Sollten Impfunwillige im Triage-Fall nachrangig behandelt werden? Teil 1
Der Vorschlag, Impfunwillige im Triage-Fall zurückzustellen, hat es zunächst nur vereinzelt in die Berichterstattung breiter wahrgenommener Medien geschafft. Für eine völlig ungenierte Präsentation des Vorschlags bot Ende Juli 2021 die Wirtschaftsredaktion der FAZ einem Ökonomen eine Plattform. Das unter dem Titel „Klappe halten, impfen lassen“ hinter einer Bezahlschranke publizierte Interview wurde verbreitet wegen des so formulierten Ratschlags wahrgenommen, den der Wissenschaftler dem damals noch ungeimpften bayerischen Minister Aiwanger erteilte. Tatsächlich hatte der Wissenschaftler, seines Zeichens Verhaltensökonom, neben einer allgemeinen Impfpflicht (weil sonst „die Kooperativen die Dummen“ seien) auch vorgeschlagen, im Triage-Fall den Impfstatus mit in die Abwägung einfließen zu lassen. Impfen sei ein solidarischer Akt, Impfverweigerung „Trittbrettfahrertum der übelsten Sorte“, „nicht wirklich etwas anderes als Schwarzfahren, Steuerhinterziehung oder andere Formen der Nichtkooperation.“ Als Vertreter einer Wissenschaft, die zuerst auf Marktlösungen setze, sei er grundsätzlich sehr zurückhaltend, was Vorschriften und Eingriffe in die Lebensführung von Menschen angehe. Wenn es aber, wie im aktuellen Fall, „Externalitäten“ („Todesfälle, Lockdowns, Schulschließungen, psychische Schäden, Insolvenzen …“) gebe, schlage die Stunde des Staates. Bei der Zwangsabgabe auf CO2-Emissionen für den Klimaschutz, wo es auch um das Einpreisen von Externalitäten gehe, setze auch niemand auf Freiwilligkeit. Er könne nicht begreifen, warum „wir uns so schwertun, stärkere Anreize zu setzen“ – wie eben zum Beispiel den, im Triage-Fall den Impfstatus zählen zu lassen.
Die FAZ-Redaktion enthielt sich jeder Distanzierung von den Ausführungen des im Aufmacher als Spitzenforscher präsentierten Ökonomen. Laut anschließenden Pressemeldungen wurde das von anderen nachgeholt: „Stammtischniveau“, „Diskriminierung der übelsten Art“. Zu einer im Ton moderateren Debatte kam es im vergangenen Sommer in der Schweiz. Dort verzeichnete man in der zweiten Augusthälfte eine Inzidenzwelle, die trotz nur leicht ansteigender Zahl fataler Verläufe zu einer spürbaren Belastung der Kliniken führte. Anfang September zitiert ein Presseartikel unter der Überschrift „Kanton Bern lanciert heikle Debatte“ gesundheitspolitische Amtsträger mit der Versicherung, der Impfstatus „würde sicher berücksichtigt werden“. Einer der Amtsträger erläutert, er hebe auf den Umstand ab, dass nach dem Kriterium der besseren Überlebenschancen triagiert werde – und „das dürften eher die Geimpften sein“. Ein weiteres Zitat legt nahe, dass neben dieser sogenannten medizinischen auch eine moralische Verknüpfung mitschwingt: „Wenn man im Leben A sagt, sagt man auch B“ – das Original des Sprichworts (Wer A sagt, muss auch B sagen) wird mitgehört. „Noch deutlicher“ wird, wenngleich im Konjunktiv, dem gleichen Pressebericht zufolge eine dritte Amtsträgerin: „Wer Impfgegner ist, der müsste eigentlich eine Patientenverfügung ausfüllen, worin er bestätigt, dass er im Fall einer Covid-Erkrankung keine Spital- und Intensivbehandlung will.“ Unter dem Subtitel „Ethikerin warnt“ fügt der Bericht eine kritische Meinungsäußerung bei: Es sei hoch problematisch, eine Krankheit „plötzlich als Schuld zu qualifizieren“. Auch widerspreche es der humanitären Tradition der Schweiz, wenn Menschen „einzig aufgrund einer Impfung als mehr oder weniger lebenswert taxiert“ würden. Früheren Meldungen zufolge hatten sich auch Amtsträger distanziert: „Im Spital haben Strafaktionen keinen Platz – ob geimpft oder ungeimpft.“
Dass man mit dem Wörtchen „human“ und seinen Ableitungen auch anderes verbinden kann, belegt eine jüngere Wortmeldung. Sie wurde am 11. November auf den Seiten des „Humanistischen Pressediensts“ eingestellt. Dieser Dienst versteht sich als aufklärerisch und „freigeistig“; laut Wikipedia handelt es sich um das reichweitenstärkste Organ der „säkularen“, d.h. religiösen Orientierungen abgeneigten Szene im deutschsprachigen Raum. Unter dem Titel „Wir müssen über eine Triage für Ungeimpfte sprechen“ schreibt die Autorin, das Thema gelte bislang als Tabu. Das halte sie für falsch. Zwar seien „auch die schlimmsten Egoisten und die größten Deppen“ Teil der Solidargemeinschaft. Aber das spreche nicht zwingend dagegen, Ungeimpfte in einer Triage-Situation gegenüber Geimpften zu benachteiligen. Sie selbst sehe momentan eher eine fragwürdige Bevorzugung der (mehrheitlich ungeimpften) Covid-19-Intensivpatienten am Werk, etwa gegenüber Herzinfarktpatienten oder Unfallopfern, die die Intensivpflege ebenso dringend, jedoch wesentlich kürzer zum Überleben benötigen würden. Auch die Absagen bei geplanten Operationen stellten eine medizinische Bevorzugung dieser Gruppe dar. (Ähnlich – gegen eine „Vorzugsbehandlung“ für Ungeimpfte – hatte sich in der Schweiz bereits im Juli eine Nationalrätin geäußert). Kurz, es sei an der Zeit, nun, wo die Triage näher rücke, über das Thema zu diskutieren. Zwei Tage später tut das auch eine Medizinethik-Professorin und fordert eine politische Klärung der Frage. „Unter dem Strich“ glaube sie, „dass sich die Beachtung des Impfstatus in einer überfüllten Intensivstation durchaus argumentieren ließe“. Am gleichen Tag äußert sich eine andere Medizinethikerin kritisch zu solchen Vorschlägen: „Ethisch ist das nicht vertretbar. Wir machen auch keinen Unterschied, ob jemand straffällig geworden ist oder nicht. Der Anspruch auf medizinische Behandlung ist Menschenrecht.“ Das gelte „ohne Ansehen der Person“.
Mittlerweile hat der Vorschlag auch rechtswissenschaftliche Weihen erhalten. Der Schutzauftrag des Staates für Leben und Gesundheit, soweit er durch Beschränkungen der individuellen Freiheit erfüllt werden soll, ende, so ein Rechtsprofessor in diesem Blog, wenn es dem Einzelnen „in zumutbarer Weise möglich ist, sich selbst zu schützen.“ Natürlich solle jeder, ob geimpft oder nicht, die beste Behandlung bekommen, die möglich ist. Aber wenn sie nicht mehr für alle möglich sei, greife ein „Gebot gerechter Lastenverteilung“: Wer eine Entscheidung frei und eigenverantwortlich treffe, habe „auch die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen“. Ihm jedenfalls falle kein plausibles Argument ein, das es rechtfertigen könnte, die Konsequenzen „stattdessen auf Dritte – wie andere dringend Behandlungsbedürftige – abzuwälzen“.
Tabus, die als solche angesprochen und kommentiert werden, haben schon an Kraft verloren. Mit der Warnung vor Tabubrüchen kann man sie nicht mehr stabilisieren, auch nicht mit empörten Reaktionen. Diskutieren wir also über das Thema – zunächst mit dem Ökonomen.
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Schwarzfahren ist eine Straftat (§ 265a, „Erschleichen von Leistungen“). Busse und Trams, in denen Schwarzfahrer unterwegs sind, müssten den Betrieb einstellen, wenn alle Nutzer sich erlauben würden, sie unbezahlt zu nutzen. Wegen dieses Zusammenhangs – das Allgemeinwerden der fraglichen Praxis macht die Praxis unmöglich – widerspricht das Schwarzfahren dem sogenannten Verallgemeinerungsprinzip, dem grundlegendsten, in der einen oder anderen Form von Utilitaristen ebenso wie von Kantianern vertretenen Prinzip der Moraltheorie. Die Verweigerung einer COVID-19-Impfung hat nicht dieselbe Struktur. Wenn alle Bürgerinnen und Bürger es unterließen, sich impfen zu lassen, würde dieses und jenes zusammenbrechen (darunter die Möglichkeit, sich impfen zu lassen), aber nicht die Möglichkeit, sich nicht impfen zu lassen. Die Praxis, sich nicht impfen zu lassen, setzt, wie jede bloß unterlassende Praxis, nicht voraus, dass es andere gibt, die sich derselben Praxis enthalten.
Vermutlich hat der Ökonom, wenn er vom Trittbrettfahren spricht, eine komplexere Praxis im Sinn – die Praxis, sich (natürlich immer gemeint: ohne anerkannten medizinischen Grund) nicht impfen zu lassen und nach Infizierung und Entwicklung eines schweren Verlaufs einen Platz auf der Intensivstation zu belegen. Diese Praxis ist, wie die aktuelle Pandemiewelle zeigt, im Rahmen der derzeit verfügbaren Ressourcen tatsächlich nicht verallgemeinerbar. Ihr zweiter (der nicht nur unterlassende) Teil ist aber nicht buchstäblich eine Praxis der Ungeimpften. Ungeimpfte besteigen Intensivbetten nicht wie Schwarzfahrer Busse und Bahnen. Sie werden von Ärzten dort eingewiesen. Das gilt jedenfalls, wenn sie nicht ausdrücklich protestieren; in Einzelfällen, etwa bei offensichtlicher Desinformation im Verein mit krankheitsbedingter aktueller Unfähigkeit zur informierten Willensbildung, kann es auch vorkommen, obwohl sie protestieren. Das ärztliche Verhalten folgt da etablierten Regeln. Weil es nun aber Teil der oben genannten, nicht verallgemeinerbaren Praxis ist, drängt sich, wenn die Impfquote zu niedrig bleibt, der Gedanke auf, ob man den Impfunwilligen nicht Beine machen könnte, indem man an diesen Regeln dreht. So jedenfalls erklärt sich mir der Vorschlag des Ökonomen.
Seiner Fassungslosigkeit darüber, dass sich unsere Gesellschaft mit starken Anreizen so schwer tut, verleiht der Ökonom mit Hinweis auf sogenannte Externalitäten Nachdruck (Lockdowns, Schulschließungen, kurz: „verheerende Folgen“). Als Externalitäten bezeichnen Ökonomen Kosten und Nutzen, die nicht beim Entscheider („Verursacher“) anfallen, sondern anderswo: Sie werden vergesellschaftet. Für negative Externalitäten sind freie, nicht mit kompensierenden Abgaben belegte CO2-Emissionen ein gutes Beispiel. Mit der Einforderung von Abgaben kümmert der Staat sich darum, dass die Verursacher das finanzielle Äquivalent des schädigenden Effekts oder wenigstens Teile dieses Äquivalents selbst tragen. Mit der Einforderung von Solidaritätsleistungen hat das nichts zu tun. Vielmehr geht es – nun, nicht buchstäblich um das Gebot, andere nicht zu schädigen. Ein solches Gebot kennt die hier einschlägige Institutionenökonomik nicht. Stattdessen geht es ihr um die Frage, was effizienter ist: dass der Verursacher andere schädigt oder dass man den Verursacher schädigt, indem man ihm verbietet, andere zu schädigen1). Wenn solche Effizienzorientierung, wie beim Handel mit Emissionszertifikaten, mit der kontinuierlichen Reduktion der Gesamtemissionsmenge kombiniert wird und es genau darauf – auf den schrittweisen Abbau der Gesamtemissionen – auch ankommt, macht das Sinn.
Will man solche Begrifflichkeiten auf den vorliegenden Fall übertragen, dann richtig: Lockdowns mitsamt ihren Folgen (Schulschließungen, Insolvenzen usw.) sind keine von Impfunwilligen erzeugte Externalitäten. Sie sind Maßnahmen, die der Staat ergreift, um diejenige Externalität einzudämmen, die tatsächlich am Ungeimpftsein hängt: dass der Ungeimpfte (sehr viel wahrscheinlicher als der Geimpfte) andere ansteckt. Welche Maßnahmen in welcher Lage ausreichend effektiv sind, um die regelgerechte Akutversorgung aufrechterhalten zu können, wird laufend diskutiert. Die Institutionenökonomik zielt aber auf etwas anderes. Sie verlangt, dass geprüft wird, welche Maßnahmen effizient sind, d.h. das bestmögliche Kosten-Nutzen-Verhältnis haben. Die Aufrechterhaltung der regelgerechten Akutversorgung ist da nur ein Faktor, der nach Maßgabe des Werts der im Triage-Fall zu erwartenden zusätzlichen Todesfälle und Gesundheitsschäden in die Kostenrechnung mit eingestellt wird. Solche Rechnungen haben Ökonomen schon gleich zu Beginn der Pandemie angestellt. Sie zu kommentieren, ist hier nicht die Absicht. Die Absicht ist, darauf aufmerksam zu machen, dass man die ökonomische Kategorie der Externalität nicht auf Folgen individuellen Verhaltens anwenden kann, deren Eintritt staatlichen Reaktionen auf dieses Verhalten geschuldet ist.
Was das Schwarzfahren und viele andere tatsächliche Beispiele sogenannten Trittbrettfahrens angeht, wird die betreffende Verhaltensweise auch deshalb unterbunden, weil andernfalls die Motivation der Gutwilligen bröckelt. Oft mögen sie ihren Beitrag dann auch nicht mehr leisten. Auch in diesem Punkt ist die Struktur beim Impfen eine andere. Ohne jede Impfpflicht oder auch nur die Rede von einer Impfpflicht hat im Frühjahr und Frühsommer 2021 die große Mehrheit der Bürger das erste Impfangebot ergriffen, das ihnen gemacht werden konnte. Dass es zahlreiche Impfgegner gibt, war dabei bekannt. Anders als der Nutzen des Bezahlens von Tramfahrten war der Nutzen, den die Menschen sich von der Impfung versprachen, eben nicht daran gebunden, dass andere „kooperieren“. Deswegen hat der Ökonom auch unrecht, wenn er sagt, dass diejenigen, die er die Kooperativen nennt, nämlich die Geimpften, die Dummen seien. Seltene Sonderfälle ausgenommen, war und ist es nach den verfügbaren epidemiologischen und medizinischen Evidenzen klug, sich impfen zu lassen. Über die Frage, warum Impfunwillige das entweder anders sehen oder nicht bereit oder imstande scheinen, sich von Risikobetrachtungen motivieren zu lassen, darf gerätselt werden. Aber egal, was dahintersteckt: Die Idee, man könne Menschen, die an das Erkrankungsrisiko nicht glauben oder die es nicht ausreichend zu schrecken scheint, zur Vernunft bringen, indem man ihnen in Aussicht stellt, im Erkrankungsfall nachrangig behandelt zu werden, ist schon bemerkenswert schräg. Zumal für einen Verhaltensforscher.
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Dass Gesundheitspolitiker, Mediziner und die meisten anderen Menschen auf Impfunwillige derzeit nicht gut zu sprechen sind, ist vollkommen verständlich. Wenn diese Bürger ihren Anteil an der nicht verallgemeinerbaren Praxis verändern würden, bliebe der andere Teil – die übliche, regelgerechte, rein bedarfsorientierte medizinische Praxis der Aufnahme von Patienten in Intensivstationen – weiterhin möglich. Die Frage zu stellen, ob Patienten sich in der Vergangenheit verdienstlich (oder auch nur legal) verhalten haben, ist dieser Praxis in der Tat völlig fremd. Befürwortern des Vorschlags, Impfunwillige nachrangig zu behandeln, sollte man aber nicht unterstellen, sie wollten nun diese Gruppe mithilfe von Änderungen der medizinischen Praxis sanktionieren. Ginge es darum, Impfunwillige für ihr Verhalten zu sanktionieren, müsste man die Behandlung allen Impfunwilligen verweigern. Keine der zitierten Wortmeldungen legt so etwas im Entferntesten nahe. Vielmehr geht es
- teils um den (oben schon kommentierten) Vorschlag, einen Impfanreiz zu setzen,
- teils um die These, es sei ein Gebot der Gerechtigkeit, Impfunwillige die Konsequenzen ihrer freien Entscheidung selbst tragen zu lassen (Diskussion folgt)
- und schließlich um die These, eine ohne Rekurs auf den Impfstatus operierende Triage-Praxis laufe auf eine fragwürdige Bevorzugung der Impfunwilligen hinaus, die zu korrigieren sei (Diskussion folgt).
All diese Argumente, vielleicht auch weitere, muss man jetzt prüfen. Denn im Moment sieht es leider nicht so aus, dass die naheliegendste Maßnahme zum Schutz der Akutversorgung vor Überlastung rasch genug greift: Kontaktbeschränkungen für Personen mit nach wie vor hoher Wahrscheinlichkeit, sich und andere anzustecken.
Fortsetzung folgt
References
↑1 | Ronald H. Coase, The Problem of Social Cost, in: The Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1-44, S. 2: “The question is commonly thought of as one in which A inflicts harm on B and what has to be decided is: how should we restrain A? But this is wrong […]. To avoid the harm to B would inflict harm on A. […] The problem is to avoid the more serious harm.” |
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Vielen Dank für diesen Beitrag zur Diskussion. Mir erschließt sich allerdings nicht, warum das Impfverhalten keine Externalität nach sich ziehen soll. Sie argumentieren, dass man die “Kategorie der Externalität nicht auf Folgen individuellen Verhaltens anwenden kann, deren Eintritt staatlichen Reaktionen auf dieses Verhalten geschuldet ist. ” Das finde ich zweifelhaft. Natürlich entscheiden Politiker, welche konkreten Maßnahmen als Reaktion auf die Verbreitung des Virus’ ergriffen werden. Dass welche ergriffen werden, ist aber eine notwendige Folge auf das Infektionsgeschehen und dieses ist nun mal eine Nebenwirkung der mangelnden Impfbereitschaft. Davon abgesehen ist die Triage selbst keine von Politikern verhängte Maßnahme, sondern tritt bei einer Überlastung infolge einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus’ automatisch auf. Nun mag man sagen, das Eintreten einer Triage-Situation hängt sehr wohl auch von Entscheidungen der Politik ab – schließlich kann sie diese ja durch Eindammungsmaßnahmen versuchen zu verhindern. Und das muss sie auch, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Insofern kann man auch diese Maßnahmen durchaus als Externalität der Impfentscheidung betrachten, denn für den Einzelnen ist absehbar, dass die Politik unweigerlich reagieren muss. Wenn es sie zudem stört Nicht-Handelns eine negative Externalität zuzugestehen, dann betrachten Sie es doch mal so: wir lernen von Coase, dass Externalitäten grundsätzlich eine zweiseitiges Phänomen sind. Für den einen verursacht ein bestimmtes Verhalten eine negative Externalität, für den anderen aber das Bestehen auf dessen Unterlassung – oder umgekehrt. Das Sich-Impfen-Lassen hat neben dem individuellen Nutzen zweifellos eine positive Externalität für die Allgemeinheit. Umgekehrt hat also das Unterlassen notwendigerweise eine Negative.
Mir stellt sich die Frage, inwieweit Habermas’ Überlegungen (https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/september/corona-und-der-schutz-des-lebens [zuletzt abgerufen 18.11.2021] ) hier von Belang sind.
Wenn ich Habermas richtig interpretiere, dann würde diese Triagesituation den Gedanken, dass das Nichthandeln des Staates bezüglich Impfpflicht verfassungswidrig in Bezug auf die Menschenwürde sei, zuspitzen.