17 February 2023

Neue Droge im Knast

Das Einbringen von neuen psychogenen Stoffen mittels Eingangspost in die Anstalt

Neue psychogene Stoffe, kurz npS, sind die Pest unserer Tage. Sie haben im Gefängnis die herkömmlichen Drogen weitgehend abgelöst und tragen vermehrt dazu bei, dass es zu gesundheitlichen Vorfällen bis hin zum Tod von Inhaftierten kommt. Die synthetisch hergestellten Substanzen gelangen meist auf dem Postweg durch getränktes Papier in die Anstalt und werden dort zu einer beliebten Schmuggelware, deren Wirkstoffgehalt erheblich variieren kann. Wenn man erfahrene Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter dazu hört, finden sie nicht selten deutliche Worte.

Insofern verwundert es nicht, dass die Anstaltsleitungen im Kampf gegen npS einen strengen Kurs verfolgen. Dabei gehört es inzwischen zum typischen Vorgehen der Anstalten, dass sie Briefe generell nur noch in Kopie an die Inhaftierten herausgeben, um dem Schmuggel mit npS vorzubeugen. Dieses Vorgehen belastet die Inhaftierten, für die der unbeschränkte Briefverkehr einen wichtigen, vor allem aber sehr persönlichen Kontakt zur Außenwelt darstellt. Hinzu kommt, dass die Vollzugsgesetze der Länder (wie schon das frühere Bundes-StVollzG) den Inhaftierten grundsätzlich ein Recht auf unbeschränkten Schriftwechsel einräumen. Dass das unterschiedslose Anhalten von Post und die anschließende Weiterleitung mittels Kopie einen nicht unerheblichen Eingriff in das Briefgeheimnis aus Art. 10 GG darstellt, steht außer Frage.

OLG Celle: Überzeugend, lesenswert, notwendig

Es wundert daher auch nicht, dass sich unlängst die Gerichte mit diesem Problem befassen mussten. Dabei hat sich das OLG Celle besonders hervorgetan. Es hat als – soweit ersichtlich – erstes Obergericht und in mittlerweile zwei Entscheidungen Stellung dazu genommen, welche Gefahren von npS in Anstalten ausgehen und unter welchen Voraussetzungen eine Anordnung, die Eingangspost nur als Kopie an die Inhaftierten herauszugeben, rechtmäßig ist. Während die erste Entscheidung, Beschluss vom 6.5.2021 (NStZ-RR 2021, 261), die Situation im Strafvollzug betraf, geht es im aktuellen Beschluss (BeckRS 2022, 42298) um die Beschwerde eines Sicherungsverwahrten.

Dabei hebt der OLG-Senat maßgeblich darauf ab, dass die von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Tatsachenfeststellungen „gemessen an den sich auch aus der zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlage ergebenden Anforderungen“ (Rn. 10) unzureichend sind. Was das heißt, erfährt man in aller Ausführlichkeit in den Randnummern 16 bis 43 der Entscheidung.

Das liest sich unter anderem wie folgt:

Es fehlt bereits an Differenzierungen dazu, ob das Einbringen mittels Postsendungen an Sicherungsverwahrte erfolgt ist oder über die ebenfalls in der JVA R. befindliche, getrennte Abteilung für den Strafvollzug. Mit Blick auf die besondere Rechtsstellung der Sicherungsverwahrten ist hier zu differenzieren.“ (Rn. 26)

An anderer Stelle (Rn. 28) heißt es:

„Dies ist auch insoweit lückenhaft, als hierzu dargelegt wird, dass es im Jahr 2021 zu 23 Funden von Stoffen, welche dem NpSG unterliegen gekommen sei, und im Jahr 2022 bereits 12 Funde dokumentiert worden seien. Ob diese Stoffe mittels Briefsendungen in die JVA eingebracht worden sind, ergibt sich daraus jedoch nicht. Eine entsprechende Differenzierung wäre jedoch erforderlich, da das Einbringen auch auf anderem Wege in Betracht kommt. So können beispielsweise npS auch in Lebensmittel (z.B. Früchte) eingespritzt werden oder in Kräuter- oder Gewürzmischungen enthalten sein. Ein Rückschluss von in der Anstalt vorhandenem npS auf das Einbringen mittels (privater) Briefsendungen ist mithin nicht ohne weiteres möglich.“

Und auch im Detail prüft der OLG-Senat kritisch. Exemplarisch dazu:

Soweit von einer Steigerung von neue psychogenen Stoffe innerhalb der JVA ausgegangen wird, vermögen die Ausführungen sowohl hinsichtlich der oben bereits dargestellte Funden (23 im Jahr 2021, 12 im ersten Halbjahr 2022) als auch hinsichtlich der Urinkontrollen nicht zu überzeugen. Soweit mitgeteilt wird, dass in der Abteilung von der Sicherungsverwahrten im Jahr 2020 eine positive, im Jahr 2021 fünf positive und im Jahr 2022 bislang (Stand Stellungnahme vom 30. Juni 2022) drei positive Urinkontrollen festgestellt worden sein, vermag der Senat ebenso wie bei den positiven Funden selbst bei einer Hochrechnung der Zahlen für das Jahr 2022 eine solche Steigerung nicht zu erkennen, zumal in der Stellungnahme hinsichtlich der Urinkontrollen ausgeführt wird, dass die Sensibilität der Testungen gesteigert werden konnte.“ (Rn. 31)

Fazit: Die Ausführungen des OLG Celle überzeugen. Sie sind lesenswert. Und vor allem: Sie sind notwendig! Denn wie schon die Anstalt hatte es sich auch die Strafvollstreckungskammer leicht gemacht und ihre Entscheidung nur knapp begründet. Vor allem den Tatbestandsvoraussetzungen der vollzuglichen Generalklausel, die hier anzuwenden ist, hatte sie kaum Beachtung geschenkt. Verständlich also, dass das OLG Celle genau an dieser Stelle einhakt. Sein Hauptkritikpunkt ist, dass die Feststellungen – insbesondere zu den von npS für den Vollzug ausgehenden Gefahren – zu allgemein, unvollständig und teilweise ohne Bezug auf das eigentliche Problem, nämlich das Einbringen durch Briefsendungen, erfolgten.

Auf bekanntem Terrain bewegt sich das OLG Celle weiter, wenn es um die Übertragung rechtlicher Erwägungen aus dem Erstbeschluss geht. Erneut wird deutlich, welche Herausforderungen der Erlass einer Allgemeinverfügung auf Grundlage der vollzuglichen Generalklausel für die Anstalt mit sich bringt – allein aufgrund der Unbestimmtheit dieses Auffangtatbestands. Aber nicht nur das: Wenn man dem OLG Celle (Rn. 41f) folgt, dann scheint der Erlass einer allgemeinen Anordnung, die Eingangspost nur als Kopie an die Inhaftierten zu übergeben, bereits mit Blick auf die Garantien des Art. 10 GG sowie den Ultima Ratio-Gedanken auf rechtlich wackeligen Füßen zu stehen. Hinzu kommt das verfassungsrechtliche Abstandsgebot für den Bereich der Sicherungsverwahrung. Dazu der OLG-Senat wörtlich: Die „Einschränkung der Grundrechte der Sicherungsverwahrten“ sind zudem „unter dem besonderen Lichte des aus mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 104 Abs. 1 GG folgendem Abstandsgebot (sic!) zu betrachten“ (Rn. 42). Mithin liegen, so der Senat weiter, „die Grenzen für eine solche Einschränkung“ in der Sicherungsverwahrung „höher, als im Strafvollzug“ (Rn. 42).

Wie gegen npS vorzugehen ist

Diese Erwägungen des OLG-Senats führen schließlich zu drei Gedanken:

Erstens: Bei der Bekämpfung von npS im Vollzug dürfte der Weg über die Anordnung verdachtsloser Briefkontrollen regelmäßig nicht der richtige sein. Nach den Ausführungen des OLG Celle ist die Gefahr groß, dass die strengen Voraussetzungen einer insofern anzuwendenden Generalklausel nicht eingehalten werden (können). Dies gilt umso mehr, als es sich um eine Anordnung auch gegenüber Sicherungsverwahrten handelt. Wenn es allerdings doch einmal zu solchen Kontrollen kommt, dann sollte – schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – von Anstaltsseite jedenfalls darauf geachtet werden, dass diese zeitlich und räumlich (etwa bezogen auf eine bestimmte Abteilung) begrenzt und auf einen konkreten Anlass (beispielsweise die Häufung von gesundheitlichen Vorfällen nach dem Konsum von npS) zurückzuführen sind.

Zweitens: Der Vollzug steht dem Problem nicht hilflos gegenüber. Die Landesjustizverwaltung darf die Anstalten mit diesem Problem dennoch nicht allein lassen. Neben der entsprechenden Technik, etwa geeignete, wenn auch teure Drogenscanner (Stichwort: „IONSCAN 600“; lesenswert Patzak/Metternich, Forum Strafvollzug 2019, 211), braucht es vor allem zusätzliches Personal, damit die Kontrollen wirksam, aber so (grund-)rechtsschonend wie möglich ablaufen können. Zudem darf man nicht aus den Augen verlieren, dass der Briefverkehr nur ein möglicher Weg ist, diese Stoffe in die Anstalt zu schmuggeln. Gut denkbar ist auch, dass npS über Mülltransporte in die Anstalt gelangen. Dennoch – auch ein geschulter Blick der Bediensteten bleibt wichtig, vor allem, weil bereits die Palette möglicher Auffälligkeiten bei den Postsendungen breit ist: Diese reicht von der Verwendung besonderer Zeichen (etwa Herzzeichen anstatt i-Punkten) bis hin zu dem Umstand, dass seitenweise unbedrucktes kariertes Papier verschickt wird. Für die Hersteller wie auch die Konsumenten steht dabei im Vordergrund, dass die npS in konsumfertige Form gebracht, mithin die getränkten Papiere kästchen-, zumindest aber umrandungsweise in Konsumeinheiten eingeteilt sind.

Drittens: Flankierend sollte an eine Ausweitung entsprechender Präventionsprogramme für Inhaftierte gedacht werden. Es geht vor allem darum, über die Gefahren von npS zu informieren und Betroffene zu einem Ausstieg aus dem Konsum zu bewegen.


SUGGESTED CITATION  Bode, Lorenz: Neue Droge im Knast: Das Einbringen von neuen psychogenen Stoffen mittels Eingangspost in die Anstalt, VerfBlog, 2023/2/17, https://verfassungsblog.de/neue-droge-im-knast/, DOI: 10.17176/20230217-233126-0.

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