Begrenzte Schiedsgerichte – Absicherung der Demokratie?
Ich möchte mich in meinem Beitrag zur Bewertung des Investitionsschutzrechts im Rahmen des Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaftsabkommens („TTIP“) dem bislang eher wenig beachteten Vorschlag der Kommission widmen, die Auslegungskompetenzen der Schiedsgerichte zu begrenzen (Frage 11 des Konsultationsdokuments). Die Kommission möchte Regelungen einführen, die es der EU (gemeinsam mit den USA) ermöglichen, auf die Auslegung der Investitionsschutzbestimmungen durch Schiedsgerichte einzuwirken. Die Kommission will durch solche Regelungen fehlerhaften Interpretationen der Investitionsschutzbestimmungen durch Schiedsgerichte entgegenwirken.
Begrenzte Auslegungskompetenz als goldener Weg?
Ist diese begrenzte Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte nun der richtige Weg, Fehlurteile zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Investitionsschutzbestimmungen stets im Einklang mit den Parteiwillen ausgelegt und so die regulatorischen Interessen der Staaten (aus Sicht der Vertragsparteien) ausreichend beachtet werden? Oder wird hier das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ und die Unabhängigkeit der Schiedsgerichte so sehr eingeschränkt, dass faire Verfahren nicht mehr möglich sind?
Konkret schlägt die Kommission im Konsultationsdokument zwei Regelungsansätze vor, die es den Vertragsparteien ermöglichen sollen, auf Auslegungsentscheidungen einzuwirken.
Die bindende Auslegung
Zum einen möchte die EU
Als Vorbild für eine solche Regelung dient der beigefügte Entwurf des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA). Dieser sieht vor, dass das CETA Trade Committee Auslegungen des Abkommens verabschieden kann, die für ein Schiedsgericht bindend sind. Dabei ist auch vorgesehen, dass das CETA Trade Committee festlegen kann, ab wann diese Auslegungen gültig sein sollen. Ein Verbot, solche Auslegungen auch in einem laufenden Schiedsverfahren zu verabschieden, ist nicht vorgesehen. Der beigefügte Entwurf des CETA definiert nicht, wer Mitglied des CETA Trade Committee ist. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich das CETA Trade Committee aus Vertretern der Vertragsparteien zusammensetzt.
Es geht der Kommission hier also darum, in dem Abkommen eine ausdrückliche Regelung niederzulegen, die es den Vertragsparteien (d.h. der EU und den USA) erlaubt, für das Schiedsgericht bindende Auslegungen der Investitionsschutzbestimmungen zu verabschieden. Das heißt, die Vertragsparteien können sich auf eine bestimmte Auslegung der Investitionsschutzbestimmungen einigen (z.B. dass ein bestimmtes staatliches Verhalten als „fair and equitable treatment“ angesehen wird) und ihre bindende Wirkung für Schiedsgerichte beschließen. Die Folge ist, dass die Schiedsgerichte in diesem Punkt die entsprechende Bestimmung grundsätzlich selbst nicht mehr auslegen dürfen.
Die authentische Auslegung
Zum anderen möchte die Kommission
Es geht der Kommission hier um die Einführung eines Rechts auf Nebenintervention der nicht selbst am jeweiligen Schiedsverfahren beteiligten Vertragspartei. Im von der Kommission vorgelegten Textentwurf des CETA ist vorgesehen, dass jedes Schiedsgericht Stellungnahmen der Nicht-Vertragspartei zur Auslegung des Abkommens annehmen muss und das Recht hat, nach Konsultation des Klägers und des Beklagten auch eine Stellungnahme zur Auslegung der nichtbeteiligten Vertragspartei zu verlangen. Mittels der Nebenintervention wird den Parteien ein formalisiertes Verfahren zur Verfügung gestellt, sich in jedem Schiedsverfahren auf eine gemeinsame Auslegung der relevanten Investitionsschutzbestimmungen zu einigen und diese gemeinsame Auslegung in das Verfahren einzuführen.
Weder neu noch innovativ
Auch wenn das Konsultationsdokument den Eindruck erwecken will, handelt es sich bei den soeben geschilderten Mechanismen nicht um einen eigenständigen neuen innovativen Vorstoß der Kommission. Zwar enthalten viele Investitionsschutzverträge keine Bestimmungen in diesem Punkt, es bestehen aber bereits ähnliche Regelungen, insbesondere im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA). Zudem entsprechen die vorgeschlagenen Mechanismen auch Vorschlägen der United Nations Conference on Trade and Development, wie die Staaten wieder mehr Kontrolle über die Auslegung von Investitionsschutzverträgen erlangen können, um so (aus ihrer Sicht) zu weit gehende bzw. inkorrekte Entscheidungen der Schiedsgerichte zu vermeiden.
Geht das völkerrechtlich?
Die Vorschläge zur Begrenzung der Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte sind grundsätzlich völkerrechtskonform. Dies folgt daraus, dass den Staaten im Rahmen von Investitionsschutzverträgen eine so genannte „Doppelrolle“ zukommt: Sie sind einerseits Streitparteien, andererseits als Vertragsparteien auch „Herren der Verträge“. Deshalb haben sie das Recht, die Auslegung zu beeinflussen und die Auslegungskompetenzen eines von ihnen durch Vertrag eingesetzten Gerichts zu begrenzen.
Hinsichtlich ihrer Wirkungsweise auf die Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte unterscheiden sich jedoch die beiden Vorschläge der Kommission.
Die stärkste Wirkung entfaltet dabei der erste Mechanismus. Wird eine vertraglich als für das Schiedsgericht bindend festgelegte Auslegung verabschiedet, ist das Gericht insoweit in seiner Auslegungskompetenz beschränkt und muss grundsätzlich der Auslegung folgen. Dies ergibt sich daraus, dass die Auslegungskompetenz eines völkerrechtlichen Vertrages originär bei den Vertragsparteien liegt und diese selbst entscheiden können, ob und in welchem Umfang sie diese Kompetenz auf ein internationales Gericht übertragen. Das Schiedsgericht kann aber in engen Ausnahmefällen die Bindungswirkung verneinen. Eine Ausnahme könnte sich insbesondere dann ergeben, wenn die Parteien sich nicht mehr auf eine Auslegung des Vertrages geeinigt, sondern in Wirklichkeit eine Vertragsänderung verabschiedet haben, oder wenn die Rechte des Investors in einem zu großen Umfang beeinträchtigt würden. Im Rahmen der NAFTA wurde bereits einmal von dieser Möglichkeit, eine explizit für Schiedsgerichte geltende verbindliche Auslegung zu verabschieden, Gebrauch gemacht. Diese Auslegungserklärung wurde dann von nachfolgenden Schiedsgerichtsentscheidungen gemäß Art. 1131 Abs. 2 NAFTA als bindend erachtet, wenn auch etwa von dem Schiedsgericht in der Sache Pope & Talbot Inc. v. Government of Canada ausführlich diskutiert wurde, ob die entsprechende „Auslegung“ nicht in Wirklichkeit eine Änderung darstellte.
Der zweite Mechanismus wirkt subtiler auf die Auslegungskompetenz des Schiedsgerichts ein: Er soll den Parteien die institutionalisierte Möglichkeit geben, ihre gemeinsame Auslegung in das jeweilige Schiedsverfahren einzuführen. Einigen sich die Vertragsparteien auf eine gemeinsame Auslegung, liegt im Völkerrecht eine so genannte authentische Auslegung vor. Diese wird heutzutage aber grundsätzlich nicht mehr per se als bindend für internationale Gerichte angesehen. Vielmehr bleiben die internationalen Gerichte weiter berechtigt, den Vertrag auszulegen. Die authentische Auslegung ist gemäß den völkerrechtlichen Auslegungsregeln zu berücksichtigen. Die völkerrechtlichen Auslegungsregeln sind im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) enthalten. Gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK ist eine Übereinkunft der Vertragsparteien über die Auslegung in gleicher Weise wie der Zusammenhang bei der Auslegung zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist die gemeinsame Auslegung auch wichtiges Indiz für den subjektiven (historischen oder aktuellen) Parteiwillen. Ein Beispiel für die Wirkungsweise einer solchen authentischen Auslegung auf die Schiedsgerichtspraxis ist die Entscheidung des NAFTA-Schiedsgerichts Methanex Corporation v. United States of America, Preliminary Award on Jurisdiction and Admissibility, vom 7. August 2002. Es erwähnte die authentische Auslegung der Vertragsparteien zu Art. 1101 NAFTA, nahm aber eine eigenständige Auslegung des Artikels vor (die dann im Ergebnis der authentischen Vertragsauslegung der Parteien entsprach). Auch die USA – als beklagte Partei – hatten sich in diesem Schiedsverfahren nur darauf berufen, dass eine solche Übereinkunft gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK zu berücksichtigen sei.
Vor diesem völkerrechtlichen Hintergrund ist die Aussage der Kommission im Konsultationsdokument, dass eine Einigung der Parteien über die Auslegung „eine Erklärung mit großem Gewicht“ sei, „der die ISDS-Schiedsgerichte folgen müssten“, eher als irreführend anzusehen.
Der Teufel steckt im Detail
Begrenzte Auslegungskompetenzen sind eine völkerrechtlich zulässige Möglichkeit der Staaten, die Tätigkeit der Schiedsgerichte zu kontrollieren und ihre Auslegungshoheit zu bewahren. Hierdurch können aus der Sicht der Staaten zu weit gehende Urteile zugunsten von Investoren vermieden werden. Die Begrenzung der Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte dient also grundsätzlich dazu, die regulatorischen Freiheiten der Vertragsparteien zu wahren. Allerdings funktionieren diese Mechanismen nur, wenn sich beide Vertragsparteien einig sind.
Andererseits birgt der Mechanismus der begrenzten Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte auch Gefahren. Dies gilt insbesondere für eine Regelung, wonach die Vertragsparteien festlegen können, dass eine bestimmte Auslegung für das Schiedsgericht bindend ist. Hierdurch können die Rechte der Investoren zu weitgehend eingeschränkt werden. So kann dieser Mechanismus die Unabhängigkeit der Gerichte und die „Waffengleichheit“ der Parteien übermäßig beschränken, wenn er dazu benutzt wird, die Investitionsschutzbestimmungen ex post (im Rahmen eines laufenden Verfahrens) und restriktiv auszulegen. Problematisch ist ebenfalls, dass die Staaten als Herren der Verträge diese auch weiter- und fortentwickeln können und die Grenzen zu einer stillschweigenden Vertragsänderung fließend sind.
Damit gilt wie zumeist im Leben: der Teufel steckt im Detail. Die Vorschläge der Kommission, die Auslegungskompetenz der Schiedsgerichte zu begrenzen, sind theoretisch sinnvolle Maßnahmen, Fehlurteile zu vermeiden. Allerdings dürfen die Vertragsparteien diese Kompetenzen nicht extensiv ausüben, da sonst die Unabhängigkeit der Schiedsgerichte in zu starkem Maß gefährdet wird. Es wird dann letztendlich den Schiedsgerichten die Aufgabe zukommen, Grenzen für die Ausübung der Auslegungskompetenzen der Vertragsparteien zu entwickeln.