Eigentumsschutz für “digitale Vorlagen”
Richterliche Zurückhaltung ist eine Zier. Sie zeugt von Respekt vor dem demokratisch gewählten Gesetzgeber und umsichtiger Kenntnis der eigenen, prekär legitimierten politischen Macht. Sie ist das Gegengewicht zu der Befugnis der Justiz, die Entscheidungen des Gesetzgebers nötigenfalls zu korrigieren.
Das Bundesverfassungsgericht ist nicht dafür bekannt, in dieser Hinsicht besonders zimperlich zu sein. Neu ist aber, dass es jetzt auch andere oberste Bundesgerichte in bemerkenswert schroffem Ton auffordert, es ihm gleichzutun.
Der heute veröffentlichte Kammerbeschluss zur urheberrechtlichen Geräteabgabe haut dem I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seine Rechtsprechung zur so genannten Geräteabgabe mit einer Brutalität um die Ohren, die ihresgleichen sucht. Dessen viel beachtetes Muster-Urteil von 2007 sei “offensichtlich” verfassungswidrig, entziehe die Kläger ihrem gesetzlichen Richter und trete das Grundrecht auf Eigentum mit Füßen, so die 2. Kammer des Ersten Senats.
In dem Fall ging es um die Frage, ob die im UrhG vorgesehene Vergütung für Urheber, deren Werke fotokopiert werden, auch für digitale Vorlagen gilt, die mit Scanner, PC und Drucker vervielfältigt werden. Diese Vergütung wird in Form einer pauschalen Abgabe erhoben, die beim Kauf eines Kopiergeräts mitbezahlt wird und an die Verwertungsgesellschaften fließt. Zwischen den VGs und der Geräteindustrie tobte über Jahre ein erbitterter Streit, ob diese Abgabe auch auf PCs, Drucker und Scanner erhoben werden muss.
Papier und Tinte
Der BGH fand: Scanner ja, PC und Drucker nein. Argument: Mit einem PC und einem Drucker allein könne man keine Fotokopie herstellen, erst im Verbund miteinander. Und von einem Verfahren vergleichbarer Wirkung könne man auch nicht reden, weil es hier um Vervielfältigung bloßer digitaler Vorlagen gehe, die der Gesetzgeber erkennbar nicht im Auge hatte. Und ein Analogieschluss sei nicht möglich, weil im Regelfall ja, wer Texte oder Bilder ins Internet stelle, damit sein Einverständnis erkläre, dass der User am Computer sich diese nicht nur am Bildschirm ansieht, sondern auch ausdruckt.
Über die Stichfestigkeit der Begründung, vor allem was die angebliche Einverständniserklärung betrifft, kann man sicher streiten. Aber im Ergebnis ist das Urteil kein bisschen so skandalös, wie man nach Lektüre des BVerfG-Beschlusses erwarten würde. Mit etwas gutem Willen könnte man es sogar als musterhaftes Beispiel richterlicher Zurückhaltung deuten: Das alte analoge Tinte-und-Papier-UrhG gab für den zu entscheidenden Fall eben nichts her. Gebührt da nicht der Job, das Urheberrecht an der Hand zu nehmen und ins digitale Zeitalter zu führen, allein dem Gesetzgeber? Der inzwischen ja auch tätig geworden ist und das UrhG ausführlich novelliert hat?
Der BVerfG-Kammer sind derlei Zögerlichkeiten völlig fremd: Das geistige Eigentum genieße Schutz aus Art. 14 GG, und zwar nicht nur das von Leuten, die mit Tinte auf Papier schreiben. Die digitale Vorlage sei genauso schutzbedürftig wie das Druckwerk.
Die fachrechtliche Auslegung und Anwendung des Urheberrechts muss insbesondere angesichts der auf diesem Gebiet zahlreichen technischen Neuerungen die Eigentumsrechte der Urheber aus Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisten. Eine tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, dass Gesetze einem Alterungsprozess unterworfen sind. Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, wie das Gesetzesrecht auf neue Zeitumstände anzuwenden ist.
So klingt das, wenn das BVerfG dem BGH seinen Hang zum Judicial Selfrestraint mit dem Hagelstecken austreibt.
Wobei hier wohl auch tatsächlich ein anderer Approach zum geistigen Eigentum eine Rolle spielt: Wenn man mit dem BVerfG davon ausgeht, dass geistiges Eigentum kein propagandistischer Versuch, ein durch gesetzgeberische Entscheidung eingeräumtes Privileg in den Bereich des Naturrechts upzugraden, sondern ein Grundrecht ist, dann muss einem das BGH-Urteil in der Tat als skandalöse Rechtsverweigerung erscheinen.
Last Exit EuGH
Das ist allerdings alles nur Obiter Dictum. Denn scheitern lässt das BVerfG das BGH-Urteil an einem anderen Grundrecht als dem Eigentum – am Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 GG: Die BGH-Richter hätten den Fall dem EuGH vorlegen müssen.
Das allein ist schon ein Hammer. Sonst hält sich das BVerfG gern vornehm zurück an dieser Stelle.
Hier ist das Versäumnis des Zivilsenats, eine Vorlage auch nur in Erwägung zu ziehen, tatsächlich derart eklatant, dass das BVerfG zu dem Schluss kommt, der BGH habe damit der Klägerin, der VG Wort, ihren gesetzlichen Richter vorenthalten:
Die angegriffenen Entscheidungen lassen bereits nicht erkennen, ob sich der Bundesgerichtshof hinsichtlich des europäischen Rechts kundig gemacht und ob er eine Vorlage überhaupt in Erwägung gezogen hat.
Warum der BGH so blind war für die europarechtliche Seite des Falls, ist in der Tat rätselhaft.
Jetzt muss der BGH entweder den Fall in Luxemburg vorlegen. Mit völlig offenem Ausgang. Dort ist ohnehin bereits ein spanisches Verfahren anhängig, das das Geräteabgabe-System ins Wanken bringen könnte.
Sofern sie aber selbst entscheiden wollen, haben ihnen die gestaltungsfreudigen Kollegen vom Schlossbezirk für alle Fälle schon mal ein paar hilfreiche Fingerzeige zu Art. 14 mit auf den Weg gegeben.
(c) Rupert Ganzer (loop_oh), Flickr Creative Commons
Zwei Hinweise bzw. Ergänzungen:
Die Formulierung, die VB sei “offensichtlich” begründet, ist keine besondere Ohrfeige für den BGH. Offensichtlliche Begründetheit ist nach § 93c I 1 BVerfGG schlicht gesetzliche Voraussetzung für eine stattgebende Kammerentscheidung.
Zu den Ausführungen zu Art. 14 GG kann man sicher geteilter Meinung sein. Die Stattgabe aus Art. 101 I 2 war m.E. fast zwingend, wenn man den Anspruch auf den gesetzlichen Richter ernst nimmt. Dabei deutet sich ein bemerkenswerter Konflikt innerhalb des BVerfG an: Dieser Kammerbeschluss und ein früherer Beschluss einer anderen Kammer des Ersten Senats deuten eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs an, die der Zweite Senat in seinem Honeywell-Beschluss ausdrücklich zurückgewiesen hat (unter – sehr unüblichem – ablehnenden Zitat des älteren Kammerbeschlusses in der Pressemitteilung). Von daher ist gerade die Frage, ob sich das BVerfG in Zukunft an dieser Stelle vornehm zurückhalten wird. Aus europarechtlicher Sicht wäre eine interventionistischere Linie zu begrüßen.
interessanter Punkt, danke!
Nur eine kurze Anmerkung zu evtl. Divergenzen: Richtig ist, dass der Zweite Senat, wie sich aus dem ablehnenden Zitat ergibt, eine Verschärfung der Kontrolle befürchtet hat. Das entspricht der Einschätzung Thüsings, die man in einem NJW-Editorial-Beitrag lesen konnte. Indessen ist es keineswegs sicher, dass bie an den beiden Kammerentscheidungen des Ersten Senats beteiligten Richter eine Verschärfung bewirken wollten. Vielmehr kann man die betreffenden Entscheidungen auch so lesen, dass dort Kriterien herausgearbeitet worden sind, unter denen die im Rahmen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ausschlaggebende Willkür in Zusammenhang mit einer unterbliebenen Vorlage an den EuGH zu bejahen ist. Schließlich bildet der in der Rspr. beider Senate geklärte Maßstab auch den Ausgangspunkt der Überlegungen in den betreffenden Kammerentscheidungen. Und: Kann eine Entscheidung gegen die Vorlage sachlich zu rechtfertigen sein, wenn das Revisionsgericht von offensichtlich gebotenen weiteren Prüfungsschritten absieht? Man kann vor diesem Hintergrund absehen, dass es nicht zu einer ernsthaften Divergenz und erst recht nicht zu einem Konflikt zsischen den Senaten kommen wird – alles nur eine Frage der Verpackung!