Karlsruhe flüstert ein Beschlüsschen zur Sicherungsverwahrung
Normalerweise hängt die Latte, ab wann eine Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht eine Pressemitteilung wert ist, ziemlich niedrig. Wenn die Pressestelle mal untätig bleibt, dann handelt es sich zumeist um kursorische Nichtannahmebeschlüsse, die keinen Menschen interessieren.
Die heute veröffentlichte Kammerentscheidung, einem Kinderschänder zu einer erneuten Überprüfung seiner Sicherungsverwahrung zu verhelfen, dürfte angesichts der Aktualität des Themas durchaus ein paar Leute interessieren.
Der Mann war 1997 wegen Missbrauchs von Kindern in 11 Fällen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Als er die Strafe verbüßt hatte, holte die Strafvollstreckungskammer des OLG Koblenz 2001 ein externes Sachverständigengutachten ein, das ergab, dass der Täter von seiner päderastischen Obsession weiter völlig beherrscht sei und seinen Taten verharmlosend und distanzlos gegenüberstehe. Ergebnis: Sicherungsverwahrung.
2009 ordneten die Koblenzer Richter die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an, und zwar allein aufgrund des eigenen Eindrucks über die Gefährlichkeit des Mannes und ohne ein neues externes Gutachten anzufordern – obwohl das alte Gutachten schon acht Jahre alt war und der Mann angegeben hatte, er sei jetzt 62, und da sei “das mit der Sexualität” nicht mehr so doll. Der Mann sagte auch noch so manches andere, etwa dass das mit den Kindern doch eh “nur so eine Spielerei” sei und dass er sich eine maximal 10 Jahre jüngere Frau suchen wolle, sobald er in Freiheit sei, denn die habe dann keine kleinen Kinder mehr.
Die Strafvollstreckungskammer fand das so schräg, dass sie kein weiteres Gutachten mehr für nötig hielt, um die fortdauernde Gefährlichkeit des Mannes zu erkennen.
Das, so die 3. Kammer des Zweiten Senats, gehe nicht: Nach acht Jahren Sicherungsverwahrung müsse ein externer Gutachter prüfen, ob sich der Täter seither verändert hat.
Nun gut: Dass der Mann freikommt, ist damit noch lange nicht gesagt. Wenn der Mann tatsächlich so offensichtlich in seiner Obsession verharrt, wie die Strafvollstreckungskammer glaubt, dann wird das dem Gutachter schon auch auffallen. Insofern kann man schon verstehen, dass das BVerfG keine Lust hat, die irreführende Schlagzeile “Karlsruhe hilft Kinderschänder aus dem Knast” zu provozieren…
Ein Redaktionsfehler: „… dass er sich eine maximal 10 Jahre alte jüngere Frau suchen wolle, sobald er in Freiheit sei …“ – das wäre zwar *noch* schräger, aber laut Link will er doch keine Zehnjährige suchen, sondern eine Frau, die um höchstens zehn Jahre jünger ist als er.
Fehler korrigiert. Pffh – war das jetzt eine Freud’sche Fehlleistung by proxy oder was…
ein schönes Exempel dafür, wie gut Karlsruhe um den jeweils herrschenden Zeitgeist weiss 😉
ein schönes Exempel dafür, wie gut Karlsruhe um den jeweils herrschenden Zeitgeist weiss und mit ihm spielt 😉
Bin ich zu empfindlich, oder stößt mich das Wort “Kinderschänder” in einem juristischen Text zurecht ab? Auch aus Perspektive der Opfer finde ich nicht, dass diese “geschändet” sind. Hier scheinen mir archaische Wertvorstellungen durchzuschimmern.
Abgesehen von dieser Kleinigkeit aber nur Lob für das hervorragende und immer gern gelesene Blog!
Ich möchte mich Christian anschließen. Ich lese dieses Blog gerne und habe mich gefragt, was Worte wie “Kinderschänder” und “päderastische Obsession” in dieser Darstellung suchen. Sie sind m.E. weder sachlich noch zielführend, sondern populistisch und v.a. unnötig. Seine (überaus verständliche und geteilte) Abneigung kann man auch anders zum Ausdruck bringen. So aber haben diese Wörter für mich den Beitrag überschattet. – Schade.
Interessanter Beitrag, vielen Dank 🙂 Es erscheint mit schon ungewöhnlich, daß das Gericht nicht bereits in den Vorjahren erneute Gutachten hat einholen lassen, nachdem doch alle zwei Jahre die Fortdauer der Sicherungsverwahrung zu überprüfen ist.
@ Christian und Franziska: Ich gehe nicht davon aus, daß den Begriff “Kinderschänder” hierzulande noch jemand so versteht, daß dem Kind durch die Tat Schande bereitet worden ist.
Sicherlich ist es ein plakativer, vielleicht auch populistischer Begriff, den ich in juristischen Veröffentlichungen eher nicht antreffen möchte. Welche Bezeichnungen hätten Sie denn vorgezogen. Unsere Sprache scheint nur begrenzte Ausweichmöglichkeiten zu bieten. “Kindervergewaltiger” ist zu eingeschränkt. Bleiben noch umschreibende Begriffe (“Täter eines Kindesmißbrauchs” etc.) und Begriffe, die lediglich die sexuellen Neigungen wiederspiegeln.
[…] Vielleicht muss man den Gedanken gehen, dass es per se ein schlechter Ansatz ist, Menschen alleine auf Grund einer Norm des StGB “in Sicherung zu nehmen”, wenn es am Ende vielleicht (?) um eine “psychische Krankheit” und damit verbundenen Gefahren für die Allgemeinheit geht. Mit diesem Gedanken wäre zugleich eine – laut BVerfG ohnehin notwendige – Hürde geschaffen, um nicht einfach eine allgemeine Gefährlichkeit anzunehmen, sondern eine gutachtlich indizierte und wissenschaftlich greifbare Gefahr zu verlangen. Dass unser jetziges System diese Hürde keinesfalls garantiert, hat das BVerfG kürzlich eindrücklich klargestellt. […]