Das Merkel-Urteil verpasst die Chance, den Willen zur Verfassung zu stärken
Mit seinem Merkel-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Neutralitätspflicht für amtliche Äußerungen überspannt und die Chance verpasst, den Willen zur Verfassung zu stärken. Der Zweite Senat hat, mit knapper Mehrheit von fünf zu drei Stimmen, allen Ernstes entschieden, dass die Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz im Februar 2020 Mehrheitsbildungen mithilfe der AfD nicht als demokratieschädlich (vgl. Rn. 141) bewerten und für ihre Regierungspartei ausschließen durfte. Nur wenn sie vorher klargestellt hätte, dass sie nicht als Kanzlerin, sondern als Parteipolitikerin spreche, wäre diese Aussage danach zulässig gewesen (vgl. Rn. 130). Continue reading >>Maßstabssetzung durch Subsumtion
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil zu Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Maßstäbe der Neutralitätsrechtsprechung nicht entschieden weiterentwickelt oder modifiziert, so lassen die Ausführungen im Subsumtionsteil doch noch klarer erkennen, wie der Senat – oder zumindest eine Mehrheit von fünf Senatsmitgliedern – diese Maßstäbe versteht: Die Anforderungen daran, dass eine Äußerung einer Amtsträgerin nicht in amtlicher Funktion erfolgt, sind hoch. Und die Qualifizierung einer Äußerung als amtlich zieht weitreichende und strenge Neutralitätsanforderungen nach sich.
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