Eine Frage des Geldbeutels
FFP2-Masken für Sozialhilfeempfänger:innen und Asylbewerber:innen
Am 28.1.2021 hatten Bundesarbeitsminister Heil und Bundesgesundheitsminister Spahn angekündigt, Bezieher:innen der Grundsicherung wegen der verschärften Maskenpflicht zehn kostenfreie FFP2-Masken zukommen zu lassen. Schutzmittel, die jetzt notwendig seien, dürften keine Frage des Geldbeutels sein, so Heil. Zu den Anspruchsberechtigten gehören nach der nun geänderten „neuen“ „Coronavirus-Schutzmasken-Verordnung“ (SchutzmV) auch Empfänger:innen von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II; landläufig Hartz IV). Grundsicherungsempfänger:innen von Hilfen nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sind dagegen nicht aufgenommen worden. Damit sind ca. 1,1 Millionen Sozialhilfeempfänger:innen und ca. 385.000 Asylbewerber:innen nach wie vor darauf angewiesen, medizinische Schutzmasken aus eigener Tasche zu finanzieren, damit sie beispielsweise Grundnahrungsmittel kaufen können. Das stellt eine in den meisten Fällen nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar.
Die Verordnung: Armut als Risiko
Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung ist § 20i Abs. 3 S. 2 Nr. 1 c) SGB V. Danach wird das Bundesgesundheitsministerium im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Versicherte Anspruch auf bestimmte Schutzmasken haben, wenn sie zu einer in der Rechtsverordnung festzulegenden Risikogruppe mit einem signifikant erhöhten Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 gehören. Der Anspruch kann auf Personen erstreckt werden, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, § 20i Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB V.
Auf dieser Ermächtigungsgrundlage wurde im Dezember 2020 die SchutzmV erlassen, die einen Anspruch auf Schutzmasken ab Vollendung des 60. Lebensjahres (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 SchutzmV) sowie für bestimmte Risikogruppen aufgrund einer Vorerkrankung oder eines Risikofaktors (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 SchutzmV) vorsieht. Gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 SchutzmV gilt dies auch für Personen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Die Anspruchsberechtigten erhalten insgesamt 15 Schutzmasken. Die Abgabe erfolgt über die Apotheken (§ 4 Abs. 1, 2 SchutzmV).
Mit der Ergänzung von Anfang Februar haben nun auch Personen, die Arbeitslosengeld II erhalten oder mit einer solchen Person in einer Bedarfsgemeinschaft leben, einen (subsidiären) Anspruch, der unabhängig vom Versicherungsstatus ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 SchutzmV). Sofern sie keinen Anspruch wegen ihres Alters oder der Zugehörigkeit zu einer anderen Risikogruppe haben, erhalten sie einmalig zehn Schutzmasken.
Auf den ersten Blick passt diese Personengruppe nicht in den Regelungskontext. Anders als die bisherigen Berechtigten haben Menschen im Arbeitslosengeld-II-Bezug aufgrund ihres Sozialleistungsbezugs nicht per se ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs. Das Bundesgesundheitsministerium führt aber in der Verordnungsbegründung (S. 1, 7, 9) aus: „Bei dem betroffenen Personenkreis handelt es sich um eine in der Verordnung festzulegende Risikogruppe, weil bei dem betroffenen Personenkreis aufgrund sozial bedingt ungünstigeren Gesundheitschancen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht.“ Hartz-IV-Empfänger:innen gehören also aufgrund sozialer Faktoren einer Risikogruppe an. Dieser Zusammenhang von Armut und schlechteren Gesundheitschancen ist bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen worden und lässt sich unter anderem auf die psychischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Armut zurückführen (vgl. zusammenfassend etwa RKI und WZB). Zudem haben diese Personen ein höheres Infektionsrisiko, da sie beispielsweise häufiger auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind oder sie sich keine Schutzausrüstung leisten können. Folgerichtig ist ihnen daher auch ein Anspruch auf Schutzmasken anzuerkennen.
Ungleichbehandlung
Wenig überzeugend ist hingegen, dass dieser Anspruch auf Leistungsberechtigte des SGB II beschränkt wird. Grundsätzlich kommt dem Staat bei der Gewährung von Sozialleistungen ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum hinsichtlich des „Wie“ der Erfüllung zu (BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfGE 125, 175 (224 f.)). Er kann also etwa darüber entscheiden, ob er das Existenzminimum in Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert. Dieser Gestaltungsspielraum ist enger, soweit es darum geht, die physische Existenz zu sichern, und weiter bei Art und Umfang der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (BVerfGE 125, 175 (224 f.)).
Entscheiden sich Gesetzgeber und vollziehende Gewalt aber für eine Art der Sicherstellung, dann muss sie sich an Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. Danach darf wesentlich Gleiches nicht ungleich und wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden. Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (st. Rspr. BVerfG, etwa BVerfGE 130, 240 (252 f.)).
Leistungsberechtigte des SGB II und des SGB XII sind vergleichbar. Beide Gruppen können ihren Lebensunterhalt nicht bzw. nicht ausreichend bestreiten und erhalten daher existenzsichernde Leistungen (vgl. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II; § 19 SGB XII). Ihre Lebenssituation unterscheidet sich zwar aufgrund ihrer Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, § 21 SGB XII) nicht jedoch hinsichtlich ihrer sozial bedingten ungünstigeren Gesundheitschancen.
Auch Leistungsberechtigte des SGB II und des AsylbLG sind hinsichtlich ihrer Gesundheitschancen vergleichbar. Das BVerfG hatte im Hinblick auf die Anrechnung von Schmerzensgeld als zu berücksichtigendes Einkommen eine Vergleichbarkeit zwischen beiden Gruppen bereits festgestellt (BVerfGE 116, 229 (238 f.)). Hier gilt nichts Anderes.
Keine Rechtfertigung…
Diese Ungleichbehandlung kann auch nicht gerechtfertigt werden. Für die Rechtfertigung gilt ein am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierter stufenloser Prüfungsmaßstab (BVerfGE 138, 136 (180 f.)). Im Bereich des Sozialrechts betont das BVerfG einen weiten Spielraum des Gesetzgebers (BVerfG 18.5.2016, 1 BvR 2217/11, Rn. 20), der allerdings im Bereich der steuerfinanzierten Grundsicherungssysteme durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums begrenzt ist (BVerfGE 125, 175 (222 f.); Kingreen, Bonner Kommentar, Art. 3 Rn. 751).
…bei Leistungsberechtigten des SGB XII…
Dass Leistungsberechtigte des SGB XII aus der SchutzmV ausgenommen sind, hat die Bundesregierung bisher (Stand 16.2.2021) nicht begründet. Ein möglicher Grund könnte die teilweise Überschneidung der Anspruchsberechtigten sein. Soweit Grundsicherung im Alter geleistet wird, erfüllen Leistungsempfänger:innen auch die Anspruchsvoraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SchutzmV, da Personen mit Vollendung des 65. Lebensjahres (bzw. der Altersgrenze gem. § 41 Abs. 2 SGB XII) diese Leistung erhalten.
Anders ist dies bei Grundsicherung wegen Erwerbsminderung und bei Hilfen zum Lebensunterhalt. Grundsicherung wegen Erwerbsminderung gem. § 41 Abs. 3 SGB XII erhalten Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert i. S. v. § 43 Abs. 2 SGB VI sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben wird. Hier kann es zu Überschneidungen mit den Risikogruppen oder Risikofaktoren von § 1 Abs. 1 Nr. 2 SchutzmV kommen.
Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27 SGB XII können z. B. befristet voll erwerbsgeminderte Personen erhalten oder Kinder unter 15 Jahren, deren Eltern Grundsicherung wegen des Alters oder Erwerbsunfähigkeit erhalten. Diese Leistungen sind subsidiär gegenüber anderen existenzsichernden Leistungen und kommen daher nur selten zum Einsatz, betreffen aber dennoch ca. 265.000 Personen unter der Altersgrenze von 65 Jahren. Insoweit können auch hier Überschneidungen mit dem Anspruch aus § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, Abs. 2 Nr. 1 SchutzmV bestehen. Solche Überschneidungen ließen sich aber über eine Subsidiaritätsregel wie in § 2 Abs. 2a SchutzmV a. E. ausschließen.
Dass die Krankenkassen die Daten nicht vorliegen haben, da für Hilfeempfänger:innen nach dem SGB XII keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, kann die Ungleichbehandlung auch nicht rechtfertigen. Nach § 193 Abs. 3 VVG besteht eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Zu den Leistungen der Sozialhilfe gehören gem. § 32 SGB XII auch Krankenversicherungsbeiträge, die gem. § 32a Abs. 2 S. 1 SGB XII regelmäßig als Direktzahlung geleistet werden, sodass die entsprechenden Daten bei den Krankenkassen vorliegen. Die subsidiäre Hilfe zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII, die nur bei fehlendem Krankenversicherungsschutz eingreift, wurde 2019 in lediglich 6.474 Fällen gewährt. Das spricht dafür, dass nur wenige Leistungsempfänger:innen des SGB XII über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen.
…und bei Leistungsberechtigten des AsylbLG
Die Nichtaufnahme von Leistungsberechtigten des AsylbLG in den Kreis der Anspruchsberechtigten begründet das Bundessozialministerium mit der fehlenden gesetzlichen Krankenversicherung dieser Personengruppe und den damit fehlenden Kontaktdaten. Die Krankenversorgung von Leistungsberechtigten des AsylbLG wird nämlich nicht über die gesetzliche oder private Krankenversicherung sichergestellt, sondern über §§ 4, 6 AsylbLG. Dieser Anspruch sieht im Wesentlichen (und trotz vorgebrachter, berechtigter Kritik) nur eine Akutversorgung vor, der über die zuständige Behörde abgerechnet wird.
Die Gutscheine der Bundesregierung für die FFP2-Masken werden von den Krankenkassen an die Anspruchsberechtigten verschickt, nachdem die Krankenkassen aus ihren Versicherungsdaten die Anspruchsberechtigten ermittelt haben (§ 3 SchutzmV). Das dahinter stehende Ziel der Verwaltung von Massenerscheinungen ist ein grundsätzlich legitimes Ziel (BVerfGE 151, 101 (146)). Doch auch diesem sind Grenzen gesetzt. Das Ausmaß der damit einhergehenden Ungleichbehandlung darf nicht sehr intensiv sein und die damit verbundenen Härten dürfen nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein, wobei praktische Erfordernisse eine Rolle spielen (BVerfGE 151, 101 (146 m. w. N.)). Auch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums setzt Grenzen.
Mit der Nichtverteilung von Masken an Leistungsberechtigte des AsylbLG gehen besondere Härten einher: der ihnen gewährte Leistungssatz ist im Vergleich zu denen des SGB II und des SGB XII niedriger (vgl. § 3a AsylbLG), da bei der Berechnung weniger Bedarfe für Gesundheitsleistungen berücksichtigt wurden. Möglichkeiten, sich eigenständig mit der notwendigen Schutzausrüstung auszustatten, sind daher kaum vorhanden. Dies bedeutet aber eine Gesundheitsgefährdung für die nicht berücksichtigten Leistungsberechtigten des AsylbLG, die in den Gemeinschaftsunterkünften ohnehin schon einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind.
Der Bund kann sich auch nicht auf die Finanzstabilität der Krankenversicherung berufen. Die Kosten der Masken werden zwar zunächst aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert, dann aber vom Bund erstattet (§ 10 SchutzmV). Damit bedient sich der Bund zur Organisation der Krankenkassen, finanziert die Kosten der Masken aber eigenständig.
Schließlich verweist das Bundessozialministerium darauf, dass es davon ausgehe, die Länder würden sich darum kümmern. Doch auch dies taugt nicht, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Da die Versorgung mit FFP2-Masken zum menschenwürdigen Existenzminimum gehört (SG Karlsruhe, 11.2.2021, S 12 AS 213/21 ER; vgl. auch hier), kann sich der Bund, wenn er diesen Bedarf erkennt, nicht auf die Hoffnung stützen, andere würden sich schon kümmern. Entscheidet er sich bei einer Gruppe, diesen Bedarf zu leisten, so hat er diesen auch einer anderen zu gewähren, selbst wenn es dafür organisatorisches Umdenken braucht. Migrationspolitische Erwägungen oder eine kurze Aufenthaltsdauer rechtfertigen ebenfalls keinen Ausschluss (BVerfGE 132, 134 (172 f.)).
Schnelle Hilfe
Die Nichtgewährung von FFP2-Masken an Leistungsberechtigte nach dem SGB XII und nach dem AsylbLG verletzt den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Trotz des grundsätzlichen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums bedarf es guter Gründe zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, wenn der Staat sich für eine Art der Leistungsgewährung entschieden hat. Solche Gründe fehlen hier. Statt den gewählten Weg über Gutscheine der Bundesregierung, welche die Krankenkassen verschicken, zu beschreiten, könnte über einfachere Lösungen nachgedacht werden. Dies könnte etwa ein selbstverantwortlich zu verwaltender monatlicher Zuschuss für alle Empfänger:innen existenzsichernder Leistungen sein, ein pandemiebedingter Mehrbedarf (so auch SG Karlsruhe, 11.2.2021, S 12 AS 213/21 ER) oder Anreizsysteme für Unternehmen und Einzelhandel, kostenlose Masken zur Verfügung zu stellen. Bis dahin ist die FFP2-Maske doch eine Frage des Geldbeutels.
Für kritische Diskussion danke ich Anna Rambach.