„Investitionsschutz in TTIP in der Kritik“ – oder nicht?
Mich hat die neue Position der Bundesregierung in Bezug auf Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) in TTIP gefreut, denn mich haben die Argumente, dass wir sie brauchen, noch nicht überzeugt. Erstaunt haben mich dagegen die bisherigen Beiträge zu unserem Symposium. Während Schiedsrichter Fernandez-Armesto für eine einschneidende Beschränkung der vertraglichen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit plädiert, scheint Hans-Georg Dederer die Auffassung der Kommission zu teilen, die öffentliche Kritik beruhe auf Missverständnissen und Fehldarstellungen, fürchtet Steffen Hindelang eine Aufweichung rechtstaatlicher Errungenschaften.
Die Antworten auf Kritik erinnern mich an meine eigenen Reaktionen auf Angriffe gegen mein Arbeitsgebiet das WTO-Recht. Als „Spezialistin“ sehe ich sofort Schwächen und Fehler in der öffentlichen Berichterstattung oder der Argumentation „fachfremder“ Kolleginnen.
Aber leiden wir (Wirtschafts-)Völkerrechtlerinnen nicht auch oft an einer „déformation professionelle“, die uns davon abhält, uns mit fundamentaler Kritik – an der WTO, dem internationalen Investitionsschutzrecht, dem Völkerrecht – eingehend auseinanderzusetzen? Statt die Kritik zu kritisieren, sollten wir die aktuellen Verhandlungen zu TTIP und CETA als Chance begreifen, eine grundsätzliche Debatte über den internationalen Investitionsschutz zu führen – zu einem Zeitpunkt, zu dem wir mit unseren Meinungsäußerungen auf die Investitionsschutzpolitik der EU direkt Einfluss nehmen können. NGOs, wie Corporate Europe Observatory, und ihren Bündnissen, wie dem trade justice network, bin ich für ihre Informationsarbeit, die wichtige Grundlagen für eine Diskussion auch jenseits des Expertendiskurses schafft (zum Beispiel hier und hier), sehr dankbar.
Worum geht es beim Investitionsschutz: Rechte, Gleichgewicht, Rule of Law?
In der aktuellen Debatte ist die Rede von einer Balance von Investorenschutz und „right to regulate“ (die eventuell neu justiert werden müsse); von Rechten der Investoren (die nicht zu weitgehend eingeschränkt werden dürfen) und einer internationalen „rule of law“ (die als emanzipatorische Errungenschaft nicht durch Kritik gefährdet werden sollte). Diese Begrifflichkeiten verschleiern, dass es ganz verschiedene Sichtweisen auf den internationalen Investitionsschutz gibt, die sich in unterschiedlichen Interpretationen und Bewertungen niederschlagen (wie Anthea Roberts kürzlich sehr gründlich und aufschlussreich dargelegt hat). Unsere Vorstellungen darüber, wozu der internationale Investitionsschutz und ISDS dienen, leiten unsere Bewertungen des internationalen Investitionsschutzes. Es ist daher sinnvoll, genau zu hinterfragen, was die Ziele des internationalen Investitionsschutzes sind bzw. sein sollten.
Verleiht Investitionsschutzrecht Investoren Rechte?
Die meisten Investitionsschutzverträge und Investitionsschutzkapitel in regionalen Handelsabkommen eröffnen ausländischen Investoren die Möglichkeit gegen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu klagen. Und wenn es nach der Kommission geht, so soll auch TTIP solche Klagemöglichkeiten eröffnen. Das bedeutet jedoch nicht notwendig, dass die materiellen Schutzvorschriften Investoren Individualrechte verleihen. Die Kommission spricht im Konsultationsdokument von grundlegenden Investorenrechten und Grundrechten von Investoren; es ist aber auch eine andere Interpretation möglich. Danach kommen die Schutzvorschriften zwar Investoren zugute, verleihen ihnen jedoch keine subjektiven Rechte. Wenn Investitionsschutzstandards Investoren keine Rechte verleihen, dann hieße ISDS abzuschaffen auch nicht, dass Investoren eines Rechtswegs beraubt würden, ihre Rechte durchzusetzen.
Eine Interpretation, die Investitionsschutz nicht mit Investorenrechten gleichsetzt, kann sich am WTO-Recht orientieren. Es ist anerkannt, dass es zwar ein primäres Ziel des WTO-Rechts ist, Marktbedingungen zugunsten privater Wirtschaftsakteure zu schützen, das WTO-Recht dem Einzelnen jedoch keine Rechte verleiht. Wenn es Diskriminierung zwischen gleichartigen Produkten verbietet, so begründet es damit keine Produzentenrechte, auch wenn das Verbot der Diskriminierung den Marktzugang für ausländische Produzenten erleichtert. Die Präambel der WTO enthält entsprechend keinen Hinweis auf zu begründende Individualrechte, sondern auf die Ziele, denen der Schutz bestimmter Marktbedingungen letztendlich dienen soll, darunter gehobene Lebensstandards, Vollbeschäftigung und nachhaltige Entwicklung.
Auch die Begrifflichkeiten des internationalen Investitionsschutzrechts drängen uns nicht die Interpretation auf, dass der Investitionsschutz Investorenrechte begründet. Anstatt Analogien zum Menschenrechtsschutz zu bilden oder Investitionsschutz, wie z.B. den Schutz vor Enteignung, selbst als Menschenrecht zu begreifen, können wir Investitionsschutzrecht funktional begreifen, als Instrument zur Förderung wirtschaftlicher Entwicklung. Dies entspräche den Aspirationen, die auch in den Präambeln zu Investitionsschutzverträgen zum Ausdruck kommen. Wie die Präambel der WTO statuieren sie häufig wirtschaftliche Entwicklung und verbesserte Lebensstandards als Ziele des Investitionsschutzes.
Wählen wir eine funktionale Interpretation, so drängt sich die Frage auf, ob der internationale Investitionsschutz ein geeignetes Instrument zur Förderung wirtschaftlicher Entwicklung ist. Forschung zu dieser Frage weist in unterschiedliche Richtungen, und natürlich hängt ihre Beantwortung maßgeblich vom zugrunde gelegten Entwicklungsbegriff ab. Hier sei nur angemerkt, dass empirische Forschungsarbeiten zur Frage, ob internationale Investitionsschutzabkommen ausländische Direktinvestitionen fördern, in unterschiedliche Richtungen weisen; dass es keinesfalls erwiesen ist, dass internationaler Investitionsschutz solche Investitionen erhöht. In einer Studie zu Kosten und Nutzen eines EU-USA Investitionsschutzabkommens für das Vereinigte Königreich kommen die Wissenschaftler Lauge N. Skovgaard Poulsen, Jonathan Bonnchita und Jason Webb Yackee zu dem Ergebnis, dass ein Investitionsschutzabkommen mit ISDS wahrscheinlich nur wenig oder gar keinen Nutzen für das Vereinigte Königreich bringe (dagegen aber bedeutsame ökonomische und politische Kosten drohten).
Eine funktionale Konzeption des internationalen Investitionsschutzes lässt auch den Ausdruck “Balance zwischen Investitionsschutz und right to regulate” schief erscheinen. Er erweckt den Eindruck, es stünden die Belange des regulierenden Staates den Belangen der Investoren gegenüber: Regulierung bedeutet Kosten für Investoren, Investitionsschutz beschränkt regulatorische Freiheit. Bei staatlicher Wirtschaftsregulierung geht es aber meist darum, den rechtlichen Rahmen für wirtschaftliche Investitionen abzustecken und so Vorstellungen von guter, richtiger, nachhaltiger Entwicklung zu realisieren. Nicht nur der Staat ist auf Investitionen angewiesen, auch Investoren sind auf staatliches Recht angewiesen, welches erst die Grundlage für ihre Investitionen schafft. Natürlich lässt sich über Regulierungsinhalte streiten; doch Regulierung und Investitionsschutz sollten nicht als Gegensätze konzipiert werden, die gegeneinander abgewogen werden könnten.
Gefährden wir mit Kritik an Investitionsschutzrecht und ISDS die „International Rule of Law“?
Steht eine instrumentelle Perspektive auf den Investitionsschutz in Widerspruch zur fortschreitenden Aufwertung des Individuums im Völkerrecht? Läuft die Kritik am internationalen Investitionsschutzrecht Gefahr Fortschritte hin zu einer internationalen „rule of law“ wieder in Frage zu stellen? Ich denke nicht. Investoren, bei denen es sich zumeist um Unternehmen, also juristische Personen handelt, sind nicht rechtlos, auch wenn wir ihnen keine subjektiven Rechte aus dem internationalen Investitionsschutzrecht zuerkennen. Ihre Rechte ergeben sich aus nationalem Verwaltungs- und Verfassungsrecht, aus regionalem Recht und internationalen Menschenrechtsabkommen, aus Verträgen, die sie mit Regierungen abschließen. Wer Investitionsschutz mit emanzipatorischen Errungenschaften gleichsetzt, ignoriert, dass der internationale Investitionsschutz lange (auch) dazu diente, westlichen Staaten Zugang zu Rohstoffvorkommen in den ehemaligen Kolonien zu erhalten. Wer heute Investitionsschutz aus einer menschenrechtlichen Perspektive verteidigt, müsste erklären, warum ausländische Investoren eines besonderen Schutzes bedürfen, warum sie sich in einer besonderen Gefährdungslage befinden, welche den ohne internationales Investitionsschutzrecht bestehenden Schutz als unzureichend erscheinen lässt.
Häufig wird auf die Gefahr der Diskriminierung ausländischer Investoren hingewiesen. Die Gefahr der Diskriminierung ausländischer Investoren scheint jedoch weit geringer zu sein als die Gefahr der Diskriminierung ausländischer Produkte in den internationalen Handelsbeziehungen. Durch gezielte Diskriminierung ausländischer Produkte kann nationalen Produzenten ein Vorteil verschafft werden, können inländische Arbeitsplätze geschützt werden. Christian Joerges versteht das internationale Handelsrecht deshalb so, dass es Defizite staatlicher Demokratie ausgleiche, die darin liegen, dass innerstaatliche Entscheidungen ausländische Interessen berühren, ohne dass letztere im Entscheidungsprozess beteiligt sind. Eine gezielte Diskriminierung ausländischer, im Inland niedergelassener Investoren wirkt sich dagegen in der Regel auch negativ auf nationale Interessen aus, etwa weil sie Arbeitsplätze oder Steuereinnahmen gefährdet. Ausländische Unternehmen haben überdies diverse Möglichkeiten sich an Entscheidungsprozessen im Gaststaat zu beteiligen und Einfluss auf die Politik zu nehmen. Die Unterscheidung zwischen „inländisch“ und „ausländisch“ ist bei Direktinvestitionen (noch) unklarer als bei international gehandelten Produkten, und entsprechend ist auch die rechtliche Differenzierung zwischen „ausländischen“ und „inländischen Investoren“ schwerer zu begründen.
Und wenn nun der internationale Investitionsschutz keine rechtstaatliche Errungenschaft ist, die es unter allen Umständen zu bewahren gilt, ist seine effektive schiedsgerichtliche Durchsetzbarkeit vielleicht dennoch eine solche? Dies schlägt Christian Tams vor und spricht sich für eine Reform des materiellen Rechts aus, aber gegen eine vollständige Abschaffung der effektiven schiedsgerichtlichen Durchsetzung. Hier möchte ich widersprechen. Internationale Gerichtsbarkeit ist dort zu begrüßen, wo sie Macht (staatliche oder private) beschränkt und Selbstbestimmung fördert. Bei der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sehe ich jedoch die Gefahr, dass sie mächtige Akteure stärkt und demokratische Politik gefährdet. Würde auf ISDS verzichtet, wie zum Beispiel im Freihandelsabkommen zwischen Australien und den USA, so bedeutete dies nicht zugleich einen Verzicht auf Rechtsdurchsetzungsmechanismen. Eine Verletzung könnte immer noch im Wege zwischenstaatlicher Verfahren geltend gemacht werden. Das wäre für betroffene Investoren zwar weniger effektiv, würde aber eventuell einem Investitionsschutz besser gerecht, der so verstanden wird, dass er keine Individualrechte verleiht, sondern besonders schwerwiegenden Ungleichbehandlungen vorbeugen soll. Dass zwischenstaatliche Streitbeilegung funktionieren kann und nicht notwendig „politisiert“ sein muss, zeigt wiederum der Blick auf die WTO. Wenn dagegen ISDS dazu führt, dass strategische Klagen (oder ihre Androhung) zu gewichtigen Faktoren in demokratischen Rechtsetzungsverfahren werden, dann tritt an die Stelle des Versprechens depolitisierter Streitbeilegung die Möglichkeit depolitisierter Demokratie. Die schon genannte Studie zu einem US—EU Investitionsschutzabkommen kam zwar zu dem Ergebnis, dass nicht davon auszugehen sei, dass ISDS zu mehr US amerikanischen Investitionen im Vereinigten Königreich führe. Zugleich legte sie aber dar, dass die politischen Kosten erheblich sein können, wenn Investoren ISDS nutzen, um gegen staatliche Regulierung, wie zum Beispiel die viel zitierte „plain packaging“ Gesetzgebung, vorzugehen.
Es stimmt, dass einige Vorschläge der Kommission (Konkretisierung und Beschränkung von Investitionsschutzstandards; eine Kostenregelung, wonach ein unterliegender Investor die Verfahrenskosten tragen muss) auf diese Befürchtungen antworten. Doch bevor wir einen „besseren“ Investitionsschutz und „besseres“ ISDS akzeptieren, sollten wir verstehen, warum wir dies tun. Bloße Verweise auf Grundrechte, Gleichgewicht und Rule of Law überzeugen mich nicht.
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Ein wichtiger Punkt ist, dass ISDS Verfahren nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugänglich sind. Wenn wir bei reifen Rechtssystemen die Möglichkeit einer Klage vor den zuständigen Gerichten als Alternative ins Auge fassen, fragt man sich doch sehr, was ein Handelsschiedssystem mit Entscheidern ohne Befähigung zum Richteramt überhaupt soll. Da gesetzgeberische Prärogative von Entscheidungen tangiert sind, ist eine Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit schlechterdings nicht von der Hand zu weisen. Ohne ISDS bleibt darüber hinaus die Möglichkeit zum klassischen Staat-zu-Staat Handelsstreit bestehen. Die Vorstellung, dass Investitionen in andere Staaten überhaupt zu schützen seien, übersieht parternalistisch das unternehmerische Risiko von Investoren, die Rechtsrisiken in fremden Jurisdiktionen zu tragen haben, und das Selbstbestimmungsrecht der Völker über ihre Angelegenheiten.
@Rebentisch: Ihre Argumente habe ich gestern schon gelesen, war ein Beitrag von Robert Mugabe zum “Investitionsschutz”, ich meine in: Diktatur und Recht 2014, S. 1 ff.
[…] ausreichenden Schutz für Investitionen vor den nationalen Gerichten gewährleisten. Ich halte wie Isabel Feichtner diese Position für begrüßenswert und richtungsweisend. Wie die rasant zunehmende Kritik an der […]
[…] so lässt sich die geäußerte Kritik umso weniger von der Hand weisen (hierzu Von Bernstorff, Feichtner, Fernandez-Armesto und Hindelang, anderer Ansicht wohl Schill und […]