Parität in Parlamenten – eine Einführung
In einer idealen Welt bräuchte es kein Paritätsgesetz. Kandidaten würden nach politischen Motiven und ihren politischen Fähigkeiten ausgewählt, Parlamente würden im Großen und Ganzen die Bevölkerung widerspiegeln und das Geschlecht wäre kaum einer Erwähnung wert. „I have a dream….“
In der politischen Realität in Deutschland und anderen Staaten sieht es anders aus. Frauenrechte und Emanzipation sind keine Selbstverständlichkeiten. Im Dezember 2019 berichtete die New York Times über den zunehmenden globalen Backlash gegen Frauenrechte. Berichte von UN-Institutionen bestätigen dies. In Deutschland wie anderswo hat die Coronakrise bestehende Hierarchien zwischen den Geschlechtern offen gelegt und nicht selten vertieft. Auch in der Politik sieht es nicht besonders gut aus. Die Zahl weiblicher Abgeordneter im deutschen Bundestag ebenso wie in zahlreichen Landtagsparlamenten ist in den vergangenen Legislaturperioden zurückgegangen oder bestenfalls gleich geblieben.
In diesem Zusammenhang steht auch das gestrige Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, der nun in Deutschland zum ersten Mal über das Thüringer Paritätsgesetz entschieden hat und dieses für verfassungswidrig erklärt hat. (In Thüringen selbst war der Anteil weiblicher Abgeordneter nach den Landtagswahlen von 2014 mit 41% an der Spitze in Deutschland, ist aber in den vergangenen Wahlen von 2019 wieder auf 31 Prozent geschrumpft.) In Brandenburg wird über ein ähnliches Gesetz im August verhandelt, und auch in anderen Bundesländern ebenso wie innerhalb von Parteien finden Diskussionen über das Thema statt. Es lohnt sich auch deshalb, sich die Sache genauer anzusehen.
Das Thema spaltet, soviel ist klar. Es spaltet nicht nur, aber auch die Geschlechter. Die Thüringer Entscheidung erging mit den Stimmen von sechs männlichen Richtern gegen drei Stimmen, welche die beiden Richterinnen am Gerichtshof miteinschlossen. Pointiert gesagt: Ein männlich dominiertes Gericht sichert verfassungsrechtlich, dass die die männliche Dominanz im Landtag weiterbestehen darf.
Man kann über Paritätsgesetze mit guten Gründen streiten. Man sollte dies aber mit guten Argumenten tun. In der deutschen Diskussion dazu ist das bisher nicht immer auch der Fall. Dieses Symposium soll einen Beitrag dazu leisten, dies zu ändern – und dabei auch neue Stimmen aus dem Ausland und den Sozialwissenschaften miteinbeziehen, die im bisherigen Kampf ums Recht oft fehlten oder eine marginale Rolle spielten.
Das sollte sich ändern. Denn zwar entscheidet deutsches Recht über die Frage der Vereinbarkeit der Paritätsgesetze mit den jeweiligen verfassungsrechtlichen Maßstäben, es geht aber in der Diskussion im Kern um Fragen der Demokratie und Gleichheit. Weder Demokratie noch Gleichheit sind originär deutsche Werte und Prinzipien, sondern internationale. Sie sollten deshalb auch im Lichte internationaler und europäischer Entwicklungen analysiert werden. Wenn in anderen Demokratien in Europa und anderswo Quotenregelungen zunehmend als Teil von Demokratie begriffen werden – wie in einem kürzlich erschienen Beitrag hier bereits kurz angerissen wurde (siehe detaillierter Rubio-Marin & Lépinard, Transforming gender citizenship: The irresistible rise of gender quotas in Europe) – so sollte uns das zumindest zur Selbstreflektion und zum Nachdenken anhalten, wie auch der frühere Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde bereits in der Vergangenheit betont hat. Man mag dem Demokratieverständnis in anderen Ländern nicht zustimmen, aber man sollte dieses jedenfalls zur Kenntnis nehmen. Urteile, wie jene, dass Paritätsgesetze, „offensichtlich“ oder notwendigerweise mit der Demokratie unvereinbar seien, sind deshalb nicht überzeugend, jedenfalls für all jene, die den Blick über den nationalen Tellerrand wagen.
Ein Blick ins Ausland genügt aber nicht. Es geht auch um eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Recht wie dem politischen Kontext, im In- und Ausland. Verfassungsrecht ist – dies macht gerade die aktuelle Diskussion deutlich – nicht politisch neutral. Eine sinnvolle Debatte um verfassungsrechtliche Maßstäbe erfordert zugleich auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, warum die Zahlen weiblicher Abgeordneter in Deutschland stagnieren oder sinken. Die sozialwissenschaftliche Literatur macht eines klar: Die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik hat strukturelle Gründe. Und angesichts dessen dürfen Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, der die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau fordert, ebenso wie seine landesverfassungsrechtlichen Parallelnormen nicht einfach beiseite gewischt werden. Rein formale Gleichheit genügt danach gerade nicht. Was das für die Politik und das Recht bedeutet, dazu werden wir in diesem Symposium noch einiges hören. Aber man muss sich dazu jedenfalls verhalten – anders als, soviel vorab, die Thüringer Entscheidung, die dieses Gebot praktisch leerlaufen lässt, im Unterschied zum Landesparlament.
Neben den grundgesetzlichen und landesverfassungsrechtlichen Regelungen spielt schließlich auch die Diskussion über das Verhältnis von Gesetzgeber und Verfassungsgerichten mit in die Diskussion hinein. Im Streit von Juristen und Juristinnen über das Verhältnis von Demokratie und Gleichberechtigung gehen solche institutionellen Erwägungen oft verloren. In Brandenburg und Thüringen geht es aber genau um die Frage, was der Gesetzgeber darf und was nicht. Das ist eine andere Frage als jene, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet wäre, Paritätsregelungen zu erlassen, die oft mitverhandelt scheint, aber rechtlich nicht den Streitgegenstand bildet.
Zu all diesen und verwandten Themen werden wir in den nächsten Tagen und Wochen von verschiedenen Autorinnen und Autoren hören und begrüßen dabei gerade auch neue Stimmen in der Debatte.
Mit guten Argumenten solle gestritten werden – nur schade, dass die Autorinnen sich an ihren eigenen Appell nicht halten, indem sie von einem „männlich dominierten Gericht“ sprechen, dass die „männliche Dominanz“ im Landtag sichere.
Es ist zwar eine rechtssoziologische und historische Binse, dass die personelle Zusammensetzung von Gerichten die gerichtlichen Entscheidungen beeinflusst. Daraus kann die politische Forderung abgeleitet werden, Gerichte möglichst vielfältig zu besetzen.
Eine andere Frage ist es aber, ob die akademische Kritik eines konkreten Urteils auf die Richter und Richterinnen persönlich (hier: auf ihr Geschlecht) zielen sollte, wie es die Autorinnen unternehmen: Dies mag gerechtfertigt sein, wenn es ausnahmsweise greifbare Anhaltspunkte gibt, dass sich ein Urteil nicht an rechtlichen Maßstäben orientiert, sondern von der Mehrheit des Spruchkörpers „in eigener Sache“ getroffen worden ist.
Solche Anhaltspunkte zeigen die Autorinnen aber nicht auf und sind m. E. auch der Urteilsbegründung nicht zu entnehmen. Es bleibt damit ein Versuch der Delegitimation des Gerichts, der ziemlich plump daherkommt und auch gefährlich ist. Gefährlich, weil er auf jede x-beliebige Entscheidung eines Instanzgerichts – wo meist die Einzelrichterin entscheidet – übertragbar ist: Zu weiblich die Familienrichterin, die mir das Umgangsrecht mit meinem Kind versagt hat, zu weiß der Strafrichter, der den Menschen mit Migrationsgeschichte verurteilt hat, usw. usf. Außerhalb der akademischen Sphäre wird schon lange so „argumentiert“. Dem sollte nicht weiter Vorschub geleistet werden.