11 February 2025

Besser spät als nie

Das BVerfG konturiert den Rechtsschutz für im Ausland Inhaftierte

Wie weit reicht der von der Bundesregierung zu gewährende Auslandsschutz? Diese Frage beschäftigte vor kurzem die Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit, nachdem sich ein über vier Monate in Venezuela inhaftierter deutscher Journalist durch das Auswärtige Amt (AA) vernachlässigt sah. Gemeinhin hängt hier vieles von den Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls ab, dennoch sind vor allem Inhaftierungsfälle sensibel: Äußerstenfalls stellt sich hier nämlich die Frage, wie eigentlich Rechtsschutz gegen eine Behörde erlangt werden kann, die an sich doch dazu berufen ist, diesen überhaupt erst zu vermitteln. Mit seinem im Laufe der letzten Woche veröffentlichten Beschluss vom 11.12.2024 hat das BVerfG klargestellt, dass mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG wenigstens im Nachhinein keine allzu überhöhten Anforderungen an das verwaltungsprozessuale Feststellungsinteresse gestellt werden können. Das weite Ermessen, das der Bundesregierung bei der Gewährung von Auslandsschutz aber materiell-rechtlich zusteht, wird davon richtigerweise nicht berührt.

Zur Ausgangslage

Im Spätherbst des Jahres 2018 wurde Billy Six, ein – investigativ arbeitender, aber nicht unumstrittener – deutscher Journalist im von Nicolás Maduro diktierten Venezuela durch den dortigen Geheimdienst wegen des vorgeblichen Verdachts der Spionage, Rebellion und Verletzung von Sicherheitszonen festgenommen und über einen Zeitraum von insgesamt vier Monaten inhaftiert, bis er endlich – im März 2019 – freigelassen wurde und Venezuela verlassen konnte (siehe FAZ und LTO). Der Fall löste seinerzeit eine Kontroverse aus, die sich jedoch – anders als man es vielleicht vermuten würde – vor allem innenpolitisch abspielte. Denn aus den Reihen der AfD wurde sogleich insinuiert, dass das AA über lange Zeit hinweg untätig geblieben sei – und zwar, wie könnte es anders sein, wegen der Gesinnung von Six: So habe man, anders als noch im „Fall Yücel“, anstatt seine Freilassung zu fordern, ihn in einem „dunklen, schimmligen Rattenloch verrotten lassen“ wollen und damit dann auch offenbart, dass das AA „zwischen Bürgern erster und zweiter Klasse“ unterscheide (so etwa Petr Bystron).

Verwaltungsgerichtliches Verfahren

Vor diesem Hintergrund erhob Six nun im Mai 2020 Klage zum VG Berlin, gerichtet auf Feststellung, dass das AA diverse diplomatische Schutz- und konsularische Betreuungspflichten verletzt habe (vgl. Urteil vom 16.5.2023, VG 34 K 183/20, Rn. 18-33). Das VG wies diese Klage ab. Dabei wurde schon nur vieren der insgesamt acht Anträge das Feststellungsinteresse zugesprochen; verneint wurde es bemerkenswerterweise, soweit es um das Unterlassen eines öffentlichen Protests gegen die Inhaftierung, eines Freilassungsverlangens gegenüber Venezuela, um das unterlassene Zurverfügungstellen eines Zeitungsartikelkonvoluts zum Beweis der Journalisteneigenschaft sowie um gewisse botschaftsseitige Einschränkungen bei der rechtlichen Unterstützung von Six ging; hier griffen also weder Wiederholungsgefahr, Rehabilitations- und Präjudizinteresse, noch die Fallgruppe der sich „typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahme“ (so VG Berlin, Rn. 47-63). Bei den übrigen Anträgen ging es im Wesentlichen darum, dass den Angehörigen von Six der Eindruck fehlender Fallkenntnis vermittelt worden sein soll, ferner um unterlassene Bemühungen im Zusammenhang mit einer Medikamentenbeschaffung, um einen nicht unverzüglich erfolgten ersten Konsularbesuch sowie um den Umfang der späteren Ausreisebegleitung. Insoweit hielt das VG Berlin die Klage für unbegründet, weil es – kurz gesagt – weder zu einer Betreuungs- (siehe § 7 KonsG) noch zu einer Beistandspflichtverletzung (vgl. § 5 und § 1 Spiegelstrich 2 KonsG) gekommen sei (VG Berlin, Rn. 66-97). Das in der Folge angerufene OVG Berlin-Brandenburg hielt schließlich den Antrag auf Zulassung der Berufung für unbegründet, da es ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht geweckt sah (Beschluss vom 2.5.2024, OVG 9 N 70/23).

Der Beschluss des BVerfG

Auf die hieraufhin eingelegte – nur in Teilen zulässige – Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG diese Entscheidungen mit Beschluss vom 11.12.2024 (1 BvR 1426/24) teilweise aufgehoben, und zwar wegen einer Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), die sich daraus ergebe, dass das VG die Klage als teilweise unzulässig abgewiesen und das OVG den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt und so die bestehende Rechtsverletzung vertieft habe (BVerfG, Rn. 20 f., 38 ff.).

Man kann hier nun damit ansetzen, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Rechtsweg grundsätzlich auch für bereits in der Vergangenheit erfolgte Rechtsverletzungen garantiert, dies jedoch „unter dem Vorbehalt eines darauf bezogenen Rechtsschutzbedürfnisses“ (Rn. 23 ff.). Vor diesem Hintergrund begegnet zunächst die VG-seitige Ablehnung einer Wiederholungsgefahr durchgreifenden Bedenken: Die von ihm an dieser Stelle angelegte enge Interpretation des Begriffs, der zufolge etwa die zukünftige, wenn auch abstrakte Möglichkeit einer Festnahme durch Venezuela oder einen anderen Drittstaat im Zusammenhang mit weiteren journalistischen Tätigkeiten in Krisen- und Kriegsgebieten noch nicht ausreichen soll, lasse – so das BVerfG – „den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Rechtsschutz […] der Sache nach leerlaufen“ (Rn. 28-30). Werde vorgetragen, dass es im Zuge investigativ-journalistischer Tätigkeiten schon in der Vergangenheit zu Inhaftierungen kam und man auch zukünftig derartigen Tätigkeiten nachgehen wolle, bestehe vielmehr – auch eingedenk der Tragweite der dabei in Rede stehenden Rechtsgüter (Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) – eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, abermals inhaftiert zu werden und wieder auf die Hilfe des AA angewiesen zu sein; entsprechend sei es dann also auch etwa nicht vonnöten, die Wiederholung gleicher Umstände zu prognostizieren (Rn. 31).

Hinzu kommt noch ein weiteres: nämlich die Implikationen, die Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für das Feststellungsinteresse hat, wenn es um Fälle geht, „in denen Grundrechtseingriffe tatsächlich typischerweise vor einer gerichtlichen Klärung in der Hauptsache überholt sind“. Provoziert wird dies vor allem durch den Vorwurf von Six, das AA habe sich nicht genügend um eine Freilassung bemüht und so die ihm gegenüber deutschen Staatsangehörigen obliegende Pflicht, Auslandsschutz zu gewähren (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG), verletzt (Rn. 33 f.). Wenn es an einer solchen Unterstützung nun einmal fehlen sollte, dann beschränke sich dem BVerfG zufolge die hierdurch vermittelte Belastung in der Tat auf einen Zeitraum, in dem eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung kaum noch zu erlangen sein werde (Rn. 35 f.). Oft dürfte es dem inhaftierten Betroffenen schon an Informationen darüber fehlen, welche Maßnahmen das AA eigentlich ergreift oder unterlässt, weshalb er dann gegebenenfalls auch gar nicht die Notwendigkeit dazu sehen müsste, „Klage gegen die Bundesrepublik mit dem Ziel zu erheben, das [AA] zu einer stärkeren Unterstützung zu bewegen“. Und selbst wenn das einmal der Fall sein sollte, führte das zu einem unweigerlichen Dilemma für den Inhaftierten, denn er müsste nun „die Botschaft vor Ort – und damit das [AA] – um Unterstützung bei der Erhebung einer Klage bitten […], mit der er eben dieses zu einer größeren Unterstützung in seiner Sache anzuhalten versucht.“ Um im Endeffekt zu vermeiden, dass das Handeln des AA in derartigen Konstellationen einer gerichtlichen Kontrolle entzogen wird, ist es also auch hier angezeigt, anders als es noch vom VG und vom OVG angenommen wurde, das Feststellungsinteresse zu bejahen (Rn. 35 f.).

Ausblick

All das leuchtet nicht nur unter verwaltungsprozessualen Gesichtspunkten unmittelbar ein, auch materiell-rechtlich dürfte die Entscheidung ganz im Sinne der allgemeinen, durch § 1 KonsG radizierten konsularischen Aufgaben stehen, zu denen es schließlich gehört, „Deutschen sowie inländischen juristischen Personen nach pflichtgemäßem Ermessen Rat und Beistand zu gewähren“ (Spiegelstrich 2). Was das im Einzelnen an staatlichen Aufgaben mit sich bringen kann, entfaltet das Konsulargesetz – wie schon angedeutet – vor allem in seinem Zweiten Abschnitt (§§ 5-17).

Dahinter steht mit dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (vgl. § 4 KonsG) aber noch eine weitere, völkerrechtliche Rahmung, die es Konsularbeamten etwa ermöglicht, „mit Angehörigen des Entsendestaats zu verkehren und sie aufzusuchen“ (Art. 36 Abs. 1 lit. a Satz 1 WÜK), oder „einen Angehörigen des Entsendestaats aufzusuchen, […] dem […] die Freiheit entzogen ist, mit ihm zu sprechen und zu korrespondieren sowie für seine Vertretung in rechtlicher Hinsicht zu sorgen“ (Art. 36 Abs. 1 lit. c Satz 1 WÜK; siehe zu Art. 36 Abs. 1 lit. b WÜK den vom Internationalen Gerichtshof entschiedenen LaGrand Case). Die Wahrnehmung dieser Rechte steht mithin im ureigenen Interesse der Staaten.

Wie sie dieser Verantwortung aber nachkommen, bleibt ihnen überlassen und ist eine in weiten Teilen vom jeweiligen Einzelfall abhängige Frage – und so betont dann auch das BVerfG, dass der Bundesregierung bei der Gewährung von Auslandsschutz ein weites Ermessen zusteht: Von einem entsprechenden Fehler wäre insofern erst dann auszugehen, „wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen wurden oder die getroffenen Maßnahmen offensichtlich gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen, oder das Handeln der Bundesregierung auf einem offensichtlichen Rechtsirrtum oder einer willkürlichen Einschätzung beruht“ (Rn. 18). Rechtspraktisch dürfte ein positiv festgestellter fehlerhafter Auslandsschutz also eher die Ausnahme bleiben – dass dabei aber wenigstens die davorliegenden Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache nicht überstrapaziert werden können, ist nachdrücklich zu begrüßen.


SUGGESTED CITATION  Lorenz, Paul: Besser spät als nie: Das BVerfG konturiert den Rechtsschutz für im Ausland Inhaftierte, VerfBlog, 2025/2/11, https://verfassungsblog.de/diplomatischer-schutz-ausland-inhaftierte/, DOI: 10.59704/d9077bb6fa1e40c1.

Leave A Comment

WRITE A COMMENT

1. We welcome your comments but you do so as our guest. Please note that we will exercise our property rights to make sure that Verfassungsblog remains a safe and attractive place for everyone. Your comment will not appear immediately but will be moderated by us. Just as with posts, we make a choice. That means not all submitted comments will be published.

2. We expect comments to be matter-of-fact, on-topic and free of sarcasm, innuendo and ad personam arguments.

3. Racist, sexist and otherwise discriminatory comments will not be published.

4. Comments under pseudonym are allowed but a valid email address is obligatory. The use of more than one pseudonym is not allowed.




Explore posts related to this:
Auswärtiges Amt, BVerfG, Diplomatischer Schutz, Feststellungsinteresse, diplomatischer Schutz


Other posts about this region:
Deutschland