05 September 2013

Eine militärische Intervention in Syrien wäre nicht legal

Seit Tagen diskutiert die internationale Gemeinschaft darüber, wie sie auf den Verdacht des Einsatzes chemischer Waffen im syrischen Bürgerkrieg reagieren soll. Die grausamen Bilder von Menschen mit neurotoxischen Symptomen haben die Debatte über einen gegen Syrien gerichteten Militäreinsatz verschärft. Die Unterstützung für Obamas Syrien-Pläne wächst. Dem Völkerrecht kommt dabei nicht immer die erforderliche Aufmerksamkeit zu. Etwa dann, wenn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, ein militärisches Vorgehen gegen Syrien auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats für legitim hält. Wenn der Sicherheitsrat aufgrund einer Blockade von Veto-Mächten keine Konsequenzen ziehe, bleibe die internationale Gemeinschaft trotzdem dazu aufgefordert und berechtigt. Die sogenannte Schutzverantwortung, kurz „R2P“ (Responsibility to Protect), gebe dafür eine „klare völkerrechtliche Grundlage“, so Polenz. Diese Einschätzung ist falsch.

Natürlich stellt sich die Frage, ob ein so abscheuliches Verbrechen wie der Einsatz von Giftgas nicht geächtet werden muss. Es handelt sich bei dem Giftgasangriff gegen die syrische Bevölkerung auch zweifellos um einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Durch das Genfer Protokoll von 1925 und auch völkergewohnheitsrechtlich ist die Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im bewaffneten Konflikt verboten. Der Verstoß gegen dieses Verbot kann aber eine unilateral durchgeführte militärische Intervention nicht rechtfertigen. Unabhängig von der Frage wer den Giftgasangriff zu verantworten hat, gilt auch im Fall eines Chemiewaffeneinsatzes das in der Charta der Vereinten Nationen fest verankerte und als zwingendes Recht von allen Staaten anerkannte Gewaltverbot.

Friedliches Nebeneinander der Staaten ist gefährdet

Und nicht ohne Grund hat sich die Welt für solche Fälle strenge Regeln auferlegt und eine militärische Aktion wie sie die USA auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates offenbar planen, würde diese Regeln brechen. Denn die VN-Charta lässt von dem absoluten Gewaltverbot nur zwei Ausnahmen zu, und zwar militärische Zwangsmaßnahmen, die der Sicherheitsrat verhängt (Artikel 39 und 42 der VN-Charta), sowie das „naturgegebene“ Recht eines Staates auf Selbstverteidigung, solange der Sicherheitsrat noch nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat (Artikel 51). Die Erkenntnis aus den beiden Weltkriegen, dass dieses Konzept ein friedliches Nebeneinander der Staaten ermöglicht, obwohl sie unterschiedliche politische Systeme, unvereinbare Gerechtigkeitsziele und Wertvorstellungen haben, gehört zu den größten zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit. Wer dieses normative Kernstück des Friedenssicherungssystems der Vereinten Nationen zur Disposition stellt, gefährdet das friedliche Zusammenleben auf der Welt.

Schutzverantwortung bedeutet nicht automatisch militärisches Einschreiten

Eine Schutzverantwortung trifft die internationale Gemeinschaft in Syrien gleichwohl. Doch Schutzverantwortung bedeutet nicht automatisch militärisches Einschreiten. Es hat in der Vergangenheit viele andere Möglichkeiten gegeben, dieser Verantwortung gerecht zu werden und es gibt sie noch. Etwa die Erhöhung des diplomatischen Drucks auf die internationalen Verbündeten Assads, verschärfte Sanktionen oder die Aufstockung der Anzahl internationaler Beobachter. Darüber hinaus hat das jüngere Völkerrecht den Friedensbegriff erweitert. Auch schwere Verstöße gegen die Menschenrechte wie Genozid und ethnische Säuberung gelten als Störung des Weltfriedens. Damit hat sich die Frage, ob und wieweit ein Staat die Menschenrechte seiner Bürger achtet, von einer inneren Angelegenheit zu einer Aufgabe für die internationale Gemeinschaft gewandelt. Das Völkerrecht hat Verfahren entwickelt und Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof geschaffen, um Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirksam zu bekämpfen.

Völkerrechtlich verlässliche Tatsachenermittlung

Unstreitig untersagt das Völkerrecht den Einsatz chemischer Waffen in internationalen wie nicht-internationalen bewaffneten Konflikten ohne jede Ausnahme. Die erste Reaktion auf den Verdacht des Chemiewaffeneinsatzes muss Aufklärung sein. Völkerrechtlich verlässliche Tatsachenermittlung erfolgt dabei jedoch nicht über politisch motiviert agierende nationale Geheimdienste, sondern über unabhängige Ermittler. Solche Ermittler waren im Auftrag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Syrien vor Ort. Die ermittelten Fakten müssen nun rechtlich bewertet werden. Erst danach kann auf sicherer Grundlage über Reaktionsmöglichkeiten entschieden werden.

Sollte der Generalsekretär zu der Überzeugung gelangen, dass eine Bürgerkriegspartei chemische Waffen eingesetzt hat, wird er den Sicherheitsrat davon in Kenntnis setzen, ob die Angelegenheit nach seinem Dafürhalten geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden (Artikel 99 VN-Charta). Der Sicherheitsrat kann dann entscheiden, ob und wie er darauf reagiert. Dabei wird er seiner Hauptverantwortung für den Weltfrieden Rechnung tragen müssen und auch die Schutzverantwortung berücksichtigen. Insbesondere kann er dem Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs die Situation unterbreiten, in der es den Anschein hat, dass Verbrechen begangen wurden, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen (Artikel 13 lit. b) Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs).

Schutzverantwortung keine Rechtsgrundlage

Mehr lässt sich auch aus dem von der Generalversammlung verabschiedeten Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Resolution 60/1 der Generalversammlung vom 16. September 2005) nicht ableiten. Danach ist die internationale Gemeinschaft bereit, im „Einzelfall und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen durch den Sicherheitsrat im Einklang mit der Charta, namentlich Kapitel VII, zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen“. Eine völkerrechtliche Grundlage für eine wie auch immer geartete militärische Intervention ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat ergibt sich daraus nicht.

Ein nicht vom Sicherheitsrat autorisierter Militärschlag gegen Syrien bleibt also völkerrechtlich grundsätzlich verboten – unabhängig davon ob der Einsatz chemischer Waffen nachgewiesen werden kann oder nicht. Ob der Sicherheitsrat eine militärische Intervention explizit ablehnt oder erst gar nicht über ein militärisches Eingreifen abgestimmt wird, ist für die völkerrechtliche Bewertung nicht entscheidend. Aber weder der US-amerikanische Präsident noch der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika ist zu einer „Strafaktion“ berechtigt.


SUGGESTED CITATION  Simon, Sven: Eine militärische Intervention in Syrien wäre nicht legal, VerfBlog, 2013/9/05, https://verfassungsblog.de/militaerische-intervention-in-syrien-waere-nicht-legal/, DOI: 10.17176/20170228-120025.

12 Comments

  1. Aufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 13:36 - Reply

    Leider verpasst der Artikel eine gute Gelegenheit, um die rechtlichen Argumente vorzustellen, die für eine völkerrechtskonforme Militärintervention (“Strafaktion”, sehr objektiv, sehr abgewogen) sprechen.

  2. unaufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 14:44 - Reply

    Sehr geehrter Aufmerksamer Leser,

    was sollen denn die Argumente für eine völkerrechtskonforme Strafaktion sein? Mir sind nämlich keine bekannt, aber ich würde ja gerne mein Wissen erweitern….

  3. Aufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 14:51 - Reply

    Glaube ich Ihnen gerne, deswegen: Der Artikel hätte die Gelegenheit nutzen sollen…

  4. unaufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 15:29 - Reply

    Da vom sogenannten Aufmerksamen Leser keine Argumente für eine völkerrechtskonforme Strafaktion vorgelegt werden, spricht auch weiterhin alles für die Meinung von Herrn Simon…

  5. Aufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 15:37 - Reply

    Hehe. Jeder Leser des Blogs kann ja selbst mühelos erkennen, dass Herr Simon keine Auffassung darstellt, die den Einsatz rechtfertigt. Wenn es solche Auffassungen nicht gäbe, bräuchte man den Artikel nicht. Wenn es sie gibt, ist der Artikel unvollständig.

  6. Matthias Sammer Thu 5 Sep 2013 at 16:13 - Reply

    Jedenfalls hat der Aufmerksame Leser es verpasst, rechtliche Argumente zu nennen, wenn es denn wirklich welche geben sollte. Dass völkerrechtlich unzutreffende Auffassungen vertreten werden, wird in dem Beitrag ja erwähnt und die Fehlerquelle für diese Auffassungen auch benannt.

  7. Aufmerksamer Leser Thu 5 Sep 2013 at 16:23 - Reply

    Herr Polenz bekleidet einen völkerrechtlichen Lehrstuhl? Oder soll es hier um eine Diskussion von “Laie zu Laie” (L2L) gehen?

  8. Maximilian Steinbeis Fri 6 Sep 2013 at 10:32 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Der Artikel scheint mir, apropos, eine gute Gelegenheit, Sie aufzufordern, tatsächlich mal die Gegenposition auszuformulieren. Sie scheinen Gründe zu sehen, die für die Möglichkeit einer völkerrechtskonformen Intervention sprechen. Schreiben Sie sie bitte auf! Ernsthaft jetzt. Das würde ich gern hier bringen, im Sinne einer Debatte, die uns wirklich weiterbringt.
    Das würde Sie allerdings nötigen, aus der Anonymität herauszutreten, aus der heraus Sie uns hier immer so unnachahmlich zu nerven verstehen… ein zu hoher Preis?

  9. Aufmerksamer Leser Fri 6 Sep 2013 at 11:11