05 September 2024

Verkehrte Welt

Der Reverse Racism der AfD und rechtliche Anforderungen für die Gleichberechtigung von Minderheiten 

Die AfD fällt regelmäßig durch rassistische Positionen auf. Die Partei als Ganzes schafft durch ihren rassischen1) Volksbegriff ein Narrativ, das Ausländer:innen und generell nicht-weiße Menschen zu einer Bedrohung macht, insbesondere für die nationale Sicherheit. Darüber hinaus stellt die AfD die deutsche weiße Bevölkerung als Opfer eines Reverse Racism dar und droht, Diversity-Maßnahmen abzuschaffen. Es gibt die Gefahr, dass die AfD ausgehend von ihrem umgekehrten Rassismus-Verständnis nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im September und der Bundestagswahl im kommenden Jahr institutionellen Rassismus verstärken könnte, wenn ihr eine Regierungsbeteiligung gelingt.

Rassismusbegriff innerhalb und außerhalb des Rechts

Obwohl es keine universelle Legaldefinition für den Begriff „Rassismus“ gibt, existieren verschiedene Definitionen, die zentrale Elemente des Rassismus aufweisen. So wird Rassismus u.a. als Glaube an die Existenz von verschiedenen Rassen sowie an die Überlegenheit einer Rasse über andere bezeichnet (Audre Lorde). Eine historische Analyse beschreibt zudem Rassismus als ein Zusammenwirken von ökonomischen, politischen und ideologischen Praktiken, die die Hegemonie einer dominanten Gruppe über untergeordnete Gruppen sichern (Stuart Hall). Diese Ansichten haben das Verständnis über Rassismus als ein System geprägt, das sowohl Opfer als auch Täter:innen hat. Demnach waren Weiße historisch betrachtet, die Gruppe, von der Rassismus ausging. Durch ihr Weißsein haben sie bis heute eine Machtposition und Privilegien in der Gesellschaft. Sie können folglich keine Opfer von Rassismus sein. Eine Auffassung des Rassismus, die Weiße zu Opfern macht, wird als Reverse Racism (umgekehrter Rassismus) bezeichnet.

In diesem Zusammenhang ist es relevant, darauf hinzuweisen, dass das Recht zwar Verbote der rassischen Diskriminierung enthält, jedoch kein explizites Verbot des Rassismus. Anders als die weit verbreitete Deutung, dass Weiße nicht von Rassismus betroffen sein können, steht Rasse im Antidiskriminierungsrecht nicht automatisch für bestimmte Gruppen. Wie im Fall Mike Campbell (Pvt) Ltd. v. Zimbabwe (2008) deutlich wurde, können Reformprogramme für die Enteignung von Land, das Weißen gehörte, auch wenn sie die Wiedergutmachung des kolonialen Unrechts bezwecken, rassische Diskriminierung darstellen. Die Bevorzugung von einzelnen Gruppen stellt eine Ausnahme zum Grundsatz der Gleichheit dar und muss rechtlich begründet und zeitlich begrenzt sein (vgl. Art. 2 Abs. 2 ICERD). Auch wenn es im deutschen Antidiskriminierungsrecht keine vergleichbare Rechtsprechung gibt, zeigt die Behandlung von Racial-Profiling-Fällen durch Verwaltungsgerichte, dass nicht der Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis thematisiert wird, sondern die Frage, ob bei anlasslosen Polizeikontrollen die Hautfarbe der Kläger:innen als ein Unterscheidungsmerkmal herangezogen wurde oder nicht (vgl. Liebscher).

Rassischer Volksbegriff und Reverse-Racism der AfD

Das Rassismus-Verständnis der AfD hängt eng mit ihrem rassischen Volksbegriff zusammen. Die AfD sieht sich als Vertretung der Interessen und Rechte von weißen Deutschen und möchte sie verteidigen. Der rassische Volksbegriff ist eine Kontinuität der Rassenideologien, die rassistische Systeme wie den transatlantischen Sklavenhandel, den Kolonialismus und den Nationalsozialismus legitimiert haben. Während der Rassismus zur Zeit des Kolonialismus die weiße Vorherrschaft damit rechtfertigte, dass Weiße anderen Völkern allein schon wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft überlegen seien, wurde der rassische Volksbegriff der Nationalsozialist:innen durch die Vorstellung einer ausgelesenen deutschen Rasse weiter eingegrenzt. Über das Abstammungsprinzip wurde festgelegt, wer als deutsch galt, und zwar unabhängig davon, wer bereits in Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft war. Die Nationalsozialist:innen rassialisierten das deutsche Recht entsprechend. So waren Jüd:innen nach den Nürnberger Rassengesetzen keine Reichsbürger:innen und konnten keine öffentlichen Ämter innehaben. In der Folge wurden Jüd:innen und anderen Bevölkerungsgruppen wie Sinti:zze und Rom:nja und Schwarzen Menschen graduell entrechtet.

Eine wesentliche Funktion, die der rassische Volksbegriff während der Versklavung, des Kolonialismus und des Nationalsozialismus gemein hatte, war die Rassentrennung. Sowohl in den Kolonien als auch im nationalsozialistischen Deutschland wurde es verboten, die „deutsche Rasse“ mit anderen Gruppen rechtlich zu vermischen. Auch wenn die AfD selbst nicht den Begriff der Rassentrennung verwendet, wird durch ihre Wahlprogramme und öffentlichen Positionen ersichtlich, dass sie eine homogene Gesellschaft befürwortet und den Einfluss anderer Kulturen bekämpfen möchte (siehe hierzu diese Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte). Hier wird ein Kulturrassismus erkennbar. Er zeigt sich darin, dass der Glaube an verschiedene biologische Rassen dadurch verschleiert wird, dass von kulturellen Unterschieden gesprochen wird und Kulturen sowie Religionen essentialisiert werden, und dadurch ihre Ungleichwertigkeit legitimiert wird. Das OVG NRW hat in seinem Urteil (2024) bestätigt, dass der ethnisch-kulturelle Volksbegriff der AfD mit einer politischen Zielsetzung verknüpft ist, „mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird“ und dass sie Bestrebungen verfolgt, die eine „Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen“ zur Folge haben.

Das Rassismus-Verständnis der AfD gründet auf einer vermeintlichen Deutschenfeindlichkeit und weist Reverse Racism auf. Die Partei betrachtet weiße Deutsche als Opfer einer Politik, die Minderheiten bevorzugt und der Gesellschaft rassistische Ideologien vorschreibt. So sieht die AfD politische Maßnahmen für die Förderung von Diversität und das Ziel, die Repräsentanz von Betroffenen von Rassismus zu erhöhen, als Rassismus gegen Weiße. Die Bundestagsfraktion der AfD stellte beispielsweise einen Antrag für die Bekämpfung jeder Form des Rassismus inklusive der anti-weißen Diskriminierung in Deutschland (2024). Darin fordert sie, Rassismus gegen Weiße anzuerkennen. Dass die Bundes-AfD die Anerkennung von weißen Deutschen als eine diskriminierte und bedrohte Gruppe erreichen möchte, zeigt auch ihr Vorstoß für eine Änderung des § 130 StGB. „Angehörige des deutschen Volkes“, so der Vorschlag, sollen unter der Definition für die Strafbarkeit der Volksverhetzung gefasst werden und Schutz vor Angriffen durch Ausländer:innen erhalten. Damit stellt sich die Partei nicht etwa gegen das Diskriminierungsverbot wegen der Rasse, sondern beansprucht es für Weiße. In der Logik der AfD stellen rassismuskritische Perspektiven selbst rassistisches Gedankengut dar, das es zu bekämpfen gilt.

Gleichberechtigungsgebot gegen institutionellen Rassismus

Institutioneller Rassismus wird im Macpherson-Bericht als das kollektive Versagen einer Organisation, angemessene und professionelle Dienstleistungen an Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft anzubieten, definiert. Formal betrachtet ist institutioneller Rassismus nach dieser Definition in Deutschland verfassungswidrig. Das Grundgesetz enthält als Konsequenz aus dem nationalsozialistischen Unrecht in Art. 3 Abs. 3 GG Diskriminierungsverbote, die die staatliche Gewalt binden und Willkür entgegenstehen sollen. Die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats ergeben, dass mit dem Diskriminierungsverbot wegen der Rasse vor allem Minderheiten geschützt werden sollten, die eine andere Hautfarbe haben oder denen eine andere Abstammung zugeschrieben wird. Dies entspricht seitdem der herrschenden Meinung in der Literatur und auch das BVerfG ist auf dieser Linie (vgl. eines der ersten Urteile zur rassischen Diskriminierung betreffend die Ausbürgerung von Jüd:innen). In einem Nichtannahmebeschluss (2020) zur rassischen Diskriminierung (das BVerfG benutzte erstmals auch die Bezeichnung „rassistische Diskriminierung“), in diesem Fall gegen einen Schwarzen Angestellten, leitete das BVerfG zudem aus dem Diskriminierungsverbot eine Schutz- und Fürsorgepflicht für Arbeitgeber:innen ab. Ausgehend von dieser Position kann argumentiert werden, dass das BVerfG sich dafür geöffnet hat, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG eine objektiv-rechtliche Funktion beizumessen. Daraus folgt, dass über ihre Funktion als subjektive Abwehrrechte hinaus, in den Diskriminierungsverboten eine Pflicht für den Staat gelesen werden kann, Prävention vor Diskriminierung und Vorkehrungen für eine wirksame Teilhabe zu garantieren.

Die AfD könnte eine Politik des verdeckten institutionellen Rassismus praktizieren, indem sie unterlässt, bestehende rassistische Strukturen abzubauen und die Teilhabe von Minderheiten zu fördern. Die rechtliche Handhabe gegen verdeckten institutionellen Rassismus ist schwierig, weil die mittelbare Diskriminierung für das Merkmal Rasse noch nicht anerkannt ist. Auch fehlt es an einer rechtlichen Grundlage, die explizit vorsieht, dass der Staat die Teilhabe und Repräsentation von Minderheiten fördert. Das Grundgesetz formuliert zwar einen Staatsauftrag für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Für die übrigen in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG aufgezählten Merkmale gibt es nichts Vergleichbares. Der verfassungsändernde Gesetzgeber sollte daher das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 GG um die Merkmale in Art. 3 Abs. 3 GG erweitern. Dafür muss die mittelbare Diskriminierung für diese Merkmale, insbesondere für Rasse, anerkannt werden. Zudem sollte ein Staatsauftrag in Art. 3 GG ergänzt werden, der die Teilhabe von Rassismus und Diskriminierung Betroffene fördert.

Als Vorbild für die Gestaltung eines Staatsauftrags kann Großbritannien dienen: 2010 trat dort der Equality Act in Kraft, der eine Public Sector Duty enthält. Sie bestimmt, dass Behörden und Beamt:innen die Wirkung auf Personen, die vor Diskriminierung geschützt sind, berücksichtigen müssen, wenn sie ihre Aufgaben und Funktionen ausführen. Dies umfasst auch, ihre Situation zu überprüfen und sie nötigenfalls zu verbessern. Für eine entsprechende Reform auf Landesebene ist das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vorbildlich. Es umfasst als erstes Antidiskriminierungsgesetz staatliches Handeln und eine Anerkennung der strukturellen Diskriminierung. Zudem enthält es ein Bekenntnis zur Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt (§ 11). Ferner gibt das LADG dem Senat Maßnahmen für diese Förderung vor (§ 12). Damit hat das LADG eine Grundlage dafür geschaffen, dass unabhängig von Regierungswechseln die Senatsverwaltung die Teilhabe von Betroffenen von Rassismus und Diskriminierung sicherstellt. Positiv hervorzuheben ist zwar außerdem, dass in Brandenburg 2022 die Verfassung dahingehend geändert wurde, dass mit Art. 7a ein Bekenntnis für die Bekämpfung des Antisemitismus, des Antiziganismus und der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts aufgenommen wurde. Jedoch fehlt hier eine positive Verpflichtung des Landes für die Förderung von Diversität und den Abbau von strukturellen Ungleichheiten. In Thüringen und Sachsen gibt es ebenfalls keine gesetzliche Grundlage für die Diversitätsförderung. Sie muss jedoch geschaffen werden, um die Vielfaltsgestaltung zu stärken und sie vor einem möglichen Einfluss der AfD zu verteidigen.

Das Rassismus-Verständnis der AfD gefährdet die Errungenschaften einer jahrzehntelangen Antirassismus- und Diversitätsbewegung und einer Politik, die die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen erreichen möchte. Um eine Rückwärtsentwicklung und die Verstärkung des institutionellen Rassismus zu verhindern, muss die Gleichberechtigung von Minderheiten deshalb rechtlich verankert werden.

References

References
1 In diesem Beitrag wird das Wort „Rasse“ als Rechtsbegriff verwendet, das sowohl einen Diskriminierungsgrund als auch ein sozialer Marker für Differenz darstellt. Aus diesem Grund wird zwischen den Adjektiven „rassisch“ und „rassistisch“ unterschieden. Während sich Ersteres auf den Rassebegriff als Unterscheidungsmerkmal bezieht, geht Zweiteres auf den Begriff „Rassismus“ zurück.

SUGGESTED CITATION  Kaneza, Elisabeth: Verkehrte Welt: Der Reverse Racism der AfD und rechtliche Anforderungen für die Gleichberechtigung von Minderheiten , VerfBlog, 2024/9/05, https://verfassungsblog.de/verkehrte-welt/, DOI: 10.59704/9ecfbadfa5275c41.

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