Soviel zum Thema Interkulturelle Kompetenz
Der „Fall Aslan“ und die Wissenschaftsfreiheit an Fachhochschulen der Polizei“
Bahar Aslan, Lehrbeauftragte an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Polizei NRW (HSPV NRW), hat nach einem Tweet einen geplanten Lehrauftrag an der Hochschule verloren. Ihr seit 2021 bestehender Lehrauftrag war ausgelaufen, eine weitere Beauftragung zum kommenden Semester geplant. Dies sei nun, so das Innenministerium NRW laut RND, von der Hochschulleitung gestoppt worden. Die Begründung: „Aus Sicht der Hochschulleitung ist die Dozentin aufgrund ihrer aktuellen Äußerungen ungeeignet, sowohl den angehenden Polizistinnen und Polizisten als auch den zukünftigen Verwaltungsbeamtinnen und -beamten eine vorurteilsfreie, respektive fundierte Sichtweise im Hinblick auf Demokratie, Toleranz und Neutralität zu vermitteln.“
Auslöser dieser Entscheidung war folgender Tweet von Aslan: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land“.
In einer eigenen Stellungnahme auf ihrer Website schreibt die Hochschule dazu, dass Frau Aslan “durch eine pauschalisierende Unterstellung das sensible und wichtige Thema ,Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden’ unangemessen in den Fokus gerückt“ habe. Die HSPV NRW habe den Anspruch „angehenden Polizistinnen und Polizisten … eine differenzierte, vorurteilsfreie Sichtweise auf Demokratie, Toleranz und Neutralität zu vermitteln“. Frau Aslan sei „aus heutiger Perspektive“ nicht geeignet, dies zukünftig „hochschulgerecht sicherstellen zu können“.
Ungeachtet der Frage, was und wie konkret diese Sichtweise „hochschulgerecht“ vermittelt werden soll, wie man ein derzeit politisch intensiv diskutiertes Thema wie Rassismus in der Polizei „unangemessen in den Fokus“ rücken kann und welcher Zusammenhang zwischen einer einzigen plakativen Äußerung in sozialen Netzwerken und der Lehre an einer Hochschule besteht: Der Diskurs, auch ein kritischer, gehört zu einer Hochschule ebenso wie die Auseinandersetzung mit konträren Meinungen, wobei die Grenze der Verstoß gegen Gesetze oder grundlegende Verfassungsprinzipien ist. Die Bezeichnung von (auch angehenden) Polizeibeamt*innen, die rassistisch oder menschenverachtend agieren oder sich entsprechend artikulieren, als „brauner Dreck“ mag unsensibel, ungeschickt, politisch nicht korrekt und möglicherweise denjenigen gegenüber, die sich angesprochen fühlen, unangemessen in der Wortwahl sein. Gegen Grundprinzipien der Verfassung verstößt eine solche Aussage jedenfalls nicht.
Die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG lässt eine solche Aussage zu, da sie nicht gegen einzelne Gesetze verstößt. Vor allem liegt keine Beleidigung einer konkreten oder hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe vor. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von 2016 zum „ACAB“-Slogan deutlich gemacht, dass mit „Bastard“ oder (wie hier) „brauner Dreck“ nur ein Individuum oder eine angegrenzte Personengruppe und nicht eine Institution oder eine nicht bestimmte Zahl von Mitgliedern dieser Institution beleidigt werden kann bzw. können. Da die Gruppe derjenigen in der Polizei, die sich rassistisch oder menschenverachtend äußern oder entsprechend agieren, aber weder bestimmt noch bestimmbar ist (auch die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte sind hier mit Vorsicht zu interpretieren), scheidet eine Beleidigung aus.
Letztlich kann und muss die Polizei (und damit auch ihre Hochschule) eine drastische, alltagssprachliche Wortwahl aushalten, steht sie doch tagtäglich im Fokus auch gewaltbereiter Auseinandersetzungen. Um gerade diese Notwendigkeit und sich daraus ergebende Fähigkeiten den (zukünftigen) Repräsentanten der Institution zu vermitteln, wäre die Hochschulleitung gut beraten gewesen, vor einer Entscheidung das Gespräch zu suchen statt übereilt zu agieren und eine Entschuldigung zu akzeptieren. Auch eine offene Podiumsdiskussion wäre geeignet gewesen, den Konflikt produktiv und nicht destruktiv zu nutzen.
Leider wurde genau dies nicht getan, obwohl sich die HSPV NRW bzw. ihr Präsidium in ihrem Statement vom 25.05.2023 selbst als „weltoffene Hochschule“ bezeichnet. Die Förderung von kritischem Denken und fundiert vorgetragener Meinung sei „elementarer Bestandteil“ des Curriculums und des Selbstverständnisses der Hochschule. Ob und wann eine Meinung „fundiert“ vorgetragen ist, sollte man aber nicht der Entscheidung einer (administrativen) Hochschulleitung überlassen, sondern dem offenen, kritischen Diskurs. Nur so können auch und besonders angehende Polizeibeamt*innen – hier „Polizeistudierende“ genannt – lernen und erleben, was Demokratie ausmacht und was sie und damit auch die Institution Polizei aushalten müssen. Dies gilt natürlich und ganz besonders, wenn die hinter einer sicherlich unnötig plakativ geäußerten Meinung handfeste Tatsachen stehen, die wegzudiskutieren auch und besonders in NRW schwerfallen dürfte, wo rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei 2020/21 in 53 Fällen für Aufsehen gesorgt haben – ungeachtet der vielen anderen Fälle innerhalb der Polizei, die in den vergangenen Jahren bekannt wurden.
Der Lehrauftrag
Die Ausbildung für den gehobenen Dienst der Polizei findet in den Bundesländern an sog. „Polizeiakademien“, an eigenständigen Fachhochschulen der Polizei oder an Fachbereichen Polizei an Verwaltungsfachhochschulen (so in NRW) statt. Für diese Einrichtungen gelten die einschlägigen hochschulrechtlich Regelungen des jeweiligen Bundeslandes. Im vorliegenden Fall geht es um einen Lehrauftrag, der Aslan für den Bereich „Interkulturelle Kompetenz“ erteilt worden war. Dieses Fach wurde an der HSPV (damals noch FHöV) 2008 eingeführt und 2014 wurden zwei Professuren für Interkulturelle Kompetenzen und Diversity-Management eingerichtet (vgl. Franzke 2016). Die Förderung interkultureller Kompetenz und interkultureller Kommunikationsfähigkeit habe im Bachelorstudiengang Polizei in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, so die Aussage im Rahmen eines Forschungsprojektes der HSPV NRW „Umgang mit Fremdheit – Entwicklung im Längsschnitt der beruflichen Erstsozialisation 2.0“, das noch bis 2024 läuft. Aus der Modulübersicht zum aktuellen Studienjahrgang für die Studierenden zum Polizeivollzugsdienst (PVD) ergibt sich, dass für den Bereich „Interkulturelle Kompetenz“ im Modul „Polizei in Staat und Gesellschaft“ insgesamt 37 Stunden vorgesehen sind, davon 19 Stunden Selbststudium und 18 Stunden Lehrveranstaltungen. Das entspricht ca. 0,7 % des gesamten Lehrumfangs von 5.367 Stunden. Die Veranstaltungen werden auch (wie im vorliegenden Fall) von externen Lehrbeauftragten angeboten.
Solche Lehraufträge können gem. § 43 Hochschulgesetz NRW erteilt werden. Die Lehrbeauftragten nehmen ihre Lehraufgaben selbständig wahr. Der Lehrauftrag ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis eigener Art; er begründet kein Dienstverhältnis. Die Lehrbeauftragten sind nicht Mitglieder (wie bspw. Professoren und Studierende), sondern Angehörige der Hochschule. Für sie gelten besondere Regelungen. Nach § 7 Abs. 7 des Gesetzes über die Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst in NRW (FHGöD) regelt die jeweilige Grundordnung die Rechte und Pflichten der Angehörigen. Nach § 8 der Grundordnung der der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW, der Rechte und Pflichten der Angehörigen regelt, haben diese sich „unbeschadet weitergehender Verpflichtungen aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, so zu verhalten, dass die HSPV NRW ihre Aufgaben erfüllen kann und niemand gehindert wird, seine Rechte und Pflichten an der HSPV NRW wahrzunehmen“.
Man wird schwerlich behaupten können, dass durch den Tweet von Aslan die HSPV NRW daran gehindert wird, ihre Aufgaben zu erfüllen und auch sonst wurde dadurch niemand gehindert, seine Rechte und Pflichten an der HSPV wahrzunehmen. Weitergehende Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis (oder dem Lehrauftrag) dürfen nicht gegeben sein, so dass höchstens das allgemeine beamtenrechtliche Mäßigungsgebot zum Tragen kommen könnte. Da Aslan als Lehrbeauftragte aber gerade kein Dienstverhältnis und schon gar nicht ein beamtenrechtliches an der Hochschule inne hat, scheidet dies als Begründung für die Hochschule aus. Ob und wie der eigentliche Dienstherr (Aslan ist hauptberuflich Lehrerin an einer Gelsenkirchener Hauptschule) reagieren kann oder darf, bleibt außen vor.
Die in Art. 5 Abs. 3 GG festgeschriebene Wissenschaftsfreiheit und die sich daraus ergebende Lehrfreiheit gilt auch an Fachhochschulen und für die dort tätigen, wobei es auf das Dienstverhältnis nicht ankommt. Träger des Grundrechts sind alle, die aus eigenem recht wissenschaftlich lehren. Dazu gehören auch Lehrbeauftragte, sofern sie den Lehrauftrag selbständig wahrnehmen (von Coelln 2019), wovon man im vorliegenden Fall ausgehen muss. Allerdings wird sich Frau Aslan selbst nicht auf die Wissenschaftsfreiheit berufen wollen, was den Duktus und die Wortwahl anbetrifft. In der Sache selbst jedoch (Rassismus in der Polizei, vgl. Feltes/Plank 2021) steht ihr diese Freiheit durchaus zu.
Ermessensspielraum oder Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl von Lehrbeauftragten
Aber hat die Hochschule nicht das Recht, ihre Lehrbeauftragten nach eigenem Belieben auszuwählen? Welche Voraussetzungen inhaltlicher und formaler Art notwendig sind, um einen Lehrauftrag zu bekommen, kann die Hochschule selbst festlegen, und einen individuellen Anspruch auf einen Lehrauftrag kann es nicht geben; allerdings sehr wohl einen Vertrauensschutz, der sich z.B. aus der Zusage, einen Lehrauftrag zu verlängern ebenso ergibt wie aus der Tatsache, dass Frau Aslan mit der Betreuung und Bewertung von Bachelorarbeiten betraut ist. Selbstverständlich darf die Hochschule festlegen, welche Themen im Rahmen eines Lehrauftrages behandelt werden müssen und die ausgewählte Person muss dafür geeignet und qualifiziert sein. Dies war offensichtlich der Fall, denn sonst hätte man Frau Aslan den Lehrauftrag, den sie seit 2021 innehatte, nicht erteilt und auch nicht angekündigt, ihn zu verlängern. Es war auch nicht das Verhalten von Frau Aslan an der Hochschule, das für den Eklat gesorgt hat, sondern eine Meinungsäußerung in sozialen Medien, die sie als Bürgerin dieser Gesellschaft mit eigenem Migrationshintergrund getätigt hat und für die sie das grundgesetzlich garantierte Recht der freien Meinungsäußerung in Anspruch nehmen kann. Die in sozialen Medien verwendete verkürzte, plakative Sprache ist nicht geeignet, akademische Diskussionen zu führen, aber den dort üblichen Spielraum kann man nutzen, sofern man nicht gegen Gesetze verstößt.
Was bleibt also?
Wir wissen aus aktuellen Studien, dass das anfänglich hohe Vertrauen von Migranten in die Polizei mit der Dauer ihres Aufenthalts im Gastland abnimmt. Dabei spielen erfahrene Diskriminierungen eine entscheidende Rolle (Czymara/Mitchell 2023). Die Hochschule hat mit ihrer überzogenen, voreiligen Reaktion ein weiteres, negatives Beispiel für solche Diskriminierungen geschaffen. Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in unsere Gesellschaft, in die Polizei und als Dozierende in die Hochschulen wurde damit ausgebremst. Wenn eine aktuelle Studie (Staller u.a. 2022) zeigt, dass Polizeiausbilder in Deutschland oftmals ziellos, ineffektiv und ohne Reflexion ihrer Arbeit tätig und im Allgemeinen nicht in der Lage sind, Ausbildungsziele festzulegen und ihre Ausbildung kohärent und effektiv auszurichten, dann wäre die der HSVP NRW gut beraten gewesen, die Äußerung von Aslan zum Anlass zu nehmen, sich die Lehrinhalte und Lehrpläne im Bereich „Interkulturelle Kompetenz“ einmal genauer anzusehen. Dabei hätte sie sicherlich festgestellt, dass Lehrende mit Migrationshintergrund eine enorme Bereicherung der Lehre auch und besonders an Polizeihochschulen sein können. Nachdem einige dieser Lehrenden jetzt angekündigt haben, ihre Bereitschaft zum Engagement an dieser Hochschule zu überdenken, dürfte der Schnellschuss des Präsidiums der Hochschule nach hinten losgegangen sein.
Die politischen Dimensionen der Auseinandersetzung machen deutlich, wie verhärtet die Fronten nicht nur in der konkreten „Causa Aslan“, sondern generell in der Auseinandersetzung um Rassismus in der Polizei sind. Die Erstunterzeichner einer am 26.05.2023 veröffentlichten Stellungnahme bringen das auf den Punkt: „Während wir in der Organisation Polizei zum Teil viel Verständnis im Umgang mit rechten Grenzüberschreitungen feststellen, macht uns die Unerbittlichkeit im Umgang mit einer migrantischen Frau, die sich für eine bessere Polizei einsetzt, fassungslos. Bahar Aslan ist keine Gefährdung für die Demokratie. Im Gegenteil. Sie ist eine Bereicherung für die Polizeiausbildung“.
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