Die Zukunft des Regierungssystems – Zur semi-parlamentarischen Option
Eine der größten Herausforderungen der Demokratie, nicht nur in Deutschland, ist die zunehmende Zersplitterung der Parteiensysteme und die daraus resultierende Fragmentierung der Parlamente. Auch die Ergebnisse der spanischen Parlamentswahlen folgen einem seit der Bundestagswahl 2017 in Deutschland bekannten Muster: Der politische Führungsanspruch der stärksten Fraktion, im Fall Spaniens der Sozialistischen Arbeiterpartei, lässt sich nicht ohne weiteres einlösen, weil die parlamentarischen Mehrheiten, die ihn tragen können, so sie denn zustande kommen, immer heterogener werden. In den Niederlanden etwa gibt es heute 13 Parlamentsparteien, von denen die größte gerade einmal 22 Prozent der Sitze gewonnen hat. Zudem führen neue Konfliktlinien häufig dazu, dass sich in Wahlkämpfen nicht mehr zwei klar erkennbare Lager gegenüberstehen – so wie in Deutschland früher Schwarz-Gelb und Rot-Grün.
Die Bildung von Regierungen wird dadurch bekanntlich schwieriger. Welche Koalition sich nach der Wahl zusammenfindet, wie stabil sie ist, wie lange die Regierungsbildung dauert und ob sie überhaupt gelingt, hängt von den Kalkülen der Parteieliten ab. Die Bürger werden zwar vielfältig repräsentiert, können aber durch Wahlen keine Richtungsentscheidung über den Kurs einer künftigen Regierung treffen. Dieses Dilemma ist jedoch keineswegs das unvermeidliche Schicksal der parlamentarischen Demokratien der Gegenwart. Vielmehr ließe es sich durch institutionelle Reformen abschwächen, die bürgerlicher Gleichheit den Vorrang gegenüber innerparlamentarischer Gleichheitssymbolik einräumen.
Antworten innerhalb des parlamentarischen Systems
Ein Standardrezept gegen Fragmentierung ist die drastische Verschärfung des Wahlrechts mit dem Ziel, die Anzahl der Parteien zu reduzieren oder die Bildung zweier konkurrierender Lager zu erzwingen – etwa durch eine „Mehrheitsprämie“ für das siegreiche Lager nach italienischem Vorbild. Eine Reform dieser Art machte das Wahlrecht jedoch unfairer und träfe gewiss auf energischen Widerstand. Schon eine vergleichsweise geringfügige Reform ist ja zuletzt im Bundestag an den Interessenten des Status quo gescheitert.
Die entgegengesetzte Antwort würde die Logik konkurrierender Lager aufgeben. Statt eine feste Regierungskoalition für vier Jahre zu bilden, könnten die Fraktionen bei Abstimmungen je nach Thema flexible Koalitionen bilden. Sie wären bei der Gesetzgebung manchmal Teil der Mehrheit und manchmal Teil der Minderheit. Mit dieser Stoßrichtung haben viele Beobachter nach der letzten Bundestagswahl für die Bildung einer Minderheitsregierung plädiert.
Der Wunsch nach flexiblen Koalitionen kollidiert jedoch mit der Mechanik des parlamentarischen Regierungssystems. Da die Regierung jederzeit durch ein Misstrauensvotum der Parlamentsmehrheit abgesetzt werden kann, ist die Stabilisierung der Regierung von höchster Priorität. In fragmentierten Parlamenten sind „kleine“ Minderheitsregierungen aus nur einer Partei deshalb selten. In Dänemark, dem Vorzeigeland der Minderheitsregierungen, bestehen sie in der Regel aus zwei bis vier Parteien. Da jede Regierungspartei als Vetospieler Gesetze blockieren kann, verringert sich somit auch die Flexibilität der Abstimmungskoalitionen im Parlament.
In Deutschland würde eine Minderheitsregierung aus nur einer Partei dadurch stabilisiert, dass die Bundestagsmehrheit den Bundeskanzler nur stürzen kann, wenn sie gleichzeitig einen Nachfolger wählt. Wie aber kann dann eine Eine-Partei-Minderheitsregierung angemessen legitimiert werden? Geht sie aus dem Parlament hervor, läge der Anspruch zur Regierungsbildung am ehesten bei der sitzstärksten Fraktion. Dies ist aber nicht unbedingt die Fraktion, die von den meisten Wählerinnen und Wählern unterstützt wird oder die am besten regieren könnte. Das Wahlsystem erfasst schließlich nur die Erstpräferenzen der Wähler. Je weniger sich diese auf zwei Volksparteien konzentrieren, desto geringer ist im Falle von Minderheitsregierungen ihre legitimatorische Kraft.
Vor- und Nachteile des Präsidentialismus
Hier liegt ein häufig vernachlässigter Vorteil der politischen Gewaltenteilung in vielen präsidentiellen Systemen. Beruht die vom Parlament getrennte Wahl des Regierungschefs auf der absoluten Mehrheitswahl, so können in der Stichwahl auch die Zweit- oder Drittpräferenzen der Wähler zur Legitimierung der Regierung beitragen. Letztlich wird die Regierung mit absoluter Mehrheit gewählt – selbst dann, wenn die Regierungspartei in der getrennten Parlamentswahl weit von einer Mehrheit entfernt ist. Die absolute Mehrheitswahl trägt überdies dazu bei, dass sich die gewählte Regierung eher in der Mitte des politischen Raums befindet. Dadurch wird das Regieren mit wechselnden Mehrheiten erleichtert.
Präsidentielle Systeme verknüpften jedoch die vom Parlament getrennte Wahl der Regierung mit einer personalistischen Machtkonzentration in der Exekutive. Letztere ist ein Überbleibsel der Monarchie – und sie gefährdet die Demokratie nicht erst seit der Wahl Donald Trumps. Wie könnte daher eine politischen „Gewaltenteilung“ aussehen, die ohne die institutionalisierte Personalisierung der Exekutivmacht auskommt? Meine Antwort besteht im Kern in der Verlagerung dieser politischen Gewaltenteilung zwischen der Stabilität der Exekutive und der Pluralität der Legislative ins Parlament hinein (Ganghof 2018).
Die semi-parlamentarische Gewaltenteilung
Vor allem die Gliedstaaten Australiens liefern uns ein Modell dafür, wie die direktere Auswahl der Regierung auch über programmatische Parteien organisiert werden kann. Staaten wie Neusüdwales oder Viktoria nutzen dafür zwei Parlamentskammern. Beide sind direkt gewählt und beide sollen die inhaltlichen Präferenzen der Wähler repräsentieren. Die durch Mehrheitswahl gewählte erste Kammer ermöglicht es den Wählern, einer Partei den Regierungsauftrag zu erteilen. Anders als im präsidentiellen System kann der Regierungschef jederzeit durch ein Misstrauensvotum der ersten Kammer abberufen werden. Die zweite Kammer wird wie der Bundestag nach dem Prinzip der Verhältniswahl gewählt und erlaubt somit eine Vielfalt von Parteien. Sie muss jedem Gesetz zustimmen, kann die Regierung aber nicht abwählen. Es handelt sich deshalb nicht um ein echtes parlamentarisches System, sondern kann als „semi-parlamentarisch“ bezeichnet werden. Die erste Kammer ist eine quasi-parlamentarische „Vertrauenskammer“ für die Regierung, die zweite eine quasi-präsidentielle „Gesetzgebungskammer“. Die Regierung wird über die Wahlen der ersten Kammer eindeutig legitimiert und kann in der zweiten Kammer wechselnde Mehrheiten bilden, ohne dass ständig ihr eigenes Verbleiben im Amt auf dem Spiel steht.
Natürlich ließe sich das australische Modell nicht auf alle anderen Länder eins zu eins übertragen. In Deutschland haben wir mit dem Bundesrat bereits eine zweite (Länder-)Kammer. Die semi-parlamentarische Logik ließe sich aber weiterentwickeln. Statt einer getrennten Vertrauenskammer könnten wir im Bundestag einen großen Vertrauensausschuss etablieren. Nur dieser hätte das Recht des Misstrauensvotums, so dass die Wähler über ihn die Regierung auswählen könnten. Eingebettet wäre der Ausschuss aber nach wie vor in einen proportional gewählten Bundestag.
Wir könnten uns dabei zum Beispiel zunutze machen, dass unser heutiges Wahlsystem den Wählern zwei Stimmen gibt. Eine einfache Möglichkeit zur Etablierung eines semi-parlamentarischen Systems wäre es daher, den Vertrauensausschuss nur aus den durch die Erststimme direkt gewählten Abgeordneten zusammenzusetzen. Dieses System hätte es der Union nach der letzten Bundestagswahl erlaubt, eine Art Minderheitsregierung zu bilden – allerdings mit großer Mehrheit im Vertrauensausschuss.
Besser wäre es indes, eine landesweite Abstimmung über die Regierung zu ermöglichen – ohne den „Umweg“ über die Wahlkreiskandidaten – und dabei nicht nur die Erstpräferenzen der Wähler zu berücksichtigen. Die Wählerinnen und Wähler könnten zum Beispiel auf ihrem Wahlzettel so viele Parteien, wie sie wollen, in eine Rangfolge bringen. Mit dem ersten Platz würden sie nach den Prinzipien der Verhältniswahl die Zusammensetzung des Parlaments festlegen. Anhand der weiteren Plätze würde zusätzlich festgestellt, welche beiden Parteien insgesamt die größte Wählerunterstützung genießen. Dazu würden die Parteienlisten mit der geringsten Unterstützung nach und nach aussortiert und ihre Stimmen gemäß den individuellen Wähler-Rankings umverteilt. Am Ende blieben nur zwei Parteien übrig, die entsprechend ihrer Stimmenanteile im Vertrauensausschuss repräsentiert werden und von denen eine über 50 Prozent der Wählerstimmen erhalten haben muss (Ganghof 2016).
Was auf den ersten Blick kompliziert klingt, ist aus der Sicht der Wähler ganz einfach. Sie würden schlicht nach ihrer Reihung der Parteien befragt. Auf dieser Basis gäbe es wieder einen echten Wettbewerb um die Regierungsmacht. Auch die SPD oder die Grünen könnten diese erringen, wenn sie hinreichend viele Zweit- oder Drittpräferenzen erhielten. Im Vertrauensausschuss gäbe es ein garantiertes, fair ermitteltes Zwei-Parteien-System und die Regierung wäre durch eine absolute Mehrheit eindeutig legitimiert. Die Regierung hätte ein starkes Mandat für ihre zentralen Wahlkampfversprechen, müsste aber im proportional gewählten Gesamtparlament Kompromisse machen. Die Mehrheitspartei könnte auch weitere Parteien in die Regierung einladen – so wie dies in vielen Präsidialsystemen üblich ist – ohne allerdings in ihrem Bestand von ihnen abhängig zu sein.
Die Frage der Gleichheit
Die Verlagerung der „Gewaltenteilung“ ins Parlament hinein wirft Fragen nach dem Wert der Gleichheit auf. Laut Florian Meinel (2019, 212) gäbe der Semi-Parlamentarismus das „Prinzip der egalitären Repräsentation“ auf. Die „Gleichheit zwischen den Abgeordneten“ werde aufgehoben, obwohl in dieser die „rechtliche Gleichheit innerhalb der bürgerlichen Nation anschaulich“ werde.
Wir müssen hier sorgfältig trennen: (1) die Gleichheit der Abgeordneten von der Gleichheit der Bürger sowie (2) die Realität der egalitären Repräsentation im gesamten Verfassungssystem von deren „Veranschaulichung“ innerhalb des Parlaments. Meine Sicht ist, dass es in der moralischen Bewertung von Verfassungen letztlich allein um die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger geht und diese vor allem respektiert und nicht veranschaulicht werden muss. Dieser Respekt erfordert, dass prozedurale Ungleichheiten im gesamten Verfassungssystem nur in dem Maße akzeptiert werden, in dem sie durch instrumentelle (auf gute Ergebnisse bezogene) Erwägungen gerechtfertigt werden können. Instrumentalistische Einschränkungen prozeduraler Gleichheit kennzeichnen alle Demokratien, nur finden sie sich überwiegend außerhalb des Parlaments (Wahlrechtshürden, mächtige Staatspräsidenten, Verfassungsgerichtsbarkeit, unabhängige Zentralbanken, usw.). Die entscheidende Frage ist daher, ob die Verlagerung der „Gewaltenteilung“ ins Parlament hinein die bürgerliche Gleichheit stärken kann.
Nehmen wir die Sperrklausel des Wahlrechts als ein Beispiel. Wählerinnen und Wähler, die für nicht im Bundestag vertretene Parteien gestimmt haben oder ohne die strategischen Effekte der Sperrklausel gestimmt hätten, werden nicht als Gleiche behandelt. Diese Ungleichheit wird instrumentalistisch gerechtfertigt, z.B. mit Blick auf die Regierungsstabilität. Dass sie im Parlament gerade nicht mehr „anschaulich“ wird, macht sie moralisch nicht weniger bedeutsam. Man kann deshalb fragen, ob ein semi-parlamentarisches System nicht ceteris paribus mehr prozedurale Gleichheit realisierte. Ersetzten wir als Gedankenexperiment die Wahlrechts-Sperrklausel durch eine Sperrklausel zur Teilnahme am Misstrauensvotum von ebenfalls fünf Prozent, wäre der instrumentelle Effekt auf die Regierungsstabilität im Idealfall derselbe, die prozedurale Ungleichheit aber offensichtlich geringer. Die Anhänger kleiner und neuer Parteien hätten wenigstens einen formal gleichen Einfluss auf die Gesetzgebung; ihnen wäre nur ein direkterer Einfluss auf die Regierung verwehrt. Sollten wir dieses Mehr an bürgerlicher Gleichheit ablehnen, um eine sichtbarere Ungleichheit zwischen Abgeordneten in Bezug auf das Misstrauensvotum zu vermeiden?
Ein zweites Beispiel ist die Macht der Verfassungsgerichtsbarkeit. Diese schränkt die Macht der gewählten Repräsentanten ein – und damit auch die prozedurale Gleichheit zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Anhängern eines „politischen Konstitutionalismus“ ist dies bekanntlich ein Dorn im Auge. Sie würden es vor allem aus Gründen der politischen Gleichheit bevorzugen, wenn die Konkretisierung und Abwägung von Grundrechten stärker in den Händen der gewählten Repräsentanten läge. Viele politische Konstitutionalisten betonen überdies, dass es dafür effektivere Formen politischer Gewaltenteilung bräuchte – und dass das Fehlen einer effektiven Gewaltenteilung im Parlamentarismus den Siegeszug der Verfassungsgerichtsbarkeit zu erklären hilft (Gardbaum 2014). Daher das zweite Gedankenexperiment: Nehmen wir an, die semi-parlamentarische Gewaltenteilung würde die Macht der Exekutive wirksamer einschränken und dadurch trotz „schwächerer“ Verfassungsgerichtsbarkeit dasselbe Maß an Grundrechtsschutz ermöglichen wie reiner Parlamentarismus mit „starker“ Verfassungsgerichtsbarkeit; sollten wir dieses Mehr an bürgerlicher Gleichheit im gesamten Verfassungssystem dann aus Gründen innerparlamentarischer Gleichheitssymbolik ablehnen?
Gewiss kann man die instrumentellen Prämissen beider Gedankenexperimente in Frage stellen. Ob ein optimierter Semi-Parlamentarismus dem parlamentarischen Regierungssystem alles in allem überlegen ist, bleibt eine offene Frage. Der zentrale Wert der Gleichheit sollte uns aber nicht davon abhalten, ihr systematisch nachzugehen. Die Respektierung bürgerlicher Gleichheit durch das gesamte Verfassungssystem hat moralischen Vorrang vor ihrer innerparlamentarischen Veranschaulichung.
Hat es einen Grund, dass ein Direktoriumssystem, wie es die Schweiz mit dem Bundesrat in diesem Beitrag, wie auch sonst in der Debatte, kaum in Betracht gezogen wird?
@Stefan Thöni: Ich finde ihre Bemerkung sehr gut! Ja, das schweizerische Regierungssystem auf Bundesebene garantiert tatsächlich eine hohe Stabilität, ohne die grössten Parteien in starre Koalitionen zu zwängen. Für die Bevölkerung wird das wählen dann aber anspruchsvoller, da es in der Regel keine “richtigen” Spitzenkandidaten gibt. Im schweizerischen System sind die Parteien auch tatsächlich noch “authentischer” in ihrer Programmatik, da kein permanentes Abschleifen von inhaltlichen Positionen stattfindet, durch eine starre Koalitionsdisziplin. Jahrzehnte lang funktionierte das eigentlich sehr gut in der Schweiz. Aber seit den neunziger Jahren im Zuge der Europafrage, wurde aus der kleinen bürgerlichen Partei der Gewerbler und Bauern eine aggressive populistische Massenpartei. Somit wurde das regieren in Bundesbern immer schwieriger und damit verbunden das finden von Mehrheiten im National- und Ständerat für die einzelnen Sachgeschäfte. Zeitweise blockiert eine unheilige Mehrheit aus linken Parteien und der SVP im Nationalrat jeden Kompromiss. Somit hat das Konkordanzsystem in der Schweiz viel an Glanz verloren. Diese Art von regieren lebt vom Kompromiss und von der Rücksichtnahme und es schlittert in eine Krise, wenn grosse Teile der im Nationalrat vertretenen Parteien diese Art der Kompromissfindung immer mehr torpediert. Die Wahl der Regierung, sprich des Bundesrates, klappt hingegen immer noch problemlos. Durch das Wahlprozedere steht am Ende des Tages immer ein gewählter Bundesrat Einsatzbereit da um zu verwalten aber er hat es immer schwerer auch effektiv zu regieren, da er, wie schon geschrieben, immer mehr Mühe hat, Mehrheiten im National- und Ständerat zu finden für seine politischen Geschäfte.
Leider verstehe ich einen tragenden Satz des Vorschlags nicht: “Meine Sicht ist, dass es in der moralischen Bewertung von Verfassungen letztlich allein um die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger geht und diese vor allem respektiert und nicht veranschaulicht werden muss.”
Abgesehen von der Abgründigkeit einer moralischen Bewertung,die ja wohl nicht ausschließlich auf der Gleichheit der Bürger abzielen kann, denn das könnte Gleichheit in der Diktatur durchaus gewährleisten, sind mir die Begriffe veranschaulichen und respektieren in ihrem normativen Gehalt völlig unklar.
Könnte ich mir veranschaulichen noch mit repräsentieren übersetzen, so kann respektieren ja auch bedeuten: Deine politische Präferenz. wird zur Kenntnis genommen, findet aber keinerlei institutionellen Ausdruck dort, wo über Sein und Nichtsein der Macht entschieden wird.
Carl Schmitt hat das die “künstliche Prämie” auf den Machtbesitz genannt, die “Sub-Prämie, welche die “legale Mehrheit überhaupt erst einmal bewirkt” (Anmerkungen zu “Legalität und Legitimität” in VA, 348).
Der Effekt dieser Prämie liegt ja genau darin, dass die völlige Gleichheit der Stimmabgabe in die völlige Ungleichheit der Machtbestimmung verwandelt wird. Wie kann man das als “respektieren” bezeichnen, wenn dieser Effekt, der schon im heutigen System notwendig auftreten muss, noch verstärkt wird, indem es dann Opposition erster und zweiter Klasse geben würde?
Das kann wohl nur so lange funktionieren, so lange die Gleichheit vorausgeht, also alle mehr oder minder dasselbe wollen, nur mit unterschiedlichen Akzenten. Das wird ja oben auch durch die Wahlentscheidung nach abgestuften Präferenzen ausgedrückt. Sollte diese vorgängige Gleichheit aber nicht der Fall sein, dann wird die Ungleichheit durch den Vorschlag in keiner Weise gleich “respektiert”.
Die Funktionslogik der Argumentation zielt also im Kern darauf ab, die Stabilität der Macht zu sichern, die Gleichheit wird im Konfliktfall dieser Logik geopfert und muss sich mit bloßen Respekt begnügen.
Eine Herrschaft der Mehrheit der Wähler über andere Menschen ist keine Demokratie.
Die Listenwahl ist keine Demokratie.
…
Demokratie ist die Währung und Durchsetzung von Recht.
Davon kann bei uns keine Rede sein.
Und woher kommt das Recht?! Aus überlieferter Gewohnheit oder aus Erklärungen, die irgendwann einmal abgegeben wurden?! Wäre das demokratischer?! Damit Recht gesprochen werden kann, müsste sie ja schon eine Legitimationsgrundlage haben und reines Richterrecht wäre käumlich demokratisch. Die Justiz kann nicht die Grundlagen erzwingen, die es braucht, damit ihre Urteile/Verfügungen auch überhaupt akzeptiert werden. Selbst die Rule of Law hat einen Bezug zur aktuellen Rechtssetzung durch die jeweiligen Parlamente.