NRW-Kopftuchverbot: Gesetzesarchitekt Kirchhof ist befangen
Verfassungsrichter sind doch rechte Teufelskerle. Sie können Regelungsgebäude nicht nur zum Einsturz bringen, nein, sie entwerfen auch schon mal welche. Als Architekten des Rechts steht ihnen dann “eine Art Urheberschaft” für ein bestimmtes Regelungskonzept zu. Und wenn dann eben dieses Regelungskonzept in Karlsruhe als Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde auf dem Schreibtisch landet, sind sie befangen und können darüber nicht miturteilen.
Das hat der Erste Senat jetzt im Fall seines Vorsitzenden Ferdinand Kirchhof entschieden. Kirchhof, im Zivilberuf Juraprofessor in Tübingen, hatte sich 2003 (also vor seiner Amtszeit) als Gesetzesarchitekt betätigt mit dem Auftrag, ein verfassungsfestes Kopftuchverbot für Baden-Württemberg zu entwerfen, und zwar eines, das gleichzeitig christliche Glaubenssymbole weiterhin erlaubt. Diese Regelung übernahm dann u.a. auch Nordrhein-Westfalen.
Jetzt sind aber zwei Fälle aus NRW in Karlsruhe anhängig, in denen es genau um die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung geht. Die NRW-Landesregierung hatte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in ihren Schriftsätzen längere Passagen übernommen, die wortwörtlich von Kirchhof stammen.
Das BVerfG-Gesetz sieht in solchen Fällen zwei Möglichkeiten vor:
Wenn ein Richter an einer Sache, über die sein Senat zu entscheiden hat, “bereits von Berufs (…) wegen tätig gewesen ist”, dann ist er von Gesetzes wegen ausgeschlossen; der Senat entscheidet mit sieben statt acht Mitgliedern (§ 18). So einen Fall gibt es gerade beim Zweiten Senat: Peter Müller war Mitglied der selben Bundesversammlung, deren ordnungsgemäße Zusammensetzung und Verfahren gerade die NPD versucht in Zweifel zu ziehen.
Von Berufs wegen tätig war Kirchhof hier sicherlich – aber nicht in der selben Sache, findet jedenfalls der Erste Senat. Dass die NRW-Regierung Kirchhofs Worte in ihren Schriftsätzen verwendet hat, ändere nichts, denn das sei ein “bloß passives Zitiertwerden”. Seine Hilfe beim Formulieren der betreffenden Regelung sei deswegen kein Problem, weil § 18 Abs. 3 BVerfGG die Mitwirkung an der Gesetzgebung und die Abgabe rechtswissenschaftlicher Stellungnahmen ausdrücklich als Ausnahmen vom gesetzlichen Richterausschluss festlegt.
Unabhängig davon können aber auch die Beteiligten einen Richter wegen Befangenheit ablehnen (§ 19 BVerfGG). Darüber muss dann der ganze Senat (minus den abgelehnten Richter) entscheiden. Und wenn der Senat das begründet findet, dann wird anstelle des abgelehnten Richters ein Mitglied des anderen Senats ausgelost – so geschehen etwa 1998 im Zweiten Senat, als sich Udo Di Fabio im Normenkontrollverfahren um das Energiewirtschaftsgesetz selbst als befangen ablehnte.
Im Fall Kirchhof betont der Senat zunächst, dass auch bei § 19 gesetzgeberische oder wissenschaftliche Positionierungen noch kein Grund sein können, an der Unparteilichkeit eines Richters zu zweifeln.
Aber Kirchhof war in diesem Fall mehr als nur Ratgeber oder wissenschaftlicher Beobachter. Er war der Architekt.
Ihm kommt damit – über die übliche Mitwirkung in Gesetzgebungsverfahren und das Äußern wissenschaftlicher Meinungen zu einschlägigen Rechtsfragen deutlich hinausgehend – gleichsam eine Art Urheberschaft für das auch hier zu beurteilende Regelungskonzept zu. In den Augen der Beschwerdeführerinnen ist er damit in ganz besonderer Weise der Vertreter der von den Verfassungsbeschwerden bekämpften Regelung und ihrer praktischen Anwendung. Unter diesen Umständen ist die Besorgnis der Beschwerdeführerinnen nachvollziehbar, der Richter werde die hier zu entscheidenden Rechtsfragen möglicherweise nicht mehr in jeder Hinsicht offen und unbefangen beurteilen
Wie man aus berufenen Kreisen mitbekommt, wurde Frau Hermanns dem Ersten Senat zugelost.
ah, interessant. Danke.
Insgesamt sowieso eine interessante (Verfassungs-) Rechtsfrage, man kann wirklich gespannt sein. Ich vermute schwer, dass sich da Senatsdivergenzen auftun, die man in dieser personalen Konstellation selten erlebt hat.