03 June 2014

Macht sich die Deutsche Telekom zu Orbáns Handlanger beim Abbau der ungarischen Demokratie?

Gerade hat mich ein vollkommen aufgelöster Bekannter aus Ungarn angerufen. Der Mann, ein sehr kluger und hoch gebildeter Jurist, steht eigentlich dem bürgerlich-konservativen Lager nahe. “Bisher habe ich immer gesagt, dass die Berichte über die Diktaturgefahr in Ungarn übertrieben sind”, so seine Worte. “Jetzt sind sie nicht mehr übertrieben.”

Offenbar findet kurz nach den Wahlen, die Viktor Orbán und seiner Regierungskoalition erneut eine Zweidrittelmehrheit beschert haben, ein regelrechter Crackdown gegen die verbliebene unabhängige Presse statt.

Und ausgerechnet unsere eigene Deutsche Telekom AG muss sich dabei einige unangenehme Fragen nach ihrer Rolle dabei gefallen lassen.

Gestern wurde, offenbar völlig überraschend, der Chefredakteur der größten ungarischen Online-Nachrichtenseite ORIGO.HU, Gergő Sáling, gefeuert. Die Website hat in der ungarischen Öffentlichkeit eine große Bedeutung, zumal es eine gedruckte Presse, die den Namen verdient, kaum mehr gibt. Der Mann war erst seit November im Amt und offenbar sehr erfolgreich. Dann aber hat ORIGO.HU eine komplizierte Geschichte aufgedeckt, die einen engen Getreuen und designierten Minister von Viktor Orbán und aus der Staatskasse bezahlte Luxushotelrechnungen betraf.

Und wutsch, war Gergő Sáling weg vom Fenster.

Sein Arbeitgeber beteuert zwar, der Rauswurf habe keine politischen Gründe, sondern sei die Konsequenz irgendeiner integrierten Content-Produktionsstrategie. Aber diese Erklärung dürfte es schwer haben, in Ungarn Glauben zu finden.

Nun gehört ORIGO.HU dem Telefonkonzern Magyar Telekom, und die wiederum ist eine Konzerntochter der Deutschen Telekom AG. Deren Chef Timotheus Höttges hat erst vor wenigen Wochen mit Viktor Orbán ein “partnership agreement” zum Breitbandausbau in Ungarn unterzeichnet. Es gibt dazu ein sehr nett anzuschauendes Youtube-Video.

In seiner Ansprache ließ Höttges sogar zarte Kritik an Orbán anklingen:

In the last few years we sometimes felt that the setting was not as investment friendly as we had wished, and that the dialogue could be improved.

Das scheint aber zur vollsten Zufriedenheit der Telekom gelöst worden zu sein:

Based on the last developments over the last year and especially on today’s conversation with Prime Minister Orbán I look forward to a revitalized optimistic partnership with great optimism. We have a common goal, and that is a strong and prospering digital Hungary. And a successful Magyar Telekom, a company which can continue to fully exercise and extend its responsibilities as an investor and an employer, an acclaimed business partner and as a good corporate citizen in Hungary. Deutsche Telekom and Magyar Telekom are certainly committed to this.

Certainly.

Ich habe bei der Telekom mal angefragt, was die zu den Vorwürfen, der ORIGO-Chefredakteur sei auf Druck der ungarischen Regierung gefeuert worden, zu sagen haben. Und zum Zustand der Pressefreiheit in Ungarn generell. Ich bin gespannt, ob ich eine Antwort kriege, und welche.

Der Fall wirkt deshalb so verstörend, weil er der Vorstellung widerspricht, die bisher noch manche rechtsstaatlich und demokratisch denkende und fühlende Ungarn an FIDESz gebunden haben dürfte – dass nämlich die Machtkonzentration bei FIDESz bei allen Problemen doch immerhin ihr Gutes habe, nämlich dass damit endlich die korrupten Ex-Kommunisten mit eisernem Besen aus den Schaltstellen der Macht rausgekehrt werden. An diesem Glauben festzuhalten, wird ihnen jetzt schwerfallen.

Dazu kommt, dass die soeben wiedergewählte Regierung, bevor sie überhaupt im Amt ist, auch gesetzgeberisch bereits zu einem gewaltigen Schlag gegen die freie Presse ausholt. Das Parlament mit seiner FIDESz-dominierten Zweidrittelmehrheit bereitet ein Gesetz vor, das die Werbeeinnahmen der Medien, je nach Auflage gestaffelt, mit bis zu 40 Prozent Steuern belegt.

Für den Staatshaushalt sind die Einnahmen, die das abwirft, offenbar kaum der Rede wert. Für die Medien aber ist die Botschaft klar: Ihr werdet künftig noch mehr als bisher davon abhängen, dass wir, die ungarische Regierung, bei euch Anzeigen schalten und sie gut bezahlen. Also macht uns mal keinen Ärger, wenn ihr überleben wollt.

Mit der gewonnenen Wahl im Rücken hat FIDESz offenbar keinerlei Zweifel mehr daran, sich als Regierungspartei eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union eine solche Politik ganz bequem leisten zu können. Ich erwarte, dass die EU einen Weg findet, zu demonstrieren, dass sie sich irrt.

Update 4.6.: Die Telekom hat auf meine Anfrage mit folgender Antwort reagiert:

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist für die Deutsche Telekom ein unverzichtbares Grundrecht, das nicht in Frage gestellt wird.

Das Medienunternehmen Origo gehört zu Magyar Telekom und arbeitet unabhängig.

Personelle Veränderungen dort sind das Resultat interner Umstrukturierung, auf die die Deutsche Telekom zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen hat. Es handelt sich um eine interne Angelegenheit von Origo.

Mir fällt es schwer zu glauben, dass die Deutsche Telekom es als “innere Angelegenheit” ihrer Konzerntöchter behandelt, wenn diese in der Öffentlichkeit als Handlanger einer Regierung bei der Unterdrückung der Pressefreiheit dastehen. Ich habe dazu noch mal eine Nachfrage gestellt.

Update 4.6., nachmittags: Nein, die Telekom hat dem nichts hinzuzufügen.

Hallo Herr Steinbeis,

Vielen Dank für Ihre Nachfrage, allerdings hatten wir Ihnen ja bereits in unserer Antwort geschrieben, dass personelle Veränderungen bei Origo das Resultat interner Umstrukturierungen sind, auf die die Deutsche Telekom zu keinem Zeitpunkt Einfluss genommen hat.

MfG usw.

Update 6.6.: Ich habe jetzt auch das Bundeswirtschaftsministerium um Auskunft gebeten, ob es als Vertreter der Bundesrepublik als Großaktionär der Telekom gedenkt, seinen Einfluss auf die Telekom geltend zu machen, um die Pressefreiheit in Ungarn zu schützen.

Update 6.6., spätnachmittags: Mittlerweile berichten ungarische Medien, dass der neuen Chefin von Magyar Telekom, Kerstin Günther, 2013 bei der Vergabe der Mobilfunklizenzen bis 2022 von der Regierung zu verstehen gegeben worden sei, dass  ORIGO.HU Zügel angelegt werden müssen und dies Teil des Deals sei. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Ich habe erneut den Telekom-Sprecher angemailt, und der reagiert jetzt doch ein bisschen nervös:

Die Deutsche Telekom weist Vorwürfe und Unterstellungen über Absprachen oder Einflussnahmen im Zusammenhang mit früheren und aktuellen Frequenzvergaben entschieden zurück. Sie sind absolut haltlos und absurd.

Die Mobilfunkfrequenzen in Ungarn wurden an mehrere Unternehmen, nicht nur die Deutsche Telekom vergeben. Alle haben den gleichen Preis gezahlt. Hinzu kommt, dass die Preise für die Frequenzen sogar über dem internationalen Durchschnitt lagen.

Wir betonen erneut, dass Presse- und Meinungsfreiheit unverzichtbare Grundrechte sind, die nicht zur Debatte stehen. Im übrigen sind wir als börsennotiertes Unternehmen strengsten Transparenzverpflichtungen unterworfen, an die wir uns selbstverständlich in vollem Umfang halten.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Macht sich die Deutsche Telekom zu Orbáns Handlanger beim Abbau der ungarischen Demokratie?, VerfBlog, 2014/6/03, https://verfassungsblog.de/macht-sich-die-deutsche-telekom-zu-orbans-handlanger-beim-abbau-der-ungarischen-demokratie/.

40 Comments

  1. marton ivanyi Wed 4 Jun 2014 at 13:48 - Reply

    My translation of the DT answer is the following: Protecting our huge investments in Hungary is way more important than press freedom or any other bullshit. We don’t want any special taxes on us like so many got who don’t support the current government, so back off!
    (Sorry for the English, my German is not good enough to write this comment.)

  2. Gabor Nagymajtenyi Wed 4 Jun 2014 at 13:57 - Reply

    DT’s answer is hypocrite for sure, but eventually it is the Hungarian citizens who has to defend their basic rights, not a for-profit corporation.

  3. Unti Wed 4 Jun 2014 at 14:23 - Reply

    Das ist eine Schande, aber Deutsche Telekom ist nur ein grosser multinationaler Konzern, dem nur den Profit zählt. Natürlich reichte einen Telefonanruf von Ungarns Kanzlei (“hör mal auf, oder wir erhöhen eure Steuern”) den Chefredakteur zu feuern, damit keine “peinliche” Artikel über die Regierung mehr veröffentlicht wird.
    Origo ist keine unabhängige Zeitung mehr.

    So geht es, wenn die EU ihre Grundwerte nicht exportiert: sie werden langsam – mit der aktiven Hilfe von Grosskonzernen der EU – abgeschafft….

  4. Alice Müller Wed 4 Jun 2014 at 14:29 - Reply

    There was a demonstration yesterday, condemning the move against Gergő Szálinger. It was only announced on Wednesday morning via Internet, but by the time the demonstration reached the parliament, 1500 to 2000 people took part.

    http://nol.hu/belfold/tuntetes-az-origo-szerkesztosegenel-1465939

  5. Alice Müller Wed 4 Jun 2014 at 15:41 - Reply

    Oh, I meant Sáling of course and the day was Tuesday…

  6. Kowalsky Wed 4 Jun 2014 at 15:48 - Reply

    @Gabor Nagymajtenyi: If we do not allow big international companies to use children labor in Indonesia then we should not allow international companies to help in dismantling a democracy. Of course, it is primarily the task of the citizens of Hungary to protect their democracy (just like it is the task of any country to prohibit child labor within its own territory). But international companies should not work against them just because it is more profitable for them. If Nike or Adidas will be blamed for child labor in Indonesia, then DT should be blamed for assisting Orban in cracking down the freedom of press in Hungary. Even if you are a pro-profit company, there should be moral limits to your activities. (Tougher examples can be collected about German companies in WWII….)

    @ the response by DT: It is quite possible that DT`s CEOs in Bonn did not influence their Hungarian company in firing the chief editor (most likely they do not even care about the Hungarian situation so much as to micromanage such an issue). But now that they know what is going on, they should step on the brake, just like any normal European company should do so which realizes that one of their own companies in Asia employs children. Otherwise they become complices. It is a very cheap excuse that they did not influence the decision: they should influence now the decision to revert what happened. The moral blame that they will get for this in Germany will be much heavier than they can possibly lose in Hungary by any special taxes.

    It is the time of truth for DT to show whether they are a cynical international company, or whether they stand for European values.

  7. Justitius Dohnany Wed 4 Jun 2014 at 16:26 - Reply

    Yesterday they fired out Mr. Sáling.
    Today I read in the news that Budapest’s public transport organization is considering to quit the contract of BUBI (bicycle lending system) developed and organized by T-Systems.

  8. Z Kiss Wed 4 Jun 2014 at 17:03 - Reply

    Die liebe vortschrittliche Demokraten prasentieren die geschichte ziemlich einseitig.

    Origo war fur lange Jahre ein Versuch ins Medienwelt fur Deutsche Telekom und hat ziemlich viel Verlust ringefahren. Unter Salinger konnte man zwei Anderungen markant sehen: Origo ist ein ziemlich linksorientierter Politpropagandaportal geworden und die anspruchlosigkeit von Beitragen ( nichsagende Schriftstucke mit haufigen Tipp- und Schreibfehler) ist zunehmend schlimmer geworden.

    Als DT Aktionar stimme ich vollkommen zu dass DT sich fur einen Weschsel entschieden hat. Demokratie heisst nicht dass DT verpfilchtet sei, linken Journalisten den notigen Medienhintergrund unendlich zu Sponsern.

  9. Balazs Horvath Wed 4 Jun 2014 at 17:22 - Reply

    “Die Website hat in der ungarischen Öffentlichkeit eine große Bedeutung, zumal es eine gedruckte Presse, die den Namen verdient, kaum mehr gibt. ”

    woher nimmt man so ein Schwachsinn?

    Ich meine überwiegende Anteil der gedruckte Presse ist noch immer “linksliberal” (wenn diese Wort überhaupt in Ungarn Sinn macht) und damit oppositionell und äußerst kritisch mi der Orban Regierung:. H