Lobgesang auf den biologischen Vater als Störgeräusch
Kontext
Das BVerfG hat mit Urteil vom 9. April 2024 der Verfassungsbeschwerde eines biologischen Vaters stattgegeben, der nach geltendem Recht die Stellung als rechtlicher Vater nicht erhalten konnte. Der Fall war klar gelagert und erwartungsgemäß hat das BVerfG einzelne Regelungselemente des Vaterschaftsanfechtungsrechts für verfassungswidrig erklärt. Das konkret betroffene Problem war seit langem bekannt und sollte mit der Abstammungsreform ohnehin gelöst werden. Die Entscheidung war insofern zwar wichtig, aber rechtlich nicht allzu interessant, zumal auch der Begründungsweg des BVerfG – über die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – am Ende eher vorsichtig ist.
Es gibt andere Gründe für die große Aufmerksamkeit, die die Entscheidung erhält. Denn das Urteil kann sich auf die anstehende Reform des Abstammungsrechts auswirken, mit der insbesondere endlich die Abstammung von zwei Frauen ermöglicht werden soll. Auch wenn sich das BVerfG zur doppelten Mutterschaft in keiner Weise direkt äußert, muss man das Urteil auch vor diesem Hintergrund lesen. Indem das BVerfG unnötig viele fast schon pathetische Sätze zur Bedeutung der biologischen Vaterschaft formuliert und zudem – gebetsmühlenartig– die Einführung der Mehrelternschaft (mit zwei Vätern!) vorschlägt (3., 4., und 5. Leitsatz), scheint es hier nicht verfassungsrechtlichen, sondern eher politischen Einfluss nehmen zu wollen.
In diesem Kontext kann man kaum übersehen, dass das BVerfG die jeweils bereits im März 2021 gestellten Normenkontrollanträge des Kammergericht Berlin und des Oberlandesgericht Celle zur doppelten Mutterschaft und zur Verfassungswidrigkeit des § 1592 Nr. 1 BGB laut seines Jahresplans für 2024 noch nicht einmal in Angriff genommen hat.
Hier soll daher vor allem die Bedeutung der Entscheidung für die Reform des Abstammungsrechts analysiert werden.
Das Problem bei der Vaterschaftsanfechtung
Konkret ging es in der Entscheidung darum, dass die geltende Anfechtungsregelung für biologische Väter Lücken aufweist. Das war seit Jahren bekannt und es war gut, dass endlich ein klarer Fall bis zum BVerfG geführt wurde. Das BVerfG hatte schon in dem grundlegenden Beschluss von 2003 ausgesprochen, dass der biologische Vater Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist. Es hatte damals entschieden, dass der biologische Vater die Möglichkeit erhalten muss, rechtlicher Vater zu werden, wenn „dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegensteht“.
Die vom Gesetzgeber daraufhin eingeführte Regelung hat aber Lücken. Im vorliegenden Fall hatte der biologische Vater schon versucht, die rechtliche Vaterstellung einzunehmen, als es noch gar keinen anderen rechtlichen Vater gab. Das Gerichtsverfahren zog sich jedoch so lange hin, dass zum relevanten Zeitpunkt – nämlich beim Schluss der letzten Tatsacheninstanz – eine sozial-familiäre Beziehung zwischen einem anderen Mann (der die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter anerkannt hatte) und dem Kind entstanden war. Damit schied die Anfechtung nach § 1600 Abs. 2 und 3 BGB aus. Dagegen erhob der biologische Vater Verfassungsbeschwerde (zu einem verwandten Fall auch schon der Beschluss des BVerfG aus 2018).
Das BVerfG nutzt den Anlass, um klarzustellen, dass die Einschränkungen des Anfechtungsrechts für den biologischen Vater insgesamt nicht verhältnismäßig seien. „Gegenwärtige oder frühere eigene sozial-familiäre“ Beziehungen des biologischen Vaters sowie dessen „frühzeitiges und konstantes Bemühen um die rechtliche Vaterschaft“ müssten stärker berücksichtigt werden (Rn. 89).
Das BVerfG geht insgesamt aber zurückhaltend vor. Es bestätigt überzeugend, dass es letztlich um den Schutz des Kindes gehe, welches stabile Abstammungsverhältnisse brauche. Es sagt daher mehrmals und ganz klar, dass der biologische Vater nicht immer die Möglichkeit erhalten muss, rechtlicher Vater zu werden (z.B. Rn. 49, 51, 90, 101).
Abstammungsreform
Das Eckpunktepapier zur Abstammungsreform vom 16. Januar 2024 steht mit den Aussagen des BVerfG im Einklang.
In Bezug auf die Vaterschaftsanfechtung werden dort zwei neue Regelungen vorgeschlagen. Zum einen soll es nicht mehr zulässig sein, dass ein anderer Mann die Vaterschaft anerkennt, während ein Mann das Vaterschaftsfeststellungsverfahren betreibt. Zum anderen soll in den Fällen, in denen sowohl der rechtliche als auch der nur biologische Vater eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind haben, ein Gericht darüber entscheiden, welche Verbindung stabiler ist, und dementsprechend bestimmen, wer Vater des Kindes wird. Das BVerfG scheint hiergegen keine Bedenken zu haben (Rn. 76).
Das BVerfG spricht allerdings auch den schwierigen Fall an, dass die sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater nach Abschluss des Anfechtungsverfahrens endet (Rn. 96). Es meint, hier stünden einem erneuten Anfechtungsrecht des biologischen Vaters keine relevanten Interessen des Kindes mehr entgegen. Das kann man jedoch allenfalls dann vertreten, wenn es keinen Wechsel in der Sorgeberechtigung gibt – also wenn der rechtliche Vater nicht mehr sorgeberechtigt ist und der biologische Vater nicht sorgeberechtigt werden soll. Selbst dann wird oftmals noch der Umfang des Unterhaltsanspruchs betroffen sein – und außerdem das Persönlichkeitsrecht des Kindes, für welches nicht nur die biologische, sondern auch die rechtliche Abstammung eine Bedeutung haben dürfte.
Selbst wenn man dem BVerfG hier dennoch folgen wollte, löst das Eckpunktepapier jedenfalls auch dieses Problem angemessen. Es sieht vor, dass eine Gerichtsentscheidung einmalig festlegt, wer die rechtliche Vaterschaft einnimmt, und dazu die Stabilität der Beziehung prognostiziert. Dies ist gegenüber einer wiederholten Anfechtung bei weitem vorzugswürdig.
Auswirkungen auf die doppelte Mutterschaft
Bei der Einführung der doppelten Mutterschaft ist zentral, welche Rechtsstellung der biologische Vater einnimmt. Klar ist, dass seine Rechtsstellung gegenüber einer rechtlichen Mutter derjenigen gegenüber einem rechtlichen Vater entsprechen muss. Das ist für die doppelte Mutterschaft ein großes Problem, weil damit immer die Anfechtung durch den biologischen Vater droht, falls das Kind nicht durch ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung der Frau mittels anonymer Samenspende gezeugt wurde.
Wenn das BVerfG gerade jetzt wiederholt die Mehrelternschaft vorschlägt, schürt das Ängste und ist völlig kontraproduktiv. Die Mehrelternschaft ist zwar eine großartige Idee, um zukünftig in einvernehmlichen Fällen Familien mit zwei Müttern und einem oder zwei weiteren Elternteilen (also gerade auch dem biologischen Vater) zu ermöglichen. Es ist insofern ganz wunderbar, dass das BVerfG endlich explizit ausgesprochen hat, dass Art. 6 Abs. 2 GG eine Mehrelternschaft zumindest im Grundsatz erlaubt. Die Regierungskoalition beabsichtigt ihre Einführung aber überhaupt nicht und das ist aus Zeitgründen auch vernünftig. Die gesetzliche Ausgestaltung der einvernehmlichen Mehrelternschaft würde nämlich jedenfalls große Vorbereitungsarbeiten erfordern. Die Einführung der doppelten Mutterschaft ist dagegen einfach, sie kann und muss jetzt schnell erfolgen. Wollte man nun gar die „zwangsweise“ Mehrelternschaft mit dem biologischen Vater vorsehen, so würden darüber hinaus Verwerfungen in allen Bereichen entstehen. Vor allem scheint das BVerfG durchgehend anzunehmen, dass mit der Abstammung auch eine (gewisse?) sorgerechtliche Position mit erworben würde. Die dadurch notwendige Kommunikation und Einigung zwischen drei unfreiwillig kooperationspflichtigen Erwachsenen würde eine hohe und unnötige Belastung – sowohl für die Zeit nach der Geburt als auch für das ganze Leben des Kindes – mit sich bringen. Der vom BVerfG gezogene Vergleich zu Kindern in Stieffamilien trägt hier kaum (Rn. 43, 61, 70).
Zentral für die Reform ist somit nicht die Mehrelternschaft, sondern vielmehr die Frage, wie der biologische Vater wirksam auf die rechtliche Vaterstellung verzichten kann. Zu Hürden für einen solchen Verzicht hat sich das BVerfG vorliegend nicht geäußert, obwohl es dies angesichts seiner ansonsten sehr breiten, über den Fall hinausgehenden Ausführungen hätte tun können.
Wenn man aus den Aussagen des BVerfG etwas für die Reform mitnehmen will, so ist es die Ermahnung, das Kindeswohl immer ganz zentral im Blick zu behalten. Bei der geplanten Reform kann das an einem Punkt noch verbessert werden. Das Eckpunktepapier sieht vor, dass vor der Zeugung getroffene Vereinbarungen über die Elternstellung (und ebenso auch die bewusste Anerkennung durch einen nicht-biologischen Elternteil) immer vollständig irreversibel sind. Das kann aus Sicht des Kindes nicht ganz richtig sein. In solchen Fällen kann es nämlich vorkommen, dass ein biologischer oder ein stabiler sozialer Elternteil für die Übernahme der Verantwortung bereitsteht – und zwar vielleicht sogar schon bei der Geburt. Diesen hier auszuschließen und stattdessen auf das Weitergelten der einmal getroffenen Willensentscheidung zu beharren, obwohl man dem Kind damit die Chance nimmt, dass Abstammung und gelebte Elternverantwortung übereinstimmen, ist ein Fehler.
Schluss
Durch die vielfachen Hinweise auf die Mehrelternschaft und die starke Hervorhebung der Grundrechtsträgerschaft des biologischen Vaters wirkt das Urteil nicht nur wie eine Verbeugung vor der Lobby der gut vernetzten biologischen Väter. Es erscheint auch wie ein gezielter Eingriff in den laufenden Prozess der Abstammungsreform.
Daher sei noch einmal mit Nachdruck gesagt, dass das Urteil in Bezug auf die Rechtsstellung des biologischen Vaters letztlich in bekannten und erwarteten Bahnen bleibt, und mit dem gegenwärtigen Eckpunktepapier in jeder Hinsicht vereinbar ist. Das BVerfG betont wiederholt, dass die Mehrelternschaft keinesfalls zwingend sei und dass ein Ausschluss des biologischen Vaters von der Anfechtung grundsätzlich möglich ist.
Für die geplante Abstammungsreform ist es wichtig, die sonstigen, rein rechtspolitischen Ausführungen des BVerfG als solche einzuordnen und den Bedenkenträgern nun keinen zusätzlichen Raum zu geben. Die Störgeräusche sind näher besehen nur ein rechtspolitischer Begleitgesang.
Insgesamt heißt es daher: Nun erst recht Daumendrücken für die Abstammungsreform!
“Diesen hier auszuschließen und stattdessen auf das Weitergelten der einmal getroffenen Willensentscheidung zu beharren, obwohl man dem Kind damit die Chance nimmt, dass Abstammung und gelebte Elternverantwortung übereinstimmen, ist ein Fehler.”
Wieso sollte das ein Fehler sein? Zum Zeitpunkt der Vereinbarung besteht die Einigkeit darüber, dass ein nicht-biologischer Elternteil die Rechte und Pflichten des biologischen Vaters vollständig übernimmt. Das geht heute schon so, aber nur über den kostspieligen Umweg einer “anonymen” Exklusivspende. Da wirs ebenfalls alles vor der Zeugung geklärt, wirklich anonym ist es eben auch nicht sondern der Spender bekannt. Die gesetzliche Regelung sorgt nun lediglich dafür, dass man dieselbe rechtliche Sicherheit auch für die private Samenspende erhalten kann, was deutlich kostengünstiger ist und nicht unsinnig und kostspielig den “Hack” über das medizinische System nutzt, das durch das Samenspendegesetz privilegiert wird.
Es ist auch sicherlich im Interesse des Kindeswohls, dass vor der Zeugung feststeht, wer die rechtliche Elternschaft antreten wird und sich entsprechend darauf vorbereitet und einstellt. Dagegen gibt es keinerlei Beleg dafür, dass das Kind davon profitieren würde, wenn sich ein Spender last minute doch noch überlegen kann Elternteil zu werden, gegen die vormals getroffene Vereinbarung – es gibt demgegenüber aber keinerlei wissenschaftlichen Beleg, dass die biologische Elternschaft zu einer besseren Erfüllung des Kindeswohls befähigen würde.