Mathias Hong
Mit seinem Merkel-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Neutralitätspflicht für amtliche Äußerungen überspannt und die Chance verpasst, den Willen zur Verfassung zu stärken. Der Zweite Senat hat, mit knapper Mehrheit von fünf zu drei Stimmen, allen Ernstes entschieden, dass die Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz im Februar 2020 Mehrheitsbildungen mithilfe der AfD nicht als demokratieschädlich (vgl. Rn. 141) bewerten und für ihre Regierungspartei ausschließen durfte. Nur wenn sie vorher klargestellt hätte, dass sie nicht als Kanzlerin, sondern als Parteipolitikerin spreche, wäre diese Aussage danach zulässig gewesen (vgl. Rn. 130).
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Mehrdad Payandeh
Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil zu Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Maßstäbe der Neutralitätsrechtsprechung nicht entschieden weiterentwickelt oder modifiziert, so lassen die Ausführungen im Subsumtionsteil doch noch klarer erkennen, wie der Senat – oder zumindest eine Mehrheit von fünf Senatsmitgliedern – diese Maßstäbe versteht: Die Anforderungen daran, dass eine Äußerung einer Amtsträgerin nicht in amtlicher Funktion erfolgt, sind hoch. Und die Qualifizierung einer Äußerung als amtlich zieht weitreichende und strenge Neutralitätsanforderungen nach sich.
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Bent Stohlmann
Mit Urteil vom 15. Juni 2022 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass die Äußerungen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie im Rahmen einer Südafrikareise anlässlich der Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten in Thüringen tätigte, sowie deren anschließende Veröffentlichung auf der Webseite des Bundeskanzleramts gegen die Chancengleichheit der politischen Parteien verstoßen. In der Entscheidung nimmt der Senat nicht nur eine administrative Perspektive auf Regierungshandeln ein, sondern weitet seine Anwendung von Verhältnismäßigkeitsmaßstäben auf staatsorganisationsrechtliche Konstellationen weiter aus. Er entfernt sich damit weiter von einer Berücksichtigung der politischen Dimension des Regierungshandelns.
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Fabian Michl
Am 15. Juni 2022 hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass die Äußerungen der Bundeskanzlerin Merkel zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl im Februar 2020 sowie die anschließende Veröffentlichung auf den Regierungswebseiten die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt haben. Merkel hatte gefordert, die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich, die mit den Stimmen der AfD zustande gekommen war, rückgängig zu machen. Der Rechtsprechung zu den Äußerungsbefugnissen von Regierungsmitgliedern fügt das Urteil wenig Neues hinzu. Es sieht sich aber einer pointierten Kritik seiner Prämissen durch ein Sondervotum ausgesetzt. Insgesamt ist der Fall gekennzeichnet durch verpasste Chancen.
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