16 May 2025

Rechtsextremismus im Partybeat

„Ausländer raus!“ und der Straftatbestand der Volksverhetzung

Im vergangenen Jahr skandierten Gäste der Pony-Bar auf Sylt lautstark „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!”. Ähnliche Szenen spielten sich in Baden-Württemberg und Berlin ab. In allen Fällen ermittelten die Strafverfolgungsbehörden wegen des Verdachts der Volksverhetzung, § 130 Abs. 1 StGB. Kürzlich gab die Staatsanwaltschaft Flensburg bekannt, das Sylter Verfahren mangels Tatverdachts eingestellt zu haben – ohne eine eingehende Prüfung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dabei bietet gerade diese Vorschrift eine tragfähige Grundlage, um kollektive Verunglimpfung auch jenseits direkter Gewaltaufrufe innerhalb der durch Art. 5 GG gezogenen Grenzen der Meinungsfreiheit zu erfassen. Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung hat vergleichbare Konstellationen bereits grundrechtskonform eingeordnet. In der Praxis der Ermittlungsbehörden spiegelt sich diese Linie bislang jedoch nur unzureichend wider.

Im Sylt-Verfahren offenbaren sich staatsanwaltschaftliche Versäumnisse

Die Flensburger Staatsanwaltschaft argumentierte, weder der Inhalt der Parole „Ausländer raus!“ noch die Gesamtumstände des Vorfalls ließen zweifelsfrei erkennen, dass „aggressive Missachtung und Feindschaft in der Bevölkerung“ gegen Ausländer erzeugt oder gesteigert werden sollten. Dies sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber gerade Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB. Welche Tatbestandsvariante sie dabei zugrunde gelegt hat, bleibt offen. Auch auf die herangezogenen Entscheidungen geht die Stellungnahme nicht näher ein.

Ein Blick in die Rechtsprechung zu § 130 Abs. 1 StGB lässt darauf schließen, dass auf das Merkmal des „Aufstachelns zum Hass“ in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB abgestellt worden sein muss, dessen Auslegung jedoch nicht einheitlich erfolgt. So vertraten in der Vergangenheit das Oberlandesgericht Brandenburg sowie das Kammergericht zwar dieses – mit Abstand engste – Verständnis (OLG Brandenburg NJW 2002, 1440, 1441; KG Berlin, Urt. v. 26. November 1997 – 1 Ss 145/94). Der Bundesgerichtshof hingegen lässt bereits das Hervorrufen einer „feindseligen Haltung“ genügen (BGH, Urt. v. 3. April 2008 – 3 StR 394/07).

Vor allem aber fällt auf, dass sich die Staatsanwaltschaft ausschließlich mit § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB befasst und die Variante des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB völlig außer Acht lässt, obwohl diese bei der gesungenen Parole nahegelegen hätte. Dass die Staatsanwaltschaft Flensburg sich der Darlegung einer entsprechenden Prüfung vollständig entzieht, untergräbt die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung.

Die richtige Tatbestandsvariante ist § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Einzelne Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind durch das lautstarke Singen der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ ohne Weiteres erfüllt. Es handelt sich dabei um ein „böswilliges Verächtlichmachen“ eines Bevölkerungsteils, das „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.

Der Bundesgerichtshof sieht ein Verächtlichmachen dann als gegeben an, wenn Menschen als unwert oder unwürdig dargestellt werden (BGH, Urt. v. 3. April 2008 – 3 StR 394/07 Rn. 17). Genau das leistet die Parole: Sie erklärt Ausländer für unwürdig, in Deutschland zu leben.

Auch die „Eignung zur Friedensstörung“ liegt vor. Erforderlich ist, dass die Tat in einer Weise begangen wird, die abstrakt geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dafür genügt bereits die Möglichkeit, dass die Äußerung das psychische Klima aufheizt, was bei öffentlichen Äußerungen der vorliegenden Art regelmäßig angenommen werden kann (BGH, Urt. v. 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05). Dass die Parole auf Sylt öffentlich gesungen wurde, bestätigt die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Flensburg.

Fraglich ist bloß, ob dadurch auch die Menschenwürde anderer im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB angegriffen wurde. Ein solcher Angriff liegt grundsätzlich vor, wenn das Recht des Angegriffenen, als gleichwertige Persönlichkeit in der Gemeinschaft zu leben, bestritten wird. Bereits 1995 hat das Oberlandesgericht Hamm dargelegt, dass die gemeinschaftlich und wiederholt gesungene Parole „Ausländer raus!“ diese Voraussetzung erfüllen kann:

„Denn dieser Aufruf richtet sich an alle Ausländer in der Weise, daß sie ohne Ausnahme das Land verlassen sollen. (…). Dabei werden die Ausländer als jedenfalls insoweit unterwertige Wesen dargestellt, daß sie den Schutz des Art. 3 GG nicht verdient hätten und schon allein aufgrund ihrer Nationalität anders zu behandeln seien.“ (OLG Hamm NStZ 1995, 136, 137).

Das Hinzutreten von Begleitumständen als weitere Voraussetzung

Nach der übrigen Rechtsprechung setzt ein Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass die Äußerung in einem bestimmten Kontext erfolgt, d.h. es müssen sog. „Begleitumstände“ hinzutreten (vgl. BVerfG NJW 2010, 2193, 2195 Rn. 28). Diese Anforderung ist grundsätzlich begrüßenswert, weil sie verhindert, dass der offen formulierte Volksverhetzungstatbestand zur Kriminalisierung soziadäquaten oder bloß provozierenden Verhaltens führt.

Einige Staatsanwaltschaften haben bei der Begründung ihrer Verfahrenseinstellungen explizit auf das Fehlen solcher Begleitumstände hingewiesen. In Berlin wurde argumentiert, es seien weder verbotene noch anderweitige Symbole und Gesten, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, verwendet worden. Die Staatsanwaltschaft Tübingen stützte ihre Entscheidung vor allem darauf, dass über keinen der Beteiligten polizeiliche Erkenntnisse zu ausländerfeindlichen Vorfällen oder eine Nähe zur rechten Szene vorlagen; außerdem seien die Äußerungen nicht von einem politischen Aufmarsch begleitet gewesen.

Anders lagen die Fälle, über die die Oberlandesgerichte zu entscheiden hatten: Dort waren entsprechende Begleitumstände jeweils gegeben. Dass die Vorinstanzen den Straftatbestand dennoch verneint hatten, wurde zu Recht korrigiert. Denn das Vorliegen solcher Umstände spricht regelmäßig für die Strafwürdigkeit der Äußerung. Das Oberlandesgericht Hamm konnte deshalb sogar offenlassen, ob die Parole bereits für sich genommen einen Angriff auf die Menschenwürde bedeutet. Umgekehrt folgt daraus aber nicht, dass das Fehlen solcher Begleitumstände automatisch Straflosigkeit zur Folge hat.

Diese Annahme greift zu kurz. Sie verschiebt den Prüfungsmaßstab weg vom Inhalt der Äußerung hin zur äußeren Erscheinung und sozialen Einbindung des Täters. Strafbar wäre demnach nur, wer durch Auftreten, Kleidung oder Szenezugehörigkeit als Rechtsextremer erkennbar ist. Mit anderen Worten: Als wäre die Volksverhetzung ein Delikt mit Dresscode – und ausschließlich für die rechtsextreme Szene von Bedeutung. Doch § 130 StGB schützt nicht vor bestimmten Personen, sondern vor bestimmten Aussagen. Rechtsextremistische Einstellungen zeigen sich nicht zwingend in Äußerlichkeiten. Das belegen nicht zuletzt auch aktuelle Umfragen: Ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung würde derzeit eine Partei wählen, die nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch gilt, ohne dass diese Menschen auch nur mehrheitlich dem stereotypen Bild eines Rechtsextremen entsprechen oder regelmäßig nach außen hin rechtsextrem auftreten.

Eine solche verkürzte Betrachtung nähert sich gefährlich dem Konzept eines Täterstrafrechts an und unterläuft zugleich die spezialpräventive Funktion des Strafrechts. Dieses darf nicht nur dort ansetzen, wo demokratische Grundüberzeugungen bereits vollständig aufgegeben wurden. Es muss auch intervenieren, wo sich autoritäres und ausgrenzendes Denken erst zu verfestigen beginnt.

Das gemeinschaftliche Singen und die politische Gesamtsituation sind maßgebliche Umstände

Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigte in ihren Fällen weitere Begleitumstände (OLG Hamm aaO; OLG Brandenburg aaO), die auch im Sylt-Verfahren vorlagen. Sie hätten in die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens mit Blick auf § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB einfließen müssen.

Zum einen wurde die Parole „Ausländer raus!“ gemeinschaftlich gerufen. Dass es sich dabei um private Feierlichkeiten und nicht um einen politischen Aufmarsch handelte, ändert daran nichts. Im Gegenteil: Gerade der Umstand, dass eine eindeutig rassistische Botschaft in einem – jedenfalls auditiv – öffentlich zugänglichen Raum mit einem bekannten Party-Hit gefeiert und normalisiert wurde, zeigt eine besondere Gefährlichkeit der Äußerung. Diese Übertragung in alltägliche Kontexte erklärt auch die schnelle Verbreitung durch Nachahmer. Das Oberlandesgericht Hamm hat das gemeinschaftliche und wiederholte Singen als eigenständiges Moment gewertet, das geeignet ist, die Menschenwürde in strafbarer Weise anzugreifen.

Zum anderen ist die politische Gesamtsituation zur Tatzeit entscheidend für die Einordnung der Äußerung. Volksverhetzende Parolen gewinnen an Brisanz, je stärker rechtsextreme Positionen gesellschaftlich Fuß fassen. Auch die Oberlandesgerichte haben diesen Zusammenhang gesehen. Sowohl das Oberlandesgericht Brandenburg, auf dessen Entscheidung sich die Staatsanwaltschaft Flensburg bezieht, als auch das Oberlandesgericht Hamm stellten bei der Auslegung von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf die Welle rassistischer Gewalt in den 1990er Jahren ab.

Die Äußerungen auf Sylt fielen ebenfalls in eine Phase zunehmender politischer Radikalisierung. Rechtsextremistische Kräfte verzeichnen seit Jahren wachsenden Zulauf.  Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Anstieg politisch motivierter Straftaten gegen Ausländer, insbesondere gegen Geflüchtete, in den vergangenen Jahren. In Schleswig-Holstein, dem Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Flensburg, ist die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten im Jahr 2024 um 20 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen und hat sich seit 2020 mehr als verdoppelt. Die Zahlen für die gesamte Bundesrepublik zeigen eine ähnliche Tendenz.

Kein Raum für weitergehende Einschränkungen durch die Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit steht der hier vorgenommenen strafrechtlichen Bewertung nicht entgegen. Zwar schützt Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich auch rechtsextremistische Meinungen. Doch dieser verfassungsrechtliche Schutz bedeutet vor allem, dass Strafgerichte bei der Auslegung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Kontext und die begleitenden Umstände der Äußerung in den Blick nehmen müssen (BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Damit verweist das Bundesverfassungsgericht letztlich auf dieselben Maßstäbe, wie sie auch von den Fachgerichten verlangt werden.

Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellt, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit dort endet, wo eine Meinungsäußerung die Menschenwürde eines anderen verletzt (BVerfG NJW 2010, 2193, 2194 Rn. 26). Im Anwendungsbereich des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bleibt daher kein Raum für die Berufung auf Art. 5 GG, sobald diese Schwelle überschritten ist (BVerfG, Beschl. v. 25. März 2008 – 1 BvR 1753/03 Rn. 38). Maßgeblich ist eine nachvollziehbare Begründung, aus der sich der Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der Menschenwürde ergibt. (BVerfG NJW 2010, 2193, 2195 Rn. 27). Die Fachgerichte haben diese Schwelle durch das Erfordernis begleitender Umstände präzisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Linie ausdrücklich angeschlossen (aaO Rn. 28).

Im Fall der Parole „Ausländer raus!“ lässt der eindeutige Wortlaut keinen Raum für verfassungskonforme Relativierungen. Die Aussage spricht allen Ausländern pauschal das Recht ab, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft in Deutschland zu sein, während sie „den Deutschen“ das Lebensrecht im Inland selbstverständlich zuschreibt.

Staatliches Schweigen sendet ein gefährliches Signal

Kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass § 130 Abs. 1 StGB auf offen rassistische Parolen nicht anwendbar ist, schuldet sie der Öffentlichkeit eine Erklärung. Besonders in Grenzfällen muss diese nachvollziehbar sein. In Zeiten, in denen rechtsextreme Positionen Anschlussfähigkeit gewinnen, Hassparolen zur Normalität werden und politische Stimmungsmache gezielt auf Ausgrenzung setzt, wiegt staatliches Schweigen schwer. Dass die Staatsanwaltschaft Flensburg die mögliche Tatbestandsverwirklichung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB in ihrer Stellungnahme gänzlich unbeachtet lässt, ist vor dem Hintergrund nicht nur ein Redaktionsversäumnis. Es schwächt das Vertrauen in die Konsequenz rechtsstaatlicher Strafverfolgung.


SUGGESTED CITATION  Ecke, Vincent: Rechtsextremismus im Partybeat: „Ausländer raus!“ und der Straftatbestand der Volksverhetzung, VerfBlog, 2025/5/16, https://verfassungsblog.de/rechtsextremismus-im-partybeat/, DOI: 10.59704/db925b9c27261ecf.

7 Comments

  1. Thorsten Hasbargen Tue 20 May 2025 at 12:53 - Reply

    “Das gemeinschaftliche Singen und die politische Gesamtsituation sind maßgebliche Umstände”

    Stimmt doch gar nicht, oder? Ich bin zwar Laie, aber: 1 Abs 2 gilt NUR bei “Inhalten”. Und das sind nach §11 “Schriften, Tonträger oder Bildträger”.

    Die haben aber +gesungen+. Und KEINE Schriften, Tonträger oder Bildträger verbreitet.

    Ist also doch gar nicht passend, der 1 Abs 2 hier, oder??

    • Vincent Ecke Thu 22 May 2025 at 09:21 - Reply

      Sehr geehrter Herr Hasbargen,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Es ist richtig, dass ein “Inhalt” nach § 11 III StGB eine Verkörperung voraussetzt, das nur gesprochene Wort also nicht erfasst. Einen “Inhalt” setzt aber ausdrücklich nur § 130 II Nr. 1 StGB voraus, der für dessen Verbreiten oder Zugänglichmachen eine eigene Strafdrohung enthält. Der Beitrag beschäftigt sich aber nur mit der Tatbestandsvariante des § 130 I Nr. 2 StGB. Diese setzt einen “Inhalt” nicht voraus, sondern lässt auch eine mündliche Äußerung – unter den genannten Umständen – genügen.

      Der Unterschied liegt vor allem darin, dass § 130 I StGB denjenigen bestraft, von dem die Äußerung selbst stammt, während § 130 II StGB vor allem denjenigen erfassen will, der Äußerungen von anderen, die dann natürlich in Schrift, Bild- oder Tonaufnahme vorliegen müssen, verbreitet. § 130 II StGB hat deshalb auch eine geringere Strafandrohung.

      Um das am hier besprochenen Fall noch einmal deutlich zu machen: Wer die Parole selbst singt, begeht unter Umständen eine Straftat nach § 130 I Nr. 2 StGB. Damit befasst sich der Beitrag. Wer ein Video von der Äußerung aufzeichnet und zB auf Facebook teilt, macht sich ggf. nach § 130 II Nr. 1 StGB strafbar. Auch das war in diesem Fall zwar passiert; das Verfahren der Staatsanwaltschaft und mein Beitrag haben sich damit aber nicht beschäftigt.

      Liebe Grüße,
      Vincent Ecke

  2. Dr. Klaus Dorner Tue 20 May 2025 at 17:44 - Reply

    Sehr geehrter Herr Ecke,
    als Nicht-Jurist fehlt mir die technische Fachkenntnis, Ihre Ausführungen wirklich zu widerlegen. Zudem finde auch ich die besagten Parolen mehr als “unappetitlich”.
    Jedoch verstehe ich Sie so, dass der Kern der Strafbarkeit in der Menschenwürdeverletzung liegen soll, Sie schreiben hierzu: Die Aussage spricht allen Ausländern pauschal das Recht ab, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft in Deutschland zu sein, während sie „den Deutschen“ das Lebensrecht im Inland selbstverständlich zuschreibt.

    Ist diese Unterscheidung nicht letztlich eine Essenz des Konzepts der Staatsbürgerschaft per se? Ist die politische Forderung (jetzt einmal unabhängig von der Form) nach Versagung bzw. Beendigung von Aufenthaltsrechten für Nicht-Staatsbürger “würdewidrig”?

    Ist das Recht, auch als Nicht-Staatsbürger als “gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft in Dtl. zu leben” ein allgemeines Menschenrecht, oder doch eher eine vom Gesetzgeber zu gestaltende Fragestellung?

    • Vincent Ecke Thu 22 May 2025 at 11:51 - Reply

      Sehr geehrter Herr Dr. Dorner,

      vielen Dank für Ihren Beitrag. Ihre Bedenken sind durchaus nachvollziehbar. Ein allgemeines Menschenrecht, in Deutschland leben zu dürfen, gibt es in der Tat nicht. Die Einzelheiten dieser Fragestellung ergeben sich unter anderem aus dem Staatsangehörigkeitsrecht, dem Aufenthaltsrecht und dem Recht auf Asyl, die der Gesetzgeber umfangreich in Gesetzen geregelt hat.

      Kritik an diesem Regelungssystem ist nicht gleich menschenwürdeverletzend. Forderungen nach Änderung des geltenden Rechts gehören naturgemäß zum politischen Diskurs. Sie sind auch grundsätzlich verfassungsrechtlich geschützt, nämlich durch die Meinungsfreiheit in Art. 5 I GG. Dieser Schutz endet aber dort, wo durch die Äußerung andere geschützte Rechte verletzt werden. Ob das der Fall ist, muss im Einzelfall dadurch entschieden werden, dass die entsprechende Äußerung nach ihrem Wortlaut und ihren Begleitumständen umfassend gewürdigt wird.

      Schon die Deutung der konkreten Äußerung, es sei mit der Unterscheidung zwischen “Deutschen” und “Ausländern” lediglich diejenige zwischen “Staatsbürgern” und “Nicht-Staatsbürgern” angesprochen, finde ich aber schwierig. Als Ausländer werden hierzulande in weitem Umfang selbst all diejenigen noch bezeichnet, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und die deutsche Staatsbürger, also “Deutsche” im Rechtssinne sind, die aber eben eine Migrationsgeschichte vorweisen können.

      Dadurch, dass die Aussage so pauschal erfolgte, vor dem Hintergrund, dass rechtsextremistische Parteien in Deutschland deutlich erstarken, dass Gewalttaten gegen Migrant*innen in erschreckendem Maße zunehmen, dass man auf Sylt mit dieser Parole gemeinschaftlich und freudig “Party gemacht” hat, dass der Ausspruch “Deutschland den Deutschen” dem nationalsozialistischen Kontext entspringt und dass ein Beteiligter auch den “Hitlergruß” zeigte, finde ich naheliegend, dass auf Sylt gerade nicht bloß Kritik am derzeitigen Rechtssystem geübt wurde, sondern dass das Verhalten gerade diesem völkisch-rassischen Geist entsprungen war und unter vollständiger Missachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) preisgegeben wurde. Darin liegt hier die besondere Qualität der Äußerung, die einen Angriff auf die Menschenwürde und damit die Strafbarkeit der Parole im konkreten Fall begründet.

      Herzliche Grüße,
      Vincent Ecke

      • Flo Sat 24 May 2025 at 14:27 - Reply

        Ein kluger und interessanter Beitrag! Lag dem Autoren – etwa über Paragraph 476 StPO – die gesamte Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft vor oder nur die Pressemitteilung? Es wäre denkbar, dass es – in der Pressemitteilung nicht erwähnt – auch am Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Friedensstörung gefehlt hat. Schließlich wähnten sich die Beteiligten auf einer nicht durch breite Bevölkerungskreise beobachteten Party und gerade nicht etwa auf einer öffentlichen Großkundgebung. Zudem handelte es sich um junge – uU sogar jugendliche oder heranwachsende – Personen unter wohl alkoholischer Beeinflussung. Nach alledem hätte – ungeachtet der vorliegend nur schwer anzunehmen Voraussetzungen des 130 StGB – jedenfalls eine Diversion nahe gelegen. Strafrecht ist die ultima ratio des Staates. Viel zu häufig wird versucht, erzieherische oder – wie vorliegend – gesellschaftliche Versäumnisse über die Heilsalbe des Strafrechts zu lösen und dann vermeintlich das Problem sofort los und selbst auch nicht mehr (mit-) verantwortlich zu sein. Daher greift der juristisch ansprechende Artikel im Ergebnis als von rein rechtstheoretischer Relevanz hinter den Erwartungen zurück. Demokratie erfordert Diskurs, Erziehung durch Strafe war gestern (selbstverständlich gibt es Konstellationen, die zweifelsfrei strafrechtliche Sanktionen erfordern, dies nur vorbeugend ohne weitere Vertiefung)… Von einem der an das Gute und die Kraft der Interaktion glaubt

  3. Flo Fri 23 May 2025 at 16:36 - Reply

    Sehr geehrter Herr Ecke,
    ein interessanter und kluger Beitrag. Lag Ihnen (etwa über 476 StPO) die vollständige Abschlussverfügung der StA oder nur die Pressemitteilung vor? Es wäre denkbar, dass eine Verurteilungswahrscheinlichkeit auch am Vorsatz bzgl. der Friedensstörung scheiterte, dies aber aus Darstellungsgründen nicht öffentlich gemacht wurde. Eine Strafbarkeit nach 130 StGB in dieser Konstellation zu bejahen, ist in vielerlei Hinsicht schwierig. So moralisch verwerflich und/oder blöd und verzogen es auch war, es bleiben junge (Jugendliche? Heranwachsende?), feiernde, wohl alkoholisch beeinflusste Menschen, die sich nicht in einem von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommenen und zudem unpolitischen Kontext wähnten. Diese Umstände würden jedenfalls eine Diversion vertretbar oder sogar angezeigt erscheinen lassen. Erziehung geht heute nicht mehr durch Strafe, sondern durch Bildung… Das Strafrecht stellt die ultima ratio des Staates dar. Und zahlreiche Handlungsweisen erfordern eine Bestrafung. Viel zu häufig wird das Strafrecht aber als Heilmittel (weiße Salbe?) für gesellschaftliche oder politische Versäumnisse bemüht…

    • Vincent Ecke Tue 27 May 2025 at 15:33 - Reply

      Sehr geehrter Flo,

      vielen Dank für Ihre kluge und interessante Anmerkung.

      Ich kann Ihnen nur zustimmen, wenn Sie sagen, dass in dem besprochenen Fall auch der Vorsatz hinsichtlich der Eignung zur Friedensstörung einer näheren Untersuchung bedurft hätte. Das würde sowohl für die von der Staatsanwaltschaft in der Pressemitteilung bemühte (§ 130 I Nr. 1), als auch für die von mir vorgeschlagene Tatbestandsvariante (§ 130 I Nr. 2) gelten.

      Aber natürlich schließen Jugend, Alkoholeinfluss, eine nur kleine Öffentlichkeit und ein unpolitischer Kontext aus Sicht der Beteiligten den Vorsatz zu einer Tat nach § 130 I nicht grundsätzlich und auch nicht in aller Regel aus. Vorsatz ist in seiner schwächsten Form – bezogen auf die Eignung zur Friedensstörung – die Kenntnis bloß der Möglichkeit, dass eine solche Eignung gegeben ist und das sich damit abfinden. Dafür sprach hier im Ausgangspunkt bereits, dass die besprochene Parole überhaupt laut in einem auditiv von Außenstehenden wahrnehmbaren Bereich gesungen wurde.

      Wenn die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren von fehlendem Vorsatz ausgegangen sein sollte, wäre es aber zumindest wünschenswert gewesen, sie hätte uns im Rahmen ihrer Pressemitteilung darüber informiert. Sie hat uns aber nur mitgeteilt, dass sie § 130 I Nr. 1 objektiv nicht als verwirklicht ansieht.

      Sie haben auch insoweit Recht, als sie das Strafrecht als ultima ratio des staatlichen Eingriffsrechts bezeichnen, aber das sagt noch nicht besonders viel aus. Dem Gesetzgeber kommt diesbezüglich jedenfalls ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Und wo er einen besonders offenen Straftatbestand, wie § 130 I StGB, schafft, ist dessen Auslegung unter Berücksichtigung des Wortlauts und des gesetzgeberischen Willens den (Tat-)Gerichten überlassen. Viele Straftatbestände, die seit längerem (auch) unter diesem Gesichtspunkt streitig geworden sind, sind vom Bundesverfassungsgericht “abgenickt” worden. Der Volksverhetzungstatbestand fällt jedenfalls nicht grundsätzlich in diesen Problembereich (wie uns das Bundesverfassungsgericht in den im Aufsatz genannten Entscheidungen implizit bestätigt).

      Dabei will ich gar nicht anzweifeln, dass eine Verurteilung wegen des Verhaltens auf Sylt nach § 130 I Nr. 2 StGB eine eher weite Auslegung implizieren würde. Doch da, wo sich die Gegebenheiten in der Realität so gravierend geändert haben, wie es für das Verhältnis zwischen “Deutschen” und “Ausländern” bedauerlicherweise in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist, ist auch eine korrigierende und dann ggf. weitere Auslegung eines Straftatbestands nicht schlechthin unter dem Gesichtspunkt der ultima ratio problematisch, sondern eher folgerichtig.

      Es geht dabei letztlich auch nicht um Erziehung, sondern um Prävention. Das ist nicht dasselbe. Der Betroffene muss nicht “umerzogen” werden, um sich durch eine Strafe zu einer Korrektur seines Verhaltens veranlasst zu sehen. Dasselbe gilt für die Allgemeinheit.

      Ich stimme Ihnen letztlich auch darin zu, dass hier durch Bildung Abhilfe geschaffen werden muss. Aber die Tendenz, sich auf einen Bildungsauftrag zu berufen, darf nicht dazu führen, dass man andere Systeme und Mittel für unzuständig oder unpassend erklärt. Bildung funktioniert in vielen Fällen, sicher auch im Bereich der Vorbeugung bezüglich der Äußerung rassistischer Parolen. Sie tut dies aber offensichtlich nicht immer und für alle. Und dann hilft es nichts, nach besserer Bildung zu rufen; dann muss – manchmal – das Strafrecht her.

      Dass das Strafrecht in mancherlei Hinsicht (zB Beförderungserschleichung? Selbst-Doping?) als Allheilmittel herhält, sehe auch ich kritisch. Dafür ist es nicht gedacht. Aber den hier besprochenen Bereich sehe ich davon nicht – vor allem nicht zuallererst – betroffen.

      Herzliche Grüße,
      Vincent Ecke

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