07 November 2023
Keine Rechtfertigung für Sperrklauseln
Die im ersten Halbjahr 2023 erfolgte und lange überfällige Wahlrechtsänderung schaffte zwar die Grundmandatsklausel ab, behielt aber die 5%-Sperrklausel bei und erntete dafür viel Kritik. Nun haben 4242 Personen, organisiert über den Verein Mehr Demokratie e.V. und vertreten durch Prof. Kingreen eine Verfassungsbeschwerde gegen die in § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BWahlG verankerte 5%-Sperrklausel eingereicht. Eine Abdeckungsregel würde den verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen besser entsprechen. Continue reading >>
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26 Juli 2023
Sozial, aber egal?
Waren Sie am 31. Mai 2023 auch so gespannt auf das Ergebnis dieser bundesweiten Wahl, zu der etwa 52 Millionen Menschen stimmberechtigt waren? Nein? Dann liegt das vielleicht daran, dass die Sozialwahl nicht nur „frei, geheim und öffentlich“ ist (§ 45 Abs. 2 S. 1 SGB IV), sondern auch relativ unbekannt und unbeachtet. Möglicherweise ist es um diese in der Bundesrepublik seit 70 Jahren bestehende Demokratiestabilisierungsinstitution aber gar nicht mal so gut bestellt, wenn zuletzt fast 80% der Stimmberechtigten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machten. Continue reading >>14 Juli 2023
Vorzeichenwechsel im Europawahlrecht
Der Bundestag hat am 15. Juni einer Sperrklausel für die Wahlen zum Europäischen Parlament zugestimmt. Kurz vor der Sommerpause schloss sich auch der Bundesrat an. Der deutsche Gesetzgeber unternimmt auf ein Neues, womit er schon zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Dieses Mal hat der deutsche Gesetzgeber bei der Einführung der Sperrklausel einen verbindlichen EU-Rechtsakt im Rücken. Damit geht allerdings einher, dass die Sperrklausel nun (auch verfassungsgerichtlich) mit allen Konsequenzen als determiniertes Unionsrecht behandelt werden muss. Doch auch eine 2 %-Hürde ist nicht zu 100% sicher vor dem BVerfG. Continue reading >>18 Mai 2023
Föderale Entscheidungssperre für Landesstaatsrecht
Das Bundesverfassungsgericht hat, wie wir erst jetzt wissen, am 25. Januar 2023 eine Grundsatzentscheidung zu den Verfassungs- und Verfassungsgerichtsbarkeitsräumen im deutschen Bundesstaat getroffen. An diesen Tag lehnte es einen Eilantrag ab, mit dem die vom Verfassungsgerichtshof Berlin verfügte vollständige Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ausgesetzt werden sollte. Die in ihrem Kern überzeugenden Gründe der Ablehnung wurden erst gestern bekanntgegeben, sie werden hier kurz erläutert, kommentiert und eingeordnet. Continue reading >>19 April 2023
Wann ist das Wahlrecht klar genug?
Am gestrigen Dienstag verhandelte der Zweite Senat des BVerfG über die „kleine“ Wahlrechtsreform von 2020. Die mündliche Verhandlung wirft große Schatten voraus, weil mit einer grundlegenden Aussage zur Normenklarheit im Wahlrecht zu rechnen ist: Was muss der Wähler vom Wahlrecht verstehen? Allein das Grundgerüst der Wahl oder detaillierte Kenntnisse, wie genau ein Mandat entsteht und verrechnet wird? Gleicht das Wahlrecht bald nur noch einer mathematischen Formelsammlung? Das Urteil darf mit Spannung erwartet werden. Continue reading >>06 April 2023
Dünnes Eis für die 5%-Sperrklausel
Kaum war das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes am 17. März beschlossen, wurden die ersten Stimmen laut, die sich wahlweise der Verfassungswidrigkeit oder der Verfassungskonformität des neuen Wahlrechts überaus sicher zeigten. Während an der grundlegenden Umstellung des Wahlsystems, das künftig den Verhältniswahlelementen Vorrang einräumt, kaum ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, wird mit guten Gründen Anstoß genommen am Wegfall der Grundmandatsklausel – Lebensversicherung der CSU und Notnagel der Partei DIE LINKE. Plötzlich tritt ein bislang kaum sichtbares Spannungsfeld zwischen Grundmandatsklausel, 5%-Hürde und der Integrationsfunktion von Wahlen in regionaler Hinsicht zutage. Continue reading >>25 März 2023
Nation ist auch im Wahlrecht kein Muss
Über die jüngst verabschiedete Reform des Wahlrechts für den Bundestag wurde bereits viel Tinte vergossen. Ein Argument aber, das sowohl in der Bundestagsdebatte als auch in der Öffentlichkeit oft wiederholt wurde und wohl den in den novellierten Gesetzesvorschriften zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ergibt, darf nicht unkommentiert bleiben: Das Argument, dass die nationale Dimension allein aussagekräftig für den politischen Wettbewerb sei und deswegen auch territorial konzentrierte Parteien mit nationalem Messstab zu messen seien. Continue reading >>24 März 2023
Abschied von Adenauer oder weshalb die Wahlrechtsreform ein Verfassungsrechtsproblem ist
Der Bundestag hat die Grammatik der Macht umgeschrieben. Mit der Änderung des Bundeswahlrechts wollte das Parlament zur gesetzlichen Regelgröße zurückkehren und den „Grundcharakter“ der Verhältniswahl konsequent in der Praxis umsetzen. Was die Reformfähigkeit der Politik belegen und für manche Beobachter ein endgültiger Abschied von der alten Bundesrepublik sein sollte, ist spätestens mit der beschlossenen Gesetzesfassung zu einem ernsten Verfassungsrechtsproblem geworden. Continue reading >>21 März 2023
Vom Chancentod zur Chance: Ein wahlrechtlicher Vorschlag zur Güte
Durch den Wegfall der Grundmandatsklausel rückt aber die 5%-Klausel wieder in den verfassungsrechtlichen Fokus. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Maßstäbe hierzu verschärft, und diese Maßstäbe wird es auch an die im veränderten Kontext des neuen Verhältniswahlrechts stehende 5%-Klausel anlegen. Ob sie ihnen standhalten wird, lässt sich kaum verlässlich prognostizieren. Für die politische Kultur wäre es aber am besten, wenn es gar nicht erst zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kommen müsste. Continue reading >>20 März 2023