Kann ein Gesetz auf eine EU-Richtlinie verweisen?
Das klingt technisch, ist aber ziemlich spannend, finde ich. Ich bin da nicht selber drauf gekommen, sondern über die Berliner Anwältin und Energierechtsexpertin Ines Zenke von Becker Büttner Held, die ich bei der Redaktion ihres Energieblogs berate und die heute bei der parlamentarischen Anhörung zum neuen Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) die Rede darauf gebracht hat.
Im Kabinettsentwurf des TEHG findet sich folgende Passage:
§ 2 Abs. 5: Dieses Gesetz gilt nicht für:
(…)
2. Anlagen, die nach § 4 Absatz 1 Satz 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes genehmigungsbedürftig sind und bei denen nach ihrer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung außer für An-und Abfahrvorgänge als Brennstoff nur Klärgas, Deponiegas, Biogas oder Biomasse im Sinne des Artikels 2 Absatz 2 Satz 2 Buchstabe a und e der Richtlinie 2009/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen und zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und 2003/30/EG (ABl. L 140 vom 5.6.2009, S. 16) in der jeweils geltenden Fassung eingesetzt werden darf
Mit anderen Worten: Um zu wissen, wofür dieses Gesetz gilt, muss man in eine EU-Richtlinie schauen, und zwar in die “jeweils geltende Fassung”.
Ist das verfassungsgemäß?
EU-Richtlinien sind keine Gesetze. Sie sind Richtlinien, die die nationalen Gesetzgeber verpflichten, bestimmte Gesetze zu erlassen. Dieser hat dafür eine bestimmte Frist, und bevor die nicht abgelaufen ist, folgt aus der Richtlinie überhaupt nichts unmittelbar Rechtsverbindliches.
Das kann man doch nicht machen, oder?
Foto: Mr. T in DC, Flickr Creative Commons
scheint man keine Probleme mit zu haben in Berlin; so bereits in § 2 Abs. 3a StVO zur “Winterreifenpflicht”
Entgegen Ihrer Einschätzung erscheint mir eine solche Verweisung verfassungsrechtlich unproblematisch. Welcher Verfassungssatz sollte es dem Gesetzgeber verwehren, auf eine Definition, die in einer unionalen Richtlinie enthalten ist, zurückzugreifen? Das Amtsblatt der EU wird öffentlich verkündet und ist für jedermann einsehbar. Auf die Rechtsqualität und -wirkungen der Handlungsform Richtlinie kommt es dabei nicht an: Auch sie ist unmittelbar geltendes Sekundärrecht. Dass sie reduzierte Umsetzungs- bzw. Derogationseffekte entfaltet (Art. 288 Abs. 3 AEUV), negiert nicht ihre normative Geltung. Und dass eine (zumindest in der Logik des Völkerrechts) unterrangige Norm auf eine höherrangige verweist, wirft in meinen Augen ebenfalls kein Problem auf. Das BVerfG hat dies in einem obiter dictum auch schon angedeutet (BVerfG, Urt. v. 24.11.2010, Az.: 1 BvF 2/05, bverfg.de, Rdnr. 268).
Problematisch könnte aus der Perspektive des Verfassungsrechts lediglich sein, dass auf die “jeweils geltende Fassung” verwiesen wird. Diese Bedenken hinsichtlich einer solchen sog. dynamischen Verweisung kennen wir aber schon lange. Ich hoffe, dass BVerfGE 47, 285 ff. diesbezüglich der aktuelle Stand ist (dies kann ich auf die Schnelle aber nicht verifizieren): “Nach der bisherigen Rechtsprechung sind auch dynamische Verweisungen nicht schlechthin ausgeschlossen, und zwar selbst dann nicht, wenn keine Identität der Gesetzgeber besteht, wenn also der Bundesgesetzgeber auf landesrechtliche Vorschriften in ihrem jeweiligen Bestand verweist (vgl. BVerfGE 26, 338 ). Bei fehlender Identität der Gesetzgeber bedeutet aber eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen und wird daher im Schrifttum unter bundesstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gesichtspunkten als bedenklich beurteilt (Ossenbühl, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, DVBl. 1967, S. 401; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik (1970)). Wieweit diesen Bedenken zuzustimmen ist, bedarf keiner abschließenden Prüfung […]” (BVerfG, aaO, juris Rdnr. 62).
An dieser Stelle lohnt es sich, weiterzudiskutieren.
BEC hat natürlich das Wesentliche schon gesagt.
Die Problematik der dynamischen Verweisungen stellt sich ja hier nicht zum ersten Mal. Paralleles kennen wir bereits aus den verschiedenen VwVfG’en der Länder, so z.B. aus § 1 BlnVwVfG.
Sedes materiae ist der Grundsatz, dass derjenige, dem die Verfassung eine Kompetenz zuweist, diese auch zwingend wahrnehmen muss. Das Problem stellt sich zwischen den Ebenen Nationalstaat und EU nicht in der gleichen Weise, weil das Grundgesetz keine zwingende Kompetenzordnung zwischen EU und Nationalstaat errichtet, wie es sie zwischen Bund und Ländern errichtet.
Im Ergebnis also: unbedenklich.
Sorry für den wirren Stil. Ist schon spät und der Tag war lang.
Ist in der Tat ein alter Hut, wie die anderen schon kommentiert haben, und in den meisten Fällen mögen die Richtlinien aus Brüssel harmlos sein. Das Problem der Legitimation stellt sich da in zweierlei Weise: Zum einen zwischen den Ebenen EU-Nationalstaat, zum anderen aber auch, da von Seiten der EU es NICHT das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament, sondern der Rat auf Vorschlag der Kommission, deren demokratische Legitimation eher indirekter Natur ist. Das parlamentarische Verfahren könnte immerhin die CHANCE bieten, Dinge auch offen zu diskutieren (passiert leider auch nicht immer). Die dritte Dimension, nicht weniger problematisch, da es sich im Extremfall um einen Blankoscheck handeln könnte, ist dieser dynamische Verweis, worauf die anderen Kommentatoren schon hingewiesen haben.
Ich bin weder Verfassungsexperte noch Jurist, dennoch sehe ich die einzigste Gefahr in der oben schön Erwähnten versteckten Auslagerung und Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen an die EU. Welche ich Grundsätzlich begrüßen würde, dann aber bitte offen und ehrlich.
cu an other time
on an other place
der bagalutenGregor
Dietrich Herrmann,
ich denke, dem von Herrn Steinbeis geschilderten Fall wohnt entgegen Ihrer Annahme überhaupt kein kompetenzieller oder legitimatorischer Konflikt inne (auf Ihre Legitimationsbedenken hinsichtlich der EU-Legislation, die ich nicht teile, möchte ich daher hier nicht eingehen). Denn im benannten Fall übt der deutsche Gesetzgeber seine Kompetenz in vollem Umfang aus; er übernimmt halt nur eine Definition aus einem anderen Normwerk. Ob dieses im Landes-, Bundes-, Europa- oder Völkerrecht verortet ist, ist völlig unproblematisch, solange die Kriterien der öffentlichen Verkündung und Einsehbarkeit gewahrt bleiben. Mehr verlangen Bestimmtheitsgrundsatz und Rechtsstaatsprinzip nicht. Da könnte man auch den Brockhaus im Bundesgesetzblatt abdrucken und aus ihm passende Definitionen schöpfen.
Gesetzesästhetisch wäre ich jedoch immer dafür, dass der Gesetzgeber den Text, den er zur verbindlichen Norm erheben will, ausdrücklich beim Namen nennt und nicht über zehn Ecken referenziert. Dies evoziert immer die Gefahr eines Fehlgehens des Verweises, was dann unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgrundsatzes natürlich der casus belli wäre.
Das ist aber nicht mehr als eine Stilfrage. Und über Geschmack lässt sich auch in der Rechtsförmlichkeit leider nur bedingt streiten.
Ich sehe das jedenfalls unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht ganz unproblematisch, aber das ist in der Tat nicht ganz neu.
Neu ist aber, dass auf eine Rechtsnorm verwiesen wird, die sich unmittelbar eben nicht an den Einzelnen wendet. Und in dieser Hinsicht sind bestimmt Konstellationen denkbar die problematisch sind (mir fällt nur gerade keine ein…). Außerdem wird dem europäischen Gesetzgeber so jedenfalls indirekt eine weitere Kompetenz gegeben. Sollte also die deutsche Regelung nicht in einen Breich fallen, wo auch die EU Kompetenz besitzt, dann kommt es zu einer schleichenden Verlagerung der Gesetzgebungsbefugnis nach Brüssel über die Europäischen Verträge hinaus. Ich bin überhaupt kein EU-Kritiker, aber eben solchen Menschen wird sowas als argumentative Munition dienen, dass Lissabon eben doch nicht das Ende der Kompetenzübertragung war. Und dann wären wir auch schon wieder beim Demokratie-Problem…
Sebastian,
auch Ihr jurisdiktionelles Argument würde ich bestreiten: Die Richtliniendefinition wird hier doch nur in die deutsche Norm “hineinprojiziert”, nicht aber die Norm als solche in irgendeiner Form in deutsches Recht inkorporiert oder “umgesetzt”. Die Probleme der Normverifikation von EU-Recht durch das BVerfG stellen sich also gar nicht: Es bleibt eine genuin vom bundesdeutschen – verzeihen Sie mir diesen altbackenen staatsorganisationsrechtlichen Begriff – Verband legiferierte Norm.