28 October 2024

Fruchtbare Irritationen

Das zweite Urteil des LG Erfurt zu Rechten der Natur

Am 2. August 2024 hat das Landgericht (LG) Erfurt als erstes deutsches Gericht Rechte der Natur (RdN) anerkannt. Diese können demnach in den Dieselfällen eine „schutzverstärkende“ Wirkung zugunsten der geschädigten Dieselfahrer*innen entfalten. Das Urteil hat – auch über Deutschland hinaus (etwa hier und hier) – für Aufsehen gesorgt. Teilweise wurde es als Durchbruch für den Umweltschutz gefeiert oder begrüßt als „wichtige[r] Beitrag“ (Johns, KlimR 2024, 277, 278) sowie „bemerkenswerte[r]“ Vorstoß, der allerdings „kritisch zu betrachten“ sei (Dänner/Fischer, NJW 2024, 3030, 3030 f.). Bei anderen rief das Urteil Irritationen hervor: Es handele sich um einen „wenig überzeugenden Versuch“, sei „unconvincing“, „[v]on der Anwendung des geltenden Rechts […] weit entfernt“, weise „handwerkliche Schwächen“ auf und stelle „den Gewaltenteilungs- und Demokratiegrundsatz zur Disposition“ (Neuner, ZfPW 2024, 127, 154). Am 17. Oktober hat das Gericht nun ein zweites ähnliches Urteil verkündet. Darin vertieft das Gericht die Begründung des ersten Urteils und geht teilweise auf die Kritiken ein. Das Urteil bietet daher die Gelegenheit, nochmals einen Blick auf die Besonderheiten der Erfurter Konstellation zu werfen. Diese Besonderheiten irritieren nicht nur die deutsche Rechtswissenschaft, sondern auch die Diskussionen über RdN – in produktiver Weise.

Hintergrund

Inhaltlich ähneln sich die beiden Urteile stark. Im zweiten Fall hatte der Kläger ein neues Wohnmobil gekauft, dessen Basisfahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies. Er nahm daher die Herstellerin des Basisfahrzeuges auf Schadensersatzanspruch in Anspruch, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (Rn. 19). In diesen Fällen besteht nach dem BGH ein Anspruch in Höhe von 5 bis 15% des Kaufpreises (Rn. 21). Das LG Erfurt zieht nun RdN heran, um die konkrete Höhe des Anspruchs zu bestimmen. Die aus der EU-Grundrechtecharte (GRCh) ableiteten RdN (Rn. 27) verstärkten den Schutz der Dieselkäufer*innen und erhöhten somit den Anspruch (Rn. 25). Dass die GRCh nicht nur menschliche, sondern auch ökologische Personen berechtigt (siehe die Begründung in Rn. 52 ff.), ist dabei durchaus vertretbar (Fischer-Lescano ZUR 2018 205, 215), stellt allerdings eine Mindermeinung dar. Um diese Frage soll es hier nicht gehen.

Die Erfurter Urteile betreten dabei nicht nur deshalb Neuland, weil sie erstmals in Deutschland RdN anerkennen (so ausdrücklich Rn. 101). Die Konzeption von solchen Rechten als schutzverstärkend in zivilrechtlichen Verfahren ist – soweit ersichtlich – auch international ein Novum. Nicht alle kritischen Beiträge scheinen jedoch die Besonderheiten dieser Konstellation ausreichend zu würdigen.

Private Enforcement

Immer zahlreicher werden die Fälle aus aller Welt, in denen Gerichte zu Fragen der Natur als Rechtsträgerin urteilen. Dabei stellen die Gerichte in aller Regel direkte Verpflichtungen zugunsten der Natur fest und mahnen etwa konkrete Schutzmaßnahmen oder den Stopp von Bergbauprojekten an. Ob der Natur als Rechtsträgerin auch finanzielle Ersatzansprüche zustehen können, wird jedenfalls diskutiert (Dänner/Fischer, NJW 2024, 3030, 3033). Solche Fälle scheint auch Wagner vor Augen zu haben, wenn er in Bezug auf das erste Erfurter Urteil moniert, dass „Eigenrechte der Natur“ nicht dazu geeignet seien, „Autokäufern wie im Streitfall zu Geld zu verhelfen, sondern allenfalls dazu, Schäden an Naturgütern zu restituieren.“

Eine Restitution der Natur steht in Erfurt allerdings gerade nicht in Frage, die Fälle sind grundlegend anders gelagert als die klassische RdN-Konstellation. Hier bekommt nicht die Natur etwas zugesprochen, sondern Menschen – die RdN wirken „schutzverstärkend“ im Rahmen menschlicher Ansprüche, hier aus § 823 Abs. 2 BGB (Rn. 25). Am ehesten lässt sich diese Konstellation mit Urteilen aus der frühen Rechtsprechung ecuadorianischer Gerichte vergleichen, die RdN eher beiläufig erwähnten, wenn sie die Verletzung menschlicher Verfassungsrechte prüften. Auch hier schienen die RdN menschliche Rechte zu verstärken (Gutmann, S. 196 m.w.N.).

Im jüngsten Urteil stellt das LG Erfurt nochmals ausdrücklich dar, dass es sich bei seiner Konstruktion um ein „private enforcement“ der europarechtlichen RdN handelt (Rn. 30). Die Tür hierfür hatte der EuGH geöffnet, indem er judizierte, dass die Sanktionen für Abgasmanipulationen unter anderem abschreckend sein müssen (Rn. 90). Diese EU-rechtlich indizierte Abschreckungswirkung, so der BGH, sei bei der Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 ZPO in den Dieselfällen zu berücksichtigen (Rn. 80). Die Sanktionen sollen letztlich „in ihrer Gesamtheit eine Verhaltensänderung im Sinne der Einhaltung aller Rechtsakte bewirken“ (Rn. 81). Auch der BGH scheint also davon auszugehen, dass der Schadensersatzanspruch nicht nur eine Reparationsfunktion für die Dieselfahrer*innen hat, sondern zugleich das Interesse der Allgemeinheit verfolgt, zukünftige Rechtsverstöße zu verhindern.

Die RdN stellen dabei kein obiter dictum dar (so aber Johns, KlimR 2024, 277, 278). Indem sie in die Bestimmung der konkreten Schadensersatzhöhe einfließen, wirken sie sich direkt aus – auch wenn sich dies aufgrund der Gesamtabwägung bei der Schadensschätzung nicht beziffern lässt und die symbolische Bedeutung nicht abzustreiten ist.

Letztlich liegt dem ein Präventionsgedanke zugrunde. Der erhöhte Schadensersatz soll in den Erfurter Dieselfällen nicht die Natur entschädigen, sondern die manipulierenden Unternehmen sanktionieren (Rn. 24) und diese im Interesse der Natur von weiteren Verstößen abhalten (Rn. 100). Dass dem Deliktsrecht eine solche Funktion zukommt, wird jedenfalls in europarechtlich determinierten Konstellationen für möglich gehalten (etwa Wagner, MüKo BGB, 9. Aufl. 2024, Vor § 823 Rn. 48 ff.).

Vor diesem Hintergrund vermag die Kritik, dass das erste Erfurter RdN-Urteil die konkreten Schäden für die Natur nicht festgestellt hatte, nicht zu überzeugen. Inhalt war gerade keine Restitution konkreter Schäden der Natur. Dass erhöhte Stickstoffemissionen auch für die Natur schädlich sind, dürfte hingegen unstrittig sein und wird im zweiten Urteil nun auch mit verschiedenen Nachweisen belegt (Rn. 97).

Freilich führt ein solches private enforcement hier zu teilweise kontraintuitiven Mitnahmeeffekten, da Einzelpersonen von im Interesse der Natur erfolgenden Präventionsmaßnahmen finanziell profitieren. Diese Fragen stellen sich allerdings grundsätzlich, also unabhängig von der Anerkennung von RdN. RdN können diese Mitnahmeeffekte allenfalls verstärken, da sie den Kreis der Rechtspositionen, zugunsten derer Prävention erfolgen kann, erweitern. Dennoch ist das Konzept eines private enforcement über Schadensersatzansprüche sicherlich kritisch zu diskutieren.

Ökozentrismus?

Auch die Kritik, die Erfurter Anerkennung von RdN konterkariere „die ökozentrische Zielrichtung des Konzepts“ (Haake), scheint die Spezifika der Diesel-Konstellation nur unzureichend zu erfassen. Umgekehrt ließe sich argumentieren, die Natur würde gerade dadurch ins Zentrum gerückt, dass ihre Rechte potenziell in jedem Fall zu berücksichtigen sind – selbst wenn sie von den Parteien nicht ausdrücklich gerügt werden.

In Erfurt verdrängte die Natur die menschlichen Parteien gewissermaßen aus dem Zentrum des Rechtsstreits. Im zweiten Urteil führt das LG nun auch ausdrücklich aus, dass es keiner Entscheidung zwischen Anthropozentrismus und Ökozentrismus bedarf (Rn. 83). Ohnehin ist zweifelhaft, ob es zielführend ist, RdN als eine Verschiebung des Rechts von einem anthropozentrischen hin zu einem rein ökozentrischen Recht zu verstehen.

Im Kontext der RdN scheint es weniger darum zu gehen, den Menschen im Zentrum des Rechts durch die Natur zu ersetzen. Vielmehr rücken gerade RdN, die wie etwa in Ecuador auf indigene Wissensformen rekurrieren, die Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Entitäten in den Vordergrund. Solche Vorstellungen gehen gerade nicht von einem ökozentrisch konzipierten Zentrum aus, sondern setzen an netzwerkartigen Relationen an (Gutmann, S. 76 f.). Auch in anderen Rechtsordnungen wollen RdN gerade diese Beziehungen zwischen Mensch und Natur in den Vordergrund rücken. Weniger als um eine Auswechselung der Zentrismen geht es im Sinne eines Konvivialismus darum, „zukunftsfähiges Zusammenleben der Menschen im Einklang mit der Natur in einer biodiversen Lebenswelt zu ermöglichen“ (Kersten, NVwZ 2024, 614, 620). Dass RdN in alle Rechtsbeziehungen – auch zwischen Privaten – ausstrahlen, ist für ein solches Verständnis anschlussfähig. Schließlich ist kaum ein Rechtsverhältnis denkbar, das sich nicht in irgendeiner Weise auf die nichtmenschliche Natur auswirkt.

Das Erfurter Urteil begründet ein solche Ausstrahlungswirkung über eine Drittwirkung der RdN aus der GRCh und geht dabei sogar von einer unmittelbaren Horizontalwirkung zwischen Privaten aus (Rn. 95). Jedenfalls eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte aus der GRCh ist ganz überwiegend anerkannt (Jarass, Art. 51 Rn. 38 f.; Schwerdtfeger, Art. 51 Rn. 58 f.; Hatje, Art. 51 GRCh, Rn. 22). Die Grundrechte sind also bei der Auslegung einfachen Rechts zu berücksichtigen. Geht man – wie das LG Erfurt – davon aus, dass die GRCh Grundrechte der Natur enthält, ist ohne weiteres einsichtig, dass diese im Anwendungsbereich der Charta auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten berücksichtigungsfähig sind (a.A. Haake), ohne, dass es dafür im konkreten Fall einer unmittelbaren Drittwirkung bedarf.

Stellvertretung

Indem das LG Erfurt die RdN über eine Drittwirkung der GRCh etabliert, kann es das „gewichtige Problem der Repräsentanz“ (Rn. 78) offen lassen. Die Natur benötigt in dieser Konstellation gerade keine Stellvertreter*innen, sondern ist „von Amts wegen zu berücksichtigen“ (ebd.). Dass das Gericht diese Frage im ersten Urteil nicht thematisiert hatte, war auf Kritik gestoßen (Johns, KlimR 2024, 277, 278).

Die Frage der Stellvertretung der mit Rechten ausgestatteten Natur bewegt offenbar die Gemüter. Anstatt reflexartig auf die hierbei zweifelsohne entstehenden Schwierigkeiten zu verweisen, empfiehlt sich ein Blick in die verschiedenen Rechtsordnungen, die diese Frage auf höchst unterschiedliche Weise lösen, oder die verschiedenen Vorschläge aus der Literatur (siehe etwa Bader-Plabst, S. 191 ff.).

Letztlich macht die Erfurter Konstruktion eine direkte Stellvertretung entbehrlich, was sie deutlich von den bislang bekannten Modellen für RdN unterscheidet. Dies bringt ihr jedoch andere Schwierigkeiten ein. So liegt es alleine in den Händen der Richter*innen, die Interessen der Natur zu eruieren. Wichtig bleibt also, kritisch zu reflektieren, wer hier auf welche Weise für die Natur spricht und ob etwa das deutsche Prozessrecht Möglichkeiten bietet, weitere Expertise (zum Beispiel über Sachverständige) heranzuziehen. Pauschal auf die Schwierigkeiten der Repräsentation zu verweisen blendet diese Fragen eher aus, statt eine fruchtbare Diskussion anzuregen.

Rechtsirritationen

Auch das zweite Erfurter Urteil rekurriert wieder umfassend auf Rechtsprechung aus anderen Ländern (Rn. 26). Dies mit dem Hinweis abzulehnen, dass es sich hierbei nicht um Mitgliedstaaten der EU handele, greift zu kurz. So spielt die Rechtsvergleichung gerade im Verfassungsrecht eine immer wichtigere Rolle für die Rechtsauslegung (Voßkuhle/Heitzer, JuS 2023, 312, 315). Susanne Baer ruft etwa in einem lesenswerten Essay dazu auf, die Verfassungsvergleichung auch in der Rechtsfindung zu stärken und postkolonial informiert zu betreiben: „Vergleichung nur der eigenen Klassiker, beschränkt auf den ‚Westen‘ oder ‚globalen Norden‘ indiziert tradierte Überheblichkeit oder schlicht Ignoranz“ (S. 34). Das neue Urteil aus Erfurt bezeichnet die vorgenommene Rezeption der Rechtsprechung aus dem Globalen Süden als „reverse legal transplant“ (Rn. 67).

Juristische Institute können dabei nie unverändert von einer Rechtsordnung in die andere transplantiert werden. Vielmehr lösen sie „Rechtsirritationen“ (Teubner) aus, die durchaus fruchtbar sein können. In diesem Sinne lässt sich das LG Erfurt von der globalen Debatte um RdN irritieren und irritiert damit gleichzeitig die deutsche Rechtswissenschaft.


SUGGESTED CITATION  Gutmann, Andreas: Fruchtbare Irritationen: Das zweite Urteil des LG Erfurt zu Rechten der Natur, VerfBlog, 2024/10/28, https://verfassungsblog.de/rechte-der-natur-erfurt-2/, DOI: 10.59704/ea9b28b3f091deae.

8 Comments

  1. Italo Disco Tue 29 Oct 2024 at 11:59 - Reply

    Denkaufgabe: Ist das Ziel eines Richters, mit seinem Urteil “fruchtbare Rechtsirritationen” auszulösen, mit dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar? Oder doch eher ein Fall für § 399 StGB?

    • Christine Ax Tue 29 Oct 2024 at 16:25 - Reply

      Ist es nicht die Aufgabe der Dritten Gewalt immer dann, wenn wir es mit einem offensichtlichen Staatsversagen zu tun haben, oder der Staat sich nicht an die eigenen Gesetze hält, das Recht zu retten, indem sie es weiter entwickelt? Hat nicht die Justiz in Deutschland nicht vor allem dann versagt, wenn sie dafür blind war? Die Würde des Menschen beruht auf seiner Fähigkeit und Pflicht den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und selber zu denken.

      • red.point Tue 5 Nov 2024 at 11:50 - Reply

        Das mag Teil der Aufgabe der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sein, in Fragen derart grundsätzlicher Bedeutung wohl v.a. BVerfG und BVerwG. Als Einzelrichter am Landgericht mal eben zentrale Konzepte unsere Rechtsstaats umstoßen zu wollen, spricht eher nicht für ein ausgeprägtes Verständnis von Rechtstaat und Gewaltenteilung.

  2. ca Tue 29 Oct 2024 at 12:16 - Reply

    Irritierend vor allem, dass jeweils ein Einzelrichter entschieden hat. Vgl. demgegenüber § 348a ZPO, wonach Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung der Zivilkammer zu übertragen sind. Aber was ist schon der gesetzliche Richter, wenn von Erfurt aus die Welt gerettet werden kann?

    • Italo Disco Thu 31 Oct 2024 at 12:56 - Reply

      Klassiker. Noch besser: Als Einzelrichter entscheiden und dann Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zulassen…

  3. Christine Ax Wed 30 Oct 2024 at 10:48 - Reply

    Prof. Dr. Sabine Schlacke (Energie- Umwelt- und Seerecht, Greifswald) Prof. Dr. Cathrin Zengerling (Umwelt und Natürliche Ressourcen, Freiburg) haben vor wenigen Tagen die historische Bedeutung der Rechtsentwicklung durch die Gerichte hervorgehoben. In einer Situation in der die Politik sich nicht an ihre eigenen Gesetze hält und ihrer erste Pflicht – Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten – nicht erfüllt, ermöglicht die Demokratie der Dritten Gewalt aktiv werden und die Aufgabe des Schutzes der Demokratie vor sich selber in Angriff zu nehmen. Dass die Justiz diese Pflicht nicht erfüllt, auch dafür gab es schon genügend Beispiele in der deutschen Geschichte.
    Dieses Staatsversagen – so der Befund der Juristinnen – wird ermöglicht und angefeuert durch eine Kombination von Politikversagen und ein Versagen der Medien. Obwohl wir wissen, dass Naturschutzmaßnahmen greifen, werden sie noch nicht einmal in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen umgesetzt. Dies hat auch mit der Schwäche des Rechts zu tun, die alleine dem Staat das Recht einräumt, für die Wiederherstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes zu klagen. Dass die Verbandsklage nicht ausreicht, daran etwas zu ändern, davon sind vor allem die Verbände überzeugt, die dieses Privileg hätten. Der BUND beschreitet jetzt daher den Weg der Verfassungsbeschwerde. Die Anerkennung der Rechte der Natur und das Recht im Namen der Natur zu klagen, ist ein Ausweg aus dieser tiefen Krise.
    Überall auf der Welt haben Teile der Zivilgesellschaft dies verstanden, und versuchen durch Anrufung der Gerichte und mit rechtsstaatlich legitimen Mitteln diesen Ausweg zu beschreiten. Dort wo die Rechte der Natur in der Verfassung verankert sind oder Gerichte die Rechte der Natur anerkannt haben, haben sie bemerkenswerte Erfolge erzielt.

    Bei der Abwägung der Ergänzung der deutschen Verfassung um die Rechte der Natur oder auch ein Grundrecht auf eine gesunde Natur, die beide ein Fortschritt wären, ist zu beachten, dass der Menschenrechtszugang die Achillesverse unserer Gesetzgebung nicht heilen kann. Der Nachweis, dass durch Eingriffe in die Natur ein Menschenrecht in Gefahr ist, ist – wie auch beim Klimaschutz – eine zu hohe Hürde.
    Seit Jahrzehnten stirbt die Natur leise und “stückchenweise”. Es sind die unzähligen kleinen Eingriffe, angefangen von Versiegelung über Bodenverdichtung und Übernutzung von Landschaften, Gewässern und Atmosphäre, die ihren schleichenden Tod herbeiführen. Doch: “Wo kein Kläger, da kein Richter”.
    Die Rechte der Natur können genau hier ansetzen. Das Recht der Natur auf Leben, verbunden mit einem Klagerecht für (sehr gerne) jedermann, kann den Weg zur ökologischen Weiterentwicklung des Rechts frei macht.

    Liegt es nicht in der Verantwortung eines jeden Bürgers, für die Rechte der Natur zu sorgen? Und wäre nicht genau das, ein guter Weg, seine Moralität zu stärken.
    Eine solche Stärkung der Demokratie und der Würde des Menschen, dessen überragende Stellung in unserem Grundgesetz auf der Annahme seiner Moralfähigkeit beruht, ist dringend erforderlich. Menschenrechte sind in diesem Sinne auch Menschenpflichten. Möge sich der Mensch dieser Anmutung würdig erweisen. Alles andere wäre eine unerträglich Zumutung. Dies gilt auch für Gerichte. Wir sind über jeden Richter glücklich, der in diesem Sinne seine juristischen Handlungsspielräume nutzt und an die Moralität und die Universalität des Rechtes glaubt.

  4. Erfolgswertgleichheit Thu 31 Oct 2024 at 11:24 - Reply

    Die Diskussion geht am Kern vorbei. Rechtssubjektivität ist nichts “Natürliches” und kann auch nicht durch irgendwelche Substanzargumente konstruiert werden. Sie wird durch Rechtsnormen verliehen. Rechtssubjekte sind in unserer Rechtsordnung (und nur die ist für den konkreten Fall maßgeblich) in erster Linie natürliche Personen und Personenmehrheiten. Man könnte, das BVerfG hat es vorgemacht, eine Konstruktion wählen, die auf Rechte natürlicher Personen AUF eine intakte Natur, ein intaktes Ökosystem etc. als Betätigungsraum konkreter Freiheit abstellt. “Rechte der Natur” sind schlicht deshalb unnötig und verraten ein befremdliches romantisch-animistisches Denken.
    Ein LG-Richter hat nicht für “Irritationen” zu sorgen oder seinem eigenen Geltungsdrang zu fröhnen, sondern den Fall nach dem in Deutschland (!) geltenden Recht und Gesetz (Art. 20 III GG) zu entscheiden.
    Im Übrigen heißt es mit Grund Rechts-ver-gleichung und nicht Rechts-an-gleichung.

  5. Lauberzehrling Wed 6 Nov 2024 at 14:52 - Reply

    Zwei haltlose Urteile.

    All diejenigen, die hier Hurra rufen, weil der Richter die angemessene Antwort auf ein staatliches Versagen gefunden haben soll, sollten sich einmal fragen, in welchen Bereichen der Staat außerdem schlecht aufgestellt ist. Und ob sie dort von Recht und Gesetz losgelöste Urteile ebenso begrüßen würden. Das Pendel schlägt in beide Richtungen aus, wie ein anderer Zivilrichter aus Thüringen unter Beweis gestellt hat.

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