Keine polizeilichen Hilfseinsätze mehr für die Hauptstadt?
Im zweiten Anlauf hat sich das Land Berlin am letzten Donnerstag ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) gegeben. Es ist das erste seiner Art in Deutschland, nachdem zuletzt auch eine entsprechende Initiative in Brandenburg im Sande verlaufen war. Protest gegen das neue Gesetz kommt insbesondere vonseiten der Polizei – zu einem delikaten Zeitpunkt, erreichen doch gerade die „Black Lives Matter“-Proteste auch die Bundesrepublik mit Wucht. Hauptkritikpunkt der Behörden ist dabei die Beweislastverteilung des § 7 LADG. Die „Unschuldsvermutung“ sei hier zulasten der Polizeibediensteten aufgehoben worden; die einzelne Beamtin laufe Gefahr, rechtsmissbräuchlich mit Entschädigungsklagen überzogen zu werden. Als Konsequenz fordert die Polizeigewerkschaft Nordrhein-Westfalens, keine landeseigenen Polizeibediensteten mehr zur Unterstützung der Berliner Polizei in die Hauptstadt zu senden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und sein brandenburgischer Kollege Michael Stübgen wollen juristisch prüfen lassen, ob der Einsatz ihrer Polizisten in Berlin bei aufwendigen Staatsbesuchen, dem DFB-Pokalfinale oder den alljährlichen Demonstrationen zum 1. Mai noch zu verantworten ist.
Eine solche juristische Prüfung wird die Wogen glätten. Denn sie wird zutage bringen, dass vieles, was das Berliner LADG regelt, ohnehin schon gilt, manches aus Gründen des Unionsrechts zwingend umzusetzen war, das wenigste einen echten Systembruch bedeutet und das Land Berlin im Übrigen auch beim Hilfseinsatz Polizeibediensteter anderer Länder haftet.
Beweiserleichterung statt Beweislastumkehr
Entgegen anderslautender Behauptungen enthält § 7 LADG gerade keine Beweislastumkehr zulasten der Polizei. Ähnlich wie bei § 22 AGG findet sich dort lediglich eine Beweiserleichterung. Der Unterschied zwischen beidem ist erheblich: Bei der Beweislastumkehr würde bereits die bloße Diskriminierungsbehauptung ausreichen, um der Gegenseite den vollen Entlastungsbeweis aufzubürden. Für die Vermutungsregelung des § 7 LADG genügt dies jedoch mitnichten. Vielmehr verlangt das LADG hier die Glaubhaftmachung von Tatsachen, die einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot „überwiegend wahrscheinlich machen“. Der einfache Hinweis auf die Hautfarbe, das Geschlecht oder eine Behinderung etc. führt also nicht bereits zu einer erhöhten Rechtfertigungslast der Behörden. Vielmehr bedarf es hierzu gewichtiger Indizien, die eine Diskriminierung im konkreten Einzelfall erst nahelegen.
Eine solche Beweislastverteilung erscheint der Sache allerdings ebenso angemessen, wie sie bereits zum gängigen Repertoire der Rechtsprechung zählt. Das haben Vertreter*innen der Richterschaft auch schon in den letzten Tagen öffentlich bekundet. Denn wo bestimmte Motive oder Tatsachen regelmäßig der Wissens- und Einflusssphäre nur einer bestimmten Partei zugehören, legen die Gerichte schon aus allgemeinen prozessualen Erwägungen dieser Seite erhöhte Darlegungs- und Beweisobliegenheiten auf. Dies folgt im Polizeirecht nicht zuletzt auch aus den Vorgaben, die der EGMR zu Art. 13 EMRK aufgestellt hat (siehe nur Rz. 100 des Urteils Salman/Türkei). Und gerade für Fälle vermeintlich rassistischen Polizeihandelns entspricht dies auch in Deutschland der obergerichtlichen Praxis. So hat das OVG Koblenz in einem Urteil zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a BPolG klargestellt, dass „bei einer zielgerichteten Auswahlentscheidung, deren tragende Begründung (Entscheidungsfindung) sich bei gerichtlicher Kontrolle als fehlerhaft bzw. als zumindest nicht schlüssig erweist, die Behörde die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung (Entscheidungsergebnis) darlegen und gegebenenfalls auch beweisen muss“ (Rz. 113). Die gute Nachricht für die Innenminister Bayerns, Brandenburgs und Nordrhein-Westfalens lautet also: bei der polizeilichen Einsatzhilfe für Berlin droht nicht zwingend ein strengerer Beweismaßstab als andernorts auch – und die schlechte: auch zuhause sollte man sich in polizeirechtlichen Diskriminierungsschutzprozessen schon aus Gründen des Verfassungsrechts auf eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast einstellen. Eine „Unschuldsvermutung“ gibt es im Polizeirecht ohnehin nicht, grundrechtsrelevantes, polizeiliches Eingriffshandeln ist vielmehr stets rechtfertigungsbedürftig. Droht eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 GG, können die beweisrechtlichen Anforderungen an diese Rechtfertigung auch ohne gesetzliche Vermutungsregelungen wie § 7 LADG erheblich erhöht sein.
Der Hinweis auf die etablierte obergerichtliche Rechtsprechung wird in den Wortmeldungen der letzten Tage seitens Polizeigewerkschaften und Innenministern freilich unter den Tisch fallen gelassen. Das LADG Berlin enthält mit der Beweiserleichterung keine ungewöhnliche oder gar revolutionäre Regel. Umgekehrt gilt sogar, dass es für die Polizei und andere Behörden die Rechtssicherheit beträchtlich erhöht, wenn Rechtsprechungslinien in ein Gesetz überführt werden. Dann steht allen klar vor Augen, was zu tun ist. Von welchem Beamten will man verlangen, dass er jede Gerichtsentscheidung kennt, und sei sie noch so praxisrelevant? Besser ist es, das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. Daher ist der gestrige Vorschlag des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby konsequent, das LADG zum Vorbild für Änderungen auch des Bundespolizeigesetzes zu nehmen. Der Entwurf für ein neues Berliner Versammlungsgesetz wird im Übrigen genau dafür von der Polizeigewerkschaft GdP gelobt, dass er Rechtsprechungsgrundsätze in klarer Form gesetzlich positiviert. Um transparenter zum Ausdruck zu bringen, was genau von den Polizeibehörden im Alltag erwartet wird, kann die Klarstellung und Konkretisierung verfassungsrechtlich ohnehin bestehender Pflichten mitsamt dazu ergangenen Grundsätzen der Judikatur nur hilfreich sein.
Entsendung in andere Bundesländer – wer haftet?
Mindestens irreführend sind auch die in der Argumentation anderer Länder, aber auch der Polizeigewerkschaften so zentralen Behauptungen, die Polizeibeamt*innen gingen wegen des LADG Haftungsrisiken ein und könnten sich dadurch im Gesetzesvollzug gehemmt fühlen. Erstens haftet nicht die einzelne Beamtin persönlich, sondern grundsätzlich die Anstellungskörperschaft. Konsequenzen innerhalb der Behörden für einzelne Amtsträger sind höchst selten und erschöpfen sich in der Regel in dienstlichen Verwarnungen – und auch das nur bei verlorenen Gerichtsprozessen, nicht schon wegen der Anstrengung eines solchen Prozesses.
Zweitens ist es nach § 8 Abs. 2 ASOG (dem Polizeigesetz für Berlin) das Land Berlin, das bei Fehlern auswärtiger Beamter haftet, und gerade nicht das entsendende Land. Denn die Handlungen von Beamtinnen anderer Länder „gelten als Maßnahmen des Polizeipräsidenten in Berlin“; es findet also eine Zurechnung zum Land Berlin statt. Berlin steht somit für vermeintlich höhere Anforderungen an hier im Einsatz befindliche Polizeikräfte ein. Die Furcht Bayerns und Nordrhein-Westfalens vor Entschädigungsklagen ist also unbegründet.
Unionsrechtliche Überformung des LADG
Die Kritik anderer Länder am Berliner LADG unterschlägt zudem regelmäßig, dass Teile des Gesetzes auf zwingende Vorgaben des Unionsrechts zurückgehen. Hier ist Berlin das erste Bundesland, das Umsetzungsdefizite behebt, während in den 15 anderen Bundesländern nach wie vor eine teilweise unionsrechtswidrige Rechtslage besteht. Dies betrifft zwar nicht das Polizeirecht, sehr wohl jedoch das Bildungswesen, welches vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/43/EG erfasst wird (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. g). Das AGG, das im Wesentlichen die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien umzusetzen sucht, kann als Bundesgesetz schon aus kompetenziellen Gründen hier nicht für unionsrechtskonforme Zustände sorgen. Die Richtlinienvorgaben gerade zur Beweiserleichterung (Art. 8), aber auch zur Schaffung eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs (vgl. Art. 15) sowie zur Beteiligung von Betroffenenverbänden (Art. 7 Abs. 2) treffen hier primär den Landesgesetzgeber.
Flut oder Ebbe?
Ein hartnäckig wiederkehrendes Argument gegen jegliche Antidiskriminierungsgesetzgebung ist die Befürchtung einer „Klageflut“. Zunächst einmal: Im Rechtsstaat ist es ein gutes Zeichen, wenn Bürger*innen ihre Rechte kennen und diese auch einklagen. Anders als etwa beim Dieselbetrug ist beim LADG freilich keine größere Zahl an Klagen zu erwarten.
Erstens gehören die Betroffenen oftmals nicht zu den Teilen der Gesellschaft, die es gewohnt sind, mit staatlichen Organen auf Augenhöhe zu agieren und Gerichte einzuschalten. Man darf angesichts dessen eher von einer zu geringen Inanspruchnahme der Gerichte wegen LADG-Verstößen ausgehen statt vom Gegenteil. Die missbräuchliche Inanspruchnahme von Gerichten ist überwiegend ein „White Collar“-Phänomen. Wer weiß, wie viele Hürden einen erwarten, bevor man einen Schadensersatzprozess gegen staatliche Behörden führen kann, geschweige denn gewinnt, kann über das Missbrauchsargument nur den Kopf schütteln. Zweitens wird diese allgemeine Einschätzung durch die bisherigen Erfahrungen mit Diskriminierungsschutzprozessen bestätigt. Eine AGG-Klageflut ist ausgeblieben. Sogar dort, wo es eine Verbandsklage bereits gibt – wie etwa im Behindertengleichstellungsrecht –, hat dies nicht gerade zu einer Überlastung der Gerichte geführt. Nichts weist darauf hin, dass es sich ausgerechnet beim LADG anders verhalten wird. Und man kann die zu erwartende Klage-Ebbe durchaus bedauern, wenn einem der Rechtsstaat am Herzen liegt.
Es ist ja nicht so, dass sich die ersuchte Behörde aussuchen könnte, ob sie Amtshilfe leistet oder nicht: § 5 Abs. 3 und 5 VwVfG.
Die hier vorgebrachten Argumente gegen einen befürchteten Anstieg von Klagen halte ich nicht für stichhaltig:
1. Bislang bekam man bei rechtswidrigem Handeln vor den VGen bestenfalls ein schönes Feststellungsurteil zum Einrahmen.
Vermögensschäden oder nichtvermögensr. Ansprüche, die zu Amtshaftung geführt hätten, gab es ja bei bloßen Diskriminierungen in aller Regel nicht.
2. Jetzt ist finanziell etwas zu holen
3. Es gibt zudem PKH, d.h. wenn man nicht viel Geld hat, prozessiert man risikofrei (durch die Staatskasse beigetrieben wird bei Prozessverlust ja eh nichts mehr angesichts der pfändungsfreien Beträge)
4. Es gibt inzwischen viele Stellen, deren erklärtes Anliegen die Förderung von Antidiskriminierungsklagen in allen möglichen Bereichen ist, die mit Rat und Tat zur Seite stehen.
5. Mit dem Staat hat man anders als beim AGG einen stets solventen Schuldner.
PS:
Dass das LADG weiter gehen will als das AGG steht schon im Entwurf auf der oben verlinkten Seite:
“erweiterte Katalog der Diskriminierungsgründe bewertet worden. Außerordentlich
begrüßt werden ebenso die Einführung eines Verbandsklagerechts, die
Möglichkeit einer Prozessstandschaft sowie die Aufnahme einer Vermutungsregelung.”
Danke für diese übersichtliche Widerlegung der “Argumente” der Polizeigewerkschaften bzw. der CDU/CSU! Man hat sich an unsachliche, mit demokratischer Verfassungsstaatlichkeit fremdelnde Klientelpolitik nicht nur der DPolG, sondern auch der GdP leider gewöhnt, aber diese Kampagne war schon unsäglich.
Sind die Kritiker des Gesetzes tatsächlich so ahnungslos, dass sie die Unschuldsvermutung für verletzt und den einzelnen Polizisten für gefährdet halten, oder betreiben sie diese Propaganda wider besseres Wissen? Man weiß gar nicht, was schlimmer wäre…
@ meine5cent
Was noch zu beachten ist, ist die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hier in Berlin. Und die ist so beträchtlich, dass auch vermeintlich professionelle Kläger kaum leichtweg den Rechtsweg beschreiten werden meines Erachtens.
@meine5cent: Wir bewegen uns hier im Bereich von Entschädigungen unter tausend Euro. Ich bezweifele doch sehr, dass sich für dieses Geld jemand zum Gericht bemüht.
Außerdem bleibt der Punkt, dass sämtliche von dir bemühten Argumente sehr lebensfern sind. Wer klagt denn ernsthaft des Geldes wegen? Und auch noch gegen den Staat?
Scheint mir in deinem Fall mehr an deinen Vorurteilen zu liegen, als an sonst was: Denn die allermeisten Prozesse werden nicht für den Gewinn angestrengt. Gerade Diskriminierungsklagen. Du verklagst niemanden auf Diskriminierung, wenn du reich werden willst.