Trump und der neue Faschismus
Warum der Griff nach dem Verwaltungsapparat so gefährlich ist
Seit der Inauguration Trumps zum 47. US-Präsidenten zieht Elon Musk mit einem Gefolge aus Tech-Ingenieuren und Führungskräften seiner diversen Firmen durch die Bundesbehörden in Washington und verschafft sich Zugang zu Gebäuden, Daten und Computersystemen. Zusammen mit einer anvisierten Massenentlassung von Staatsbediensteten auf Bundesebene läuft das auf eine Übernahme der technischen und operativen Ebenen des US-Verwaltungsapparats hinaus. In diesem Prozess positionieren sich Akteure der Big Tech Industrie als Profiteure und als Betreiber einer neuen, technologischen Regierungsinfrastruktur – eingeklinkt über die Zugänge zu Computer- und Bezahlsystemen, die Musk sich gerade verschafft.
Diese Entwicklung stellt einen neuen Qualitätssprung im politischen Projekt Trumps dar. Sie ist am besten mit dem Wort Faschismus zu beschreiben. Dieser neue Faschismus sieht in vielen Hinsichten nicht genauso aus wie seine historischen Vorbilder – und ist doch ein Faschismus. Sein Kennzeichen wird sein, dass er die spezifischen Möglichkeiten von Datenanalyse- und KI-Technologie ausnutzen wird, um den Rechtsstaat auszuschalten und durch einen schlanken, auf Automatisierung und Präemption basierenden Apparat zu ersetzen.
Der Takeover
Elon Musk, der am Tag seiner Amtseinführung von Donald Trump per Dekret zum Leiter des neuen „Department of Government Efficiency (DOGE)“ ernannt wurde, scheint sich seither die Aufgabe gestellt zu haben, nicht auf politischem Wege, sondern durch eine Mischung aus Überrumpelung, Einschüchterung und Hacker-Taktiken den Verwaltungsapparat zu übernehmen. Den Anfang machte das Office of Personnel Management (OPM), die zentrale Personalstelle der US-Bundesregierung. Musk verschaffte sich Zugang zum Computersystem und zahlreichen sensiblen Daten, schloss Teile des Personals aus diesem System aus und platzierte Vertraute in strategischen Positionen. Musk persönlich ließ außerdem eine Liste aller IT-Führungskräfte der Bundesbehörden erstellen, wohl zu dem Zweck, dass er möglichst rasch eine E-Mail an die 2,2 Millionen Bundesangestellten verschiedenster Institutionen versenden konnte, in der drastische Personaleinsparungen, verschärfte Loyalitätskriterien und Leistungsbeurteilungen angekündigt werden – und allen, denen das nicht passt, das Angebot einer sofortigen Kündigung gegen Abfindung unterbreitet wird.
Der Angriffspunkt dieser Form der Machtübernahme scheint unmittelbar die Verwaltungsinfrastruktur zu sein. Parallel zum OPM übernahm Musks Team die Kontrolle über die General Services Administration (GSA) sowie weitere Behörden, darunter die US Agency for International Development (USAID) und die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). Besonders brisant: Musk sicherte sich Zugang zum zentralen Zahlungssystem des US Treasury Departments, das jährlich Billionen Dollar an Sozialleistungen, Gehältern, Bundesausgaben für Dienstleistungen und Subventionen abwickelt. Der Zugriff gelang übers Wochenende nach initialer Weigerung des Abteilungsleiters, der daraufhin in den Ruhestand versetzt wurde. Musk selbst prahlte auf X über den Coup: „Very few in the bureaucracy actually work the weekend, so it’s like the opposing team just leaves the field for 2 days!“
Dieses Muster einer Infiltration der unmittelbaren Ebene der Bundesverwaltung, ermöglicht nicht durch politische Beschlüsse, sondern durch schnelles Agieren, Einschüchterung und Übernahme der Kontrolle über technische Systeme, setzt sich Tag für Tag fort. Behörden wie die Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS) und sogar der Geheimdienst CIA – in dem eine ähnliche E-Mail mit einem Kündigungsangebot verschickt wurde – stehen im Fokus. All diese Vorgänge stellen eine ungesehene Entwicklung dar, die Trumps Regime das Gepräge des Faschismus verleiht.
Faschismus
Es ist nicht leicht, Faschismus zu definieren, und es ist müßig, rein begrifflich klären zu wollen, ob Trump und sein Regime faschistisch sind. Zudem wurde bereits die Sackgasse kritisiert, in die es führt, neue faschistoide Bewegungen in alte Definitionen und historische Beispiele für Faschismus zu zwingen. Ein neuer Faschismus im 21. Jahrhundert muss nicht so aussehen wie bei den Nazis. Anstatt jedoch eine analytisch umrissene Staats- oder Politikform darunter zu verstehen, halte ich die folgenden drei Merkmale aktuell für besonders herausstechend im Hinblick auf das, was wir als Faschismus erkennen sollten:
- Es handelt sich um ein politisches Wirken, das auf die Zerstörung des Rechtsstaats, der administrativen Abläufe und der parlamentarischen und demokratischen Ordnung abzielt. Faschismus agiert nicht agonistisch sondern antagonistisch, und in der bei Trump ausgeprägten Form dabei zynisch und destruktiv. Insbesondere vertritt faschistische Politik nicht einfach eine weitere Position im Spektrum politischer Positionen (z.B. „rechtsaußen“), sondern sie verkörpert eine destruktive Haltung zur parlamentarischen Demokratie und zum Rechtsstaatsprinzip, die das System der widerstreitenden politischen Positionen überhaupt überwinden möchte. In der zynischen Variante, die hier im Besonderen vorliegt, dient der destruktive Impuls der hemmungslosen (wirtschaftlichen) Selbstbereicherung der faschistischen Akteure und ihrer mitunter rein kapitalistisch motivierten Loyalisten.
- Faschistisches Wirken ist gekennzeichnet durch eine persönliche Gewaltbereitschaft und Bereitschaft zur Gehässigkeit der Akteure, sei es sprachlich, medial, physisch oder politisch. Dieses Gewaltpotenzial basiert auf einem hierarchischen Menschenbild und epistemologisch tief verankerter Dehumanisierung (dazu gehören auch Rassismus, Antifeminismus und Sexismus). Das Leben empfinden Faschisten als einen permanenten sozialen Kampf, in dem es gilt, sich antagonistisch (also nicht mit Argumenten, sondern durch Stärke) zu behaupten und andere Menschen unterzuordnen, auszubeuten und ihnen ihr Existenzrecht abzusprechen. Faschismus bedeutet die psychologische und charakterliche Disposition der Akteure, die lange geführten Kämpfe um Anerkennung, Integration und Gleichberechtigung von Minderheiten zugunsten eines Rechts des Stärkeren in den Wind zu schlagen. Zum Gewaltpotenzial des Faschismus gehört auch die Täuschung breiter Massen durch zynische Narrative, die Anstachelung von Ressentiments und die Provokation von gesellschaftlicher Spaltung. Viel dieser Gewalt findet heute in der Online-Welt und nicht mehr in Straßenkämpfen statt.
- Zum Faschismus gehört auch die gewiefte Indienstnahme von neuester Technologie als Machtinstrument – oft in einem Zusammenspiel von Industrie und Regime. Das war bei den Nazis so und ist heute nicht anders. Faschismus ist gekennzeichnet durch die kalte Bereitschaft dazu, die destruktiven politischen Ziele und die dafür nötige Macht und Gewalt mit technologischen und logistischen Mitteln zu erreichen. Da in der sozialdarwinistischen, antisozialen Mentalität, nach der sich jede:r im Kampf gegen jede:n wähnt, anderen Menschen nicht vertraut werden kann, ist technologisch realisierte Macht und Kontrolle das Mittel der Wahl. Im vorliegenden Fall ist dieses Sentiment getrieben von einem als Solutionismus bezeichneten Glauben an die Überlegenheit von Technologie als Lösung gesellschaftlicher Probleme, der eine Bereitschaft zur Unterordnung von Mensch, Kultur und Gesellschaft unter eine technologisch realisierte Logik von Effizienz, Profit und Überlegenheit impliziert.
Hinsichtlich der Form politischer Bewegung werden häufig drei Strömungen unterschieden, die nach Opportunität behaupten, nichts miteinander zu tun zu haben, sich in einer faschistischen Konstellation aber faktisch in wechselseitige Synergien und Steigerungen begeben: (1) Rechtspopulismus – der sich typischerweise auf politische Massenmobilisierung (besonders in den Online-Medien) sowie Infiltration und Sabotage der Parlamentsvorgänge fokussiert; (2) Alt-Right Ideologie – die meist über Internetmedien als migrationsfeindliche, trans- und feminismusfeindliche Ressentiments, nationalistische Mythen, Bedrohungsszenarien und Verschwörungsnarrative verbreitet wird; (3) Rechtsextremismus – einer Mobilisierung gewaltbereiter rechter Gruppen, die sowohl auf der Straße (siehe Capitol-Stürmung) als auch im Internet aktiv werden können.
Während das Trump-Regime der ersten Amtszeit von zahlreichen Kommentatoren nicht als faschistisch qualifiziert wird, hat sich das Zusammenspiel dieser drei Elemente mit Trump als zentralem Dompteur bis zum Sturm auf das Capitol intensiviert. Die seither entstandene Dynamik erfüllt alle Voraussetzungen für die Hervorbringung eines faschistischen Systems, für dessen Materialisierung es noch zwei weiterer Voraussetzungen bedurfte, die sich spätestens über die letzten Jahren respektive seit wenigen Wochen ergeben haben: Einerseits die breite Deckung durch die Wirtschaft und andererseits der Zugriff auf staatliche Infrastruktur.
Erstens, die Wirtschaftselite, insbesondere des Silicon Valley, von der 2022 noch behauptet wurde, dass sie „[Trumps] Projekt […] kaum unterstützt“, ist seitdem im Begriff, reihenweise zu kippen und sich der faschistischen Dynamik anzuschließen. Eine inzwischen hegemonial gewordene Konvergenz von Alt-Right-Polit-Milieus, Silicon-Valley-CEOs und Venture Capitalists schafft jetzt eine grundlegend neue Situation verglichen mit der ersten Amtszeit Trumps, während derer sich bedeutende Teile des Silicon Valley noch als liberale Blase gegen seine Politik abzuschotten suchten und Trump von großen Social Media Plattformen moderiert und schließlich gesperrt wurde. Das ist fatal, denn diese Elite hat nun begriffen, dass sie sich gemeinsam mit Trump an dessen destruktivem Wirken wirtschaftlich bereichern kann – sofern sie mitspielt. Dadurch gewinnt Trumps Projekt bedeutend an Momentum.
Als prominentes Beispiel für die mittlerweile offene Alt-Right-Neuorientierung im Silicon Valley ist in den letzten Wochen der immer schon neokonservative Meta-CEO Mark Zuckerberg aufgefallen, der in offenem Endorsement von Alt-Right Ressentiments die Fact-Checking- und Moderationsinfrastruktur seiner Social Media Plattformen einstellt. Dass altbekannte Alt-Right-Anhänger im Silicon Valley, wie Peter Thiel, Mark Andreessen oder Elon Musk, nun aus voller Brust das Trump-Horn blasen, verwundert dagegen nicht. Wobei an diesen Fällen dringend zu berücksichtigen ist, dass sie in Form pseudo-philosophischer Theorien wie Longtermismus, Effektivem Altruismus oder Transhumanismus seit mehreren Jahrzehnten schon eine in Tech-Kreisen breit anschlussfähige Ideologie intellektuell vorbereiten und verbreiten, die sich nun immer offener als Rassismus, Sozialdarwinismus und Eugenik des 21. Jahrhunderts politisch manifestiert.
Zweitens ist der Zugriff auf staatliche Infrastruktur seit den letzten Wochen eine materielle Entwicklung, die dem Bündel aus Ideologien, Wahlkampf-Säbelrasseln und politischer Mobilisierung Taten folgen lässt. Und zwar Taten nicht innerhalb des rechtsstaatlichen Systems, in dem es bei jedem Regierungswechsel zum Austausch einiger (eben politischer) Staatsbediensteter kommt. Sondern was hier geschieht, steht im Antagonismus zum System selbst, es soll die regelbasierte Ordnung des Rechtsstaats zerstören. Die beabsichtigte Massenentlassung von career civil servants (über die Schwelle der politischen Angestellten hinaus) und – besonders entscheidend – die Übernahme von Computersystemen und Datensätzen durch Tech-Ingenieure aus Musks Unternehmen unterläuft die Gewaltenteilung und stellt eine politische Übernahme der technologischen und verfahrensbasierten Dimension des Staatsapparats dar. In der Geschichte des Faschismus ist es nicht unbekannt, dass der Beginn solcher Regime die Übernahme von Verwaltungsinfrastruktur umfasst, und zwar durch das physische Eindringen in die entsprechenden Gebäude und Systeme, das Installieren von politischen Loyalisten, die Entlassung und “Säuberung” von politisch Andersdenkenden und Unerwünschten in diesem Apparat.
Man könnte in einem Artikel über den heraufziehenden Faschismus Trumps von Rassismus, Sexismus und Transphobie sprechen, die in den Dekreten des ersten Amtstags zu repressiven und gewaltvollen Taten umgesetzt werden. Man könnte sein autoritäres Gepolter zum Beispiel in Bezug auf die ethnische Säuberung Gazas, die angedrohte Übernahme Grönlands oder des Panama-Kanals erwähnen. Man könnte die Strategie der Chaos-Politik und methodischen Unberechenbarkeit herausstreichen, die sich etwa bei den Importzöllen zeigt. Man muss bei alledem jedoch betonen, dass Trump kein inhaltliches Konzept verfolgt, sondern Unterdrückung, Verunsicherung und Willkür als Machtdemonstration nutzt, die wiederum die internationale Politik, die Bevölkerung und die Wirtschaftseliten im eigenen Lande in Schrecken versetzt. All dies sind vor dem Hintergrund des Völkerrechts, der Menschenrechte, der liberalen Werteordnung, der demokratischen Prozesse und – nebenbei gesagt – der Interessen zahlreicher Wähler:innen repressive Akte, „Grenzüberschreitungen“ und „überraschende Forderungen“, wie es hilflose Medienkommentatoren aus der Perspektive der regelbasierten Gesellschaftsordnung seit 1945 beschreiben.
Viel wichtiger jedoch ist, dass diese kalkulierten „Grenzüberschreitungen“ nicht nur die Legitimität der nationalen und internationalen Gesetze infrage stellen, sondern eine Demonstration von Macht durch die tätliche Zersetzung dieser Ordnung bewirken sollen. Deshalb liegt ein besonderes Potential zum Faschismus genau dann vor, wenn die regelbasierte Ordnung nicht nur in politischer Rhetorik angegriffen und die Rechte von Minderheiten durch repressive Dekrete beschränkt werden (all das hatten wir schon in der ersten Amtszeit), sondern wenn auch auf der Ebene der Infrastruktur und Verwaltungsvorgänge eine Machtübernahme erfolgt. Im Zusammenspiel von Trumps autoritär-wahnsinniger Politik und der Aneignung der Bürokratie durch seinen Schergen Musk realisiert sich lehrbuchhaft ein Theorem des Nazi-Staatsrechtlers Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt“ – wer also auf Ebene der Abläufe und Prozeduren Demokratie und Rechtsstaat aushebelt. Was bereits der NSDAP als Playbook galt, wird auch hier wieder herangezogen: Ziel der faschistischen Politik ist die Übernahme des Apparats, nicht eine bestimmte Politik innerhalb desselben.
Was noch kommt
Wie viel „klassischen“ Faschismus die USA bekommen, wie viel Diktatur, Abschaffung der Gewaltenteilung, des Rechtsstaats und des politischen Pluralismus, Verfolgung, Deportation oder Ermordung von Minderheiten und politischen Gegnern, Zensur und politische Beeinflussung der Medien und Wissenschaft, militanten Terror und expansive Militäreinsätze – all das steht wohl in den Sternen. Eine Entwicklung jedoch ist seit wenigen Wochen absehbar, und sie verdient dringend mehr Beachtung: Die Übernahme der Infrastruktur durch Big Tech Akteure wird einen ungekannten Einsatz von Automatisierung, prädiktiver Datenanalyse und KI-Technologie in den operativen Verwaltungsvorgängen bedeuten. Warum sonst setzt Musk seine hochbezahlten Tech-Ingenieure daran?
Durch den Zugang zu Computersystemen, der aktuell ergriffen wird, fließen hoch-sensible und umfassende Datensätze an privatwirtschaftliche Akteure, die sich lange schon durch ihre Hemmungslosigkeit in der Ausbeutung solcher Daten hervorgetan haben. Ungleichheit, präemptive Verfolgung, Terror und Ausbeutung marginalisierter Gruppen durch den Apparat werden die Folgen sein. Die Automatisierung wird vor allem sozial und ökonomisch vulnerable Minderheiten benachteiligen (Kranke, undokumentierte Migranten, politische Gegner). Administrative Verfahren werden sich auf schleichende Weise den rechtsstaatlichen Prinzipien entziehen und durch den Einsatz proprietärer KI-Systeme opak und intransparent verfahren.
Qualitativ neu an dieser autoritären Digitalisierung des Staatswesens – insbesondere im historischen Vergleich zum Einsatz von IBM-Lochkartentechnologie durch das Nazi-Regime – wird das Element der Prädiktion sein: Die Stärke von KI liegt darin, aus unvollständigen Datensätzen die Informationen „abzuschätzen“, welche die Individuen zu Recht nicht über sich preisgeben, zum Beispiel ihre politische Einstellung oder sexuelle Orientierung, Krankheitsdispositionen, Substanzenmissbrauch und psychiatrische Leiden. KI-Auswertung von Verwaltungsdaten ermöglicht eine präemptive Ungleichbehandlung von Individuen: Man wird nicht versichert, nicht angestellt, nicht in das Land hineingelassen, bekommt Sozialleistungen entzogen, wird von der Polizei durchsucht, des Sozialbetrugs oder der Kindeswohlgefährdung verdächtigt, weil ein intransparentes Computersystem anhand von behaviorellen Daten eine Vorhersage trifft.
Die Verwendung von Technologien des prädiktiven Wissens wird ein zentrales Kennzeichen des neuen Faschismus einer technologisch führenden Industrienationen der Welt sein: Dieser Faschismus beruht auf einem Zusammenspiel von politischem Regime und Tech-Industrie, welches eine neue Qualität der sozialen Sortierung, Ausbeutung, Unterdrückung und Verfolgung bis hin zur Deportation und Ermordung von Menschen nach sich zieht.
Ich danke Daniela Hombach und Hannah Ruschemeier für hilfreiche
Anmerkungen zur einer früheren Version des Artikels.
Die drei genannten Merkmale des Faschismus lassen sich gut miteinander verbinden und wirken in ihrem Zusammenspiel auch plausibel. Zwei Anmerkungen dazu:
1. Das Verhältnis zwischen Faschismus und Rechtsstaat darf man vielleicht, gerade auch mit Blick auf Carl Schmitt, nicht so antagonistisch fassen. Schmitt hat nicht zufällig mit der Gebetsformel “Dein Wille geschehe” gearbeitet, sondern geschrieben “Der Wille des Führers ist Gesetz”. Auch Kafkas paradoxe Verknüpfung von Regeln und willkürlicher Macht wäre hier vielleicht ein Wegweiser.
2. Kommt “Technik” an sich einer zentralistischen und im Extrem faschistischen Machtausübung entgegen, oder gibt es auch “Technik von unten” und was macht dann die spezifische Verbindung von Faschismus und der “Technik von oben” aus?
Sehe gerade, da fehlt ein zweites “nicht” im Satz mit der Gebetsformel: “Schmitt hat nicht zufällig nicht mit der Gebetsformel “Dein Wille geschehe” gearbeitet”
Müsste man als Professor der Philosophie vorsichtig sein mit “persuasive definitions”?
Stevenson schrieb klassisch dazu: “in any persuasive definition the term defined is a familiar one, whose meaning is both descriptive and strongly emotive. The purport of the definition is to alter the
descriptive meaning of the term, usually by giving it greater precision within the boundaries of it’s customary vagueness – but the definition does NOT make any substantial change in the terms emotive meaning. And the definition is used, consciously or unconsciously, in an effort to secure, by this interplay
between emotive and descriptive meaning, a redirection of people’s attitudes.”
Genau das macht dieser Beitrag hier.
„In jeder überzeugenden Definition ist der definierte Begriff ein vertrauter Begriff, dessen Bedeutung sowohl beschreibend als auch stark emotional ist. Der Sinn der Definition besteht darin, die beschreibende Bedeutung des Begriffs zu ändern, normalerweise indem man ihm innerhalb der Grenzen seiner üblichen Unbestimmtheit mehr Präzision verleiht – aber die Definition nimmt KEINE wesentliche Änderung an der emotionalen Bedeutung des Begriffs vor. Und die Definition wird bewusst oder unbewusst verwendet, um durch dieses Wechselspiel zwischen emotionaler und beschreibender Bedeutung eine Neuausrichtung der Einstellungen der Menschen zu erreichen.“
?
wo macht das der text?
Ob man den administrativen Staatsstreich, den Trump und Musk grade durchziehen, als faschistisch, autokratisch oder illiberal definiert, ist meines Erachtens irrelevant. Es ist und bleibt ein Staatsstreich, und entscheidend ist die Abschaffung der Gewaltenteilung, die derzeit voll in Gang ist. Die Legislative ist bereits weitgehend aus- bzw. gleichgeschaltet. Der Angriff auf die Judikative mag am 9.2. noch nicht so offensichtlich gewesen sein, zeigt sich aber immer deutlicher. Die Geschwindigkeit, mit der demokratische Normen zunehmend mit Füßen getreten werden, ist atemberaubend. Was im Beitrag überhaupt nicht erwähnt wird, ist der Angriff auf die Pressefreiheit, der ebenfalls läuft.
Sehr interessant finde ich aber die Hinweise zum Potential von Datenanalyse und KI in den administrativen Strukturen. Das ist ein Aspekt, der in den journalistischen Analysen, die ich bisher gelesen habe, übersehen wurde und der hier gut herausgearbeitet wird.
Ich sehe es als sehr zentral an, welchen Begriff man für das Verhalten der neuen Regierung verwendet.
Illiberal ist ein sehr akademischer Begriff, schon liberal und neoliberal können die meisten Menschen nicht definieren oder scharf zueinander abgrenzen. Autokratisch klingt zu sehr nach Autokrat, also einem einzelnen Herrscher; das passt in den USA nicht, es sind mehrere involviert. Oligarchie finde ich recht passend, aber (noch) sind sie demokratisch gewählt.
Faschistisch finde ich nach dem Lesen des Artikels extrem treffend. Einerseits definitionsgemäß (danke für die Definition, dass Gewalt auch nicht-physisch stattfinden muss; als philosophischem Laien fällt mir sowas nicht immer aofort ein), andererseits weil der Begriff gerade in Deutschland extrem negativ besetzt ist und jeder bei Faschisten an üble Machenschaften denkt.
Ich nehme für mich (stark verkürzend) mit: Populisten reden und verteilen ihre Meinungen, setzen andere verbal herab, Faschisten handeln und entmachten die demokratischen Unter-Apparate (Verwaltung, Dienste, Institutionen) und durchsetzen den Staat mit Handlangern.
Ergänzenswert zum Thema “Angriff auf den Rechtsstaat” finde ich den unmittelbar dazugehörigen Angriff auf die Pressefreiheit und Informationsklarheit. Unter Trump scheint das postfaktische Zeitalter nun final erreicht; gemäß dem Motto “flooding the zone with shit” (Steve Bannon) wird die Pressefreiheit gezielt angegriffen und eine Vielzahl an Falschmeldungen in die Welt gesetzt, die durch unabhängige und seriöse journalistische Bemühungen kaum aufzuarbeiten sind.
Die von JD Vance gehaltene Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat überdies gezeigt: Der Faschismus und politische Destruktivismus hört keinesfalls an den Landesgrenzen auf. Auch Musks repetitive Wahlwerbung für die AfD ist keinesfalls Zufall.
Europa muss meines Erachtens nach lernen, sich als solidarische Wertegemeinschaft nach außen hin zu präsentieren, Autokratien entschlossen entgegenzutreten (bspw. Habeck zu Vance: “it’s none of your business!”) und sich, trotz aller Unterschiede der Mitgliedsstaaten, auf die wesentlichen Grundwerte besinnen und diese stark verteidigen.
Ich befürchte jedoch, dass durch das Erstarken autokratischer und rechtspopulistischer Kräfte in großen Teilen Europas (Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Deutschland?) eine solche Außenwirkung entschieden gelähmt wird und die Europäische Union sich damit “von innen heraus auffrisst”.
Sicherlich ist Migration ein relevantes Thema, die konstante, auch mediale, Ausrichtung des Wahlkampfes darauf, und die Art und Weise, wie gesprochen wird, zeigt mir jedoch, dass wir es längst ebenfalls mit Kräften zu tun haben, welche man mit Trump und co. (abstrahiert) gleichsetzen kann.
Dazu passt das Gesetz, das dem US-Repräsentantenhaus gerade vorliegt. Es nennt sich SAVE Act und entzieht de facto Millionen von US-Amerikanern das Wahlrecht. Geplant ist, dass die (Neu-)Registrierung als Wähler nur noch unter Vorlage eines gültigen Reisepasses oder der Geburtsurkunde mit aktuellem Namen sowie persönlich möglich ist. Eine Registrierung per Brief oder Online wäre damit ebenso ausgeschlossen wie die Registrierung mit Führerschein, Sozialversicherungs-, Militär- oder Stammesausweis.
Das klingt alles erst mal harmlos.
Dazu muss man jedoch wissen, dass rund 46,9% der US-Bürger keinen gültigen Reisepaß besitzen und dass 84% der verheirateten Frauen sowie 5% der verheirateten Männer den Namen des Ehepartners oder einen Doppelnamen tragen. Auf der Geburtsurkunde steht natürlich der Geburtsname. In den ländlichen Gebieten ist es auch nicht so einfach, sich persönlich registrieren zu lassen. Diese Möglichkeit nutzten bei den letzten Wahlen nur rund 5% der Wähler.
Die Führung des US-Repräsentantenhauses hat bereits erklärt, dass die Verabschiedung des Gesetzes eine ihrer obersten Prioritäten für den 119th Congress ist. Mit anderen Worten: Der SAVE Act würde bereits für die Midterms gelten.
Quelle: https://www.americanprogress.org/article/the-save-act-would-disenfranchise-millions-of-citizens/