05 February 2015

Thomas Fischer, von Idioten umgeben

Es ist bestimmt nicht leicht, Thomas Fischer zu sein. Da hat man es zum Senatsvorsitzenden am obersten deutschen Zivil- und Strafgericht gebracht, zum Honorarprofessor an einer angesehenen süddeutschen Juristenfakultät, zum Verfasser des führenden Kommentars zum Strafgesetzbuch und Mitherausgeber einer der meistgelesenen strafrechtlichen Fachzeitschriften, jüngst auch zum Online-Kolumnisten und Redaktionsliebling der Leib- und Magenwochenzeitung des Bildungsbürgertums  – und immer noch hören nicht alle auf einen. Immer noch gibt es Leute, die sagen, och ja, danke, aber das sehen wir ehrlich gesagt anders. Immer noch gibt es welche, die es besser wissen wollen als Thomas Fischers monumentale, überlebensgroße Riesensuperultraautorität in allen Dingen und Belangen des Strafrechts.

Letzte Woche war Fischer als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Bundestags geladen. Die Grünen-Fraktion fordert, dass künftig als Vergewaltiger bestraft werden soll, wer mit jemandem Sex hat, der das nicht will. Die völkerrechtliche und strafrechtspolitische Debatte dazu läuft schon länger, und auch Fischer hatte sich in dieselbe schon wortmächtig eingeschaltet.

Jetzt bekam er Gelegenheit, seine Bedenken gegen den Vorschlag der Grünen direkt dem Gesetzgeber vorzutragen. Das muss, wenn man seine jüngste ZEIT-Online-Kolumne liest, eine traumatische Erfahrung für ihn gewesen sein. Die “pure Freude an der Macht” sah er da am Werk, ausgeübt von der Ausschussvorsitzenden Renate Künast, die von der “objektiven, aufmerksamen, sensiblen, chancengleichen Leitung einer großen kontroversen Sitzung (…) wenig Ahnung” hat, “die meisten Vorsitzenden von Kammern am Landgericht oder Verwaltungsgericht könnten es besser”. Umringt sah er sich von lauter Abgeordneten, die ohnehin schon “im Zweifel alles über alles” wissen und ihre Ohren gegen jede sachverständige Belehrung fest verschließen. Vor einem Publikum aus Fraktionsmitarbeitern, Verbandsvertretern und insbesondere Journalisten, die “nicht nur wenig Ahnung von der Sache” haben, “sondern auch empörend geringes Interesse, Kenntnis zu erwerben”.

Einer von diesen Journalisten, die oben auf der Galerie die Anhörung im Rechtsausschuss verfolgten, war ich. Ich bin eigentlich gerade im tief verschneiten Oberbayern beim Skifahren. Aber der Verlockung, mein empörendes Desinteresse am Kenntniserwerb zu dokumentieren und meine erschütternd ahnungslosen 5 Cent in diese Debatte einzuzahlen, kann ich jetzt doch nicht widerstehen.

Im Moment ist es in Deutschland strafrechtlich nicht verboten, mit einem erwachsenen und autonomen Menschen Sex zu haben, der weint und Nein sagt und das scheußlich findet, solange man dabei keinen Zwang oder Druck ausübt. Ob § 177 oder 240 IV Nr. 1 StGB, jedenfalls ist eine Nötigung erforderlich.

Soweit richtig, Herr Fischer?

Ich sehe drei Möglichkeiten, diese Rechtslage zu verteidigen: a) Man sagt, solche Fälle gibt es Wirklichkeit gar nicht. b) Man sagt, solche Fälle gibt es vielleicht, aber man kann strafrechtlich eh nichts dagegen tun. c) Man sagt, solche Fälle gibt es und man könnte auch etwas dagegen tun, aber das hätte anderweitig schlimme Folgen, die unter dem Strich diese Rechtslage als geringeres Übel erscheinen lassen.

Der Denial-Einwand

Den ersten Einwand sagt, das gibt es doch gar nicht, dass jemand gegen seinen Willen Sex über sich ergehen lässt, ohne dass der Andere dabei zumindest implizit, konkludent oder versteckt mit Gewalt oder sonst irgendeinem Übel gedroht hat. Das sind doch erwachsene Menschen! Die können doch für sich einstehen, wenn sie etwas nicht wollen! Tatsächlich nur daliegen und weinend warten, bis es vorbei ist – das glauben wir einfach nicht. So schlimm wird es dann schon nicht gewesen sein.

Nun, ich glaube das schon. Nicht nur, weil es eine Menge gut dokumentierter Fälle gibt. Es erscheint mir auch alles andere als unwahrscheinlich, dass Menschen – vor allem Frauen – so reagieren, wenn sie es mit jemandem zu tun bekommen, der tatsächlich gegen ihren Willen Sex mit ihnen will. Die schiere Tatsache, dass jemand sagt, es ist mir vollkommen egal, ob du das willst oder nicht, aber ich werde deinen Körper jetzt zu meiner sexuellen Befriedigung hernehmen, ist bereits etwas derart Aggressives, dass es mir alles andere als fernliegend erscheint, sich in der Konfrontation mit so jemandem gleichsam tot zu stellen. Und dann hinterher dem Opfer zu sagen, hättest du dich halt gewehrt oder um Hilfe geschrien, aber so ist das dein Problem – das soll keine Schutzlücke sein?

Die bestehenden Kategorien, mit denen das Strafrecht die Wirklichkeit erfasst, laufen darauf hinaus, dass man entweder autonom und erwachsen ist – dann muss man seine Autonomie durch entsprechenden Widerstand ausüben, und wenn der Widerstand gebrochen wird, dann ist das sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung. Oder man ist nicht erwachsen oder nicht autonom, ein Kind, ein Mensch mit Behinderung, ein Gefangener – dann kommt es gar nicht darauf an, was man wollte oder nicht wollte, dann ist das sexueller Missbrauch.

Und genau zwischen beidem, da ist die Schutzlücke.

Der Impraktikabilitäts-Einwand

Der zweite Einwand sagt, dass man die Strafrechtspraxis in die größten Schwierigkeiten stürzen würde, wenn man Sex ohne Einverständnis kriminalisiert. Was heißt schon Einverständnis? Wie soll man das feststellen, wenn es an jedem äußeren, objektiv beweisbaren Zeichen fehlt, dass das Opfer das nicht wollte? Steht dann da nicht immer Aussage gegen Aussage? Wer hat etwas davon, wenn es diesen Tatbestand gibt, aber kaum jemals jemand deswegen verurteilt werden kann?

Dass die Staatsanwaltschaften wenig Lust verspüren, Ermittlungsverfahren eröffnen zu müssen, die mangels Beweisbarkeit nirgendwohin führen, glaube ich sofort. Aber trotzdem macht es einen Unterschied, ob sie das Verfahren einstellen, weil die Tat nicht bewiesen werden kann, oder ob sie einstellen, weil es die Tat gar nicht gibt. Im Moment müssen sie in den besagten Fallkonstellationen dem Opfer sagen: Das durfte der. Das war kein strafbares Verhalten. Was der mit dir gemacht hat, war aus Sicht der Strafrechtsordnung vollkommen okay.

Wenn das nicht mehr passiert, wäre das ein bisschen mehr Frustration in den Staatsanwaltschaften des Landes allemal wert.

Dies scheint mir im Übrigen der Standpunkt gewesen zu sein, den Renate Künast bei der Anhörung eingenommen hatte und den sich Thomas Fischer nur durch deren “Freude an der Macht” erklären konnte…

Der Kleinere-Übel-Einwand

Der dritte Einwand sagt, wir könnten diese Schutzlücke schon schließen, aber nur zu einem zu hohen Preis. Den müsste die Strafrechtsordnung zahlen, die aus den Fugen geriete. Oder die zwischenmenschliche Sexualität, die fortan nur noch unter dem prüfenden Blick des Staatsanwalts stattfinden könnte. Oder das Verhältnis von Mensch und Recht ganz generell.

Ich will hier nichts trivialisieren. Aber ich habe noch nichts gehört, was mir in dieser Hinsicht unlösbar erschiene.

Dass Missbrauchs- und Nötigungstatbestände dann ineinander fließen würden, mag schon sein. Aber wenn die Kategorien des Strafrechts nicht zur Wirklichkeit passen, dann zu sagen, um so schlimmer für die Wirklichkeit – das sagt man halt als Strafrechtler und -richter leichter als als Politiker. Wertungswidersprüche bei der Strafzumessung muss man natürlich vermeiden, aber doch nicht unbedingt auf der Ebene des Tatbestands.

Und das Sexualleben? Ich will hier gar nicht bewerten, was für Erfahrungen die kalifornischen Unis oder sonstwer mit ihrer strikten Sexual-Assault-Policy machen. Aber mir will nicht in den Kopf, dass wir irgendetwas Bewahrenswertes verlieren, wenn wir fortan wissen, dass wir uns auf verbotenes Terrain bewegen, wenn wir eine scheinbar günstige Gelegenheit ausnützen, Sex mit jemandem zu bekommen, der sonst niemals mit uns schlafen wollen würde. Dem zwischenmenschlichen Sexualleben geht da überhaupt nichts verloren. Im Gegenteil.

Vielleicht habe ich was übersehen. Vielleicht habe ich überhaupt alles ganz falsch verstanden. Vielleicht geht mir nach dem zweiten Teil Ihres Kolumnenbeitrags, den Sie für nächste Woche angekündigt haben, ein Licht auf. Das fände ich toll. Ich lerne ja immer gerne was dazu.

Ein kleiner Tipp zu guter Letzt noch, Herr Fischer, da Sie offenbar eine solch geringe Meinung von der Sorgfalt von uns Journalisten haben: Ihre Mit-Sachverständige aus der Anhörung, die Sie da in Ihrer Kolumne zitieren, die Geschäftsführerin des Bundesverbands “Frauen gegen Gewalt” e.V.. Die heißt Katja Grieger. Nicht Krieger. Grieger, mit G. Mein Name wird ja auch oft falsch geschrieben, und ich mag das überhaupt nicht. Es ist ja echt kein Aufwand, das zu vermeiden. In manchen Redaktionen ist so etwas ein Abmahnungsgrund, hat mir am Anfang meiner Journalistenkarriere ein älterer Kollege mal erzählt.

Das halte ich jetzt auch wieder für übertrieben. So etwas kann schon mal passieren.


SUGGESTED CITATION  Steinbeis, Maximilian: Thomas Fischer, von Idioten umgeben, VerfBlog, 2015/2/05, https://verfassungsblog.de/thomas-fischer-von-idioten-umgeben/, DOI: 10.17176/20170715-172558.

86 Comments

  1. David Eisenberg Thu 5 Feb 2015 at 17:33 - Reply

    Die Überschrift hält wirklich was sie verspricht. Warum sachlich, wenns auch persönlich geht? Wieso finden Sie nicht, dass weinende Frauen, die gegen ihren Willen Sex haben, vergewaltigt werden? Ach, wann haben Sie eigentlich aufgehört Ihre Frau zu schlagen?

    Wenn Polemiker mit einem Hang zum Narzissmus – Sie haben es wirklich geschafft in einem Beitrag über eine Reform der Sexualdelikte mittzuteilen, wie sehr Sie Tippfehler im eigenen Namen stören – streiten wird es meist unterhaltsam. Der Erkenntnisgewinn geht leider meist gegen null.

    Zum Glück gibt es hier im Blog sehr viel gelungenere Beiträge über die Gegenposition zu Herrn Fischer.

  2. Maximilian Steinbeis Thu 5 Feb 2015 at 17:38 - Reply

    @Eisenberg: Ruhig, Mann, ruhig. Vielleicht einfach noch mal lesen. Klärt sich dann schon, denke ich.

    • Oberham Sat 4 Feb 2023 at 08:25 - Reply

      Ich hab Ihren Text auch gelesen, ehrlich gesagt, er ließt sich vielleicht für einen Menschen der nicht betroffen von dergleichen Scheußlichkeiten ist, ganz unterhaltsam, zumal man sich schön den Disput Fischer-Steinbeis auf der Skipiste vorstellen mag, sich ausmalt wer von den beiden Kontrahenten wohl zuerst im Tiefschnee kopfüber auf die Hilfe des anderen angewiesen sein mag, nur – ich kann D.E. durchaus verstehen.
      Der Hinweis am Ende, sorry, der stellt sie schlicht auf die gleiche Stufe wie Fischer! (…. und irgendwie, beim zweiten Lesen lösen sie sich auch nicht in der Sache aus dem absurden Labyrinth, welches die “Rechtsgelehrten” in dieser Angelegenheit mehrheitlich vertreten, ohne Ihnen je den guten Willen absprechen zu wollen… mfG)

  3. jesus alfaro Thu 5 Feb 2015 at 18:08 - Reply

    Vielleicht ignorieren Sie die Kosten in der Form von unschuldige Menschen verurteilt? Das kann passieren wenn Richter oder Staatsanwalt fehler machen und es gibt keine klare beweise von der Willen der “Opfer”

  4. amfa Thu 5 Feb 2015 at 18:27 - Reply

    Es geht ja nicht mal um weinende nein sagende Opfer.
    Das sollte schon bestraft werden.

    Wenn aber allein der Nicht-Wille des “Opfers” ausreicht, ohne dass dieses den Willen irgendwie kundtun muss, sehe ich da großes Missbrauchspotential auf Seiten der Opfer.

    Was ist wenn man jemanden kennen lernt, mit zu demjenigen nach Hause geht, Sex hat (wobei man davon ausgeht, dass beide damit einverstanden sind), am nächsten morgen verschwindet.

    Wenn das “Opfer” das nun blöd findet, geht es hin und behauptet es wollte gar kein Sex haben.
    Schon steht man im Fokus von Ermittlungen wegen eines Sexualdeliktes, was in unserer Gesellschaft ja mit auf der untersten Stufe der möglichen Verbrechen steht.

    Ich kann mir leider zugut vorstellen, dass einige “gekränkte” Seelen, die sich mehr als einen One night stand erhofft haben sich darauf berufen werden.

    Ich sehe hier halt wirklich vorallem das Problem der Beweislage.
    Und ich bin der Ansicht, auch wenn es für die wirklich betroffenen natürlich schlimm ist, dass man lieber zu wenig Strafverfahren führt als eins zu viel.
    Jeder unschuldig Verfolgte/Beschuldigte ist einer zu viel.