10 October 2022

VerfassungsPod #3: Verfassung im Krieg

Es herrscht wieder Krieg in Europa. Deutschland ist keine Kriegspartei und will keine sein. Und doch sind die Fragen nach Landesverteidigung, Bündnisfall, Bundeswehr seit dem russischen Angriff auf die Ukraine auch in Deutschland auf ungeahnte Weise aktuell, relevant und gegenwärtig geworden.

Wir vom Verfassungsblog interessieren uns für die Verfassung, und das heißt im diesem Zusammenhang: für die Wehrverfassung. Wir haben uns deshalb auf die Suche begeben nach diesem normativen Rahmen, haben wieder mit zahlreichen Expert*innen  gesprochen und die Konturen der bundesdeutschen Wehrverfassung, ihre Entwicklung, ihre Lücken unter die Lupe genommen.

Teil 1: Verteidigung

Die ursprünglich zentrale Norm der Wehrverfassung ist Artikel 87a Grundgesetz: Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf, die außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden dürfen, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt. Was heißt “Verteidigung”? Der Begriff wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet.

Teil 2: Out of Area

Praktisch war aber die längste Zeit eine andere Norm viel wichtiger, nämlich Artikel 24: Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen. Auf dieser Grundlage beruht das allermeiste von dem, was militärisch passiert. Und wie, und was das bedeutet, was das erlaubt und was nicht, darum geht es in dieser Folge.

Teil 3: Zeitenwende

Die Grenzen, die die Verfassung dem Einsatz des Militärs zieht, sind eigentümlich diffus. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Einsätze stärker kontrollieren? Sollte die Verfassung nur noch Einsätze erlauben, die auch völkerrechtskonform sind? Was bedeutet die EU-Integration für die deutsche Wehrverfassung? Das diskutieren wir in der letzten Folge unseres Podcasts.

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Gesprächspartner:innen:

  • Prof. Dr. Manuel Brunner, Polizeiakademie Niedersachsen
  • Prof. Dr. Heike Krieger, Freie Universität Berlin
  • Prof. Dr. Thomas Kleinlein, Universität Jena
  • PD. Dr. Christian Marxsen, Max-Planck-Institut Heidelberg
  • Dr. Carolyn Moser, Max-Planck-Institut Heidelberg
  • Dr. Christoph Nübel, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
  • Prof. Dr. Marcus Payk, Helmut Schmidt Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Heiko Sauer, Universität Bonn
  • Prof. Dr. Christoph Schönberger, Universität Köln

SUGGESTED CITATION  Schlenk, Jochen; Steinbeis, Maximilian: VerfassungsPod #3: Verfassung im Krieg, VerfBlog, 2022/10/10, https://verfassungsblog.de/verfassungspod-3-verfassung-im-krieg/.

2 Comments

  1. Michael Stiehm Wed 9 Oct 2024 at 15:18 - Reply

    Eine Demokratie berüht auf dem Gleichheitsprinzip. Ungleichheit ist wie Rassismuss. Alle drei Säulen der Demokratie sind diesem Prinzip verplichtet. Wenn es Grün, Blau und Rot gibt. Heißt das nicht das wir eine Entscheidung treffen müssen die Grun, blau oder Rot sind. Das heiß das Grün Blau und Rot die gleichen Rechte haben wie alle. Die Unschuldsvermutung ist ein Ergebnis. Kann die Schuld nicht erwiesen werden ist diese Anzuwenden. Die Umkehr der Beweispflicht ist ein einseitiger Rechtswiedriger eingriff in die Demokratie und muß abgeschaft werden. Dieses Prinzip bevorurteilt Menschen und entzieht Ihnen die Freiheitlichen Demokratischen Grundrechte. Durch die Umkehr der Beweispflicht sind nicht die freiheitliche demokratische Grundrechte wiederherrgestellt, auch wenn durch Berufung die Unschuld oder Schuld bewiesen wird.
    Ich bin kein Rechtsanwalt aber ich stehe für Demokratie und Menschenrechte

    Michael Stiehm

  2. Chris Br. Sun 3 Nov 2024 at 12:55 - Reply

    Mir hat die Aufbereitung des Themas erneut sehr gut gefallen. Allerdings fand ich es etwas schade, dass durch die ausschließliche Einbeziehung der Bundeswehrhistoriker eine relativ einseitige Ausgestaltung des historischen Hintergrunds stattfand, bei dem immer wieder deutlich normative Wertungen durchschwangen, die in ihrer Art und Weise dann nicht als solche kenntlich gemacht wurden, sprich im Raum stehen gelassen wurden, statt sie als subjektive Auffassung eines Affiliierten der Bundeswehr hervorzuheben.

    Es wäre durchaus möglich gewesen, kritischere Aspekte zur Wahnvorstellung des Bürgers in Uniform zu skizzieren, immerhin wurde die Bundeswehr primär von Kriegsverbrechern des WWII aufgebaut und de facto eine Kopplung an die Wehrmacht nicht nur gebilligt, sondern aktiv betrieben.

    Überdies ist es geradezu wahnwitzig, dass die NATO in ihrer Bewertung von einem Gros der Verfassungsrechtler mit der UN gleichgesetzt wird, was angesichts der offenkundigen geopolitischen Ausrichtung derselben sprichwörtlich verheerend ist. Besonders am Fall Portugal, das ein Gründungsmitglied ist und war, kann die politische und bisweilen imperiale Ebene der NATO von ihrer Geburtsstunde an erkannt werden. 1949 befand sich das Land noch immer im Klammergriff des autoritären Dikators Salazar, was die Bundeswehr und ihre NATO-Partner nicht daran hinderte, die Kolonialmacht in ihren Abwehrkämpfen in Angola zu unterstützen. Wo hier die “Out of Area”-Einsätze deutscher Truppenkontigente anfingen und die Unterstützungs- und Ausbildungsleistung eines NATO-Partners aufhörten, ist wohl kaum trennscharf zu skizzieren. Allerdings zeigt das Beispiel der portugiesischen Kolonialkriege eindrücklich, dass die NATO bereits in ihrer Frühphase kein bloßes “System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens” war, sondern vor allem ein geopolitischer Zusammenschluss zur Durchsetzung von Partikularinteressen, was einen Vergleich mit der UN und ihrem Sicherheitsrat als geradezu wahnwitzig erscheinen lässt.

    Es passt daher in die Gleichung, wenn nahezu einhellig die Prüfungskompetenz der Rechtmäßigkeit eines Bundeswehreinsatzes im Ausland auf materieller Ebene verneint und die offenkundige Unzulänglichkeit des pseudo-demokratischen Parlamentsvorbehalts ausgeblendet wird. Wenn die Armee eine echte Parlaments-Armee sein sollte, wäre eine qualifizierte Mehrheit im BT für die Entsendung deutscher Truppen gefordert worden, sprich mind. 2/3 der Abgeordneten, besser noch 3/4. Durch diese Mehrheitserfordernisse wäre die Schwäche des deutschen Parlamentarismus umgangen worden, der aus der Überschneidung von Legislative und Exekutive entspringt.

    In der vorliegenden Form ist es jedenfalls so, dass jedweder Bundeswehreinsatz von einer intakten und in dieser Frage übereinstimmenden Bundesregierung beschlossen werden kann, solange die einzelnen Abgeordneten ihrer Fraktionsdisziplin folgen. Die Konsequenzen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges trägt wiederum die Gesamtheit der Bevölkerung, sprich auch die unterlegenen WählerInnen. Im Zweifelsfalls beteiligt sich Deutschland auf Grundlage einer 51% Zustimmung im Parlament an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Namen der NATO, der unter dem dünnen Deckmäntelchen der “Verteidigung” verbrämt wird. Dem BVerfG bliebe dann nur ein Abgleich des formalen Procedere mit seinen unzureichenden Anforderungen an die vom gewünschten Ergebnis gedachten “Out of Area”-Einsätze der Armee. Das kann dazu führen, dass Deutschland sich an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt, wie es im völkerrechtswidrigen und kapitalmarktgetriebenen Angriffskrieg der US-Truppen auf den Irak der Fall war.

    Ein Rechenbeispiel zeigt, wie stark der Parlamentsvorbehalt zur Farce mutieren kann:
    2021 lebten in Deutschland 83 Mio Menschen, von denen 10 Mio Nichtdeutsche waren und somit von der Parlamentswahl ganz gleich der Dauer ihres Aufenthalts in der BRD per se ausgeschlossen. Das sind 15% der Bevölkerung, die wegfallen.
    Wahlberechtigt waren bei der BT-Wahl 61 Mio, sodass weitere 12 Millionen Minderjährige von der Wahl ausgeschlossen waren und kein Mitspracherecht bei der Besetzung ihrer zukünftigen Repräsentation hatten. 47 Mio Menschen haben schlussendlich gewählt, was circa 75% Wahlbeteiligung ausmacht, allerdings nur 57% der Gesamtbevölkerung.

    Von diesen 57% haben nun 52,8% die Ampel-Koalition gewählt. Damit haben schlussendlich 24,8 Mio Menschen die Regierungsparteien gewählt, was circa 30% der Gesamtbevölkerung entspricht. Im Rahmen einer einheitlichen Abstimmung könnten diese VertreterInnen von 30% der Gesamtbevölkerung einen völkerrechtswidrigen Einmarsch in ein souveränes Land beschließen, wenn das NATO-Bündnis davon ausginge, dass dies für die “eigene Verteidigung” notwendig sei. 70% der Gesamtbevölkerung könnten dem zwar widersprechen, hätten allerdings keine Möglichkeit den Einmarsch z.B. in den Irak 2003 zu verhindern, weil das sonst in sämtlichen Fragen als materiell-rechtlich kompetente Bundesverfassungsgericht in der Kernfrage aller Kernfragen von Krieg und Frieden nun kein materielles Prüfungsrecht haben soll, um kritisch zu erörtern, ob es den NATO-Partnern nun um die Beseitigung von “Massenvernichtungswaffen” geht oder doch viel eher um privilegierten Zugang ihrer Öl-Riesen BP und Exxon Mobile zu irakischen Ölfeldern.

    Das bedeutet auch, dass der BT auf tönernsten Füßen die deutsche Involvierung in Menschenrechtsverbrechen wie Abu Ghraib beschließen kann, solange die Bundesregierung (die diesen Einsatz forciert und trägt) ihre Legislativ-Robe übergestülpt hat und lustig frivol im Bundestag zur richtigen Zeit die richtigen Arme hebt oder Zettelchen in eine Box wirft. Da kann doch niemand ernsthaft die Auffassung vertreten, dass dies mit der Entsendung von friedenssichernden UN-Blauhelmtruppen (mit all ihren in Bosnien aufgezeigten offenkundigen Defiziten) gleichzusetzen wäre.

    Hier wird Machtpolitik vom Ergebnis in deutsches Verfassungsrecht gelesen, ohne dabei zumindest die Selbstachtung zu haben, dies als Parteinahme für die geostrategische Ausrichtung der BRD kenntlich zu machen. Alternativlos ist der Status Quo jedenfalls nicht und es kann kaum beruhigend werden, wenn die Bundeswehreinsätze, die im Zweifelsfall immer und überall den Tod von Menschen und zivile Opfer fordern, als Business as Usual und Routine klassifiziert wird.

    Eine reine Verteidigungsarmee, die sich aus StaatsbürgerInnen in Uniform zusammensetzt, wird jedenfalls nicht im Rahmen von Bündnissen tätig, in denen autoritäre Herrscher und Kriegsverbrecher federführend sind. Die kurdische Bevölkerung in Rojava kann sich jedenfalls genauso wenig über die deutsche NATO-Partnerschaft mit der Türkei freuen, wie die angolanische über die Waffenhilfe für den Träger des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, António de Oliveira Salazar.

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