Rechtsbruch mit Ansage
Warum ein Deutschlandbesuch von Ministerpräsident Netanjahu sowohl mit dem Völkerrecht als auch mit der Gewaltenteilung in Konflikt gerät
Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hat laut Medienberichten in einem Telefongespräch am Wahlabend gegenüber dem israelischen Premierminister Netanjahu eine Einladung nach Deutschland in Aussicht gestellt. Für den Fall eines Deutschlandbesuchs, so Merz auf einer Pressekonferenz nach der Wahl, habe er Netanjahu „Mittel und Wege“ zugesagt, dass „er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist.“ Schon vorher hat Merz erklärt, dass er „alles tun“ werde, um „eine entsprechende Vollstreckung dieses Spruchs des Internationalen Strafgerichtshofs abzuwenden.“ Sollte diese Einladung tatsächlich erfolgen, so würde die neue Bundesregierung damit jedoch in einen Konflikt mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) geraten und außerdem einen innerstaatlichen Gewaltenteilungskonflikt hervorrufen.
Eindeutige Festnahme- und Überstellungspflicht
Die 125 Vertragsstaaten des IStGH sind zur Kooperation mit diesem verpflichtet (Art. 86 IStGH-Statut). Diese Verpflichtung umfasst insbesondere die Vollziehung von IStGH-Haftbefehlen, vom IStGH gesuchte Tatverdächtige sind also festzunehmen und zu überstellen (Art. 89 IStGH-Statut) und zwar auf der Grundlage eines IStGH-Festnahme- und Überstellungsersuchens (Art. 91 IStGH-Statut). Die persönliche Immunität eines Staatsoberhaupts – als Teil der Troika von Staatsoberhaupt, Regierungschef und Außenminister (ILC Report 73. session, S. 206, para. 12) – hindert diese Verpflichtung nicht. Denn eine solche Immunität gilt zwar im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr (Internationaler Gerichtshof [IGH], Arrest Warrant Case, 14.2.2002, para. 58 ff. [70]), nicht aber vor dem IStGH (Art. 27 IStGH-Statut); dies hat auch der IGH anerkannt (Arrest Warrant Case, para. 61).1) Ein Vertragsstaat, der aufgrund eines IStGH-Haftbefehls eine Person verhaftet und gegebenenfalls an den IStGH überstellt, handelt nicht national, sondern im Auftrag des IStGH. Deshalb gilt die gleiche Immunitätsausnahme wie vor dem IStGH.
Nach der Rechtsprechung der IStGH-Berufungskammer gilt diese Immunitätsausnahme auch gegenüber Nicht-Vertragsstaaten (wie Israel und Russland) und zwar aufgrund von Völkergewohnheitsrecht (Prosecutor v. Al Bashir, Appeals Chamber, 6.5.2019, para. 103 ff.).2) Das kann man kritisch sehen,3) es ist aber die gefestigte Rechtsprechung des IStGH, die erst kürzlich anlässlich der Nicht-Festnahme von Präsident Putin in der Mongolei bestätigt wurde.4) Diese Rechtsprechung bindet auch die Gerichte von Vertragsstaaten, denn es geht, wie schon gesagt, um die Vollstreckung eines IStGH-Haftbefehls. Deshalb steht dem IStGH-Ersuchen auch keine Immunität eines betroffenen Drittstaats (sei es Israel oder Russland) i.S.v. Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut entgegen.
Als Zwischenergebnis ist also festzuhalten, dass Deutschland als IStGH-Vertragsstaat zur loyalen Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet ist. Dies gilt auch und insbesondere mit Blick auf die Durchsetzung von IStGH-Haftbefehlen – und zwar ohne Ansehen der Person.
Detaillierte und völkerrechtsfreundliche Umsetzung in Deutschland
Orientierung am Völkerrecht
Das deutsche Recht setzt diese völkerrechtlichen Vorgaben detailliert und IStGH-freundlich um. Zunächst stehen die in §§ 18-20 GVG in Bezug genommenen (völkerrechtlichen) Immunitätsregeln „der Erledigung eines Ersuchens um Überstellung und Rechtshilfe eines internationalen Strafgerichtshofes, der durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet wurde, nicht entgegen“ (§ 21 GVG). Dies gilt auch bei anderen Formen der Immunität, etwa aufgrund einer Einladung (§ 20 Abs. 1 GVG). Im Übrigen gilt – aufgrund des kürzlich verabschiedeten Gesetzes zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts – insoweit ohnehin eine Einschränkung funktioneller Immunität (jenseits Mitgliedern der Troika) bei Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (§ 20 Abs. 2 S. 2 GVG).
Pflicht zu Überstellung
Das im Jahre 2002 – zeitgleich mit dem IStGH-Statut – in Kraft getretene Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem IStGH (IStGHG) regelt die Einzelheiten der Zusammenarbeit Deutschlands mit dem Gerichtshof. Was die Vollstreckung von IStGH-Haftbefehlen angeht, so ordnet § 2 IStGHG – in Vollzug von Art. 89 Abs. 1, 91 Abs. 2, 3 IStGH-Statut – grundsätzlich die Pflicht zu Überstellung an. Im Übrigen ist zwischen Festnahme/Überstellungshaft und eigentlicher Überstellung zu unterscheiden. Zuständige Behörde gegenüber dem IStGH (insbesondere für Festnahme- und Überstellungsersuchen) ist das Bundesministerium der Justiz (BMJ) (§ 68 Abs. 1 IStGHG). Zuständig für Fahndungsmaßnahmen (§ 9 IStGHG) bezüglich einer vom IStGH verfolgten Person ist zunächst die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, nach der Ergreifung der Person die örtliche Generalstaatsanwaltschaft (§ 8 IStGHG).
Durchgriffswirkung des Haftbefehls und Festnahme
Das zuständige OLG (§ 12 IStGHG) ordnet die (vorläufige) Überstellungshaft an (§§ 10, 11 Abs. 1 IStGHG), wenn ein Festnahme- und Überstellungsersuchen des IStGH (§ 10 IStGHG i.V.m. Art. 91 Abs. 2 IStGH-Statut) bzw. ein Ersuchen um vorläufige Festnahme (11 Abs. 1 S. 1 IStGHG i.V.m. Art. 92 Abs. 2 IStGH-Statut) vorliegt; in letzterem Fall muss der IStGH das Festnahme- und Überstellungsersuchen innerhalb von 60 Tagen nachliefern, sonst ist der vorläufige Überstellungshaftbefehl aufzuheben (§ 11 Abs. 1 S. 2 IStGHG).
Wichtig ist, dass das OLG bei Vorliegen des IStGH-Ersuchens kein Ermessen hat (§§ 10, 11 Abs. 1 S. 1 IStGHG: „wird … angeordnet“) und ein IStGH-Haftbefehl – als echter internationaler Haftbefehl eines von Deutschland anerkannten internationalen Gerichts – grundsätzlich unmittelbar anwendbar ist (Durchgriffswirkung); die Transformation des IStGH-Haftbefehls in einen nationalen Überstellungshaftbefehl dient alleine der Rechtssicherheit.5) Die innerstaatliche Bindungswirkung des IStGH-Haftbefehls folgt auch aus § 11 Abs. 2 IStGHG, denn danach „kann“ (Ermessen) das OLG die vorläufige Überstellungshaft auch anordnen, wenn noch gar kein IStGH-Ersuchen vorliegt, aber dringender Tatverdacht besteht.6) Der Gesetzgeber räumt dem OLG also nur Ermessen ein, wenn es gleichsam autonom ohne ein förmliches IStGH-Ersuchen handelt.
13 Abs. 1 IStGHG ermächtigt überdies – in Anlehnung an § 127 Abs. 2 StPO7) – die Staatsanwaltschaft und die Polizei zur vorläufigen Festnahme, wenn (nur) „die Voraussetzungen eines Überstellungshaftbefehls“ vorliegen, dieser also noch gar nicht erlassen wurde, aber erlassen werden könnte. Dies folgt auch aus § 13 Abs. 3 IStGHG im Umkehrschluss, denn wenn dieser Absatz vom Vorliegen eines Überstellungshaftbefehls ausgeht („Liegt ein Überstellungshaftbefehl vor …“), so ist die vorläufige Festnahme nach den Abs. 1 und 2 eben auch ohne einen solchen (aber bei Vorliegen seiner Voraussetzungen) möglich. Die Unterscheidung folgt auch aus den §§ 14, 15 IStGHG: Während § 14 die Vorführung des Festgenommenen vor den Richter des zuständigen Amtsgerichts bei Vorliegen („auf Grund“) eines Überstellungshaftbefehls regelt, betrifft § 15 die Vorführung ohne einen solchen bei vorläufiger Festnahme.
Vor dem Amtsrichter kann der Verfolgte gegen den Überstellungshaftbefehl oder seinen Vollzug Einwendungen erheben, die, wenn nicht offensichtlich unbegründet, eine Entscheidung des OLG zur Aufrechterhaltung der Haft notwendig machen können (§ 14 Abs. 5 IStGHG). Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls kommt allerdings nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 4 IStGH-Statut in Betracht (§ 16 Abs. 2 IStGHG), insbesondere darf das OLG nicht den ordnungsgemäßen Erlass des IStGH-Haftbefehls gemäß Art. 58 Abs. 1 (a), (b) IStGH-Statut überprüfen und es muss etwaige Empfehlungen der zuständigen IStGH-Vorverfahrenskammer berücksichtigen (Art. 59 Abs. 5 IStGH-Statut).8) Hierin zeigt sich erneut, dass Deutschland letztlich nur einen – grundsätzlich unmittelbar anwendbaren – IStGH-Haftbefehl vollstreckt.9)
Überstellungsverfahren
Was die Überstellung des Verfolgten an den IStGH angeht, so ist – ähnlich wie bei traditionellen Auslieferungsverfahren – ein zweistufiges Verfahren bestehend aus einer Zulässigkeitsprüfung des OLG und einer Bewilligung durch die Exekutive (BMJ) vorgesehen (§§ 6, 20 IStGHG). Dies ändert allerdings nichts daran, dass Prüfungsumfang und -tiefe – ganz im Sinne der obigen Ausführungen – erheblich geringer als im traditionellen Auslieferungsverfahren sind, denn der IStGH-Haftbefehl ist grundsätzlich unmittelbar wirksam und es besteht die schon genannte Überstellungspflicht (§ 2 IStGHG);10) einer etwaigen Nicht-Bewilligung müssen jedenfalls Konsultationen mit dem IStGH (Art. 97 IStGH-Statut) vorausgehen.11)
Zunächst wird die Überstellung – sofern der Betroffene nicht der vereinfachten Überstellung (§ 32 IStGHG) zugestimmt hat – von der Generalstaatsanwaltschaft beim OLG beantragt (§ 20 Abs. 1 IStGHG). Dieses hat im Kern eine formale Prüfung (Vorliegen eines Überstellungsersuchens gemäß Art. 89, 91 IStGH-Statut, Identität des Verfolgten) durchzuführen, insbesondere ist keine irgendwie geartete Verdachtsprüfung vorzunehmen (§§ 5 Abs. 1, 20 IStGHG; zum Verfahren §§ 21-23 IStGHG);12) lediglich beim Einwand der Doppelverfolgung ist das Verfahren bis zu einer IStGH-Entscheidung auszusetzen (§ 3 IStGHG i.V.m. Art. 89 Abs. 2 IStGH-Statut). Bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, etwa die möglicherweise beachtliche (persönliche) Immunität des Tatverdächtigen, kann das OLG zwar den BGH anrufen (§ 33 IStGHG). Doch folgt das deutsche Recht auch insoweit – per dem oben schon zitierten § 21 GVG – der ebenfalls schon erwähnten Auslegung der IStGH-Berufungskammer, wonach Immunität vor dem IStGH – auch bei Nicht-Vertragsstaaten – nicht gilt; damit kann auch Art. 98 Abs. 1 IStGH-Statut die nationale Vollstreckung eines IStGH-Haftbefehls nicht hindern.13) Sollte das ein nationales Gericht anders sehen, kann es das IStGH-Ersuchen nicht ablehnen, sondern muss einen Konsultationsprozess mit dem IStGH initiieren (Art. 97 IStGH-Statut), der gegebenenfalls vor die Vertragsstaatenversammlung und den IGH gelangen kann (Art. 119 Abs. 2 IStGH-Statut).
Fazit
Würde der israelische Premierminister Netanjahu tatsächlich Deutschland besuchen, würde dies nicht nur einen – ganz und gar unnötigen – Konflikt mit dem IStGH heraufbeschwören, sondern auch die innerstaatliche Gewaltenteilung in Frage stellen. Denn um eine Festnahme von Netanjahu zu verhindern, müsste die Exekutive – auf Bundes- wie Landesebene – massiv in das oben beschriebene Festnahme- und Überstellungsverfahren und damit in die Unabhängigkeit der Judikative eingreifen. Dabei wäre insbesondere eine politisch veranlasste Weisung an den zuständigen Generalstaatsanwalt (§ 147 GVG),14) einen IStGH–Haftbefehl nicht zu vollstrecken, rechtswidrig; auch die Nicht-Bewilligung einer zulässigen Überstellung an den IStGH wäre zumindest völkerrechtswidrig (ganz abgesehen davon, dass sie die Überstellungshaft bzw. vorläufige Festnahme ja nicht berühren würde). Allgemeinpolitische Interessen können zwar gegenüber dem IStGH in einem Konsultationsverfahren geltend gemacht werden (Art. 97 IStGH-Statut), sie rechtfertigen aber nicht die fehlende Befolgung von IStGH-Ersuchen, insbesondere zur Überstellung von Tatverdächtigen.15) Und schließlich ist zu beachten, dass die Verweigerung der Vollstreckung eines IStGH-Haftbefehls in der Sache eine Strafvereitelung (§§ 258, 258a StGB) darstellt; deren Schutzbereich sollte, wie bei den Aussagedelikten (§ 162 Abs. 1 StGB), auf von Deutschland unterstützte Straftribunale erweitert werden.
Die Bundesrepublik bekennt sich zu einer völkerrechtsbasierten internationalen Ordnung. Sie muss einen internationalen Gerichtshof wie den IStGH daher unterstützen. Dieser verschafft Opfern schwerster internationaler Verbrechen Gerechtigkeit, er steht für den Grundsatz, dass alle vor dem Gesetz gleich sind und niemand über demselben steht. „Niemand“ gilt für Freunde wie Gegner gleichermaßen. Ebenso wenig wie Haftbefehle innerstaatlicher Gerichte, aus Respekt vor ihrer Unabhängigkeit und der Gewaltenteilung, von Politikern in Frage gestellt werden sollten – oder sogar zu ihrer Nichtbefolgung aufgerufen werden sollte –, dürfen die Anordnungen von internationalen Strafgerichtshöfen, die Deutschland anerkannt hat, von der Bundesregierung unterlaufen werden.
References
↑1 | In para. 61 nennt der IGH vier Einschränkungen der grundsätzlich geltenden Staatenimmunität, insbesondere: “Fourthly, an incumbent or former Minister for Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction” (Herv. K.A.). Beispielhaft nennt der IGH als solche „internationalen Strafgerichte“ die UN-Tribunale für das ehem. Jugoslawien und Ruanda sowie den IStGH. |
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↑2 | Die Kammer sagt in para. 113: “[T]here is neither State practice nor opinio juris that would support the existence of Head of State immunity under customary international law vis-à-vis an international court. […] such immunity has never been recognised in international law as a bar to the jurisdiction of an international court.” [Herv. im Original]; ausführlich auch Joint Concurring Opinion of Judges Eboe-Osuji, Morrison, Hofmański and Bossa (ICC-02/05-01/09-397-Anx1-Corr), paras. 27 ff. |
↑3 | S. etwa Nouwen, Cambridge Law Journal 78 (2019), 596 (604 ff.) („International-Criminal-Court exceptionalism“); eingehend und diff. Kreß in Ambos, Rome Statute of the Commentary of the ICC, 4. Aufl. 2022, Art. 98 Rn. 115 ff. |
↑4 | Pre-Trial Chamber II, Situation in the Ukraine, Finding under article 87(7) of the Rome Statute on the non-compliance by Mongolia with the request by the Court to cooperate in the arrest and surrender of Vladimir Vladimirovich Putin and referral to the Assembly of States Parties, 24.10.2024, ICC-01/22-90; krit. zur Begründung Kawai, EJIL: Talk!, 26.11.2024. Die Sache ist rechtskräftig, denn einem Antrag auf Berufung („leave to appeal“) wurde nicht stattgegeben. |
↑5 | S. auch Kreß/MacLean, in Kreß/Broomhall/Lattanzi/Santori, The Rome Statute and Legal Orders. Volume II, 2005, 136; zur „Durchgriffswirkung“ des Haftbefehls auch Keller, Rn. 170, 190, 191. |
↑6 | Zum Unterschied zwischen § 11 Abs. 1 und Abs. 2 IStGHG insoweit auch Kreß/MacLean (Fn. 5), 137 f. |
↑7 | Unter den Voraussetzungen von § 127 Abs. 1 StPO ist sogar jedermann zur Festnahme berechtigt (§ 13 Abs. 1 S. 2 IStGHG). |
↑8 | S. auch Kreß/MacLean (Fn. 5), 137. |
↑9 | Im Übrigen erfolgt die Haftprüfung durch das OLG nach zwei Monaten Dauer von Amts wegen und dann regelmäßig alle zwei Monate (§ 17 IStGHG). |
↑10 | S. auch Kreß/MacLean (Fn. 5), 138 (mit Nachweis zur Gesetzgebungsgeschichte); Keller, IStGHG, in Ambos/König/Rackow, Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Aufl. 2020, S. 1479 ff., Rn. 132. |
↑11 | S. auch Keller (Fn. 10), Rn. 160. |
↑12 | S. insoweit auch Kreß/MacLean (Fn. 5), 139; Keller (Fn. 10), Rn. 132. |
↑13 | S. auch Kreß/MacLean (Fn. 5), 140; diff. Keller (Fn. 10), Rn. 105. |
↑14 | Die notwendige Einhegung des ohnehin problematischen Weisungsrechts ist leider noch nicht gelungen, s. zuletzt https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2024_Transparenz_Weisungen.html. |
↑15 | S. auch Keller (Fn. 10), Rn 73. |
Ich hätte mir gewünscht, dass der Verfasser sich mit den Gegenmeinungen prominenter Autror:innen auseinandersetzt, so z.B. mit jener von Matthias Herdegen in https://www.welt.de/debatte/kommentare/article254694534/Benjamin-Netanjahu-Ein-Haftbefehl-der-das-Voelkerrecht-spaltet.html
Evtl. gelingt dies ja noch in den Kommentaren.
Sie posten tatsächlich ein Artikel vom Springer Verlag? XD
Ich glaube damit ist die Diskussion beendet.
Ich teile die Analyse Herdegens nicht.
Aber dass bereits das Medium, das einen anerkannten Wissenschaftler veröffentlicht, der Grund sein soll, sich argumentativ und inhaltlich nicht mit der Stellungnahme auseinanderzusetzen, zeugt von genau der Engstirnigkeit, die jede gewinnbringende Debatte im Keim erstickt.
Ambos entkräftet hier das Immunitäts-Argument von Herdegen mit wenigen klaren Sätzen. Weitere rechtserhebliche Argumente sind dem etwas entrüstet und nicht ganz auf der Höhe der Zeit geratenen Text ja nicht zu entnehmen. Dass er Herdegen hier nicht ausdrücklich zitiert, ist mEn dann auch eher akademische Galanterie.
Eine Auseinandersetzung mit Herdegen findet gerade nicht statt. Die doch äußerst problematische Rechtsprechung zu Artikel 98 des Statuts wird nur kurz gestreift und dann mit einem völlig positivistischen Argument (“ist eben Rechtsprechung”) abgetan. Das überzeugt nicht. Angesichts des Wortlautes von Artikel 98 Statut stellt sich nämlich die Frage, ob diese Entscheidung der IStGH Organe nicht ultra vires sind. Die völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands gegenüber Drittstaaten (die nicht Parteien des IStGH Status sind, wie etwa Israel) können eh nicht durch Entscheidungen der IStGH Organe geändert werden.
Sehe ich etwas anders, Deutschland und Israel haben keine Straffreiheit oder Schutz vor Verfolgung von Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden auf bilateraler Basis vereinbart, dann würde das Argument wohl greifen.
Desweitern kommt es auf die Art der vor Gericht angegriffenen staatlichen Handlung an. Die von Herdegen angedachte „acta iure imperii“ werden von der Staatenimmunität nach modernem Verständnis nur dann erfasst, wenn es sich um innerstaatliche Vorgänge handelt. Nur sind im Falle des Gazastreifens, zwei Dinge anzumerken. Erstens ist die betroffene Bevölkerung gar keine Staatsbürger Israels, und zweitens deren Interessenvertretung erkennt das römische Statut nun mal an. Der Gazastreifen gehört zu den von Israel besetzten und kontrollierten Gebieten, siehe Aussagen der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes. Dadurch erhält dieser Konflikt, selbst aus deutscher Sicht, eine internationale Dimension, welche nicht mehr von der “acta iure imperii“ abgedeckt wird.
Auch was Artikel 98 betrifft im Wortlaut heißt es wohl: “sofern der Gerichtshof nicht zuvor die Zusammenarbeit des Drittstaats im Hinblick auf den Verzicht auf Immunität erreichen kann. ” Man kann ja immer auf den Wortlaut herumreiten, aber dann sollte man ihn auch zur Gänze lesen.
Folgende Punkte halte ich für problematisch:
Die zitierte Rechtsprechung des IStGH lässt Art. 98 des IstGH-Statuts komplett ins Leere laufen. Diese Rechtsnorm kennt völkerrechtliche Verpflichtungen, deren Existenz der Gerichtshof generell negiert.
Die Negation beschränkt der Gerichtshof allerdings auf eine vis-à-vis Konstellation zwischen Angeklagtem und internationalem Gerichtshof. Prof. Ambos schreibt dazu: „Ein Vertragsstaat, der aufgrund eines IStGH-Haftbefehls eine Person verhaftet und gegebenenfalls an den IStGH überstellt, handelt nicht national, sondern im Auftrag des IStGH.“ Dem ist zu widersprechen.
Das IStGHG ist nationales Recht und von nationalen deutschen Gerichten (OLG) anzuwenden, wie es der Dualismus im deutschen Rechtssystem vorsieht. Eine Verpflichtung, im Auftrag einer internationalen Organisation zu handeln, dürfte daran nichts ändern. Wie das in anderen Staaten im Hinblick auf möglicherweise bestehenden völkerrechtlichen Monismus geregelt ist, sei dahingestellt. Die Immunitätsfrage bleibt in Deutschland offen.
Eine Verhaftung des Herrn Netanjahu in Deutschland halte ich entgegen jeglicher Moralvorstellungen für nicht erstrebenswert, solange er israelischer Premierminister ist. Bereits der unausgeführte Haftbefehl erfüllt in Bezug auf das internationale Ansehen dieser Person seinen Zweck. Die Rechtsstaatlichkeit Israels im Innern steht auf dem Prüfstand und die Uhr läuft. Netanjahu ist auch keine One-Man-Show, es würde nichts bringen, ihn von außen aus dem Verkehr zu ziehen.
Friedrich Merz outet sich als Antidemokrat und Rechtsverächter, indem er den IStGH ohne Notwendigkeit desavouiert und von ihm das Anlegen doppelter Maßstäbe verlangt, wofür der Gerichtshof gelegentlich zu Recht kritisiert wird.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für diesen Artikel genommen haben!
Ich möchte dem Kollegen Ambos für eine klare und objektive juristische Analyse danken. Dass es für eine Bundesregierung politisch schwierig sein mag, den Balanceakt zwischen Völker- und Israelfreundlichkeit zu bestehen, sei zugestanden. Wozu sich Deutschland völkerrechtlich verpflichtet hat, muss aber weiterhin leitend sein. Noch keine Bundesregierung hat sich offen gegen Völkerrecht und gegen internationale Institutionen gestellt. Insofern markiert die Positionierung des vermutlich künftigen Kanzlers F. Merz einen eklatanten Bruch mit Jahrzehnten bundesrepublikanischer Politik – gerade auch mit einer CDU-geführten Politik.
Wer die Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Herrn Herdegen vermisst: Es liegt nicht daran, dass Kai Ambos keine Argumente hätte (das Recht gilt, und es gilt für alle gleichermaßen). Es liegt daran, dass Herdegen (1.) die zeitgleiche Beantragung von Haftbefehlen gegen Mitglieder der derzeitigen israelischen Regierung und gegen Hamas-Führer anprangert (ein politisches Argument, vertretbar, aber rechtlich irrelevant); (2.) die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zur Durchbrechung der Immunität von Staats- und Regierungschefs kritisiert. Tatsächlich war die Jordan Appeal Entscheidung nicht unumstritten. Aber wer die Verhaftung Al-Bashirs und Putins fordert und für Netanyahu eine Ausnahme machen will, macht das Recht zu einem Clubgut: Nur wer zu uns gehört, kommt rein.
Nur der guten Ordnung halber: Eine rechtsstaatlich-demokratische Ordnung genügt nicht, um den IStGH von der Verfolgung auszuschließen. Nach dem Grundsatz der Komplementarität (Art. 17 IStGG-Statut) müssen mindestens ernsthafte Schritte zur Strafverfolgung eingeleitet sein. Davon ist in Israel in Bezug auf Netanyahu und Gallant nichts zu sehen.
stimme den meisten meiner Vorredner und dem Autor zu.
merz rutscht hier noch weiter in die Nähe von Trump und AFD.
und Netanjahu extra einzuladen, um ihn dann nicht zu verhaften – ist anpolitischer Sprengkraft nicht zu überbieten! Man kann israelfreundlich sein und z.B. auch mit Netanjahu per wasweisich Videotelefonie konferieren, daher ist eine persönliche Einladung Absicht….