10 November 2023

Verlockung der Macht

Ein Ministerium mit den „eigenen Leuten“ zu besetzen, ist eine Verlockung für jede Regierungspartei. Am Beispiel Thüringen lässt sich derzeit das breite Arsenal der sauberen und der unsauberen Praktiken nachvollziehen, die Beamtenapparate mit dem parteieigenen Öl gefügig zu machen. Einstellungen ohne Ausschreibungen, schlampige Dokumentierung, Missachtung der Bestenauslese oder willkürliche Eingruppierungen in Gehaltsstufen – der Landesrechnungshof lässt kein gutes Haar an der Thüringer Regierung. Bekannt ist der erhobene Zeigefinger des Bundesrechnungshofes, etwa wenn sich die Bundesministerien über den Durst Stellen genehmigen. Aber die Thüringer Akribie in der Aufarbeitung der Einstellungspraxis ist außergewöhnlich. Sie war die Steilvorlage für die Einberufung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der mögliches Fehlverhalten der Regierung unter die Lupe nimmt.

Dabei ist Thüringen kein Einzelfall. Vieles von dem dort Bemängelten dürfte der offenen oder versteckten Praxis vieler Bundes- und Landesministerien entsprechen. Rechtlich variiert der Spielraum: Während das beamtenrechtliche Korsett um die politischen Beamten an den Spitzen der Ministerien locker sitzt, ist das Einschleusen von (partei-)politisch rekrutiertem Personal in den ministerialen Beamtenapparat auf unteren Ebenen viel bedenklicher, spielt er sich doch unter dem Radar des medialen Interesses ab.

Der politische Beamte: ein Zwitterwesen

Große Aufmerksamkeit wird in der Regel den sogenannten ‚politischen Beamten‘ zuteil – Staatssekretäre (und auf Bundesebene auch Abteilungsleiter und Behördenleiter), die vom Minister ohne Ausschreibung eingestellt werden können, aber auch Weiteres entlassen werden können. Sie gehen durch die Medien, etwa wenn ein Minister das Vertrauen in seinen Beamten verliert und in den Ruhestand versetzt oder wenn ein Minister seinen Trauzeugen zum Abteilungsleiter macht. Muss der politische Beamte wie die übrigen Beamten streng im Wege der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG rekrutiert werden, wie es der Thüringer Rechnungshof fordert? Ja – aber nicht ‚Bester‘ am Maßstab der Fachbeamten, wie es dem Rechnungshof vorschwebt. Tatsächlich weicht der politische Beamte gleich in mehrfacher Hinsicht vom verfassungsrechtlichen Standard für die Beamten ab. Das Lebenszeitprinzip gilt bei ihm nur eingeschränkt (er kann jederzeit entlassen werden) und Unabhängigkeit und Neutralität sind nicht institutionell abgesichert (häufig sind sie Parteigänger). An den politischen Beamten den sachrationalen Maßstab des Fachbeamtentums anzulegen, hieße jedoch, seine Funktion an der Schnittstelle zwischen Politik und Ministerialbürokratie verkennen.

Der Staatssekretär bekleidet ein ‚Transformationsamt‘, er unterstützt den Minister darin, politische Impulse in den Apparat der Ministerialbürokratie zu überführen. Als Scharnier verbindet er zwei unterschiedliche Funktionslogiken im Ministerialapparat: Die politische Führung strebt nach reibungsloser und rascher Umsetzung ihrer (partei-)politischen Impulse, es geht ihr um Dynamik und politische Handlungserfolge. Oft nimmt die Fachebene die Impulse auf oder antizipiert sie, unterbreitet der politischen Hausleitung eigene Handlungsoptionen. Sie prüft kritisch, zerlegt die Impulse in einer sachrationalen Logik der praktischen Implementation, der rechtlichen Machbarkeit oder finanzieller Umsetzung. Trifft die bürokratische Sachratio auf den politischen Impuls kann die Ministerialbürokratie zum Klotz am Bein eines Himmelstürmers an der Ministeriumsspitze werden. Der Minister allein wäre der Übermacht seiner Fachleute unterlegen.

Um seine Verantwortung gegenüber dem Parlament wahrnehmen zu können, muss der Minister sein politisches Programm umsetzen können – der Staatssekretär wirkt als Scharnier in beide Richtungen: Er transportiert den politischen Impuls und er koppelt die Fachebene an den Minister zurück. Der politische Beamte ist eine verfassungsrechtlich gewollte Verschränkung von Legislative und Exekutive, ein Dualismus der Exekutive, der demokratischem Impuls und rechtsstaatlicher Bürokratie in besonderer Weise verinnerlicht. Der Minister ist vertrauenslegitimiert, nicht leistungslegitimiert wie sein Ministerialapparat. Der Staatssekretär leitet seine Funktion zumindest auch aus der seines Ministers ab. Das Verfassungsgericht hat das Institut des politischen Beamten akzeptiert. Es erkennt, dass „die politische Überzeugung notwendig eine entscheidende Rolle spielen“ muss und dass es Aufgaben im Umfeld eines Ministers gibt, die Vertrauen und „Übereinstimmung mit den politischen Ansichten der Regierung“ erfordern.

Und doch: Er bleibt auch Beamter, also können Leistungsprinzip und Neutralität nicht gänzlich über Bord geworfen werden. Das bedeutet aber, dass an die fachliche Qualifikation keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen, die der Thüringer Rechnungshof gern sähe. Die Leistungsfähigkeit auf der politischen Position hat gerade etwas mit politischem, nicht fachlichem Geschick zu tun; damit, wie versiert ein Staatssekretär im Gefecht mit politischen Gegnern oder im Schmieden von Allianzen ist. Der ‚Beste‘ kann er eben auch dann sein, wenn der Minister ihm dieses Geschick zutraut. Vertrauen, Zutrauen und Loyalität – sie sind die Währung eines Staatssekretärs; weniger fachliche Kompetenz und Ausbildung. Der Ministeriale muss sich damit abfinden, dass er gelegentlich begriffsstutzige Vorgesetzte hat – sein Vertrauen in das politische Geschick des Vorgesetzten hilft ihm darüber hinweg. Die grundgesetzliche ‚Besten’-Auslese der Beamten ist somit eine, die ihren Maßstab an den Dualismus der Exekutive anpasst.

Konkret bedeutet das, dass die politische Vertrauensfunktion auch bei den formalen Einstellungsvoraussetzungen des Staatssekretärs nicht unbeachtet bleiben darf. Eben weil sie responsiv sein müssen für das Institut des politischen Beamten, können die Voraussetzungen der Laufbahnverordnung im Lichte dieser Funktion angewendet werden. Die Laufbahnverordnung – sie normiert u.a. die vorherigen beruflichen und persönlichen Voraussetzungen (zentral ist hier § 26 ThürLaufbG). Das politische Vertrauen ist im ThürLaufbG als Kategorie nicht abgebildet. Politisches Vertrauen, wie es das Verfassungsgericht anerkennt, muss die Abwesenheit von vertrauensungebundenen Befähigungskriterien aber zumindest teilweise substituieren können. Dafür hält die ThürLaufbG auch den nötigen Spielraum bereit („Lebens- und Berufserfahrung“).

Aufgrund der Verbeamtung der politischen Beamten bleibt das vom Thüringer Rechnungshof angeprangerte Spannungsverhältnis unvermeidlich. Sauberer ist die bayerische Lösung – als einziges Bundesland trennt Bayern zwischen politischer und bürokratischer Sphäre. Der Staatssekretär hat dort keinen Beamtenstatus, er ist Teil der Landesregierung. Vertrauen und Leistungsprinzip sind klar getrennt.  Wie der Minister ist er vertrauens-, nicht leistungsbasiert und kann der Administration fremd sein. Der „Amtschef“ der jeweiligen Ministerien ist ein Ministerialdirektor ohne Eigenschaft eines politischen Beamten – die politische Gestaltungskraft muss in der Bipolarität zwischen politischer Leitung (Minister und Staatssekretär) und fachlicher Ebene (ab „Amtschef“ abwärts) nicht leiden. Es ist nicht erkennbar, dass in Bayern die Transformation politischer Impulse der Landesregierung in die ministerielle Beamtenhierarchie weniger gut gelingt als in den Ministerialbürokratien mit politischen Beamten.

Klandestine Verbeamtungspraxis

Erhitzen sollten sich die Gemüter eher an einer anderen im Verborgenen wuchernden Praxis: die Lebenszeitverbeamtung der loyalen Gefolgsleute im Umfeld des Ministers, die allein aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses eingestellt werden und später nicht wie ein politischer Beamter entlassen werden können. Hier legt der Rechnungshof seine Finger in die Wunde. Die zahlreichen Einstellungen für die Entourage eines Ministers – persönliche Referenten, Büroleiter, Kommunikationspersonal, Pressesprecher, Spin-Doktoren und andere.

Differenzierung tut auch hier Not: Das politische Vertrauenspersonal im Umfeld des Ministers ist unerlässlich für jemanden, der im Kreuzfeuer des politischen Geschäfts in erster Linie nicht auf brillante Köpfe, sondern auf loyale und strategisch versierte Leute setzen muss. Thüringisches Recht und Bundesrecht befreien deshalb viele dieser Posten von der Ausschreibungspflicht (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ThürLaufbG; § 4 BLV). So weit, so rechtens. Zum Problem wird es, wenn dieses Personal nach dem Dienst am politischen Hochofen in den Maschinenraum der Fachebene wechselt und sich dort – auf Lebenszeit verbeamtet – im Flaschenhals der Beförderungen festsetzt und dem nach strenger fachlicher Bestenauslese rekrutierten Personal Aufstiegsmöglichkeiten nimmt. Hier kommen Bestenauslese, Transparenz und Ausschreibungspflicht unter die Räder.

Wehret den Anfängen

Hanebüchen auch die Thüringer Schlamperei im Umgang mit formellen und prozeduralen Pflichten. Anforderungsprofile für Personal müssen erstellt, Personalbestellungen müssen dokumentiert werden, Einstellungskriterien sind überprüfbar aufzustellen. Der weite Spielraum bei der Ernennung von politischen Beamten entbindet nicht davon, nachvollziehbare Entscheidungen zur Laufbahnanerkennung zu treffen einschließlich deren Dokumentierung.

Möglicherweise fehlen in Thüringen die institutionellen Mechanismen, um den Schlendrian in der Personalbestellung zu unterbinden. Die Personalausschüsse der Länder und des Bundes spielen eine wichtige Rolle, wenn es um Entscheidungen zur Laufbahnanerkennung und um Ausnahmen von beamtenrechtlichen Regeln geht. In Thüringen setzt sich der Länderpersonalausschuss im Wesentlichen aus Regierungsvertretern zusammen – hier wird der Bock zum Gärtner gemacht. Im Bundespersonalausschuss ist immerhin der Präsident des Bundesrechnungshofes ein ordentliches Mitglied (§ 120 Abs. 2 BBG). Wichtig wäre es, diese Gremien mit regierungsfernen Vertretern des öffentlichen Interesses zu stärken. Zusätzlich bedarf es der Argusaugen der Opposition (oder eben eines Rechnungshofes), um parteipolitische Selbstbedienung zu unterbinden. Das Beispiel Thüringen zeigt, dass das bis zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses führen kann. Tipp an Oppositionsfraktionen in Bund und Ländern: Kleine Anfrage an die Regierung stellen und nachbohren: In welchem Umfang wurde Personal seit Ministereintritt in dessen Umfeld ohne Ausschreibung eingestellt und in welchem Umfang wurde dieses Personal zu einem späteren Zeitpunkt verbeamtet? Im Übrigen ist die Befristung von Verträgen der geeignete Weg, um den Minister mit politischem Personal auszustatten, ohne diesen Mitarbeitern den (legitimen) Wunsch zu verbauen, perspektivisch regulär in das Beamtenverhältnis eingestellt zu werden.

Verkennen sollte man nicht die politische Dimension: Die Zugangsschranken zum ministerialen Beamtenapparat, die hergebrachten Grundsätze des Beamtentums, haben nichts mit preußischem Traditionsgedöns zu tun. Sie sind ein rechtstaatlicher Schutzmechanismus. Einerseits soll politische Fluktuation in der Demokratie auf der Ebene politischer Entscheidungsträger zugelassen werden, die daraus resultierenden Impulse sollen auch in die Apparate überführt werden können (Stichwort politische Beamte). Gleichzeitig soll politische Disruption aber bei den anderen Gewalten nicht wie Fähnchen im Wind umschlagen. Das ministeriale Beamtentum ist eine gewollte Beharrungskraft, fachliche Leistungsfähigkeit erdet politische Gestaltungsvision. (Partei-)politische Dynamik und sachrationale Statik – beides hat seine Funktion in der Politikgenese. Deshalb pocht das Verfassungsgericht darauf, den Kreis der politischen Beamten eng zu ziehen. Dasselbe gilt für die Verbeamtung ‚von unten‘. Dem beamtenrechtlichen Korsett wird man besonders in Thüringen dankbar sein, sollte die politische Welle eines Tages eine Partei ins Amt spülen, die es mit der Verfassungstreue nicht so genau nimmt.


SUGGESTED CITATION  Steinbach, Armin: Verlockung der Macht, VerfBlog, 2023/11/10, https://verfassungsblog.de/verlockung-der-macht/, DOI: 10.59704/eaac886ece3142ca.

One Comment

  1. Dr. Markus Maurer Mon 13 Nov 2023 at 16:37 - Reply

    Armin Steinbach hat hier in sehr klarer und ausgewogener Form die politisch und rechtsstaatlich sinnvollen und erforderlichen Aufbau- und Laufbahnprinzipien für den öffentlichen Dienst in Ministerien dargestellt. Wichtig ist insbesondere der Hinweis auf die klandestine Verbeamtungspraxis für Gefolgsleute des Ministers, die allein aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses eingestellt wurden und später nicht wie ein politischer Beamter entlassen werden können. Das Problem ist seit jeher bekannt, eine Lösung ist meines Wissens in keiner Legislaturperiode und keiner Regierung in Deutschland angepackt worden. Dies hängt sicherlich auch mit der Besoldung und den erforderlichen Übergangs- und Abfindungsregelungen, d.h. letztlich mit der unsicheren Dauer solcher Positionen zusammen. Vielleicht könnte man hier von den Erfahrungen in ausländischen Administrationen lernen – etwa vom Umgang damit in der US-Administration.

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