Le gouvernement de soi et des autres: Zu Auftrittsverboten für türkische Regierungsmitglieder
Die hochproblematische Verfassungsreform in der Türkei führt innerhalb der Europäischen Union zu ungewöhnlichen Allianzen: In seltener Einmütigkeit wird länderübergreifend von ganz rechts bis weit ins linke politische Spektrum hinein ein Auftrittsverbot für türkische Politiker gefordert. Das gefühlt häufigste Argument bemüht dabei die Souveränität: Man möchte die Kampagne der türkischen Regierung für ihre die Gewaltenteilung gefährdende Verfassungsreform nicht auch noch im eigenen Land haben.
Das Bundesverfassungsgericht scheint mit einer am Freitag veröffentlichten Kammerentscheidung in dieselbe Kerbe zu schlagen. Es betont darin, dass die Zulassung von Wahlkampfauftritten ausländischer Regierungsmitglieder nach Art. 32 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine Frage des außenpolitischen Ermessens der Bundesregierung sei, die betroffenen Regierungsmitglieder sich in ihrer Eigenschaft als Staatsorgane nicht auf Grundrechte berufen könnten.
In einer pluralistischen Gesellschaft weckt solche Einmütigkeit Zweifel, zumal wenn sie sich gegen einen scheinbar Außenstehenden richtet und damit interne Querelen – Brexit, Griechenland, Populismus – für einen Moment der gemeinsamen Empörung vergessen hilft. Bei näherem Hinschauen verfestigen sich die Zweifel – und zwar in juristischer wie politischer Hinsicht.
Nun entspricht der Hinweis auf das außenpolitische Ermessen der Bundesregierung der Rechtsprechung und herrschenden Lehre. Doch warum äußert sich die Kammer überhaupt dazu? Mit der Beschwerde versuchte ein Bürger, Auftritte türkischer Politiker zu verhindern. Dass es dem Beschwerdeführer, einem an der Demonstration unbeteiligten Dritten, hierfür an der erforderlichen Beschwerdebefugnis fehlt, hätte man wohl auch ohne Hinweis auf das außenpolitische Ermessen feststellen können. Es mag zwar eindeutigere Fälle eines obiter dictum geben. Gleichwohl fallen die Ausführungen vor allem deshalb ins Auge, weil niemand geringeres als der Vizepräsident des Gerichts (und Vorsitzende des nicht befassten Senats) sich am selben Tag in gleicher Richtung in der FAZ geäußert hat. Das ist sein gutes Recht, doch bleibt der Eindruck, auf diesen Hinweis sei im Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang einer aktuellen politischen Debatte besonderer Wert gelegt worden.
Wovon man sprechen muss, darüber kann man nicht schweigen
Im Gegenzug schweigt die Kammer umso lauter zu anderen juristischen Implikationen der Politikerauftritte: Das sind vor allem die Grundrechte derjenigen, die Erdogan und seine Regierungsmannschaft einladen, ob sie nun Doppelstaatler sind oder nicht. Ihre Versammlungsfreiheit umfasst auch das Recht, ihnen gefällige Redner einzuladen. Das hat bereits das OVG Münster letztes Jahr in der Entscheidung zu Erdoğans Hologramm-Auftritt festgehalten. Und zugleich hinter nebulösen Formulierungen versteckt, ob der Hologramm-Auftritts nun mangels physischer Präsenz Erdoğans oder wegen seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt oder aus beiden Gründen vom Schutzbereich des Art. 8 GG nicht umfasst sei. Eine Kammer des ersten Karlsruher Senats zog es damals vor, den Fall durch einen knappen Sechszeiler zu entscheiden, ohne sich zu dieser Frage zu äußern. Hier wäre Klärung willkommen gewesen. Denn Erdoğan mag sich als Staatspräsident zwar nicht auf Grundrechte berufen können. Aber läuft dadurch auch das Versammlungsrecht derjenigen leer, die ihn einladen, so dass nicht einmal sein Schutzbereich eröffnet ist? Wohl kaum. Art. 32 GG dürfte vielmehr einen Rechtfertigungsgrund für Einschränkungen des Versammlungsrechts liefern. Dann stellt sich die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist; auch ob Art. 32 GG als Grundlage des außenpolitischen Ermessens ausreicht oder eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, wie Niels Petersen auf LTO erwogen hat. Und manche meinen gar, die Verteidigung der türkischen Demokratie erfordere Einschränkungen beim Versammlungsrecht.
Die zwei Körper des Amtsträgers
Auch bleibt die Frage ungeklärt, ob es nicht doch Privatbesuche ausländischer Regierungsmitglieder gibt. Die Kammer scheint dies zumindest offen zu lassen, indem sie mehrfach herausstreicht, ausländische Regierungsmitglieder könnten sich „in amtlicher Eigenschaft“ nicht auf Grundrechte berufen. Ist aber ein Auftritt auf einer politischen Veranstaltung immer ein amtlicher Auftritt? Fraglos hängt er mit dem Amt in gewisser Weise zusammen. Doch treffen wir nicht für unsere eigenen Politiker hier feine Unterscheidungen? So ist die Bundeskanzlerin in ihrer Eigenschaft als CDU-Vorsitzende Trägerin von Grundrechten, die der Bundeskanzlerin als solcher gerade nicht zustehen. Sollte man diese Unterscheidung ausländischen Amtsträgern verweigern? Im Jahr 2009 wollte der damalige ungarische Präsident zur Enthüllung einer Statue des ungarischen Nationalheiligen St. Stephan in die Slowakei reisen, was von Letzterer als unfreundlicher Akt angesehen und untersagt wurde. Der von Ungarn angerufene Europäische Gerichtshof sah darin kein Problem mit der Personenfreizügigkeit. Hier jedoch geht es um Grundrechte, nicht um die Personenfreizügigkeit. Und die Einweihung einer Statue lässt sich kaum der privaten politischen Person eines Amtsträgers zuordnen – zumindest nicht so eindeutig wie der Auftritt auf einer Parteiveranstaltung. Das vom Europäischen Gerichtshof zur Betonung der besonderen Stellung von Staatsoberhäuptern bemühte Völkerrecht erkennt zwar auch Regierungsmitgliedern weitreichende Immunität zu. Doch Immunitäten und Grundrechtsfähigkeit schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus. Das zeigt bereits der Blick auf die parlamentarische Immunität. Sollte man ausländischen Regierungsmitgliedern Besuche in privater Eigenschaft zubilligen, könnten sie freilich im rechtlich zulässigen Rahmen an der Einreise gehindert werden.
Dieser kurze Überblick zeigt bereits, dass die Kammer die juristischen Implikationen von Wahlkampfauftritten ausländischer Staatsangehöriger keineswegs ausschöpft. Vielmehr begnügt sie sich mit einer so knappen Schilderung, dass ein in der Öffentlichkeit ein einseitiges Bild entstehen muss.
Mit Menschen- und Engelszungen
Zu den rechtlichen gesellen sich politische Bedenken. Ich mag mich dem Enthusiasmus derer nicht anschließen, die die politische Klugheit von Auftrittsverboten türkischer Politiker für evident halten und nur nach Möglichkeiten ihrer Umsetzung fahnden. Europäische Länder haben viele Jahrzehnte lang Migranten ins Land gelassen und davon enorm profitiert. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist ein bewusster Bestandteil deutscher Politik. Und nun wundert man sich hier und anderswo in der Union, dass diese Menschen politische Beziehungen zu einem anderen Staat unterhalten. Schlagworte wie Integration durch Recht, Verfassungsverbund, oder gar der Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem sind prominent abwesend in der gegenwärtigen Debatte – mithin die Speerspitze derjenigen Prinzipien, mit denen man eben noch der Türkei zu Recht Vorschriften und Vorwürfe gemacht hat. Reflexhaft schließt man die Reihen gegen Erdoğan und vergisst, dass man damit – erstens – nicht nur dafür sorgt, dass sich die türkischen Reihen im Gegenzug hinter Erdoğan schließen, wie er es sich nicht schöner hätte wünschen können, sondern dass dann – zweitens – unser westlicher Prinzipienkanon in den Ohren vieler Türken und Deutschtürken, darunter selbst Opfer von Erdogan, wie ein tönend Erz klingt. Damit verliert Europa ein weiteres Mal an moralischer Autorität.
Der Umgang mit Autokraten verlangt Selbstbeherrschung – le gouvernement de soi – mithin dasjenige, woran es den Autokraten nahezu invariant fehlt. Ein reifes politisches System muss dazu aber in der Lage sein. Gleichzeitig darf es sich erlauben, Autokraten laut und deutlich zu widersprechen. Wenn diese Wahlkampf im Ausland machen, können sie sich schlechterdings nicht mehr auf Souveränität berufen, denn sie haben sich dadurch selbst dieses Arguments beraubt. Durch das blinde Insistieren auf ihrer Souveränität berauben sich die betroffenen Staaten leider gerade dieser Möglichkeit.
“Propaganda is not allowed Overseas and in foreign representatives.” says the Turkish Electoral law (art. 94/A in fine, inserted in 2008 when Erdoğan was already in power – English translation on the site of the turkish central electoral commission itself: http://www.ysk.gov.tr/ysk/content/conn/YSKUCM/path/Contribution%20Folders/Ingilizce/298-en.pdf )
Für die Nervosität mit denen nun auch in den einst vorzeige-liberalen Niederlanden gegen das neoislamistische Regime von Erdogan vorgegangen wird, gibt es einen gut verschwiegenen Grund:
Die Begeisterung für derlei Autokraten-Auftritte in den einschlägigen Migrantenpopulationen geben den werdenden Minderheitsgesellschaften einen allzu detaillierten Ausblick darauf, wie viel Toleranz, Pluralität und Demokratie die zukünftigen Mehrheitsgesellschaften übrig lassen werden.
Vielen Bürgern fehlt vor diesem Hintergrund zwischenzeitlich die notwendige Phantasie um sich immer noch als enormer Profiteur der anhaltenden Migration feiern zu lassen.
Ich kann dem wenig abgewinnen.
Wenn ich das richtig gelesen habe, ergibt sich Ihrer Ansicht nach eine Schutzpflicht aus Art. 8 GG Dritte (hier türkische Regierungsmitglieder) einen Anspruch auf Einreise zu gewährleisten.
Das geht aus meiner Sicht zu weit. Einige Gedanken dazu:
1. Richtig ist, dass eine Versammlung grds. nicht im Vorfeld, beispielsweise durch strenge Kontrollen, behindert werden darf.Auch dieses Recht können nicht Dritte geltend machen, sondern jeweils nur der Grundrechtsträger. Zudem geht es hier um die A