Missverständnisse um die Prostitution
Die „milieubedingte Unruhe“ im Bauplanungsrecht
Der Gesetzgeber wollte mit dem ProstSchG einen Rechtsrahmen schaffen, der dem erforderlichen Schutz der Prostituierten gerecht wird. Neben anderen Unklarheiten bleiben allerdings Fragen im Zusammenhang mit dem Bauplanungsrecht, die in Praxis und Rechtsprechung nicht abschließend gelöst sind. Prostitution war und ist von Missverständnissen begleitet, die sich zum Nachteil der Branche auswirken. Prominentes Beispiel ist die Verwendung des Begriffs der „milieubedingten Unruhe“ im Bauplanungsrecht. Obwohl mit dem ProstSchG ein ordnungsrechtlicher Rahmen geschaffen wurde, setzen sich bauplanungsrechtliche Unklarheiten innerhalb dieses Rahmens fort. Die Branche kommt nicht zur Ruhe. Ein Rückblick und ein Blick in die Gegenwart befassen sich mit dieser „Unruhe“.
38 Jahre „milieubedingte Unruhe“ – ein Missverständnis mit Folgen
Vor 40 Jahren, am 25.11.1983, hatte der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines „Frauenwohnheim für gewerbliche Nutzung ohne Wohnnutzung“, von der Vorinstanz auch als „Dirnenunterkunft“ bezeichnet, in einem Gewerbegebiet zu entscheiden. Der beantragte Betrieb war groß: auf 1140m² sollten u.a. 33 Zimmer, Küche, Speiseraum und 19 Ruheräume entstehen. In diesem Urteil bezeichnet der Senat die von einem Bordell ausgehenden Nachteile und Belästigungen als „sonstige milieubedingte Unruhe“. Was der Senat unter „milieubedingter Unruhe“ versteht, erläutert er nicht. Er führt aber aus, was nicht unter milieubedingter Unruhe zu verstehen ist; nämlich anstößiges Verhalten von Besuchern des Betriebs und dort tätigen Personen und dem Ansehen anderer Unternehmen in dem Gebiet abträgliche Wirkungen. Deutlich ist auch der Hinweis, dass die Baunutzungsverordnung nur solche Nachteile und Belästigungen erfasst, die durch eine räumliche Trennung der Nutzungsarten in verschiedene Gebietskategorien gelöst werden können. Andere Unzuträglichkeiten seien durch ordnungsbehördliche Maßnahmen zu sichern. Insbesondere mögliche kriminelle Begleiterscheinungen von Bordellbetrieben konnten nach diesem Urteil für die bauplanungsrechtliche Entscheidung eigentlich keine Rolle spielen. Denn Straftaten waren und sind keine „Belästigung“ und kein „Nachteil“, die durch Verweis in ein anderes Baugebiet zu vermeiden wären. Straftaten dürfen in keinem Baugebiet toleriert werden. Dennoch dauerte es nicht lange, bis sich die Rechtsprechung der Obergerichte darauf verständigte, dass kriminelle Begleiterscheinungen den wesentlichen Aspekt der „milieubedingten Unruhe“ ausmachen sollten.
38 Jahre hat es gedauert, bis das Bundesverwaltungsgericht am 09.11.2021 klargestellt hat, was mit milieubedingter Unruhe gemeint ist und damit einen Paradigmenwechsel in der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung vollzogen hat.
Zuvor hat die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte trotz der recht eindeutigen Ausgangsentscheidung im Jahr 1983 über Jahrzehnte im ganzen Bundesgebiet Blüten getrieben und die nicht ausdrücklich in der Ausgangsentscheidung erwähnten kriminellen Begleiterscheinungen, aber auch das ausdrücklich erwähnte Verhalten von Kunden zum Gegenstand der milieubedingten Unruhe erhoben und die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit von bordellartigen Betrieben damit begründet – mindestens ein Missverständnis, das möglicherweise seinen Ursprung darin hat, dass 1983 nicht positiv erklärt wurde, was unter milieubedingter Unruhe zu verstehen ist.
Bordellbetriebe, die deutlich kleiner waren, als das seinerzeit beantragte „Frauenwohnheim“, die sich unauffällig in Mischgebieten versteckten und niemandem auffielen, wurden nach typisierender Betrachtungsweise ohne negative Vorkommnisse im Einzelfall mit der Keule der „milieubedingten Unruhe“ untersagt und diese Praxis wurde von den Oberverwaltungsgerichten bestätigt. So zuletzt durch das OVG Berlin-Brandenburg, das noch 2019 die eigene und bis dahin herrschende Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte fortsetzte und feststellte, „bei der gebotenen typisierenden Betrachtung“ sei mit „milieutypischen Begleiterscheinungen wie, Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten“ zu rechnen; obwohl mehr als deutlich ist, dass diese Verhaltensweisen in keinem Baugebiet toleriert werden könnten und auch nicht durch Verweis auf ein anderes Baugebiet zu beseitigen sind. Das OVG Berlin-Brandenburg stützte sich mit seinen Ausführungen auf einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2015. Man kann das OVG dafür nicht einmal kritisieren. Dort hatte nämlich das Bundesverwaltungsgericht das „Missverständnis“ mindestens noch vertieft und den Eindruck vermittelt, dass die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte zu den milieutypischen Begleiterscheinungen gebilligt werde. Der 4. Senat bezieht sich in dieser Entscheidung ausdrücklich auf sein Urteil aus dem Jahr 1983 und erklärt, „in Übereinstimmung hiermit“ habe das Gericht der Tatsacheninstanz „milieutypische Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte und unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, …“ (es folgt die Aufzählung der Straftatbestände, die das OVG Berlin-Brandenburg später übernommen hat) tatrichterlich festgestellt. In der Entscheidung findet sich kein Wort dazu, dass das Tatgericht mit dieser Aufzählung neben den Ausführungen des Urteils vom 25.11.1983 liegen könnte. Der 4. Senat weist in dieser Entscheidung zwar darauf hin, dass er an die Feststellungen der Tatsacheninstanz für die Revision gebunden sei. Dieser Hinweis konnte jedoch kaum dahingehend verstanden werden, dass die „in Übereinstimmung mit“ dem Urteil vom 25.11.1983 festgestellten Erscheinungsformen tatsächlich im Widerspruch zu diesem Urteil standen.
So bedurfte es zur Beseitigung des „Missverständnisses“ erst eines Urteils des 4. Senats in weitgehend neuer Besetzung mit dem im November 2021 die Rechtsprechung aus dem Jahr 1983 fortgeschrieben und klargestellt wurde. Unter Bezugnahme auf das Urteil aus dem Jahr 1983 stellte das Bundesverwaltungsgericht nunmehr fest, das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sei von einem unzutreffenden Verständnis der „milieubedingten“ Unruhe ausgegangen. Bei kriminellen Begleiterscheinungen und Belästigungen durch unzufriedene Kunden handele es sich nicht um städtebauliche Belange. Solchen Gefahren sei mit ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen. Hierauf habe der Senat schon im Urteil vom 25.11.1983 hingewiesen. Gleichzeitig erläuterte der Senat diesmal auch, welche konkreten Störungen bauplanungsrechtlich von Belang sein könnten. Damit stellte er die Weiche für die Zulässigkeit von Bordellbetrieben im Mischgebiet, die nunmehr nach einer Einzelfallprüfung als gebietsverträglich einzuordnen sind, wenn sie einem Haus nicht das Gepräge geben und der Betrieb sich auf die Tagzeit bis 22.00 Uhr beschränkt.
Damit sind Bordellbetriebe auch bauplanungsrechtlich in der Normalität angekommen und werden nicht mehr pauschal und ohne konkrete Anhaltspunkte als mit Kriminalität verbunden und belästigend verurteilt.
Neues Missverständnis zum Verhältnis Bauplanungsrecht und ProstSchG
Diese, richtigerweise als Änderung zu bezeichnende, Rechtsprechung fällt in eine Zeit, in der die bauplanungsrechtliche Beurteilung nicht mehr nur im Bauplanungsrecht eine Rolle spielt, sondern auch bei der Erteilung von Erlaubnissen nach § 12 ProstSchG. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG kann die Erlaubnis versagt werden, wenn „die örtliche Lage des Prostitutionsgwerbes“ dem öffentlichen Interesse widerspricht. Obwohl § 12 Abs. 7 ProstSchG ausdrücklich darauf hinweist, dass Erlaubnispflichten u.a. nach dem Baurecht unberührt bleiben, führt die Formulierung in § 14 ProstSchG dazu, dass die Behörden, die für die Erlaubnis nach § 12 ProstSchG zuständig sind, sich an der bauplanungsrechtlichen Einschätzung der Baubehörde orientieren oder sogar – z.B. in Baden-Württemberg – die Vorlage einer Baugenehmigung für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG verlangen. Wieder hat die Branche mit einem Missverständnis zu kämpfen, dass von einer Verbindung zwischen Erlaubniserteilung nach dem ProstSchG und Baugenehmigung ausgeht, die so nicht vom Gesetzgeber vorgesehen ist.
Das Prostituiertenschutzgesetz sieht nicht vor, dass eine Erlaubnis zu versagen ist, wenn die für den Nutzungszweck erforderliche Baugenehmigung nicht erteilt ist und/oder die Baubehörde davon ausgeht, die Nutzungsart sei nicht genehmigungsfähig. Dabei handelt es sich nicht um ein Versehen oder eine unbeabsichtigte Auslassung des Gesetzgebers. Vielmehr hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet, das Vorliegen einer Baugenehmigung zur Voraussetzung für die Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG zu machen.
Während der Arbeitsentwurf des Prostituiertenschutzgesetzes vom 11.04.2015 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht) in § 13 Abs. 2 Nr. 1 noch regelte, dass die Erlaubnis zu versagen ist, wenn eine für den Nutzungszweck erforderliche Baugenehmigung noch nicht erteilt wurde oder wenn die Betriebsstätte den baunutzungs- oder bauplanungsrechtlichen Festsetzungen widerspricht, wurde diese Formulierung in der Folgezeit nicht aufrechterhalten. Vielmehr wurde die ursprüngliche Formulierung durch § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG ersetzt, wo das Fehlen einer Baugenehmigung nicht mehr als Versagungsgrund aufgeführt ist. In der Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG heißt es dazu wie folgt:
„Eine Versagung der Erlaubnis hat auch zu erfolgen, wenn auf Grund des Betriebskonzepts des Prostitutionsgewerbes oder dessen örtlicher Lage eine Gefährdung der in Nummer 5 genannten Schutzgüter zu befürchten ist. Die Vorschrift ist dem § 4 Abs. 1 Nummer 3 des Gaststättengesetzes nachgebildet (vgl. zu dieser Vorschrift: BVerfG Urteil vom 17.10.1989 – 1C18/87). Hier besteht von Seiten der Erlaubnisbehörde materieller Prüfungsbedarf, ob ein solcher Versagungsgrund vorliegt.“ (Bundestagsdrucksache 18/8556 S. 79)
In dem vom Gesetzgeber in Bezug genommene Urteil stellt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Verhältnis zwischen Gaststättenerlaubnis und Baugenehmigung fest, dass die beiden Genehmigungen nicht voneinander abhängig sind: Das Sachbescheidungsinteresse für einen gaststättenrechtlichen Erlaubnisantrag fehle nicht ohne weiteres, wenn die Erteilung der entsprechenden Baugenehmigung bestandskräftig abgelehnt worden sei. Ob ablehnende Baubescheide eine Bindungswirkung für die gaststättenrechtliche Genehmigung entfalten können, richte sich nach lokalem Bauordnungsrecht (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.10.1989, Az. BVerwG 1 C 18/87). Mit dem Hinweis auf diese Entscheidung hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass die reine Bezugnahme auf eine Einschätzung der Baubehörde – ohne eigene Prüfung – keine Grundlage für die Versagung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG bilden soll. Ebenso ist deutlich, dass das Fehlen einer Baugenehmigung die Erteilung einer Erlaubnis nach § 12 ProstSchG nicht hindern soll.
Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass mit der in Kraft getretenen Fassung des ProstSchG die Erlaubnis nach § 12 ProstSchG von der Frage der Erteilung einer Baugenehmigung abgekoppelt ist; jedenfalls ist das Vorliegen einer Baugenehmigung keine formale Voraussetzung für die Erlaubnis nach § 12 ProstSchG (vgl. Stühler, GewArch 2016, S. 129 ff., der diese Entwicklung im Vergleich zum Arbeitsentwurf des Gesetzes bedauert, aber einräumt).
Abgesehen davon, dass die Gesetzeshistorie schon eindeutig gegen eine Baugenehmigung als Voraussetzung für die Erlaubnis spricht, ergibt auch eine Wortlautauslegung von § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG, dass die Voraussetzung einer Baugenehmigung nicht als ungeschriebenes Regelbeispiel heranziehbar ist. Ungeschriebene Regelbeispiele müssen von ihrem Gewicht zumindest mit dem der geschriebenen Regelbeispiele vergleichbar sein. Geschriebenen Regelbeispielen kommt somit eine „Leitbildfunktion“ zu (vgl. SchochKoVwGO/Schneider, VwVfG, 2. EL 2022, § 28, Rn. 52; vgl. allgemein zur Leitbildfunktion von Regelbeispielen BVerwG NVwZ-RR 2011, 279, 282; BVerwG NVwZ-RR 2014, 473, 475). Eine solche Vergleichbarkeit kann hier nicht festgestellt werden. Die Regelbeispiele des § 14 Abs. 2 Nr. 5 ProstSchG dienen dem Jugendschutz, Umweltschutz oder dem Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren oder sonstigen erheblichen Nachteilen oder Belästigungen. Das Erfordernis einer Baugenehmigung wäre nicht von demselben Gewicht. Hierfür spricht auch der Gesetzeszweck. Das ProstSchG verfolgt u.a. die Zielsetzung, „gefährliche Erscheinungsformen der Prostitution und sozial unverträgliche oder jugendgefährdende Auswirkungen der Prostitutionsausübung auszuschließen bzw. zu verdrängen“ (BT-Drs. 18/8556, S. 33). Allein das formale Fehlen einer Baugenehmigung kommt nicht an die explizit geschützten Rechtsgüterverletzungen heran.
Mit der Trennung der verschiedenen Erlaubnisverfahren (§ 12 Abs. 7 ProstSchG) hat der Gesetzgeber es hingenommen, dass eine Prostitutionsstätte z.B. nach dem ProstSchG erlaubt, baurechtlich aber nicht genehmigt wird. In einem solchen Fall kann der Betrieb aus baurechtlichen Gründen am vorgesehenen Standort nicht starten, obwohl eine Erlaubnis nach dem ProstSchG vorliegt. Diese Trennung ermöglicht es den Antragstellern, sich auf die jeweiligen Verfahren zu konzentrieren und ggf. auch Fragen der materiellen Übereinstimmung mit Bauplanungsrecht oder dem ProstSchG gerichtlich überprüfen zu lassen. Soweit zurzeit bei der Prüfung der Erlaubnis nach § 12 ProstSchG auf Aspekte des Bauplanungsrechts abgestellt wird, führt dies dazu, dass Bauplanungsrecht häufig zum zentralen Streitpunkt bei der Erteilung einer Erlaubnis nach dem ProstSchG wird. Dies widerspricht dem Willen des Gesetzgebers.
Fazit
Die Praxis sollte die Regelung in § 12 Abs. 7 ProstSchG ernst nehmen und die zuständigen Behörden sich jeweils auf das Prüfprogramm der die eigene Zuständigkeit begründenden Gesetze beschränken. Auch wenn der Gesetzgeber möglicherweise die Ursache für diese Fehlentwicklung selbst gesetzt hat, indem er in § 14 Abs. 2 Nr. 5 auf die örtliche Lage verweist – aus der Gesetzesbegründung ergibt sich eindeutig, dass mit dieser Formulierung nicht die Aufforderung zu einer vertieften bauplanungsrechtlichen Prüfung verbunden sein sollte. Damit nicht erneut Jahrzehnte bis zur Aufklärung dieses Missverständnisses vergehen, sollte der Gesetzgeber ggf. eine klarstellende Regelung im Gesetz aufnehmen.