Aus Alt mach Neu?
Warum der Alt-Bundestag kein Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen kann
Das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl steht fest und die neuen Mehrheiten stehen vor dem gleichen Problem, das im November letzten Jahres bereits zum Ampel-Bruch geführt hatte: die seriöse Finanzierung des Bundeshaushalts unter Einhaltung der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse. Nachdem eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen lange am Widerstand von FDP und CDU/CSU gescheitert waren, scheint jedenfalls die CDU – wohl nicht ganz unbeeinflusst von ihrem Wahlsieg – geläutert. Merz äußert sich seit Wochen relativierend und hat Gerüchten zufolge gemeinsam mit Grünen und SPD angesichts der Sperrminorität von AfD und Linkspartei infolge der geänderten Mehrheitsverhältnisse einen politischen Coup geplant: Man überlegt die alten Mehrheiten der sogenannten demokratischen Mitte zu nutzen, um noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages eine Verfassungsänderung in Form eines neuen Sondervermögens zu beschließen. Aus demokratietheoretischer Sicht drängt sich die Frage auf, ob der aktuelle Bundestag nach der Wahl über ausreichend Legitimität verfügt, um weitreichende gesetzgeberische Entscheidungen zu treffen. Nicht nur für die Reform der Schuldenbremse, sondern auch um ein neues Sondervermögen zu beschließen, muss das Grundgesetz verändert werden. Dieser Beitrag zeigt, dass der Alt-Bundestag jedoch infolge der Neuwahl die nötige Legitimation verloren hat, um das Grundgesetz anzupassen.
Verfassungsrechtliches Gebot des handlungsfähigen Bundestages
Das Grundgesetz enthält keine konkrete Regelung über die Kompetenzverteilung während der Zeit zwischen Neuwahl und Konstituierung. Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG bestimmt lediglich, dass die Wahlperiode des alten Bundestages erst mit dem Zusammentritt des neuen endet. Daraus wird allgemein geschlussfolgert, dass der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen Bundestages in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt sei. Insbesondere könne er weiterhin formell wirksam Gesetze verabschieden. Art. 39 Abs. 2 GG begrenzt zudem den Zeitraum zwischen Wahl und Konstituierung auf maximal 30 Tage. Insgesamt wird Art. 39 GG daher dahingehend ausgelegt, dass das Grundgesetz sich mit einem durch Neuwahlen in seiner Legitimität geschwächten Alt-Bundestag abfindet und dessen Kompetenzen zugunsten der parlamentarischen Handlungsfähigkeit aufrechterhält. Zum Ausgleich begrenzt das Grundgesetz jedoch die Dauer dieses Zustandes auf einen relativ kurzen Zeitraum von 30 Tagen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Art. 39 Abs. 1 GG a.F. ordnete nicht nur nach Zusammentritt des neuen Bundestages, sondern auch im Falle der Auflösung ein sofortiges Ende der Wahlperiode des alten Bundestages an, was nach dem Auseinanderfallen der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt infolge der umstritten Ost-Politik zu einer als unbefriedigend empfundenen parlamentslosen Zeit führte. Diesen Zustand wollte der Verfassungsgesetzgeber für die Zukunft verhindern und änderte daher im Jahre 1976 Art. 39 Abs. 1 GG a.F. (Kochsiek, S. 53f). Nunmehr endet nach Art. 39 Abs. 1 S. 1 n.F. die Wahlperiode des alten Bundestages nur noch durch Zusammentritt eines neuen, sodass eine Zwischenzeit ohne (handlungsfähiges) Parlament verhindert wird. Auch der Wille des Verfassungsgesetzgebers spricht demnach für einen handlungsfähigen Alt-Bundestag in der Zeit vor der Konstituierung des neuen Bundestages.
Reichweite der Kompetenzen des handlungsfähigen Bundestages
Damit ist aber noch nichts über die Reichweite der Handlungsfähigkeit, technisch gesprochen über die Qualität der materiellen Kompetenzen des Bundestages gesagt. Dass der Bundestag grundsätzlich handlungsfähig bleiben soll, bedeutet nicht, dass er jegliche Kompetenz ausüben können muss. Vielmehr ist auch denkbar, dass der Alt-Bundestag handlungsfähig bleibt, es ihm aber in Anbetracht der Wahl eines neuen Bundestages versagt bleiben muss, weitreichende und womöglich unumkehrbare Entscheidungen zu treffen.
Das würde voraussetzen, dass (i) die Legitimation des Bundestages geschwächt oder aufgehoben ist und (ii) der Verfassung ein Grundsatz entnommen werden kann, nach dem Legitimationseinbußen mit Kompetenzeinbußen einhergehen.
Legitimation und Legitimität
Legitimation ist zunächst ein Erklärungsmodell zur Rechtfertigung von Herrschaft (Kochsiek, S. 104). Während Legitimität nur den qualitativen Zustand der Herrschaft beschreibt, umfasst Legitimation darüberhinausgehend die Herleitung und Begründung der Herrschaftsverhältnisse. Eine Herrschaft ist legitim, wenn sie legitimiert ist. Die zentralen Anknüpfungspunkte zur Legitimation der parlamentarischen Demokratie finden sich in Art. 20 Abs. 2 GG und dem darin enthaltene Demokratieprinzip. Die Fremdherrschaft über das Volk durch eine kleine Gruppe von Abgeordneten wird legitimiert, indem dem Volk das Recht zugestanden wird, die Abgeordneten durch Wahlen selbst zu bestimmen. Zentrale Frage ist nun, ob die grundsätzlich bestehende Legitimation des Alt-Bundestages durch die Neuwahlen (zumindest teilweise) erschüttert ist.
Legitimitätsübergang auf neuen Bundestag
Ausgangspunkt ist dabei, dass sich das legitimierende Verhalten des Wahlvolkes, d.h. diejenige(n) Handlungen(en) die das Parlament legitimieren, auf die Stimmabgabe am Wahltag beschränkt, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Dass die Legitimation abgegeben wurde, muss allerdings nicht zwangsläufig zur sofortigen Legitimität des betroffenen Verfassungsorgan führen. Nach überwiegender Ansicht ist Art. 39 Abs. 1 S. 2 Ausdruck dieses verzögerten Legitimitätseintritts beim neuen Bundestag (erst mit Konstituierung, vgl. oben). Dies ist aber nicht zwingend: Art. 39 GG kann auch als Ausdruck eines Legitimationsverlustes des Alt-Bundestages interpretiert werden. Dass Art. 39 Abs. 2 GG die Höchstfrist auf ein sehr kurzes Maß von 30 Tagen begrenzt, ist Folge einer grundsätzlichen Skepsis des Grundgesetzes gegenüber diesem Interimszustand. Sogar bei einer Auflösung des Parlaments, die die Verfassung tunlichst verhindern möchte, gewährt das Grundgesetz eine großzügige Frist von 60 Tagen, um Neuwahlen durchzuführen. Dies mag zum einen mit der aufwendigen und zeitintensiven Organisation von Neuwahlen zusammenhängen. Gleichzeitig besteht aber auch kein Bedürfnis für eine kürzere Frist, weil die Auflösung des Parlaments keine Legitimationseinbuße mit sich bringt, denn der Bundestag kann nur infolge einer gescheiterten Vertrauensfrage (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) oder einer gescheiterten Kanzlerwahl (Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG) aufgelöst werden. Scheitern Vertrauensfrage oder Kanzlerwahl, ist lediglich die Legitimität des Kanzlers, nicht aber die des Parlaments aufgehoben.
Zudem lässt auch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG keinen Raum für einen verzögerten Legitimitätseintritt beim neuen Bundestag. Die vom Volke ausgehende Staatsgewalt wird durch Wahlen ausgeübt, nicht durch die Konstituierung des Bundestages oder andere Zwischenakte. Dass es organisatorisch notwendig ist, einen nach der Wahl liegenden Zeitpunkt für den Machtwechsel zu bestimmen, ändert nichts daran, dass die Legitimation bereits vor dem Stichtag erteilt wurde und nicht etwa durch diesen ausgelöst wird. Insofern ist es erhellend von einer materiellen, unmittelbar durch Wahlen ausgedrückten Legitimation und einer formellen, infolge Konstituierung eintretenden Legitimation zu sprechen. Daraus folgt, dass der neue Bundestag ab der Wahl bereits materiell legitimiert ist. Diese Legitimität des neuen Bundestages kann indes nicht ohne Folgen für die Legitimität des Alt-Bundestages bleiben. Vielmehr geht ein Teil der Legitimität des Alt-Bundestages auf den neuen Bundestag über.
Dass die Kompetenzen gänzlich auf den neuen Bundestag übergehen, ist weder nötig noch praktikabel, da der neue Bundestag mangels Konstituierung nicht handlungsfähig ist und damit nicht in der Lage wäre, die Kompetenzen zu nutzen. Allerdings erscheint es geboten, dem Alt-Bundestag die Ausübung bestimmter Kompetenzen zu versagen. Dass diese Sichtweise dem Grundgesetz auch nicht vollkommen fremd ist, zeigen ein Vergleich zur Regelung über die Bundesregierung sowie ein der Verfassung immanenter Grundsatz.
Die geschäftsführende Bundesregierung
Art. 69 Abs. 3 GG bestimmt, dass der Bundeskanzler sowie seine Minister ermächtigt (und auf Ersuchen des Bundespräsidenten auch verpflichtet) sind, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen – die Bundesregierung soll geschäftsführend im Amt bleiben. Zwar ordnet Art. 69 Abs. 3 GG damit, ebenso wie Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG, keine ausdrückliche Kompetenzeinschränkung an. Aufgrund ihrer fehlenden parlamentarischen Legitimation sind die Kompetenzen der geschäftsführenden Bundesregierung nach allgemeiner Auffassung der juristischen Literatur aber beschränkt (nur Kämmerer, Rn. 42). So ist der geschäftsführende Bundeskanzler insbesondere nicht berechtigt, die Vertrauensfrage gem. Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG zu stellen, da ihm auch nie das Vertrauen durch den neuen Bundestag im Wege der Kanzlerwahl ausgesprochen wurde. Gleiches gilt für den Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 GG (Epping, Rn. 46). Es entspricht zudem der Staatspraxis, dass die geschäftsführende Bundesregierung keine weitreichenden Entscheidungen trifft (Piper, Rn. 8). Das Grundgesetz antwortet also in gewisser Form spiegelbildlich auf die fehlende parlamentarische Legitimation der Bundesregierung mit der Einschränkung solcher Befugnisse, die in besonderer Weise Legitimation erfordern.
Das proportionale Verhältnis von Legitimation und Kompetenz
Dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) kann zudem der Grundsatz entnommen werden, dass die erforderliche Legitimation in Abhängigkeit der Relevanz der Entscheidung proportional steigt, d.h. je wichtiger die Entscheidung für das Gemeinwesen, desto mehr Legitimation ist notwendig, um sie treffen zu dürfen (Sommermann in Huber/Voßkuhle). Aus diesen Überlegungen ist auch die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG (bspw. hier, hier und hier) hervorgegangen, nach der lediglich der direkt legitimierte Bundestag die für wesentliche Entscheidungen notwendige Legitimation besitzt. Aus diesem Prinzip kann somit abgeleitet werden, dass auch die Reichweite der Kompetenzen des Parlaments unmittelbar mit seinem Legitimationsgrad verbunden ist.
Dies spricht dafür, während eines Zustandes geschwächter Legitimation eine Beschränkung solcher Kompetenzen anzunehmen, die Ausdruck der besonders hohen Legitimation des Bundestages sind. Verfehlt wäre es allerdings jede i.S.d. Wesentlichkeitstheorie wesentliche Entscheidung als Ausdruck besonderer Legitimation zu begreifen, da auf diese Weise die Kernkompetenz des Bundestages beschnitten und dies mit dem Ziel des Art. 39 Abs. 2 GG unvereinbar wäre.
Kompetenzeinschränkungen des Alt-Bundestages
Ausgehend von der oben getroffenen Feststellung, dass ein Teil der Legitimität auf den neuen Bundestag übergeht, ist stattdessen zunächst die Ausübung solcher Kompetenzen zu beschränken, die die Legitimität des neuen Bundestages in Frage stellen. Dazu zählen Entscheidungen, die in die Kompetenzen des neuen Bundestages eingreifen, weil sie tatsächlich oder rechtlich unumkehrbar sind (unter Verweis auf politisch oder tatsächliche Bindung ähnlich Klein/Schwarz, Rn. 53). Um eine Kompetenzeinschränkung zu begründen, reicht es indes nicht aus, dass die Rückabwicklung eines Gesetzes des Alt-Bundestages nach der Wahl aufgrund veränderter Mehrheiten politisch unmöglich ist. Daher fällt die geplante Einsetzung des Sondervermögens nicht in diese Kategorie der unumkehrbaren Entscheidungen, auch wenn es als ausgeschlossen erscheint, dass die neuen Mehrheiten die Grundgesetzänderung rückgängig machen würden. Unumkehrbar und mit der Kompetenzeinschränkung des Alt-Bundestages unvereinbar, wäre es etwa einen völkerrechtlichen Vertrag zu ratifizieren, der trotz der vom BVerfG anerkannten Möglichkeit eines treaty override den neuen Bundestag völkerrechtlich binden würde.
Darüber hinaus gibt es Kompetenzen, die aufgrund verfassungsrechtlicher Wertungen eine besonders hohe Legitimation erfordern. Ordnet das Grundgesetz eine besondere Mehrheit an, etwa eine absolute oder gar 2/3-Mehrheit, bringt es damit ein besonderes Repräsentationserfordernis zum Ausdruck. Da – wie oben gesehen – die Legitimation des Bundestages unmittelbar auf der Repräsentation des Wahlvolkes beruht, ist der erhöhte Repräsentationsgrad zugleich Mittel, um die für bestimmte Entscheidungen notwendige Legitimation herbeizuführen. Manche Entscheidungen sind so wichtig, dass sie selbst der Bundestag nicht mit einfacher Mehrheit beschließen darf. Dazu zählt vor allem die Verfassungsänderung (Art. 79 Abs. 2 GG). Die Verfassungsänderung als weitreichendste Kompetenz des Bundestages bedarf daher – in konsequenter Fortentwicklung der Wesentlichkeitstheorie – einer gegenüber einfachen Beschlüssen erhöhten Legitimation, die der Alt-Bundestag nach Neuwahlen und einem teilweise Legitimitätsübergang auf den neuen Bundestag nicht mehr besitzt. Auch für ein neues Sondervermögen müsste der Bundestag die Verfassung ändern: Der durch das erste Sondervermögen eingefügte Art. 87a Ia GG müsste erneut modifiziert werden, damit ein erneutes Sondervermögen – trotz der Schuldenbremse in Art. 115 GG – zulässig wäre. Somit wäre der Alt-Bundestag aufgrund der erforderlichen Grundgesetzänderung auch daran gehindert, ein neues Sondervermögen zu beschließen.
Fazit
Die Neuwahl bildet durch die Kundgabe des Wählerwillens eine politische Zäsur. Durch die mit der Stimmabgabe verbundene Legitimationswirkung zeitigt die Wahl zudem auch unmittelbar rechtliche Folgen. Die Legitimität des neuen Bundestages geht auf Kosten der Legitimität des alten. Daher kann der Alt-Bundestag seine Kompetenzen nicht zulasten des legitimierten neuen Bundestages nutzen. Er ist daran gehindert, Entscheidungen zu treffen, die ausweislich besonderer Wertungen des Grundgesetzes eine besondere Legitimation voraussetzen. Die Idee, ein Sondervermögen auf Verfassungsebene mit den Stimmen des alten Bundestages zu beschließen, um die Mehrheiten des neuen Bundestages zu umgehen, ist daher nicht nur politisch fragwürdig und der Wahlentscheidung des Souverän gegenüber gleichgültig, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht unzulässig.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist zunächst mit einer Fußnote errschienen, die eine unzutreffende Angabe zur Auflösung des Weimarer Reichstags enthielt. Die Fußnote wurde nachträglich entfernt.
Ich finde die Überlegungen akademisch interessant.
Bei grundlegenden Fragen sollten wir immer an die Anfänge gehen. Wie muss etwas gemeint sein um die FDGO funktionsfähig zu halten.
Wir haben evident in der Gesamtschau eine Trennung zwischen Wahltag des nächsten Bundestages und Beginn des nächsten Bundestages. Nichts im Grundgesetz lässt daran zweifeln. Wenn ein Interregnum nicht geregelt ist und sogar Verfassungsänderungen vorgenommen wurden, die eine solche Interpretation unterbinden, dann bleibt uns nur festzuhalten, dass der 20. Bundestag weiterhin der gewählte Bundestag ist, der aktuell beschlussfähig ist. Die “Ferien” nach dem Wahltag sind ein organisatorischer Brauch, mehr nicht.
Ich stimme mit den Überlegungen nicht überein. Es ist schon sehr gewollt, hier Legitimitätsübergänge anzunehmen und zu begründen, um womöglich zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen.
Der Autor setzt sich nicht damit auseinander, dass der 21. Bundestag es selbst in der Hand hat zusammenzutreten und die 30 Tagesfrist früher zur Konstituierung zu nutzen. Nach Art. 39 GG ist nur der späteste Zusammentritt des neu gewählten Bundestages festgelegt. Ein früherer Zusammentritt wäre also möglich.
Das hier gewählte Modell, dass sich mit abnehmender Legitimation des Bundestages beschäftigt, führt in seiner Konsequenz dazu, dass mit dieser Argumentation Entscheidungen des Bundestages mit jedem Monat Abstand zur Wahl bereits fragwürdiger werden. Das ist aber sicherlich nicht sinnvoll, will man nicht repräsentative demokratische Strukturen generell in Frage stellen.
Ergänzend sei hier darauf hingewiesen, dass der 20. Bundestag ursprünglich bis September 2025 gewählt wurde.
Über den Text könnte man vieles sagen. Ob sich die Mühe lohnte, ist eine andere Frage. Dagegen spricht jedenfalls die bare Unkenntnis in der Fußnote: der Weimarer Reichstag besaß kein Selbstauflösungsrecht; auflösen konnte allein der Reichspräsident den Reichstag nach Art 25 WRV. Phrasendrescherei gibt noch keine Demokratietheorie.
Man fragt sich schon seit längerem, warum Fehler dieser Art oder kolossale Auslassungen in den hier erscheinenden Texten stehen bleiben. Die Redigatur durch die Redaktion scheint weder kritisch noch sorgfältig zu sein. Darunter leidet, ganz abgesehen von der offensichtlichen politischen Schlagseite, die Qualität der Texte.
Jedes Argument in diesem Beitrag lässt sich mühelos umkehren. Wenn die Verfassung Grenzen der geschäftsführenden BReg enthält, muss das auch für den BTag gelten? Wieso nicht: Die Verfassung enthält ausdrückliche Schranken für die geschäftsführende BReg – wenn sie das für den BTag auch gewollt hätte, hätte es sich aufgedrängt, es zu regeln? Dazu kommt, dass der geschäftsführenden BReg gerade nicht weitreichende Entscheidungen pauschal verboten werden, sondern nur ganz bestimmte Befugnisse für sie nicht gelten – und zwar vor allem deshalb, weil sie für die geschäftsführende BReg keinen Sinn ergeben (wie die Vertrauensfrage – natürlich hat die geschäftsführende BReg nicht das Vertrauen des BTages, sonst wäre sie nicht geschäftsführend). Und letztlich macht eine ganz simple Frage dem gesamten Beitrag den Garaus. Auch die Feststellung des Verteidigungsfalles erfolgt mit Zweidrittelmehrheit, erfordert also eine hohe Legitimation. Soll es im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Bundesgebiet also dem Bundestag ernsthaft verboten sein, den Verteidigungsfall auszurufen?
Das Gegenargument, die Verfassung hätte Schranken für den alten Bundestag regeln können, wenn sie es gewollt hätte, geht leider nicht auf den von Bella doch erwähnten Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ein, aus dem sich eine solche Beschränkungsidee des GG durchaus ableiten lässt. In der Tat übt der Souverän seine Staatsgewalt schon durch die Wahlen aus und nicht erst durch die Konstituierung des neuen Bundestags, deren Zeitpunkt zudem auch noch praktisch vom Gutdünken des Präsidenten des alten (!) Bundestags abhängig ist. Es kann jedenfalls in einem Verfassungsblog nicht überzeugen, dass man ein solches tiefgreifendes Problem der demokratischen Legimitation für eine Verfassungsänderung mit potentiell jahrzehntelanger Auswirkung (gemessen an den schwindelerregenden Beträgen, die derzeit für die geplanten Sondervermögen im Raum stehen) einfach formaljuristisch abtut. Und das angeblich “den Garaus machende” Argument mit der Feststellung des Verteidigungsfalles greift zu einem Vergleich von Äpfel mit Birnen: Hier besteht doch ein entscheidender Unterschied in dem Zeitdruck, der für diese Feststellung des Verteidigungsfalles regelmäßig bestehen wird; dabei kann es um wenige Tage gehen, in denen zwingend militärische Maßnahmen angestoßen werden müssen, was ein Zuwarten auf den neuen Bundestag dann vernünftigerweise nicht zulässt. Davon kann bei der Entscheidung über eine massive Ausweitung der Staatsverschuldung keine Rede sein; hier kann und sollte man in Ruhe abwägen und diskutieren.
Die „alte“ Bundestagspräsidenten setzt den Termin der Konstitituierung nicht nach eigenem Gutdünken fest, sondern im Einvernehmen mit dem Vorältestenrat, also Vertretern der neuen alten Fraktionen.
Die Terminierung der konstituierende Sitzung scheint mir doch ein gewisses Element der Willkür zu haben. Wenn man davon ausgeht, dass der neue Bundestag sich selbst konstituiert, dann kann der Termin eigentlich erst nach der offiziellen Feststellung des amtlichen Endergebnisses geschehen. Den “Vor-Ältestenrat” gibt es weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des alten Bundestages, dies Gremium kann sich also nur auf Gewohnheitsrecht berufen. Das bedeutet, dass zwischen dem Datum der Feststellung des amtlichen Endergebnisses (14.3.) und der 30-Tage Frist (25.3.) jeder Termin denkbar wäre. Dies mag unwichtig sein, wenn es nur um die formale Konstituierung und Präsidentenwahl geht, ist aber nicht unwichtig, wenn damit Verfassungsänderungen und Sondervermögen verbunden sind. Also: wer hat eigentlich die Befugnis über das Datum zu befinden? Der Vorältestenrat ist hier keine wirkliche Antwort und die Frage kann – in diesem besonderen Fall – nicht einfach gewohnheitsrechtlich beantwortet werden. Das ist doch alles sehr ominös.
Nette Überlegungen, du übersiehst dabei nur einen wesentlichen Punkt:
Wir sprechen aktuell vom vorläufigen Wahlergebnis. Das endgültige Ergebnis soll erst in 2 Wochen fest stehen lt. Bundeswahlleiterin, ergo ist deine Legitimation nach Art.20 GG noch gar nicht gegeben
“Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt.”
Sie wird in Wahlen ausgeübt, nicht in endgültigen Wahlergebnissen.
Gewählt wurde vor über einer Woche. Was der Wille des Souveräns ist, mag bis zum endgültigen Wahlergebnis nicht klar sein, aber es is jedenfalls klar, dass die aktuelle Zusammensetzung des Bundestages ihm nicht entspricht.
Wie muss ich den Begriff “Fremdherrschaft” in dem Satz “Die Fremdherrschaft über das Volk durch eine kleine Gruppe von Abgeordneten wird legitimiert, indem dem Volk das Recht zugestanden wird, die Abgeordneten durch Wahlen selbst zu bestimmen. ” verstehen? Ist “Fremdherrschaft” in diesem Zusammenhang nicht falsch, weil der Begriff eben Herrschaft durch eine Gruppe, die sich nicht aus dem Kreis der Beherrschten rekrutiert beschreibt? Ist der Begriff nicht ungeeignet für das Demokratieprinzip nach Art 20 GG? Ich weiß schon, was er beschreiben soll, aber geht das nicht besser mit Begriffen, die das GG nicht in die Nähe eines Kodex von Fremdherrschaft platzieren?
Ich habe auch ein politisches Störgefühl und hätte mir ein früheres Handeln gewünscht. Dennoch finde ich es sehr schwierig und auch gefährlich, mit dem Kompetenzverlust des Bundestags zu argumentieren. Wenn man schon dem Sinn und Zweck auf die Spur gehen will, so kann man wohl davon ausgehen, dass die Mütter und Väter des GG einen solchen Rechtsverlust des Bundestags wohl nicht vor Augen haben wollten. Bundestag ist Bundestag. Es gibt nicht ein Organ des „alten“ und eins des „neuen“ Bundestags. Zudem: wer setzt die Grenzen eines solchen Kompetenzverlusts.? Was darf der „alte“ denn dann noch tun, was nicht mehr? Nach obiger Argumentation wäre er mit der Wahl ja bereits komplett delegitimiert, ohne dass der „neue“ Bundestag schon konstituiert wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dem Sinn und Zweck entspricht, denn es ginge damit eine Rechtsunsicherheit einher, die auch nicht im Sinne des Souverän sein kann.
Sehr interessanter Artikel. Ich frage mich, ob wir nicht in der Zusammenschau mit dem Demokratieprinzip, insbesondere der hier beschriebenen Legitimation, ein besonderes Augenmerk auf das Wort “spätestens” in Art. 39 II GG legen müssen. Vielleicht könnte es in Anbetracht weitreichender Entscheidungen wie der Änderung des Grundgesetzes geboten sein, diese Frist nicht auszureizen, sodass der neue Bundestag früher konstituiert werden muss. Im Ergebnis gäbe es dann keine Möglichkeit, den alten Bundestag entscheiden zu lassen – entweder man wartet ab, oder bei besonderer Dringlichkeit tritt der neue Bundestag früher zusammen.
Ich werde auf die Begründung von Herrn Bella nicht eingehen. Der Grund, warum es zu dieser Verfassungsänderung kam, ist nach meiner Auffassung doch sehr einfach.
Ja, wir haben einen nach dem GG legitimierten Bundestag. Wir haben auch einen legitimierten Bundestagspräsidenten. Dieser Bundestagspräsident ist aber ein Mitglied der SPD. Die SPD ist die Partei, die mit der CDU-CSU-Fraktion die neue Bundesregierung bilden wollen und werden. Im Bundestag wird es nach dem 25.03.2025 es für eine Grundgesetzänderung keine Mehrheit geben.
Wie beschaffe ich mir also diese Mehrheit? Indem ich einer Partei, die in der Opposition sein, Versprechungen mache. Die Versprechungen, die ich mache müssen dem Politikverständnis dieser Partei in allem entsprechen. Ich verspreche, dass anstatt 50, sondern 100 Milliarden im Sinne dieser Partei ausgegeben werden, dazu noch eine Grundgesetzänderung, mit der die “Klimaneutralität bis 2045” festgeschrieben wird. Mit dieser “Klimaneutralität bis 2045” kann sich diese Partei, und jeder andere, bei jeder Klage darauf berufen. Das Bundesverfassungsgericht muss in Zukunft in diesem Sinne entscheiden.
Das verspreche ich, denn ich will mit allen mir zur Verfügung stehenden Mittel zum Bundeskanzler gewählt werden. Nun weiß ich, dass ich mit Hilfe dieser Partei zum Bundeskanzler gewählt werde, Ich kann dies nun verlangen, denn ich habe diese Partei dafür bezahlt! Ich, der Schuldenfürst der Finsternis!
Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss dazu das Grundgesetz nicht zittieren, ich bin bereits der zukünftige Bundeskanzler!