empirische Untermauerung der nunmehr gewollten Maßnahmen. Stattdessen wird pauschal auf islamistischen und rechtsradikalen Terrorismus verwiesen.
Mit Blick auf Solingen und den medial und politisch geschaffenen Diskussionszusammenhang mit Migration führt der Gesetzentwurf zudem bei Umsetzung zu einer deutlichen Gefahr der Diskriminierung insbesondere von arabisch und muslimisch gelesenen Menschen bei mit Verboten und Verbotszonen verbundenen Kontrollen, deren Einrichtung im Gesetzentwurf ebenfalls vorgesehen ist. Dies erkennen die Verfasser der Gesetzentwürfe offenbar selbst, wenn es im Entwurf für einen neuen § 22 Abs. 1b BPolG heißt: „Die Auswahl der nach Satz 1 kontrollierten Person anhand eines Merkmals im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechtfertigten Grund ist unzulässig.“ Aber wenn „islamistische“ Straftaten im Fokus der Gesetzentwürfe stehen, ist das aus polizeilicher Sicht nicht bereits ein den Zweck der Maßnahme rechtfertigender Grund?
Biometrische Abgleiche mit öffentlich zugänglichen Daten im Internet
Die Gesetzentwürfe sehen zudem eine Bandbreite neuer und tiefgehender Datenverarbeitungsbefugnisse vor. Damit verbunden sind tiefgreifende Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, da insbesondere bei Nutzung von Massendaten hohe verfassungsrechtliche Hürden bestehen. Die forsche Gangart im Gesetzgebungsverfahren führt zudem dazu, dass nicht einmal die Richtlinie der EU 2016/680 zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Polizei (JI-Richtlinie) in der Gesetzesbegründung erwähnt und erkennbar im Gesetz umgesetzt wird. Auch die KI-Verordnung der EU 2024/1689 vom 13. Juni 2024 findet weder hier noch mit Blick auf die neuen Befugnisse zur automatisieren Datenanalyse Beachtung oder ist Teil einer kritischen Analyse der neuen Maßnahmen. Die Anforderungen aus dem Bundesrecht an neue Überwachungsmaßnahmen, wie etwa § 48 BDSG für die Verarbeitung sensibler Daten und § 67 BDSG für die Datenschutz-Folgenabschätzung bei Verwendung neuer Technologien, finden ebenso wenig Erwähnung in den Gesetzentwürfen. Anstelle einer gesetzlichen Absicherung zumindest einer späteren Selbstreflektion im Parlament heißt es: „Eine Befristung der vorgesehenen Regelungen kommt nicht in Betracht. Eine Evaluierung ist nicht vorgesehen.“ Diese Chuzpe und Ignoranz in einem ohnehin schon überstürzten Gesetzgebungsverfahren ist bemerkenswert.
Da die Polizei (nicht nur) im Bereich „Islamismus“ und „Terrorismus“ verbreitet sensible Daten im Sinne des Art. 10 JI-Richtlinie, so genannte „besondere Kategorien personenbezogener Daten“1) und hier ausdrücklich auch biometrische Daten, nutzt,2) wäre es notwendig, dass die hieraus folgenden rechtlichen Anforderungen im Gesetzentwurf Beachtung finden. Danach ist die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen unter anderem die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen sowie die Verarbeitung von biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person „nur dann erlaubt, wenn sie unbedingt erforderlich ist und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person erfolgt“. Wie diese Anforderungen umgesetzt werden sollen, ist mit Blick auf die neuen §§ 10b, 34b und 63b BKAG zum Abgleich biometrischer Daten zu Gesichtern und Stimmen mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet in den Gesetzentwürfen nicht erkennbar.
Automatisierte Datenanalyse für BKA und Bundespolizei
Das BVerfG hat 2023 die (seinerzeitigen) Regelungen des Polizeirechts in Hamburg und Hessen zur automatisierten Datenanalyse im vergangenen Jahr beanstandet, ohne die Maßnahme an sich für unzulässig zu erklären. Eine weitere Entscheidung des BVerfG zur Datennutzung nach dem BKAG ist für den 1.10.2024 angekündigt. Schon nach dem Referentenentwurf aus dem August 2024 (dazu hier) sollte das BKA nach einem neuen § 16a BKAG für die automatisierte Datenanalyse auf Informationen zugreifen dürfen, die im Informationssystem nach § 13 BKAG und im polizeilichen Informationsverbund gem. § 29 BKAG gespeichert sind. Die Bundespolizei sollte durch einen neuen § 34a BPolG eine vergleichbare Befugnis erhalten. So soll sie alle personenbezogenen Daten, „die sie zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben weiterverarbeitet oder für die sie eine Berechtigung zum Abruf hat, mittels einer automatisierten Anwendung zur Datenverarbeitung zusammenführen und darüber hinaus zum Zwecke der Analyse weiterverarbeiten“ dürfen.
Unter anderem diese beiden Vorschläge werden durch das Sicherheitspaket nunmehr in geltendes Recht umgesetzt. Vorgesehen ist, dass im Rahmen der Weiterverarbeitung nach Absatz 1 „insbesondere datei- und informationssystemübergreifend Beziehungen oder Zusammenhänge zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Organisationen, Objekten und Sachen hergestellt, (…), Suchkriterien gewichtet, die eingehenden Erkenntnisse zu bekannten Sachverhalten zugeordnet sowie gespeicherte Daten statistisch ausgewertet werden“ können. Als eine der tatbestandlichen Alternativen soll hierfür bereits ausreichen, dass „das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine Straftat“ begehen wird, die im Gesetz näher bestimmt ist. Nach § 16a Abs. 3 BKAG soll dies präventiv- wie repressiv-polizeilich zulässig sein, also „zwecküberschreitend“ und zweckändernd.
Im neuen § 22 Abs. 3 BKAG soll zudem die Verwendung aller beim BKA für bestimmte Aufgaben verarbeiteten personenbezogenen Echtdaten als Trainingsmaterial für IT-Produkte gesetzlich zugelassen werden. Wer also einmal bei INPOL oder andernorts in den vom BKA betriebenen Datenbeständen gespeichert ist, wird unfreiwillig diese Daten nunmehr auch als Trainingsmaterial für IT-Produkte bereitstellen. Von einer Benachrichtigung ist im Gesetzentwurf keine Rede. Ob der Entwurf den notwendigen Anforderungen auch der JI-RL und des § 67 BDSG entspricht, wird nicht hinterfragt. Stattdessen wird lediglich auf die DSGVO verwiesen.
Fazit
Die im Eilverfahren am 9.9.2024 in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe, die offenbar ohne hinreichende Vorbereitungszeit für die Sachverständigen in wenigen Tagen Gegenstand einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages sein werden, sollen nach der aufgeregten öffentlichen Debatte im Anschluss an die Messerattacke in Solingen offenbar Tatkraft demonstrieren. Andererseits öffnete der Angriff von Solingen möglicherweise schlicht ein window of opportunity, um die Nutzung von Massendaten im Internet sowie die automatisierte Datenanalyse als neue Eingriffsbefugnisse zu etablieren. Hinzu kommt, dass das Mitführen von Waffen in der Öffentlichkeit weitgehend beschränkt wird. Mit Blick auf die Stoßrichtung des Gesetzentwurfs öffnet dies die Tür zu Profiling noch weiter; mit Blick auf den Bahnverkehr entstehen dagegen erhebliche Unsicherheiten bei der Umsetzung, ohne dass halbwegs plausibel dargelegt worden wäre, wie die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich schwerwiegende Straftaten mit Messern werden verhindern können. Eine detaillierte Analyse insbesondere der informatorischen Befugnisse zum Bildabgleich und zur Datenanalyse steht noch aus. Es ist aber gut möglich, dass die bevorstehende Entscheidung des BVerfG am 1.10.2024 dem Gesetzgeber schon sehr bald Überarbeitungsbedarf seines durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitschten Entwurfs abnötigen wird.
References
↑1 | Vgl https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/entwicklung-der-menschenrechtssituation-in-deutschland-juli-2022-juni-2022, S. 23 ff. |
---|---|
↑2 | Vgl. Arzt, Polizeiliche Verarbeitung „besonderer Kategorien personenbezogener Daten“ – Zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 in Deutschland, Die Öffentliche Verwaltung 2023, 991. |