14 October 2019

Trumps Supreme Court und der Schwanger­schafts­abbruch

Mit der Ernennung des umstrittenen Richters Kavanaugh hat US-Präsident Trump am US Supreme Court eine dauerhafte konservative Mehrheit installiert. Anfang Oktober hat der Supreme Court den Fall June Medical v. Gee zur Entscheidung angenommen. Der Fall aus Louisiana könnte mitten im Wahljahr eine Kehrtwende in der Rechtsprechung des Supreme Courts zu Schwangerschaftsabbrüchen einleiten.

Die erste Schwangerschaftsabbruchentscheidung in der Kavanaugh-Ära soll nach konservativen sog. pro-life Wünschen der grundlegenden Entscheidung Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 ein Ende setzen. Progressive Kräfte hoffen hingegen auf ein Zeichen richterlicher Zurückhaltung, die Fortführung früherer Entscheidungen und auf Chief Justice Roberts, der im Supreme Court nach dem Ausscheidens Richter Kennedys als Zünglein an der Waage gilt.

Von Roe v. Wade zu Planned Parenthood und weiter

Den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und ihre Legalität auszugestalten, war bis 1973 fast uneingeschränkt Kompetenz der Bundesstaaten. Schwangerschaftsabbrüche waren in der Regel verboten, kriminalisiert wurden jedoch meistens die behandelnden Ärzte und Ärztinnen, nicht die Frauen. Mit der Entscheidung Roe v. Wade stellte der Supreme Court in einer 7:2-Entscheidung klar, dass das Recht auf Privatsphäre und die due process clause des 14. Verfassungszusatzes auch die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch beinhalte. Richter Blackmun, der die majority opinion schrieb, erfand ein elaboriertes Trimester-Programm: Im ersten Trimester einer Schwangerschaft sei ein Abbruch der Schwangerschaft für die schwangere Frau medizinisch sicherer als eine Weiterführung derselben mit anschließender Geburt, sodass eine Beschränkung nicht erlaubt sei. Lediglich minimale gesundheitsbezogene Schutzmaßnahmen, wie die Durchführung durch medizinisches Fachpersonal, könnten Staaten regeln. Im zweiten Trimester hingegen sei ein Schwangerschaftsabbruch mit größeren medizinischen Risiken verbunden. Daher habe der Staat ein überzeugendes Interesse, Schwangerschaftsabbrüche im Sinne des Gesundheitsschutzes der Mutter zu regulieren. Erst im dritten Trimester, das mit der Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Körpers der Frau beginne, könne der Staat auch aus Gründen des Schutzes pränatalen Lebens Schwangerschaftsabbrüche regulieren. Roe v. Wade schuf damit ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Der Titel der Entscheidung wurde zum politischen Kampfwort. 

Diese Entscheidung wurde durch Planned Parenthood v. Casey im Jahr 1992 modifiziert. Ein Gesetz aus Pennsylvania verlangte von Frauen, dass sie vor einem Schwangerschaftsabbruch u.a. die Zustimmung ihres Ehemanns einholten oder im Fall von unverheirateter Minderjährigkeit die Zustimmung ihrer Eltern. Das Gericht war gespalten, hielt mehrheitlich an der grundsätzlichen Entscheidung aus Roe v. Wade fest, ersetzte aber die Trimestergrundlage mit dem undue burden test: Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollen, darf keine wesentliche Hürde in den Weg ihrer freien Entscheidung gelegt werden. In den letzten Jahrzehnten wurde die Zulässigkeit des Umfangs der Belastung immer wieder gerichtlich ausgetestet, etwa ob sich eine Frau den Fötus vor der Abbruchentscheidung im Ultraschall ansehen oder für eine Beerdigung des Fötus sorgen oder, ähnlich wie in Deutschland, 24 – 72 Stunden zwischen der Beratung und Durchführung des Abbruchs warten muss. 

Die letzte große Richtungsentscheidung brachte im Jahr 2016 der Fall Whole Women’s Health v. Hellerstedt. Texas hatte ein Gesetz erlassen, das Ärztinnen und Ärzten nur noch Schwangerschaftsabbrüche durchführen ließ, wenn sie einen Vertrag mit einem Krankenhaus über die Aufnahme von Patientinnen vorweisen konnten und wenn ihre Praxis wie ein chirurgisches Zentrum ausgestattet sei. Letzteres hätte Umbaumaßnahmen, wie z.B. die Verbreiterung von Türen, die Schaffung von Parkplätzen oder die Sicherung der Notfallversorgung mit Strom nach sich gezogen. Die sog. Überweisungsprivilegien (vergleichbar mit dem deutschen Belegbettensystem) erhielten nur Praxen, die eine gewisse Mindestanzahl an Patientinnen pro Jahr an ein Krankenhaus überwiesen und in einem 30-Meilen-Radius um das Krankenhaus praktizierten. Da Schwangerschaftsabbrüche im ersten Trimester aber mit einem so geringen Gesundheitsrisiko verbunden sind, erreichen Schwangerschaftsabbruchpraxen diese Zahlen zumeist nicht und können sich daher nicht vertraglich an ein Krankenhaus binden. 

TRAP-Laws: Verhindernde Regulierung von Kliniken und ärztlichen Praxen

Solche und ähnliche TRAP-laws (Targeted Regulation of Abortion Providers) wurden nach der Entscheidung in Planned Parenthood v. Casey in vielen Staaten erlassen, um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erschweren. In Whole Women’s Health v. Hellerstedt nahm der Supreme Court die Einladung zur Verfeinerung des undue burden tests an. Der Supreme Court entschied 5:3 (Richter Scalia starb vor der mündlichen Verhandlung), dass nicht nur rational nachvollzogen werden müsse, ob ein Gesetz dem Gesundheitsschutz schwangerer Frauen diene (so noch der 5th Circuit), sondern auch faktisch/empirisch. Texas konnte nicht nachweisen, dass Schwangerschaftsabbrüche durch die zusätzlichen Forderungen sicherer werden würden. Im Gegenteil, so der Supreme Court: Die Schließung vieler Praxen führe zu einer massiven Überfüllung der verbliebenen Kliniken und damit zu einer Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung. Zudem müssten Frauen durch die geringere Anzahl an Praxen weitere Reisen auf sich nehmen, was zusammen mit der verpflichtenden Warteperiode eine weitere überhöhte Belastung darstelle. Die Entscheidung erlangte daher nicht nur im Schwangerschaftsabbruchkontext Bedeutung, sondern wurde von einigen auch dafür gepriesen, dass der Supreme Court hinter die Begründung eines Gesetzes blickte, um dessen tatsächliche Auswirkungen zu überprüfen.

Zu dieser Rechtsprechungsreihe wird sich nun June Medical v. Gee verhalten müssen. Dabei ist der Fall aus mehreren Gründen spannend.

Bei der zu überprüfenden Regelung aus Louisiana handelt es sich um eine Kopie des Gesetzes aus Texas – welches ja bereits 2016 für verfassungswidrig erklärt wurde. Gleichwohl unterlag das Center for Reproducitve Rights, welches den Fall in erster Instanz noch gewonnen hatte, beim 5th Circuit Court of Appeals. Dieses Berufungsgericht (das gleiche wie in Whole Women’s Health v. Hellerstedt) las den undue burden test in einer Entscheidung 2:1 als Abwägung zwischen den Vorteilen der Regulierung im Sinne der Frauengesundheit und dem Schutz des ungeborenen Lebens und den Hindernissen, die Frauen in den Weg gelegt werden würden. Dabei seien aber kleinere Hürden, die eine Großzahl von Frauen träfen, keine unzulässige Belastung. Zudem seien Texas und Louisiana faktisch und geographisch verschieden, weshalb eine unterschiedliche Bewertung der Verfassungsmäßigkeit geboten sei. Louisiana begründete das Gesetz mit der Verbesserung der medizinischen Versorgung von Frauen, und habe nachgewiesen, dass die weiterführenden Hintergrundüberprüfungen von Ärzten und Ärztinnen mit Überweisungsprivileg zusammen mit der durch Kliniken sichergestellten kontinuierlichen Versorgung tatsächlich einen (wenn auch lediglich geringer) Vorteil ergeben. 

In Texas fielen die Dominosteine des undue burden test im 5th Circuit, in Louisiana hingegen blieben sie stehen. Ausschlaggebend für die Belastungen, die Frauen mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch auferlegt werden, sei die Schließung vieler Praxen in Texas gewesen, was auf das schwierige Erlangen von Überweisungsprivilegien zurückzuführen sei. Tatsächlich hätten 32 von 40 Dienstleistern schließen müssen. Dadurch sei es zur Überfüllung der verbliebenen acht Anbieter und zu langen Fahrzeiten für Frauen gekommen – zusammengenommen eine unangemessene Belastung. In Louisiana hingegen gebe es nur 9 Anbieter von Schwangerschaftsabbrüchen. Diese hätten aber nicht in good faith versucht, Überweisungsprivilegien zu erhalten. Es sei daher nicht auf das Gesetz zurückzuführen, wenn Praxen oder kleinere Kliniken schließen müssten. Vielmehr sollten sich die betreffenden Ärzte und Ärztinnen vernünftigerweise um die Erlangung der Privilegien bemühen. Erst wenn dies scheitern sollte, könne tatsächlich festgestellt werden, ob das Gesetz Hürden für die Erlangung der Privilegien errichte. Das Gesetz sei verfassungsgemäß. 

Das Center for Repoductive Rights wandte sich im Namen der Kläger_innen im einstweiligen Rechtsschutz an den Supreme Court, der das Inkrafttreten des Gesetzes im Februar im Rahmen einer einstweiligen Anordnung aussetzte. Der Supreme Court entschied knapp mit 5:4 und gab keine Begründung bekannt, lediglich Richter Kavanaugh veröffentliche seine Mindermeinung (gegen die Gewährung des Rechtsschutzes wandten sich mit ihm drei weitere konservative Richter: Gorsuch, Alito und Thomas). Auch Kavanaugh sah keine ernsthaften Bemühungen der Ärzte und Ärztinnen um Überweisungsprivilegien und konnte so keinen Effekt des Gesetzes feststellen. 

Erstmals konservative Mehrheit am US Supreme Court

Es wird nun auf die Stimme von Chief Justice Roberts ankommen, der in Whole Women’s Health v. Hellerstedt noch mit seiner Mindermeinung unterlag (und das texanische Gesetz damit nicht für verfassungswidrig erklärt hätte). Er kann nun das Zünglein an der Waage zwischen den konservativen Meinungen (vertreten von Alito, Thomas, Gorsuch, Kavanaugh) und den liberaleren Ansichten (vertreten von Ginsburg, Breyer, Sotomayor, Kagan) spielen. Die vorgetragenen Argumente der Prozessvertreterinnen und -vertretern sowie die amicuscuriae briefs werden sich daher höchstwahrscheinlich hauptsächlich an ihn richten. Die Haltung von Chief Justice Roberts könnte die festgefahren erscheinenden Verhältnisse etwas auflockern und gibt denjenigen Hoffnung, die aus Angst vor einer konservativen Mehrheit als Strategie vorläufig gar keine Klagen in der Sache vor dem Supreme Court anstrengen wollten.

Nicht nur das Center for Reproductive Rights hat beim Supreme Court Rechtsmittel eingelegt, sondern auch die gegnerische Partei Rebekha Gee für den Staat Louisiana. Dabei greift die cross-petition einen Punkt auf, der in den letzten Jahrzehnten für geklärt gehalten wurde: Sind Dienstleistende, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, als Dritte überhaupt klagebefugt? 1976 sprach der Supreme Court in Singleton v. Wulff in 1976 davon, dass es „grundsätzlich angemessen sei“, wenn Dienstleistende das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche als Dritte einklagten und bestätigte damit die bis dahin vorherrschende Praxis. Die Frage kann massive Auswirkungen auf zukünftige Prozesse haben, da vor allem non-profit-Dienstleistende Schwangerschaftsabbruchsgesetze vor Gericht angreifen. Louisiana will den Fall nun nutzen, um die Klagebefugnis eindeutiger zu klären – und einzuschränken.

Das ultimative Ziel: Roe v. Wade kippen

Damit bringt sich Louisiana in eine gute Ausgangslage im Rennen darum, der Staat zu werden, der Roe v. Wade zu Fall bringt. Waren Gesetze, die die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch betreffen oder Zugang und Ausführung eines solchen regeln, in den USA schon immer hoch politisch, hat sich das in den Jahren seit der Wahl Donald Trumps noch verstärkt. Trump hatte bereits in seinem Präsidentschaftswahlkampf angekündigt, als Abtreibungsgegner pro-life-Richter und -Richterinnen an den Supreme Court zu ernennen, um Roe v. Wade zu revidieren. Einige Bundesstaaten übertreffen sich seitdem mit Gesetzen, die die zulässige Schwangerschaftswochenanzahl für einen Schwangerschaftsabbruch reduzieren, um den Fall vor den neu besetzen Supreme Court zu bringen: Ein Verbot nach acht Wochen plante Missouri, nach sechs Wochen Mississippi und Kentucky. Alabama verbot Schwangerschaftsabbrüche ganz. Sog. Heartbeat Laws verbieten Schwangerschaftsabbrüche nach dem Feststellen eines Herzschlages. Einige Staaten haben Klauseln in ihre Gesetze aufgenommen, die im Falle einer Revision von Roe v. Wade ein Verbot umgehend wiederaufleben lassen (z.B. Louisiana). Andere Staaten haben die Kernaussagen in ihr Landesrecht aufgenommen, sodass Schwangerschaftsabbrüche legal und zugänglich bleiben würden (z.B. Illinois). Dass der Fall June Medical v. Gee nun tatsächlich vor dem Supreme Court gehört wird – und dazu noch im Wahljahr – sorgt in der ohnehin tief gespaltenen amerikanischen politischen Gesellschaft für ungeheure Brisanz. 

Denn der Fall wäre nach den bislang geltenden Regeln eigentlich leicht zu entscheiden. Seit Roe v. Wade wird die Frage nach einer Entscheidung über Schwangerschaftsabbrüche in jeder Senatsanhörung für das höchste Richter_innenamt gestellt. Dabei wird von den Kandidaten und Kandidatinnen offiziell Zurückhaltung gefordert, denn im Sinne von stare decisis darf ein neu besetztes Gericht vorangegangenen Entscheidungen nicht einfach aufheben und neu beurteilen. Precedent, also der Tenor einer Entscheidung in gleich gelagerten Sachverhalten, ist bindend. Ein Abweichen bedarf eines hohen Begründungsaufwandes und einer geänderten Faktenlage. Dies gilt besonders für die Freiheit des Schwangerschaftsabbruchs, wie das Gericht im Fall Planned Parenthood v. Casey festgehalten hat: Eine ganze Generation sei mit der Gewissheit aufgewachsen, dass eine Frau reproduktive Entscheidungen für sich selbst treffen dürfe. Mittlerweile sind es mindestens zwei Generationen, der Begründungsaufwand sollte sich damit eigentlich verdoppelt haben.

Es spricht daher einiges dafür, dass sich der Supreme Court nicht verleiten lassen wird, den bisherigen Pfad (bereits so früh) zu verlassen. Ob er dabei aber ein, zwei Ausfallschritte nach links – oder eher rechts – machen wird, bleibt abzuwarten und wird so oder so Auswirkungen auf die US-amerikanische Gesellschaft und das politische Leben haben.