Der unsichtbare Dritte
Mitbetroffenheit und Pressefreiheit bei staatlichen Abhörmaßnahmen
Rund ein halbes Jahr hat die Münchener Generalstaatsanwaltschaft einen Telefonanschluss abhören lassen, der von der Klimaschutzinitiative „Letzte Generation“ als sog. „Pressetelefon“ genutzt wurde. Der von November 2022 bis April 2023 durchgeführten Maßnahme lagen genehmigende Entscheidungen des Amtsgerichts München aufgrund eines Ermittlungsverfahrens wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zugrunde. Nach Bekanntwerden des Vorgangs sind seitens betroffener Journalisten mehrere Anträge auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahmen gestellt worden, die das Amtsgericht München im November 2023 zurückwies; dagegen gerichtete sofortige Beschwerden zum Landgericht blieben ebenfalls erfolglos; sie wurden Ende Juli „als unbegründet verworfen“.1) Inzwischen haben mehrere Journalisten Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben. Das ist zu begrüßen, denn die Maßnahmen gegen Journalist*innen werfen Fragen auf, die im Lichte der Pressefreiheit grundsätzlicher Klärung bedürfen.
Ein Vorrang des Strafverfolgungsinteresses?
Das Landgericht München I prüft in zwei Schritten, ob (1) die Maßnahme grundsätzlich zulässig gewesen ist und (2) die Art und Weise der Durchführung den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben entsprach. Mit Blick auf den erstgenannten Punkt bejaht das Gericht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen und die Maßnahme verhältnismäßig sei. Nach Ansicht des Landgerichts bestand der hinreichende Verdacht, dass eine kriminelle Vereinigung vorliegt. Hieraus ergibt sich das Vorliegen der Voraussetzungen einer „Katalogtat“ i.S.v. § 100a StPO, die auch hinreichend schwer wiege (§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Weiter sei die Abhörmaßnahme auch unter Berücksichtigung der möglichen Betroffenheit von Medienvertreter*innen verhältnismäßig, da das Strafverfolgungsinteresse überwiege. Zwar handele es sich um einen „tiefgreifenden Eingriff“, dieser habe sich aber nicht „direkt gegen Medienvertreter“ gerichtet; zudem bilde die Darstellung der Aktionen der „Letzten Generation“ in der Öffentlichkeit einen wesentlichen Baustein in deren Strategie.
Damit hat das Gericht in der Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechten den „staatlichen“ Belangen einen Vorrang gegenüber kollidierenden Rechtspositionen Dritter eingeräumt, was angesichts des im Ausgangspunkt gewichtigen Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung einer effektiven Strafverfolgung auch grundsätzlich möglich ist.2) Allerdings ist der hier in Rede stehende Sachverhalt insofern durch Besonderheiten gekennzeichnet, als die betreffende Vereinigung sich im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements verortet und gerade darauf zielt, öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Aktionen zu erreichen; dies erfordert Öffentlichkeitsarbeit in Form von Pressekontakten, denen der abgehörte Anschluss diente. Damit betrifft der Vorgang sowohl die Öffentlichkeitsarbeit der Organisation als auch die Tätigkeit der Journalist*innen am anderen Ende der Leitung. Hierdurch werden mehrere Fragen zu den grundrechtlichen Anknüpfungspunkten und ihren Auswirkungen auf das einfache Recht aufgeworfen. Die darauf vom Landgericht München I gegebenen Antworten weichen diesen Fragen über weite Strecken aus und vermögen deshalb nicht zu überzeugen.
Was macht das mit der Presse?
Da es sich bei dem abgehörten „Telekommunikationsendgerät“ um ein der Kommunikation mit Medien dienendes „Pressetelefon“ handelte, kommt der Pressefreiheit (Art. 5 Abs 1 Satz 2 GG) zentrale Bedeutung zu. Das Landgericht München I nimmt das Grundrecht zwar in den Blick, stellt es aber sogleich gegenüber dem Strafverfolgungssinteresse trotz einer als „intensiv“ bezeichneten Betroffenheit hintan, was zu – teilweise scharfer – Kritik von Betroffenen geführt hat (siehe etwa hier, hier und hier).
Mit dem Abhören von Telekommunikationseinrichtungen geht einher, dass Dritte von der Maßnahme notwendig mitbetroffen sind, weil (Tele-)Kommunikation typischerweise mit anderen Personen erfolgt. Unter den Voraussetzungen, unter denen die Überwachung einer Zielperson – etwa einer tatverdächtigen Person (§ 100a Abs. 1 und Abs. 3 Var. 1 StPO) – zulässig ist, werden daher zugleich dritte Personen überwacht, die mit der Zielperson – aus welchen Gründen auch immer – kommunizieren. Im Gesetz heißt es dazu etwas lapidar, dass eine Datenerhebung auch in Bezug auf unvermeidbar mitbetroffene Dritte möglich ist;3) ähnliche Regelungen finden sich im Gefahrenabwehrrecht.4) Zusätzliche Anforderungen gelten erst, wenn Dritte die Zielpersonen einer Überwachungsmaßnahme sind (§ 100a Abs. 3 Var. 2 StPO); in diesem Falle geht mit der Erhebung einer größeren Menge an personenbezogenen Daten der drittbetroffenen Person zugleich eine intensivere Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einher.
Soweit die Kommunikation auch zeugnisverweigerungsberechtigte Personen wie etwa Pressevertreter*innen betrifft, existiert zudem eine ausdifferenzierte gesetzliche Regelung (§ 160a Abs. 2 StPO), die der Bundesgesetzgeber im Jahr 2008 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts5) – namentlich die Entscheidung zur Herausgabe der Handy-Verbindungsdaten von Journalisten6) – geschaffen hat. Diese Regelung ist auch nach Auffassung des Landgerichts München I unabhängig davon anzuwenden, ob Medienvertreter*innen die Zielperson einer Maßnahme bilden oder deren Kommunikation im Rahmen einer gegen andere Personen gerichteten Maßnahme (voraussichtlich) mit erfasst werden wird.7)
In dieser Vorschrift manifestiert sich, dass in Abhörmaßnahmen, von denen Pressevertreter*innen betroffen sind, zugleich eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit zu sehen ist. Zwar wird durch eine solche staatliche Maßnahme die Tätigkeit der Presse unmittelbar weder ver- noch behindert. Typischerweise ist mit einer solchen Maßnahme daher keine spezifisch handlungsbezogene Grundrechtsbeeinträchtigung verbunden, so dass die (einmalige) Miterfassung eines Gesprächs mit einer dritten Person und damit deren „unvermeidbare Mitbetroffenheit“ als grundrechtlich (jedenfalls) weniger bedeutend angesehen werden kann. Wird etwa von einem abgehörten Telefon eine Pizza bestellt, lässt sich dies kaum als Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Lieferdienstes einordnen. Mit Blick auf die Presse liegen die Dinge aber anders, denn zu deren Funktionsbedingungen gehört, dass auch die Informationsbeschaffung frei von staatlichen Interventionen bleibt. Geschützt sind daher auch die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen der Presse und den Informant*innen sowie ferner der Kontakt zu Personen, die selbst Gegenstand der Berichterstattung sind.8) Aus dieser Perspektive macht es aber keinen Unterschied, ob die „Abschöpfung“ von Informationen mit Blick auf Pressevertreter*innen als Zielpersonen oder bei Gelegenheit einer auf andere Personen zielenden Maßnahmen erfolgt.
Mit der Überwachung des Pressetelefons geht daher auch nach Auffassung des Landgerichts München I eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit einher. Diese wird nicht zuletzt deshalb als nachrangig gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse angesehen, weil das Gericht es für einen abwägungsrelevanten Gesichtspunkt hält, dass die Abhörmaßnahme sich nicht „direkt“ gegen Pressevertreter*innen gerichtet habe. Mit dieser Erwägung wird auf das eigentlich überwunden geglaubte Kriterium der „Finalität“ – ein führender Untoter der deutschen Grundrechtsdogmatik – zurückgegriffen, um die Nachrangigkeit der Einwirkung auf eine grundrechtlich geschützte Betätigung mit dem Universalargument zu begründen, dass es den staatlichen Stellen auf diese Wirkung eigentlich gar nicht angekommen sei. Das ist schon deshalb wenig überzeugend, weil es dem Staat bei eingreifendem Tun niemals gerade auf die eingreifende Wirkung ankommen kann, denn diese ist kein (Selbst‑)Zweck staatlichen Handelns, sondern Nebeneffekt einer Maßnahme zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben wie etwa der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr. Eine zwangsläufig und voraussehbar mit staatlichem Handeln einhergehende Wirkung kann daher nicht schon deshalb gerechtfertigt sein, weil es den handelnden staatlichen Stellen nicht primär auf diesen Effekt angekommen ist.9)
Wie kriminell muss eine Vereinigung sein?
Die Voraussetzungen für eine Abhörmaßnahme gem. § 100a StPO liegen nach Ansicht des Landgerichts München I deshalb vor, weil es hinreichende Anhaltspunkte dafür gebe, dass es sich bei der Gruppe „Letzte Generation“ um eine kriminelle Vereinigung i.S.v. § 129 StGB handelt. Dem zugrunde liegen in erster Linie Blockadeaktionen im öffentlichen (Straßen-)Raum, die zum (maßgeblichen) Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung auch nach Ansicht des Landgerichts das Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ prägten.
Die Strafbarkeit dieser Blockadeaktionen wurde und wird etwa unter dem Aspekt der Nötigung oder des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte diskutiert. Unabhängig von grundsätzlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von § 129 StGB lässt sich an der Bezugnahme auf diese Tatbestände ablesen, dass die Strafnorm des § 129 StGB ermöglicht, die (organisierte) Begehung von Straftaten, die isoliert betrachtet womöglich nur als eingeschränkt bedeutsam erscheinen, auf die Ebene der schweren Kriminalität zu heben. Dies beruht nicht zuletzt darauf, dass der deutsche Gesetzgeber den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung ohne hinreichende Notwendigkeit über die unionsrechtlichen, auf die organisierte (Wirtschafts-) Kriminalität zielenden Vorgaben hinaus ausgedehnt und damit erst eine Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organisationen möglich gemacht hat. Während nämlich das Unionsrecht „kriminelle Vereinigungen“ dahingehend definiert, dass deren Tätigkeit darauf gerichtet sein muss, „sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“,10) hat der deutsche Gesetzgeber auf diese Wendung verzichtet. Auch reicht nach § 129 StGB aus, dass die Bezugstat „im Höchstmaß“ mit einer Strafe von mindestens zwei Jahren bedroht ist, während der EU-Rahmenbeschluss vier Jahre vorsieht; das „Höchstmaß“ der Strafe für Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beträgt drei Jahre, bei der Sachbeschädigung zwei Jahre.
Dass Blockadeaktionen den Tatbestand der genannten Delikte erfüllen, lässt sich zudem nicht generalisierend feststellen. Entgegen den tendenziell atavistischen Vorstellungen mancher Gerichte ist der öffentliche Straßenraum nicht in erster Linie dem Zweck der Fortbewegung mittels des (motorisierten) Individualverkehrs gewidmet, sondern zugleich ein Kommunikationsraum. Die Behinderung des Straßenverkehrs durch Demonstrationen ist daher eine sozialadäquate Beeinträchtigung, mit der im Alltag zu leben ist. Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind „unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter“ verbunden.11) Auch entfällt der Schutz der Versammlungsfreiheit nicht dadurch, dass eine Demonstration nicht angemeldet wird.12) Andererseits umfasst das durch Art. 8 Abs. 1 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht u. a. über Ort und Zeitpunkt einer Veranstaltung nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben.13) Ob eine strafbare Nötigung vorliegt, kann daher nur auf Basis einer Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles festgestellt werden.
Vor diesem Hintergrund muss es Bedenken begegnen, wenn das Landgericht München die Summe der einzelnen Vorwürfe gleichsam „aufaddiert“ und hieraus eine im Einzelfall schwer wiegende Tat (§ 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO) ableitet. Nicht überzeugend ist ferner die Annahme, dass von den Aktivitäten der „Letzten Generation“ deshalb erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit ausgingen, weil der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt werde, mit denen die Vereinigung versuche, sich über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe zu stellen. Eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit lässt sich mit einer solchen Erwägung kaum begründen.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Lässt sich ein entsprechender Anfangsverdacht vertretbar bejahen, ermöglicht dies Ermittlungsmaßnahmen mit erheblicher Relevanz für die (Privat-) Sphäre der Betroffenen sowie auch mit Rückwirkungen auf Dritte wie etwa die hier in Rede stehenden Pressevertreter*innen, die allein aufgrund der Bezugstaten nicht möglich wären. Dass Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich dem Bereich des „passiven Widerstands“ zuordnen lassen, den Rückgriff auf ein solches Arsenal rechtfertigen, muss grundsätzlich bezweifelt werden.
… und dann ist da noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip
Damit angesprochen ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung unterliegt auch im Falle einer schweren Straftat (i.S.v. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 StPO) einer Gegenkontrolle unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit. Für Ermittlungsmaßnahmen, die (auch) zeugnisverweigerungsberechtigte Personen wie etwa Journalist*innen betreffen, hat der Gesetzgeber hierfür in § 160a Abs. 2 StPO steuernde Vorgaben gemacht. So ist „im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen“, wenn betroffene Personen über die in Rede stehenden Informationen das Zeugnis verweigern dürften (§ 160a Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 StPO). Ferner überwiegt nach § 160a Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 StPO das (Strafverfolgungs-)Interesse an einer Abhörmaßnahme mit Bezug (u.a.) zu Pressevertreter*innen „in der Regel“ dann nicht die grundrechtsradizierten Belange der Betroffenen, wenn das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung – zu denen (jedenfalls) die in § 100a Abs. 2 StPO genannten Delikte zählen14) – betrifft. Fehlt es an einer Straftat von erheblicher Bedeutung, hat demnach das gegenläufige Interesse der Betroffenen an einem Unterbleiben der Maßnahme typischerweise Vorrang. Drehte man den Satz um, ergäbe sich hingegen, dass bei Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung dem Strafverfolgungsinteresse der Vorrang gebührt.15) Der Wortlaut der Norm besagt indes nur, dass bei Vorliegen einer Katalogstraftat die (Regel-) Vermutung für den Vorrang grundrechtlich gewährleisteter Belange nicht eingreift; in diesen Fällen bleibt daher Raum für eine umfassende Abwägung.16) Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht der Vorschrift ihre Verfassungsmäßigkeit bescheinigt, weil die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten zu den wesentlichen Aufgaben eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens gehört.17)
Auch das Landgericht München I akzeptiert im Ausgangspunkt, dass weder der Medienfreiheit noch dem Strafverfolgungsinteresse „abstrakt ein eindeutiger Vorrang“ zukomme. Gleichwohl läuft die Abwägung des Gerichts im Ergebnis auf eine Umkehrung der Vermutungsregel in § 160a Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 StPO hinaus, da im Kern damit argumentiert wird, dass ein hinreichend konkreter Tatverdacht für eine im Einzelfall schwer wiegende Tat sowie tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorlagen. Das führt über den Ausgangspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht wesentlich hinaus.
Den Erwägungen zur Angemessenheit der Abhörmaßnahme muss im Übrigen die Prüfung vorausgehen, ob die Maßnahme überhaupt geeignet und erforderlich war. Auch dies hat der Gesetzgeber besonders hervorgehoben, indem 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO vorsieht, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss. Für die Annahme des Landgerichts, dass das Abhören des „Pressetelefons“ geeignet und erforderlich war, um das „strukturelle Zusammenwirken“ einer sich „konspirativ“ verhaltenden Gruppierung zu erhellen, fehlt es indes an einer überzeugenden Begründung. Die Entscheidung verbleibt vielmehr im Ungefähren, wenn etwa ausgeführt wird, dass es angezeigt gewesen sei, zu versuchen, „Strukturen und Arbeitsweisen“ der „Letzten Generation“ zu erforschen. Offenbar waren die greifbaren Ergebnisse trotz der Erhebung zahlreicher Daten im Rahmen einer länger andauernden Maßnahme denn auch überschaubar. Das Gericht verweist insbesondere auf die Feststellung, dass das „Presseteam“ von Aktivist*innen über den abgehörten Anschluss vom bevorstehenden Beginn einzelner Protestaktionen informiert wurde. Im Übrigen wurde das „Pressetelefon“ im Wesentlichen für Anfragen von Medienvertreter*innen und anderen dritten Personen genutzt. Das hätte man eigentlich vorher wissen können.
Eine (Zwischen-) Bilanz
Im Ergebnis gibt der hier erörterte Sachverhalt Anlass zu erheblichen Bedenken im Hinblick auf die Voraussetzungen des Abhörens eines der Kommunikation mit Journalist*innen dienenden Telefons. Dies betrifft sowohl die Voraussetzungen von § 100a StPO als auch die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme. Aufgrund der eingelegten Verfassungsbeschwerden mehrerer Journalisten darf eine grundsätzliche Klärung dieser Fragen durch das Bundesverfassungsgericht erwartet werden.
References
↑1 | Beschl. v. 29.07.2024 – 2 Qs 33/23. |
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↑2 | Vgl. BVerfGE 129, 208 (260). |
↑3 | §§ 100b Abs. 3 Satz 2, 100c Abs. 2 Satz 3; 100f Abs. 3, 100h Abs. 3, 100i Abs. 2 Satz 1, 163f Abs. 2 Satz 1 StPO. |
↑4 | Z.B. §§ 26 Abs. 1 Satz 2, 27a Abs. 2 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 2 BPolG. |
↑5 | Vgl. BT-Drs. 16/5846, S. 23 f., 37. |
↑6 | Vgl. BVerfGE 107, 299 (332). |
↑7 | Vgl. Kölbel/Ibold in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 160a Rn. 16. |
↑8 | BVerfGE 107, 299 (330 f.). |
↑9 | Näher Koch in v. Coelln u.a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Sachs, 2024, S. 385 (395 f.). |
↑10 | Art. 1 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008. |
↑11 | BVerfGE 104, 92 (108). |
↑12 | Vgl. BVerfGE 69, 315 (351); BVerfG NJW 2011, 3020 (3022 in Rn. 33). |
↑13 | BVerfGE 104, 92 (108); s. ferner BVerfGE 73, 306 (250). |
↑14 | Kölbel/Ibold in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 160a Rn. 17. |
↑15 | In diese Richtung Gruske, Telekommunikationsüberwachung und Pressefreiheit, 2011, S. 71. |
↑16 | Kölbel/Ibold in Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2024, § 160a Rn. 18. |
↑17 | Vgl. BVerfGE 129, 208 (260). |