Rechtsextremismus im Partybeat
„Ausländer raus!“ und der Straftatbestand der Volksverhetzung
Im vergangenen Jahr skandierten Gäste der Pony-Bar auf Sylt lautstark „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!”. Ähnliche Szenen spielten sich in Baden-Württemberg und Berlin ab. In allen Fällen ermittelten die Strafverfolgungsbehörden wegen des Verdachts der Volksverhetzung, § 130 Abs. 1 StGB. Kürzlich gab die Staatsanwaltschaft Flensburg bekannt, das Sylter Verfahren mangels Tatverdachts eingestellt zu haben – ohne eine eingehende Prüfung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dabei bietet gerade diese Vorschrift eine tragfähige Grundlage, um kollektive Verunglimpfung auch jenseits direkter Gewaltaufrufe innerhalb der durch Art. 5 GG gezogenen Grenzen der Meinungsfreiheit zu erfassen. Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung hat vergleichbare Konstellationen bereits grundrechtskonform eingeordnet. In der Praxis der Ermittlungsbehörden spiegelt sich diese Linie bislang jedoch nur unzureichend wider.
Im Sylt-Verfahren offenbaren sich staatsanwaltschaftliche Versäumnisse
Die Flensburger Staatsanwaltschaft argumentierte, weder der Inhalt der Parole „Ausländer raus!“ noch die Gesamtumstände des Vorfalls ließen zweifelsfrei erkennen, dass „aggressive Missachtung und Feindschaft in der Bevölkerung“ gegen Ausländer erzeugt oder gesteigert werden sollten. Dies sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber gerade Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB. Welche Tatbestandsvariante sie dabei zugrunde gelegt hat, bleibt offen. Auch auf die herangezogenen Entscheidungen geht die Stellungnahme nicht näher ein.
Ein Blick in die Rechtsprechung zu § 130 Abs. 1 StGB lässt darauf schließen, dass auf das Merkmal des „Aufstachelns zum Hass“ in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB abgestellt worden sein muss, dessen Auslegung jedoch nicht einheitlich erfolgt. So vertraten in der Vergangenheit das Oberlandesgericht Brandenburg sowie das Kammergericht zwar dieses – mit Abstand engste – Verständnis (OLG Brandenburg NJW 2002, 1440, 1441; KG Berlin, Urt. v. 26. November 1997 – 1 Ss 145/94). Der Bundesgerichtshof hingegen lässt bereits das Hervorrufen einer „feindseligen Haltung“ genügen (BGH, Urt. v. 3. April 2008 – 3 StR 394/07).
Vor allem aber fällt auf, dass sich die Staatsanwaltschaft ausschließlich mit § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB befasst und die Variante des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB völlig außer Acht lässt, obwohl diese bei der gesungenen Parole nahegelegen hätte. Dass die Staatsanwaltschaft Flensburg sich der Darlegung einer entsprechenden Prüfung vollständig entzieht, untergräbt die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung.
Die richtige Tatbestandsvariante ist § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Einzelne Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind durch das lautstarke Singen der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ ohne Weiteres erfüllt. Es handelt sich dabei um ein „böswilliges Verächtlichmachen“ eines Bevölkerungsteils, das „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.
Der Bundesgerichtshof sieht ein Verächtlichmachen dann als gegeben an, wenn Menschen als unwert oder unwürdig dargestellt werden (BGH, Urt. v. 3. April 2008 – 3 StR 394/07 Rn. 17). Genau das leistet die Parole: Sie erklärt Ausländer für unwürdig, in Deutschland zu leben.
Auch die „Eignung zur Friedensstörung“ liegt vor. Erforderlich ist, dass die Tat in einer Weise begangen wird, die abstrakt geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dafür genügt bereits die Möglichkeit, dass die Äußerung das psychische Klima aufheizt, was bei öffentlichen Äußerungen der vorliegenden Art regelmäßig angenommen werden kann (BGH, Urt. v. 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05). Dass die Parole auf Sylt öffentlich gesungen wurde, bestätigt die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Flensburg.
Fraglich ist bloß, ob dadurch auch die Menschenwürde anderer im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB angegriffen wurde. Ein solcher Angriff liegt grundsätzlich vor, wenn das Recht des Angegriffenen, als gleichwertige Persönlichkeit in der Gemeinschaft zu leben, bestritten wird. Bereits 1995 hat das Oberlandesgericht Hamm dargelegt, dass die gemeinschaftlich und wiederholt gesungene Parole „Ausländer raus!“ diese Voraussetzung erfüllen kann:
„Denn dieser Aufruf richtet sich an alle Ausländer in der Weise, daß sie ohne Ausnahme das Land verlassen sollen. (…). Dabei werden die Ausländer als jedenfalls insoweit unterwertige Wesen dargestellt, daß sie den Schutz des Art. 3 GG nicht verdient hätten und schon allein aufgrund ihrer Nationalität anders zu behandeln seien.“ (OLG Hamm NStZ 1995, 136, 137).
Das Hinzutreten von Begleitumständen als weitere Voraussetzung
Nach der übrigen Rechtsprechung setzt ein Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass die Äußerung in einem bestimmten Kontext erfolgt, d.h. es müssen sog. „Begleitumstände“ hinzutreten (vgl. BVerfG NJW 2010, 2193, 2195 Rn. 28). Diese Anforderung ist grundsätzlich begrüßenswert, weil sie verhindert, dass der offen formulierte Volksverhetzungstatbestand zur Kriminalisierung soziadäquaten oder bloß provozierenden Verhaltens führt.
Einige Staatsanwaltschaften haben bei der Begründung ihrer Verfahrenseinstellungen explizit auf das Fehlen solcher Begleitumstände hingewiesen. In Berlin wurde argumentiert, es seien weder verbotene noch anderweitige Symbole und Gesten, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, verwendet worden. Die Staatsanwaltschaft Tübingen stützte ihre Entscheidung vor allem darauf, dass über keinen der Beteiligten polizeiliche Erkenntnisse zu ausländerfeindlichen Vorfällen oder eine Nähe zur rechten Szene vorlagen; außerdem seien die Äußerungen nicht von einem politischen Aufmarsch begleitet gewesen.
Anders lagen die Fälle, über die die Oberlandesgerichte zu entscheiden hatten: Dort waren entsprechende Begleitumstände jeweils gegeben. Dass die Vorinstanzen den Straftatbestand dennoch verneint hatten, wurde zu Recht korrigiert. Denn das Vorliegen solcher Umstände spricht regelmäßig für die Strafwürdigkeit der Äußerung. Das Oberlandesgericht Hamm konnte deshalb sogar offenlassen, ob die Parole bereits für sich genommen einen Angriff auf die Menschenwürde bedeutet. Umgekehrt folgt daraus aber nicht, dass das Fehlen solcher Begleitumstände automatisch Straflosigkeit zur Folge hat.
Diese Annahme greift zu kurz. Sie verschiebt den Prüfungsmaßstab weg vom Inhalt der Äußerung hin zur äußeren Erscheinung und sozialen Einbindung des Täters. Strafbar wäre demnach nur, wer durch Auftreten, Kleidung oder Szenezugehörigkeit als Rechtsextremer erkennbar ist. Mit anderen Worten: Als wäre die Volksverhetzung ein Delikt mit Dresscode – und ausschließlich für die rechtsextreme Szene von Bedeutung. Doch § 130 StGB schützt nicht vor bestimmten Personen, sondern vor bestimmten Aussagen. Rechtsextremistische Einstellungen zeigen sich nicht zwingend in Äußerlichkeiten. Das belegen nicht zuletzt auch aktuelle Umfragen: Ein Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung würde derzeit eine Partei wählen, die nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch gilt, ohne dass diese Menschen auch nur mehrheitlich dem stereotypen Bild eines Rechtsextremen entsprechen oder regelmäßig nach außen hin rechtsextrem auftreten.
Eine solche verkürzte Betrachtung nähert sich gefährlich dem Konzept eines Täterstrafrechts an und unterläuft zugleich die spezialpräventive Funktion des Strafrechts. Dieses darf nicht nur dort ansetzen, wo demokratische Grundüberzeugungen bereits vollständig aufgegeben wurden. Es muss auch intervenieren, wo sich autoritäres und ausgrenzendes Denken erst zu verfestigen beginnt.
Das gemeinschaftliche Singen und die politische Gesamtsituation sind maßgebliche Umstände
Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung berücksichtigte in ihren Fällen weitere Begleitumstände (OLG Hamm aaO; OLG Brandenburg aaO), die auch im Sylt-Verfahren vorlagen. Sie hätten in die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens mit Blick auf § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB einfließen müssen.
Zum einen wurde die Parole „Ausländer raus!“ gemeinschaftlich gerufen. Dass es sich dabei um private Feierlichkeiten und nicht um einen politischen Aufmarsch handelte, ändert daran nichts. Im Gegenteil: Gerade der Umstand, dass eine eindeutig rassistische Botschaft in einem – jedenfalls auditiv – öffentlich zugänglichen Raum mit einem bekannten Party-Hit gefeiert und normalisiert wurde, zeigt eine besondere Gefährlichkeit der Äußerung. Diese Übertragung in alltägliche Kontexte erklärt auch die schnelle Verbreitung durch Nachahmer. Das Oberlandesgericht Hamm hat das gemeinschaftliche und wiederholte Singen als eigenständiges Moment gewertet, das geeignet ist, die Menschenwürde in strafbarer Weise anzugreifen.
Zum anderen ist die politische Gesamtsituation zur Tatzeit entscheidend für die Einordnung der Äußerung. Volksverhetzende Parolen gewinnen an Brisanz, je stärker rechtsextreme Positionen gesellschaftlich Fuß fassen. Auch die Oberlandesgerichte haben diesen Zusammenhang gesehen. Sowohl das Oberlandesgericht Brandenburg, auf dessen Entscheidung sich die Staatsanwaltschaft Flensburg bezieht, als auch das Oberlandesgericht Hamm stellten bei der Auslegung von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf die Welle rassistischer Gewalt in den 1990er Jahren ab.
Die Äußerungen auf Sylt fielen ebenfalls in eine Phase zunehmender politischer Radikalisierung. Rechtsextremistische Kräfte verzeichnen seit Jahren wachsenden Zulauf. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Anstieg politisch motivierter Straftaten gegen Ausländer, insbesondere gegen Geflüchtete, in den vergangenen Jahren. In Schleswig-Holstein, dem Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Flensburg, ist die Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten im Jahr 2024 um 20 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen und hat sich seit 2020 mehr als verdoppelt. Die Zahlen für die gesamte Bundesrepublik zeigen eine ähnliche Tendenz.
Kein Raum für weitergehende Einschränkungen durch die Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit steht der hier vorgenommenen strafrechtlichen Bewertung nicht entgegen. Zwar schützt Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich auch rechtsextremistische Meinungen. Doch dieser verfassungsrechtliche Schutz bedeutet vor allem, dass Strafgerichte bei der Auslegung des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht nur den Wortlaut, sondern auch den Kontext und die begleitenden Umstände der Äußerung in den Blick nehmen müssen (BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Damit verweist das Bundesverfassungsgericht letztlich auf dieselben Maßstäbe, wie sie auch von den Fachgerichten verlangt werden.
Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargestellt, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit dort endet, wo eine Meinungsäußerung die Menschenwürde eines anderen verletzt (BVerfG NJW 2010, 2193, 2194 Rn. 26). Im Anwendungsbereich des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB bleibt daher kein Raum für die Berufung auf Art. 5 GG, sobald diese Schwelle überschritten ist (BVerfG, Beschl. v. 25. März 2008 – 1 BvR 1753/03 Rn. 38). Maßgeblich ist eine nachvollziehbare Begründung, aus der sich der Eingriff in den unantastbaren Kernbereich der Menschenwürde ergibt. (BVerfG NJW 2010, 2193, 2195 Rn. 27). Die Fachgerichte haben diese Schwelle durch das Erfordernis begleitender Umstände präzisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Linie ausdrücklich angeschlossen (aaO Rn. 28).
Im Fall der Parole „Ausländer raus!“ lässt der eindeutige Wortlaut keinen Raum für verfassungskonforme Relativierungen. Die Aussage spricht allen Ausländern pauschal das Recht ab, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft in Deutschland zu sein, während sie „den Deutschen“ das Lebensrecht im Inland selbstverständlich zuschreibt.
Staatliches Schweigen sendet ein gefährliches Signal
Kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass § 130 Abs. 1 StGB auf offen rassistische Parolen nicht anwendbar ist, schuldet sie der Öffentlichkeit eine Erklärung. Besonders in Grenzfällen muss diese nachvollziehbar sein. In Zeiten, in denen rechtsextreme Positionen Anschlussfähigkeit gewinnen, Hassparolen zur Normalität werden und politische Stimmungsmache gezielt auf Ausgrenzung setzt, wiegt staatliches Schweigen schwer. Dass die Staatsanwaltschaft Flensburg die mögliche Tatbestandsverwirklichung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB in ihrer Stellungnahme gänzlich unbeachtet lässt, ist vor dem Hintergrund nicht nur ein Redaktionsversäumnis. Es schwächt das Vertrauen in die Konsequenz rechtsstaatlicher Strafverfolgung.