Sicherheitsrechtliche Wende ohne Gefolgschaft
Morgen wird das Bundesverfassungsgericht über das Bundeskriminalamtsgesetz 2018 entscheiden. Das BVerfG dürfte mit seinem Urteil in erster Linie die Verfassungsmäßigkeit einiger informationeller Befugnisse des BKAG in den Blick nehmen, weniger hingegen die derzeitige Praxis bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Dass diese weit von den informationellen Befugnissen und verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Maßstäben entfernt sind, zeigen unter anderem Dokumente, die auf mehrere Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz herausgegeben wurden.
Continue reading >>Ein Hinweis für den Rechtsstaat
Wenn Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zunehmen, vollzieht sich das oft auch am Arbeitsplatz. Gerade Beamt*innen und Angestellte im öffentlichen Dienst müssen befürchten, dass Antidemokrat*innen und Extremist*innen in ihren Behörden die ihnen zur Verfügung stehenden Befugnisse für rechtsstaatswidrige und menschenfeindliche Ziele nutzen. Was aber tun als Beschäftigte*r einer Behörde, der mit rechtswidrigem Verhalten oder Anweisungen konfrontiert ist?
Continue reading >>Kein EU-Geld für Thüringen?
In Deutschland wird die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei zumindest auf Landesebene ein immer realistischeres Szenario. In so einem Fall könnte die EU mit fast allen ihren Instrumenten auch gegen die autoritäre Regierung eines Bundeslandes vorgehen – selbst wenn sich die Bundesregierung weiter an EU-Recht hielte. Das Zurückhalten von EU-Fördergeldern wäre das effektivste Mittel der EU, um die Rechtstaatlichkeit auf regionaler Ebene zu schützen.
Continue reading >>Höchst normal gefährlich
Im politischen Alltagsgeschäft gibt sich die AfD mit Blick auf Menschen mit Behinderungen als sozial. Sie vergibt sogar punktuell sozialpolitisch irrelevante Wohltaten an einzelne Gruppen von(nicht-migrantischen) Menschen mit Behinderungen. Doch dieser symbolpolitische Ansatz ist kein Grund zur Beruhigung. Er lässt sich reibungslos mit dem Projekt der AfD vereinbaren, diskriminierungsfreie Beschulung weitgehend zu blockieren und als Irrweg zu denunzieren. Das strategische Ziel: eine Absage an eine menschenrechtlich geprägte, auf Gleichheit setzende Politik für alle unerwünschten, als Belastung empfundenen und erklärten Gruppen.
Continue reading >>Friedliche Gewalt!
In seinem Beitrag vom 13. August beleuchtet Thomas Groß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden und ihre Bedeutung für die Bewertung von Protestaktionen der Letzten Generation. Es widerspräche der Normhierarchie, wenn der einfache Gesetzgeber berechtigt wäre, als „friedlich“ qualifiziertes Verhalten mit dem entgegengesetzten Begriff der „Gewalt“ zu belegen. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Rechtsprechung der Karlsruher Richterinnen und Richter seit Jahrzehnten von der Einsicht geprägt ist, dass eine Versammlung, die nach strafrechtlichen Maßstäben Gewalt ausübt, nicht zwangsläufig unfriedlich i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG ist.
Continue reading >>Recht für rechts
SLAPP – dieses Kürzel steht für strategic lawsuits against public participation und befasst sich mit einem Phänomen, das sich steigender Beliebtheit erfreut: Klagen, die in erster Linie erhoben werden, um unliebsame Kritik zu unterdrücken. Insbesondere bei rechten Akteuren sind SLAPPs zuletzt immer beliebter geworden. Anfang des Jahres hat die EU eine Richtlinie gegen SLAPPs erlassen, die allerdings gerade gegen SLAPPs von rechts nicht viel ausrichten können wird.
Continue reading >>Warum das Compact-Verbot auf Grundlage des Vereinsrechts ergehen konnte
Um das Compact-Verbot ist eine hitzige Diskussion entbrannt. Die Einschätzungen reichen von legitimem Verfassungsschutz auf der einen bis hin zu verfassungswidrigem Zeitungs- und Medienverbot auf der anderen Seite. Betrachtet man das Vorgehen aus vereinsrechtlicher Perspektive und vergegenwärtigt sich die bisherige Verbotspraxis in vergleichbaren Fällen, bestätigen sich die grundsätzlichen Bedenken nicht.
Continue reading >>“Displacement due to environmental factors is one of the great tragedies of our time”
In a recent judgment, the Colombian Constitutional Court has ruled that displacement due to environmental factors can be legally considered as forced displacement triggering specific obligations of the State. The judgment (T-123 of 2024) highlights the deficit of constitutional protection for victims of environmental displacement, urging the state to develop specific strategies to address this issue. In this interview, Natalia Ángel-Cabo, a Judge at the Colombian Constitutional Court, explains the implications of the ruling and the concept of displacement due to environmental factors.
Continue reading >>Einstimmig für alle, alle für einstimmig?
Angesichts der Bestrebungen, das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen, drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob auf europäischer Ebene ähnliche Maßnahmen erforderlich sind. Derzeit sind rechtspopulistische und potenziell unionsfeindliche Parteien europaweit im Aufwind. Insbesondere das Verfahren zur Ernennung von Richter*innen des EuGH und des EuG weist Schwachstellen auf, die Feind*innen einer unabhängigen Gerichtsbarkeit ausnutzen könnten.
Continue reading >>Die Voraussetzungen fördern oder „How Democracies Survive“
Das Böckenförde-Diktum ist so ein Satz, auf den sich auch in unsicheren Zeiten viele einigen können. Statt sich in ständiger Reproduktion des „Böckenförde-Diktums“ und gekünstelter Neutralität auf der Stelle zu drehen und dabei allenfalls „midcult“ zu betreiben, sollten auch die Verantwortlichen im Bereich der Demokratieförderung diese Tiefe endlich ausschöpfen. Die Strukturentscheidungen des Grundgesetzes sind als Aufruf dafür zu verstehen.
Continue reading >>Wie klage ich meinen Landrat weg?
In Thüringen finden am 26. Mai 2024 Kommunalwahlen statt. Vergangene Woche hat der Wahlausschuss des Landkreises Hildburghausen Tommy Frenck mit drei zu zwei Stimmen als Kandidaten zugelassen und damit vorläufig die nötige Verfassungstreue attestiert. Sollte der Rechtsextremist zum Landrat gewählt werden, steht den Wahlberechtigten ein bislang wenig beachteter Weg offen, um diese Einschätzung gerichtlich überprüfen zu lassen: In Thüringen kann jede*r Wahlberechtigte mit einer Wahlanfechtung als Quasi-Popularklage die Verletzung der Wählbarkeitsvoraussetzungen vor den Verwaltungsgerichten geltend machen.
Continue reading >>Offene Flanken der Brandenburger Justiz
Die seit dem Beginn der Rechtsstaatskrise in Polen (2015) geführte Debatte über die unzureichende Resilienz der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit steht mit zwei konkreten Entwürfen zur Änderung von Art. 93 und 94 GG auf der Zielgeraden. Zur Stärkung der Resilienz des Thüringer Verfassungsgerichtshofes hat das Thüringen-Projekt jüngst konkrete Vorschläge unterbreitet. Bislang nicht im Fokus der Debatte stand die Justiz in Brandenburg. Angesichts der Konsequenzen, die ein Erstarken solcher Kräfte hätte, besteht noch vor der Wahl Handlungsbedarf.
Continue reading >>Kein Kniefall vorm Gericht
Eine klaffende Lücke im Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik gäbe einer autoritär-populistischen Regierung die Möglichkeit, sich aus eigener Machtvollkommenheit über Gerichtsentscheidungen hinwegzusetzen – ohne nennenswerte Konsequenzen. Denn einer Regierung, die Urteile missachtet, setzen Gerichte kaum etwas entgegen. Deshalb soll das verwaltungsprozessuale Zwangsvollstreckungsrecht reformiert werden. Die geplanten Änderungen werden aber nicht für mehr Resilienz gegen exekutiven Ungehorsam sorgen.
Continue reading >>Das ist Kunst, das kommt weg
Auch ohne Beteiligung einer autoritären Partei an einer Regierung hat der sog. „Kulturkampf von Rechts“ längst begonnen und zeitigt Erfolge. Nicht nur in Thüringen oder in Deutschland, sondern auch international dient Kultur als Strategie der Polarisierung. Sie bietet ein besonders wirksames, oft unterschätztes Feld für Legitimationsnarrative, denn sie baut Legitimationsbrücken zwischen Rechtspopulismus und Neonazismus. Jetzt kommt erst die schlechte Nachricht: Eine autoritäre Regierung kann sich dabei die Kunstförderung spielend leicht zu Nutze machen
Continue reading >>Begnadigung von Gefolgsleuten – und keiner merkt’s
Am 4. April ging es vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg um die Frage, ob das Bundespräsidialamt der Presse eine Liste der Gnadenentscheidungen von Frank-Walter Steinmeier und seiner Vorgänger aus den Jahren 2004 bis 2021 zur Verfügung stellen muss. Ob dem Gericht das Missbrauchspotenzial des Gnadenrechts vor Augen stand?
Continue reading >>Straflos im Landtag
Einmal angenommen, die AfD bekäme eine absolute Mehrheit im Thüringer Landtag. Und einer ihrer Abgeordneten verharmloste auf einer Parteiveranstaltung den Holocaust. Oder schlüge eine Demonstrantin krankenhausreif. Sofern er nicht bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages deshalb festgenommen würde, könnte seine Fraktion es zumindest für die Dauer der Legislaturperiode verhindern, dass er dafür zur Verantwortung gezogen würde. Dieser Immunitätsschutz offenbart im Lichte einer möglicherweise extremistischen Parlamentsmehrheit einen blinden Fleck.
Continue reading >>Geschwiegen und doppelt bestraft
Drei Sozialarbeiter:innen eines Fanprojekts des Karlsruher SC weigern sich, im Strafverfahren über Vorgänge auszusagen, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Sie müssen Ordnungsgelder zahlen. Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Strafvereitelung durch Unterlassen gegen sie. Diese Praxis verletzt jedoch das Menschenrecht, für ein und dieselbe Tat nicht mehrfach verfolgt zu werden.
Continue reading >>Vater-in-waiting
Kommt ein Kind auf die Welt, ist das schön – macht aber Arbeit. Das hat der Unionsgesetzgeber erkannt und den sogenannten Vaterschaftsurlaub zur Entlastung nach der Geburt normiert. Den nationalen Gesetzgeber konnte das bislang – trotz abgelaufener Umsetzungsfrist und Vertragsverletzungsverfahren – nicht zum Handeln bewegen. Das ist nicht nur ärgerlich für Eltern und unionsrechtswidrig, sondern offenbart auch ein tiefergreifendes Unvermögen, Zeitinteressen von Eltern normativ angemessen zu berücksichtigen. Es ist daher dringend an der Zeit, dass der Gesetzgeber sein Handeln an einem verfassungsrechtlichen zeitlichen Existenzminimum misst – gerade wenn es um einen so überschaubaren Zeitraum wie zehn Tage geht.
Continue reading >>Alles unter Kontrolle
In der Praxis einer parlamentarischen Demokratie übernimmt die Kontrollfunktion in erster Linie die Opposition. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss parlamentarische Kontrolle verfahrensrechtlich so gestaltet sein, dass sie effektiv ist. Anders als bei der Teilnahme an der Gesetzgebungs- und Kreationsfunktion, etwa bei der Änderung des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassungen oder bei der Verfassungsrichterwahl kann eine Sperrminorität bei der parlamentarischen Kontrolle nur wenig obstruieren. Dennoch bieten die parlamentarischen Kontrollinstrumente, insbesondere das Untersuchungsrecht, Möglichkeiten, die parlamentarische Arbeit zu beeinträchtigen.
Continue reading >>Eine wirkliche Gefahr für die Verfassung
Recht und Gesetz sind keine Garanten dafür, dass sich staatliche Akteure an demokratische Spielregeln halten. Friedhelm Hufen hat in der FAZ kürzlich einen Text veröffentlicht, in dem er implizit das Gegenteil behauptet: Potenzielle Wahlerfolge der AfD in einem deutschen Bundesland seien keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung, weil die „Mechanismen der streitbaren Demokratie” und die Gewaltenteilung Schutz genug sind. Aber Hufen verfehlt den Kern der Debatte. Here is why.
Continue reading >>Kein Geld ist auch eine Lösung
Viereinhalb Jahre nach dem Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf Ausschluss der NPD (heute „Die Heimat“) von der staatlichen Parteienfinanzierung hat das Bundesverfassungsgericht am 23. Januar 2024 entschieden: Die „Heimat“ ist für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das Verfahren ist das erste seiner Art nach Verankerung des Finanzierungsausschlusses im Grundgesetz im Jahr 2017. Dessen Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr erstmals konkretisiert und dabei den engen Zusammenhang zwischen Finanzierungsausschluss und Parteiverbot betont.
Continue reading >>Ziviler Ungehorsam im Parlament
Wie Menschen haben auch Verfassungen einen blinden Fleck. Bis zu einem gewissen Maß sind sie blind für die inhaltliche Ausrichtung einer Partei. In diesem Bereich können sie herannahende Gefahren nicht erkennen. Hat es eine autoritär-populistische Partei einmal geschafft, Abgeordnete ins Parlament zu entsenden, schützt und unterstützt die Verfassung die „Gefahrenquelle“ sogar noch, statt sie abzuwehren. Der dagegen von Abgeordneten teilweise praktizierte „zivile Ungehorsam“ in Form von Boykotten und Ausschlussmaßnahmen befindet sich daher häufig nahe am Rechtsbruch und schadet der Sache letztendlich mehr, als er ihr zuträglich ist.
Continue reading >>Das Recht auf gute und schlechte Opposition
Nicht erst, aber doch ganz besonders seit dem Erstarken der AfD stellt sich die Frage, wie mit einer obstruktiven Minderheit umzugehen ist. Sie politisch zu beantworten, fällt nicht leicht. Verfassungsrechtlich ist die Lage zumindest im Ausgangspunkt klarer: Das Wirken als parlamentarische Opposition fällt unter den Schutz der Verfassung, die nicht grundsätzlich zwischen „guter“ und „schlechter“ Opposition differenziert. Ein Freibrief geht damit indes nicht einher. Im Umgang mit obstruktiven oder gar antidemokratischen oppositionellen Kräften ist das Parlamentsrecht demnach nicht machtlos, aber auch nicht als erstes und einziges am Zug.
Continue reading >>Möglich, aber nicht hinzunehmen
Es gibt wirksame Mittel, Sand ins Parlamentsgetriebe zu streuen, also das parlamentarische Verfahren zu verzögern oder sogar Beschlüsse zu verhindern. Obstruktion gehört zum Parlamentarismus. Sie ist in einem Parlament leicht zu praktizieren, aber schwer zu bekämpfen. Bislang werden Obstruktionsmittel von parlamentarischen Minderheiten, vor allem von Oppositionsfraktionen, genutzt. Je größer die Oppositionsfraktionen sind, desto mehr Obstruktionsmittel stehen ihnen zur Verfügung.
Continue reading >>Viel zu verlieren
Die Enthüllungen des Recherchezentrums CORRECTIV zum „Geheimplan gegen Deutschland“, einem Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern in Potsdam, lösten eine neue Dynamik in der Diskussion um den richtigen Umgang mit der AfD aus. Die ehemalige Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff wies schon im Oktober 2023 in einem Beitrag auf dem Verfassungsblog auf eine zuvor wenig beachtete Möglichkeit hin: die Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG. Die Auswirkungen eines erfolgreichen Verwirkungsverfahrens dürften jedoch überschätzt, die Risiken hingegen unterschätzt werden.
Continue reading >>Die Staatsanwaltschaft in der Versammlung
Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat nach Berichten in den sozialen Medien einen Staatsanwalt in eine Großdemonstration am 11.11.2023 entsandt, um mit einem Dolmetscher durch die Versammlung zu gehen und die strafrechtliche Relevanz von Parolen zu prüfen. Die Präsenz auf einer Versammlung in Amtsfunktion ist keinesfalls (verfassungsrechtlich) unproblematisch. Das Vorgehen der Wuppertaler Behörden hätte einer Ermächtigungsgrundlage bedurft, doch halten weder die Versammlungsgesetze noch die Strafprozessordnung eine solche bereit. Diese Maßnahme der Verfolgungsvorsorge entpuppt sich bei genauer Analyse als strafprozessual unzulässige strategische Überwachung aufgrund eines Generalverdachts, deren Ziel mit milderen Maßnahmen auf gesetzlicher Grundlage erreicht werden kann.
Continue reading >>Rechtsreferendare dürfen streiken
Das Arbeitskampfrecht von Rechtsreferendaren hat bisher wenig Beachtung gefunden. Ver.di rief jedoch für den Streik am 4.12.2023 explizit auch alle Beschäftigten an den Gerichten und Staatsanwaltschaften zum Arbeitskampf auf. Dieser Beitrag zeigt, dass Rechtsreferendare im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis streiken dürfen. Das für Arbeitnehmer entwickelte Arbeitskampfrecht ist auf sie übertragbar. Der persönliche sowie sachliche Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist für sie eröffnet. Das aus Art. 33 Abs. 5 GG folgende Streikverbot für Beamte ist nicht übertragbar. Das Streikziel muss jedoch ein Tarifvertrag sein. Würde ein Streik auf die Änderung der Unterhaltsbeihilfenverordnung abzielen, wäre er als politischer Streik rechtswidrig.
Continue reading >>Nur vier Zeilen
Ein Staat, dessen Regierung am Ende des Jahres nicht ein und aus weiß, wie sie einen verfassungsgemäßen Haushalt für das unmittelbar bevorstehende Folgejahr aufstellen kann, befindet sich in einer veritablen Staatskrise. Nein, was wir erleben, ist nicht lediglich die Krise einer Regierung und der sie tragenden Koalition – es handelt sich tatsächlich um eine Staatskrise. Bis nach Dubai in die Weltklimakonferenz der UN strahlte sie in den letzten Tagen aus, wo Zweifel an der deutschen Fähigkeit geäußert wurden, eingegangene oder angekündigte Verpflichtungen gegenüber der Weltgemeinschaft erfüllen zu können.
Continue reading >>Fleet In Being
Die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow steht aktuell vor der Verabschiedung ihres Haushalts für das Wahljahr 2024. Dazu ist sie, wie bei allen von ihr eingebrachten Initiativen auf Stimmen der Opposition angewiesen. Vor diesem Hintergrund stellt sich gegenwärtig die Frage, ob der Ministerpräsident mittels der Vertrauensfrage den Landtag disziplinieren kann.
Continue reading >>Das Spannungsverhältnis zwischen Staatsräson und Grundrechten
Nach den monströsen Massakern der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung am 7. Oktober, bei denen die Hamas über 1200 Menschen brutal ermordete, rund 3000 verletzte und über 200 als Geiseln verschleppte, hat die Bundesregierung die von Angela Merkel eingeführte und vom Bundestag im BDS-Beschluss von 2019 sekundierte Formel von Israels Sicherheit als Teil deutscher Staatsräson aufgenommen, um Israel ihre volle Solidarität und Unterstützung zu versichern und Antisemitismus entschlossen zu bekämpfen. Angesichts des bedrohlichen Anstiegs antisemitischer Straftaten in Deutschland und der anhaltend schlechten Sicherheitslage im Nahen Osten sind beide Ziele der Staatsräson grundsätzlich zu begrüßen. Doch die aktuelle Interpretation von Israels Sicherheit und entschlossener Antisemitismusbekämpfung als deutscher Staatsräson führt zu Einschränkungen der Versammlungs-, Meinungs-, Kunst-, und Wissenschaftsfreiheit.
Continue reading >>Protecting the Fairness of European Parliament Elections via Preliminary Ruling
Supreme or constitutional courts regularly step in to protect the democratic process by deciding election disputes. It is remarkable that the Court of Justice of the European Union (CJEU) has so far barely been engaged concerning the European Parliament (EP) elections. Using Hungary as an example, I will argue in the following that the CJEU is institutionally well-positioned to help protect the integrity of the 2024 EP elections via preliminary ruling procedures. Hungarian democracy has been in decline, according to the EP, the Commission and various democracy indices. The problems include the lack of a level playing field, targeted action by authorities against opposition parties, overlaps between the activities of the government and the governing party, state funding of campaigning and party financing in general, lack of media pluralism, and the different means of voting for citizens living abroad (postal vote for some and not for others). I argue that the CJEU could and should be engaged to protect the fairness of the EP elections in Hungary.
Continue reading >>Vertrauen ist gut, verfassungsrechtliche Kodifizierung ist besser
In seinem Artikel „In schlechter Verfassung“ in der ZEIT vom 16. November 2023 äußert der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle seine Skepsis gegenüber Vorschlägen, die im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelte Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Grundgesetz (GG) zu verankern. Für Voßkuhle erscheint die Situation in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Ungarn, Polen, den USA oder Israel, in denen Verfassungsgerichte attackiert und entmachtet werden, „noch einigermaßen gefestigt“. Doch dieser Anschein könnte sich schneller als gedacht als trügerisch erweisen. Die fehlende verfassungstextliche Konkretisierung von Struktur, Arbeitsweise und Zusammensetzung des höchsten deutschen Gerichts bietet auch hierzulande ein Einfallstor für politische Angriffe und Kaperungsversuche.
Continue reading >>Verfassungswidrige Sprachverbote
In Hessen haben sich CDU und SPD für ihre Koalitionsverhandlungen auf ein Eckpunktepapier geeinigt, in dem sie auch ankündigen festzuschreiben, „dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat der deutschen Sprache erfolgt“. Gemeint ist damit ein Verbot geschlechtergerechter Sprache nicht nur für Schulen, sondern auch für grundrechtsberechtigte (und ‑verpflichtete) Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Ein solches Verbot wäre offensichtlich verfassungswidrig – doch seine Ankündigung bringt politischen Profit.
Continue reading >>The Individual Application Mechanism is on the Verge of Collapse, and so is Turkish Constitutionalism
Turkey is plunged into yet another profound judicial crisis as the Turkish Constitutional Court (TCC) and the Turkish Court of Cassation (Yargıtay) lock horns over the fate of an imprisoned opposition politician. While two earlier posts published on Verfassungsblog have already meticulously dissected this unfolding judicial drama (here and here), we aim to invigorate the debate with a fresh vantage point. In this piece, we will narrow the focus to one key actor: the TCC. More particularly, we will delve into the implications this evolving judicial crisis holds for the future of the TCC's individual application mechanism.
Continue reading >>It’s Called Saving Lives
Es sind keine guten Zeiten für die Grund- und Menschenrechte. In atemberaubendem Tempo werden grundlegende Rechte von Flüchtlingen geschliffen und in Frage gestellt. Die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und die EU-Krisenverordnung sollen den Flüchtlingsschutz weitgehend aushebeln und die Ampel will vor allem abschrecken und abschieben, egal wie realistisch das Ziel und wie hoch der rechtsstaatliche Kollateralschaden ist. Nun hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Fluchthilfe stärker kriminalisieren soll.
Continue reading >>Keine Rechtfertigung für Sperrklauseln
Die im ersten Halbjahr 2023 erfolgte und lange überfällige Wahlrechtsänderung schaffte zwar die Grundmandatsklausel ab, behielt aber die 5%-Sperrklausel bei und erntete dafür viel Kritik. Nun haben 4242 Personen, organisiert über den Verein Mehr Demokratie e.V. und vertreten durch Prof. Kingreen eine Verfassungsbeschwerde gegen die in § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BWahlG verankerte 5%-Sperrklausel eingereicht. Eine Abdeckungsregel würde den verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätzen besser entsprechen.
Continue reading >>Missverständnisse um die Prostitution
Der Gesetzgeber wollte mit dem ProstSchG einen Rechtsrahmen schaffen, der dem erforderlichen Schutz der Prostituierten gerecht wird. Neben anderen Unklarheiten bleiben allerdings Fragen im Zusammenhang mit dem Bauplanungsrecht, die in Praxis und Rechtsprechung nicht abschließend gelöst sind. Prostitution war und ist von Missverständnissen begleitet, die sich zum Nachteil der Branche auswirken. Prominentes Beispiel ist die Verwendung des Begriffs der „milieubedingten Unruhe“ im Bauplanungsrecht. Obwohl mit dem ProstSchG ein ordnungsrechtlicher Rahmen geschaffen wurde, setzen sich bauplanungsrechtliche Unklarheiten innerhalb dieses Rahmens fort.
Continue reading >>Das Prostituiertenschutzgesetz und sein Vollzug
Die Debatte über die Regulierung von Prostitution wogt zwischen zwei feministischen Positionen zu Prostitution selbst hin und her, die miteinander unvereinbar sind. Diese Positionen markieren die äußeren Punkte auf einer Skala, die von Verbot bis Liberalisierung reicht. Auf dieser Skala lassen sich geltendes Recht wie Reformvorschläge verorten. Das geltende Prostituiertenschutzgesetz liegt zwischen den Punkten und unternimmt den Versuch der Vermittlung. Trotz seiner Vollzugsdefizite ist es die bessere Alternative, wenn es wirklich um den Schutz von Prostituierten gehen soll.
Continue reading >>Wackliges Parteienkartell
Die Formulierung „Entscheidungen in eigener Sache“ ist in Österreich weder in der Rechts- noch in der Politikwissenschaft gebräuchlich. Die damit umschriebenen Elemente der Rechtsordnung und des politischen Systems werden jedoch seit langem diskutiert, besonders im Kontext der Kombination von Konkordanzdemokratie und der dominanten Rolle der politischen Parteien, die für Österreich typisch ist. Seit den 1990er-Jahren verlieren diese beiden Elemente an Einfluss. „Entscheidungen in eigener Sache“ lassen sich nicht mehr bloß mit Verweis „auf die Rechtslage“ rechtfertigen.
Continue reading >>Scheuers missglückte PKW-Maut
Der Haftung des Bundes gegenüber den Betreiberfirmen der missglückten PKW-Maut hat die Frage aufgeworfen, ob das Ministergesetz anzupassen sei, um Regressansprüche zu ermöglichen. Der Status von Ministern soll nach Auffassung von Jörg Berwanger[1] und Patrick Heinemann zu Haftungsfreiräumen führen. Dafür gibt es jedoch keine überzeugenden Gründe. In alle Abläufe des Vertrages war neben dem früheren Minister Scheuer auch sein beamteter Staatssekretär Dr. Schulz eingebunden. Die im Bericht des Untersuchungsausschusses beschriebenen Tatsachen legen eine gemeinschaftliche Haftung nach § 826 BGB bzw. § 75 BBG nahe.
Continue reading >>Er haftet nicht
Anfang Juli teilte das Bundesverkehrsministerium mit, es werde extern prüfen lassen, ob der Bund Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen des gescheiterten Pkw-Maut-Projekts auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. So sehr man den kochenden Volkszorn vielleicht nachvollziehen kann – er allein bildet für ein solches Begehren noch keine Anspruchsgrundlage. Der Ex-Verkehrsminister muss voraussichtlich nicht haften – und dafür gibt es nicht nur rechtliche, sondern auch gute rechtspolitische Gründe.
Continue reading >>Judges and Organized Crime
Scandalous arrests of judges taking millions in bribes continue to make headlines. For purging the judiciary from corruption, vetting the integrity of judges through internationally supported commissions has become one of the most promising tools. In July 2023, the ECtHR has upheld the dismissal of yet another prominent judge – who had served, both, at the Constitutional Court and the Supreme Court of Albania (Thanza v. Albania). While it is obvious that a judge should be dismissed for engaging in organised crime, this case may be the first in the world to raise another, rather unusual question: Can a judge be dismissed simply for having contact with organised crime, even if he has never committed any offence?
Continue reading >>Kurzer Prozess für Klimaaktivist:innen in Berlin
Um den Aktivist:innen der „Letzten Generation“ mit den Mitteln des Strafrechts zu Leibe zu rücken, schwingt die Generalstaatsanwaltschaft in München die große OK-Keule unter Einsatz des § 129 StGB. Die Staatsanwaltschaft Berlin scheint sich jetzt in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Sie greift in die strafprozessuale Mottenkiste und will das „beschleunigte Verfahren“ (§§ 417 ff. StPO) zum Einsatz bringen, ein zur Aburteilung Kleinkrimineller vorgesehenes Verfahren. Dazu sind Sonderabteilungen beim Amtsgericht Tiergarten geschaffen worden, die zur besonderen Verwendung durch die Staatsanwaltschaft Berlin eingerichtet sind. Das lässt den Eindruck von „Ausnahmegerichten“, eine Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) und eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit entstehen.
Continue reading >>Wenn das Gesetz sozialschädlicher ist als die Straftat
Wer in Deutschland ohne Fahrschein fährt, dem droht Gefängnis. Nachdem bereits vielfältige Reformbestrebungen (etwa hier, hier oder hier) gescheitert waren, schlägt die Bundestagsfraktion Die Linke nun ein Gesetz vor, mit dem der Straftatbestand der Beförderungserschleichung (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB) ersatzlos gestrichen werden soll. In der Anhörung der Sachverständigen am 19. Juni 2023 wurde erneut deutlich: Die Sanktionierung von Fahren ohne Fahrschein ist ein Systembruch mit dem deutschen Recht mit verheerenden Folgen für die einzelne Person und die Allgemeinheit. Vernünftig, gerecht und wirtschaftlich sinnvoll ist nur die Entkriminalisierung.
Continue reading >>Mit der Spree verhandeln
Die Mediation greift im Gegensatz zur gerichtlichen Konfliktlösung auf eine jüngere Historie und weniger Praxisfälle zurück. Dennoch hat sie der gerichtlichen Konfliktlösung einen wesentlichen – und angesichts der rasant voranschreitenden Umweltzerstörung vielleicht sogar entscheidenden – Aspekt voraus: Mediation kann Ökologie. Sie ist ein Konfliktlösungsverfahren, das in seiner konsequenten Anwendung originär zur Erhaltung der Lebensgrundlage beiträgt. Denn die Mediation, die als Verfahrensziel den Interessenausgleich der Konfliktbeteiligten anstrebt, weiß um die Notwendigkeit der Beteiligung aller vom Konflikt Betroffenen für die Gewährleistung einer ökologisch nachhaltigen Konfliktlösung. Damit hat sie eben nicht nur die menschliche Spezies, sondern auch die Tier- und Umwelt im Blick.
Continue reading >>Anwohnerparken in falschem Gewand
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Freiburger Bewohnerparkgebührensatzung am Dienstag für unwirksam erklärt. Als Anreiz für weniger beziehungsweise kleinere Autos galt der Text in Sachen Mobilitätswende als eine Art Leuchtturmprojekt. Ein Rückschlag also für all jene, die sich den nach wie vor nicht ansatzweise umgesetzten Ankündigungen der Ampel zum Trotz auf ihre Weise engagieren, die Verkehrswende mitzugestalten? Nur teilweise. Hohe Parkgebühren und eine Bemessung anhand der Fahrzeuglänge bleiben möglich. Man muss es nur anders verpacken.
Continue reading >>Die „Letzte Generation”, die EMRK und das Strafrecht
Die Aktionen der „Letzten Generation“ haben den gesellschaftlichen und juristischen Diskurs der letzten Monate geprägt. So engagiert die juristische Diskussion jedoch geführt wird, so sehr verharrt sie ganz überwiegend noch im nationalen Recht. Die zuständigen deutschen Strafrichter:innen werden sich jedoch auch dem Blick nach Straßburg nicht entziehen können – die Blockadeaktionen der „Letzten Generation“ stehen unter dem Schutz der in Artikel 11 Abs. 1 EMRK kodifizierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Dieser Schutz steht einer strafrechtlichen Sanktionierung der Aktionen nicht grundsätzlich im Weg; eine Rückbesinnung auf die menschenrechtliche Dimension der Proteste kann und sollte aber ein Korrektiv für allzu ausgeartete Kriminalisierungs- bzw. Selbstjustizfantasien darstellen.
Continue reading >>An Honest Broker?
A characteristic of the functioning of the EU is that the Presidency of the Council of Ministers rotates between Member States every six months according to a previously agreed order. The EU Presidency is responsible for driving forward the Council’s work on EU legislation. In the second half of 2024, Hungary will take over the Presidency, followed by Poland in the first half of 2025. Given their rule of law record, it is highly questionable whether they will act in the Council’s general interest. In order to avoid damage, there are three avenues available to the Council and the Member States.
Continue reading >>Es steht ein Pferd auf dem Flur
Der Referentenentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz ist da und befindet sich derzeit in der Verbände-Diskussion. Das Gesetz soll die personenstandsrechtliche Geschlechts- und Vornamensänderung erleichtern. Der Entwurf sieht auch Änderungen des Abstammungsrechts vor, die ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich eine „Interimslösung“ sein sollen. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die „Interimslösung“ jedoch als vorweggenommene Teilreform des Abstammungsrechts, mit der die Eltern-Kind-Zuordnung für queere Personen zukünftig nicht leichter, sondern schwerer, komplizierter und teurer werden würde. Es steht ein Pferd auf dem Flur – und es ist möglicherweise ein trojanisches.
Continue reading >>Die stille Transformation
Während sich die Republik über angebliche Heizungs- und Verbrenner-Verbote zerfleischt, fielen in Brüssel Entscheidungen: Am 25. April 2023 hat nach der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament auch der Rat einer umfassenden Änderung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG (EHRL) zugestimmt und Reichweite wie Ambitionsniveau des Emissionshandels noch einmal deutlich gestärkt. Die Erweiterungen des Instruments bei gleichzeitiger drastischer Verknappung der verfügbaren Emissionen werden sehr schnell tiefgreifende Verhaltensänderungen nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Verbrauchern auslösen. Allein die jährlichen Verknappungen um mehr als 5% bei Gebäude und Verkehr führen sehr schnell zu einer Angebotsverknappung, die in drastisch steigende Preise münden muss.
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