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05 July 2024

Versteckte Gewalt

Zur Polizei, Schmerzgriffen und moderner Empfindsamkeit

Schmerzgriffe verringern die Sichtbarkeit polizeilicher Gewalt. Diese ist dadurch schwerer in ihrer gesamten Tragweite zu erkennen. Für eine zunehmend gewaltsensible Gesellschaft ist das leichter zu ertragen – eine Tendenz, die sich nicht nur bei Schmerzgriffen beobachten lässt, sondern insgesamt bei staatlichem Gewalthandeln.

Dabei sind Schmerzgriffe nicht unbedingt harmloser als andere Formen der Gewalt: Die Hebel- und Nervendrucktechniken können Nervenschäden, Gelenkschädigungen, Brüche und Zerrungen zur Folge haben. Vor allem aber verursachen sie ein intensives Schmerzgefühl und psychische Folgen, wie sie jede intensive Gewalterfahrung mit sich bringen kann. Wie jede Form der Gewalt können auch Schmerzgriffe also physische und psychische Folgen haben (s. hier).

Die psychische Wirkung macht sie besonders attraktiv: Statt Sitzblockierende von der Straße tragen zu müssen, genügt eine gut regulierbare Schmerzzufügung, um Kooperation zu erzwingen. Weder hat man Mühe mit (fehlender) Körperspannung beim Wegtragen, noch braucht es brachiale Gewaltszenen, um Folgsamkeit zu erzwingen. Viel eleganter und maßvoller scheint es da, den Widerstand des „polizeilichen Gegenübers“ unter Zuhilfenahme eines Schmerzgriffs zu brechen und ihn zu einem gefügigen Verhalten zu zwingen.

Der Befund jedoch, dass es sich bei Schmerzgriffen um eine eingriffsintensive Praxis handelt, scheint sich nicht mit der Einschätzung von Polizeibeamt:innen zu decken. Folgt man Singelnstein und Espín Grau, liegt das auch daran, dass Schmerzgriffe „selten sichtbare physische Verletzungen“ hinterlassen. Sie unterscheiden sich von sonstigem polizeilichem Gewalthandeln nicht zuletzt in ihrer Form und Ästhetik. Zwar zeigen Schreie, Krümmungen und schmerzverzerrte Gesichter ihre Gewaltsamkeit. Die davon ausgehende Wirkung ist dennoch eine andere, als wenn die Polizei eine Sitzblockade unter Schlagstockeinsatz räumen würde. Schmerzgriffe scheinen als eine maßvollere Reaktion wahrgenommen zu werden als „klassische“ Gewalt.

Einen besonders drastischen Fall des Verkennens der Gewaltintensität von Schmerzgriffen schildert Amnesty International Österreich. Die Ansetzung eines Schmerzgriffs (in diesem Fall wohl einer Hebeltechnik) hatte den davon Betroffenen dazu gebracht, laut zu schreien. Einer der beteiligten Polizisten soll das damit kommentiert haben, er solle sich „nicht so anstellen“ und keine „Show für die Presse“ veranstalten. Später wurde ein Bruch des Mittelhandknochens festgestellt. Ist schon für fachkundige Gewaltexperten eine adäquate Einschätzung der tatsächlichen Wirkungen eines Schmerzgriffs schwer feststellbar, gilt das erst recht für nicht Fachkundige, wie ein Blick in die einschlägigen Kommentarspalten schnell deutlich macht (vgl. etwa hier oder hier).

Rekonfigurationen der Macht

Doch nicht nur Schmerzgriffe zeigen eine Tendenz auf, die ihnen innewohnende staatliche Gewalt ästhetisch zu glätten. Deutlich wird das beim Blick auf sich verändernde Strafpraktiken im Verlauf der Neuzeit. Exemplarisch hierfür kann Foucaults Beschreibung der Hinrichtung Robert Francois Damiens am 2. März 1757 gelten. Damien, der versucht hatte, den König zu ermorden, wird zu Tode gefoltert, sein Körper langsam verstümmelt, zerteilt und zuletzt verbrannt.

Der Hinrichtung Damiens stellt Foucault eine 1838 verfasste Beschreibung des Alltags in einem Pariser Gefängnis gegenüber. Der Haftalltag der Gefangenen besteht aus einer minutiösen Kontrolle aller Aktivitäten. Foucault konstatiert „eine gewisse Diskretion in der Kunst des Zufügens von Leid, ein Spiel von subtileren, geräuschloseren und prunkloseren Schmerzen […].“ Die Strafpraktiken werden milder: Die Körperstrafen verschwinden und werden abgelöst von Gefängnis- und Geldstrafen. Auch die Todesstrafe verschwindet in immer mehr Ländern. Wo sie nicht verschwindet, wird versucht, sie zu „humanisieren“. Statt zu hängen, köpfen oder zu vierteilen, greift man zur Giftspritze.

Foucault erklärt diese Änderung machttheoretisch. Die Änderung der Strafpraktiken geht demnach einher mit einer Änderung der Machtverhältnisse. Foucault konstatiert vier historische Straftypen, unter die sich nach seiner Auffassung alle Strafpraktiken fassen lassen: den Ausschluss, die Entschädigung oder den Freikauf, die (symbolische und physische) Brandmarkung und die Einschließung. Die konkreten Strafen nehmen, je nachdem welcher dieser Straftypen vorherrschend ist, unterschiedliche Formen an.

So erfüllt die Todesstrafe im oben geschilderten Fall der Hinrichtung Damiens eher eine Funktion, die dem Typus der Brandmarkung zuzuordnen wäre: Sie wirkt als symbolischer Akt und markiert den Gestraften als Verbrecher. Damit bestätigt sie die Macht des Souveräns, die der Verbrecher mit seiner Tat beschädigt hatte. Ganz anders in einem System der Einschließung, das Foucault seinerzeit paradigmatisch für die Gegenwart hielt: In diesem stellt sie – bildhaft gesprochen – die ultimative Einschließung dar, „die absolute Sicherheit.“

Es ist zwar Foucault zufolge wahr, dass sich von einer Tendenz zu milderen Strafen sprechen lässt. Er erklärt dies jedoch nicht durch eine Veränderung hin zu mehr Milde, Humanismus und Empfindsamkeit, sondern legt die sich verändernden Funktionsweisen der Macht offen, die mit einer anderen Art des Strafens einhergehen. Diese neue Form der Macht wirkt sowohl auf die individuellen Körper der Subjekte ein als auch auf den „Körper“ der Bevölkerung als Ganzes; sie beobachtet, überwacht und kontrolliert. Statt exzessiv zu strafen und die Gewalt des Souveräns zu inszenieren und auszustellen, diszipliniert, normiert und lenkt sie die Individuen, um sie produktiv zu machen – insbesondere vor dem Hintergrund sich ändernder Produktionsverhältnisse. Diese „Biomacht“ definiert sich nicht mehr durch die Fähigkeit töten zu können, sondern das Leben mittels einer „Mikrophysik der Macht“ zu regieren und unterscheidet sich darin von der souveränen Macht der frühen Neuzeit. Foucault hat das sinnfällig auf die Formel gebracht, dass sie es vermag „leben zu machen oder in den Tod zu stoßen“ statt wie früher „sterben zu machen oder leben zu lassen“.

Diese Veränderung betrifft nicht nur die im engeren, juristischen Sinne repressiven Strafpraktiken, sondern auch das übrige staatliche Machthandeln. Eine Institution wie die Polizei in ihrem modernen Sinn ist charakteristisch für diese neue Form der Macht und entsteht mit ihr gemeinsam. Sie durchdringt Alltag und Leben der Individuen, kontrolliert und interveniert kleinteilig. Der unspektakuläre Vollzug und nicht die ausstellende Inszenierung der Gewalt stehen dabei im Vordergrund. Gewalt ist nicht mehr Symbol, sondern ist eingespannt in eine Ökonomie der Macht, in der Gewalt wohl tariert eingesetzt wird, um unter dem Einsatz möglichst geringer Machtmittel ein möglichst effizientes Ergebnis zu erzielen (vgl. dazu auch hier, p. 156 f.). Aus dieser Perspektive ergibt es Sinn, Schmerzgriffe der brachialen Gewalt des Schlagstocks oder Faustschlags vorzuziehen. Sie ermöglichen eine subtilere Zufügung von Schmerzen, da sie weniger sichtbare Gewalteffekte hervorbringen und durch ihre technisch-kalkulierte Ausführung einen emotionsärmeren Einsatz von Gewalt versprechen.

Moderne Empfindsamkeit

Foucaults Erklärung zeigt jedoch nur einen Teil der Gründe für eine Abmilderung staatlicher Gewalt. Seine Darstellung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen der Humanisierung des Strafens und den sich verändernden Erscheinungsweisen der Macht und der gesellschaftlichen Bedingungen von Herrschaft. Dabei läuft er jedoch Gefahr, die humanistischen und strafreformerischen Ansätze, die diesen Wandel vorantreiben als bloße Finte einer entpersonalisierten Machtdynamik zu verkennen. Die Bedürfnisse der Zeitgenoss:innen nach einem humaneren Strafrecht werden dadurch zu einem bloßen Epiphänomen dieser Entwicklung. Wie jedoch konnte sich die breite Akzeptanz ausgesprochen brutaler Strafpraktiken zu einem versachlichten Blick auf das Strafen entwickeln, der die Leidzufügung begrenzen will?

David Garland hat unter Rückgriff auf Norbert Elias‘ Zivilisierungsthese und deren Verarbeitung durch Pieter Spierenburg beschrieben, inwiefern die Entbrutalisierung des Strafens mit der Herausbildung einer zunehmenden Empfindsamkeit gegenüber jeglicher – auch staatlicher – Gewaltanwendung zusammenhängt.

Demnach wird im Verlauf der Neuzeit zunehmend differenziert zwischen abstoßend und „barbarisch“ empfundenen, besonders brutalen Strafen auf der einen sowie humanen und „zivilisierten“ auf der anderen Seite. Darin liegt zum einen ein ethnozentrisches Othering, bei dem sich westliche Gesellschaften über die Abwertung von anderen angeblich rückständigen Gesellschaften definieren (vgl. hierzu allgemein Edward Said). Zum anderen jedoch beschreibt Zivilisation auch die Abgrenzung von früheren Entwicklungsschritten der eigenen Gesellschaft, lässt sich also auch als nicht-ethnozentrische Beschreibung eines historischen Prozesses verstehen.

Garland beschreibt Zivilisierung im Anschluss an Norbert Elias als einen Kulturwandel innerhalb westlicher Gesellschaften, bei dem sich Umgangsformen, soziale Interaktion und auch psychische Strukturen ändern. Der Grund dafür ist die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit zunächst in der höfischen und dann der bürgerlichen und marktförmigen Gesellschaft. Der andere wird zunehmend als Person eigenen Rechts und als Gleicher mitgedacht und sich mit ihm identifiziert. Das verlangt den Subjekten ab, die eigene Aggressivität zu hemmen und spontane Emotionen stärker zu regulieren. Die neuen Verhaltensweisen werden zunächst noch bewusst erlernt, dann jedoch immer mehr internalisiert und zu einem Teil der zweiten Natur.

Versteckte Gewalt

Doch nicht nur die Subjekte verdrängen nach Garland aggressive und triebhafte Anteile ihres Innenlebens; auch auf gesellschaftlicher Ebene werden beunruhigend empfundene Verhaltensweisen – Gewalt, Sex, Leiden, Tod – dem öffentlichen Blick entzogen, privatisiert und individualisiert, ohne dass sie sich vollständig beseitigen ließen. Am Strafen zeigt sich das für Garland exemplarisch: Statt als normalisierter Bestandteil gesellschaftlichen Lebens ausgestellt zu werden, wird Gewalt nunmehr hinter die Mauern von Gefängnissen und Lagern verlegt und die Strafe so der Sichtbarkeit entzogen. Für sie zuständig erklärt werden institutionalisierte Experten, insbesondere die Polizei. Deren unpersönliches und professionalisiertes Handeln soll den unkontrollierten emotionalen Anteil der ausgeübten Gewalt möglichst weitgehend reduzieren. Zugleich werden die Wirkungen der Gewalt verinnerlicht: Zwar wird im Gefängnis der physische Körper eingesperrt, doch dessen gewaltsame Wirkung ergibt sich vor allem aus emotionalen und psychischen Effekten der Haft.

Folgt man Garland, haben wir es also mit einem Widerspruch zu tun: Auf der einen Seite werden die Individuen zunehmend sensibler gegenüber Gewalt, auf der anderen Seite ist Gewalt ein irreduzibler Bestandteil des menschlichen Zusammenlebens. Das gilt auch und gerade für bürgerliche Herrschaftsordnungen, die sich durch das Versprechen legitimieren, die Gewalt weitgehend aus dem Alltag zu verbannen und doch selbst auf die Nutzung von Gewalt angewiesen sind. Wo Gewalt nicht tatsächlich reduziert werden kann, muss sie immerhin gerechtfertigt werden, aus dem Blick verdrängt und in einer Form präsentiert werden, die ihre rohen Anteile verleugnet. Die Strafpraktiken der Gegenwart sind darauf ausgerichtet, dass diese Verdrängung gelingt. Denn, so schreibt Garland, „routine violence and suffering can be tolerated on condition that it is discreet, disguised, or somehow removed from view.” (p. 243).

Zivilisierte Ästhetik

Es ist deshalb folgerichtig, dass sich auch die Gewaltanwendung durch die Polizei der veränderten Empfindsamkeit der Individuen anpassen muss. Zur Professionalisierung polizeilichen Handelns gehört es auch, dass die Anwendung von Gewalt möglichst wenig grobschlächtig und frei von unkontrollierten Emotionen erscheinen muss. Kommt es zu Bildern überbordender Brutalität, sichtbaren Frakturen, Wunden oder fließendem Blut, hat das Auswirkungen auf die moralische Rechtfertigbarkeit des Gewalthandelns.

Auch wenn die Auswirkungen von Schmerzgriffen in den Gesichtern oder Schreien der Betroffenen abzulesen sind, ist die ästhetische Wirkung des polizeilichen Schmerzgriffs eine andere als die der stumpfen Gewaltanwendung durch Fäuste oder Schlagstöcke. Zum einen signalisiert sie, dass es sich hier nicht um einen Exzess und das Ausleben aggressiver Impulse handelt, sondern um eine erlernte Technik. Zum anderen verlegt sie den Schmerz ins Innenleben. Beides erlaubt sowohl dem Anwender als auch den Zuschauern, sich emotional zu distanzieren. Schmerzgriffe ändern das ästhetische Register, in dem sich die Schmerzzufügung abspielt.

Insofern sind sie auch Ausdruck einer zunehmenden Empfindsamkeit gegenüber Gewalt. Diese vordergründige Zivilisierung ist jedoch ambivalent. Entscheidend ist dann nicht mehr allein, ob Gewalt tatsächlich reduziert wird, sondern vor allem, ob sie weniger gewaltsam wirkt und die erzeugten Schmerzen erfolgreich verdeckt. Schmerzgriffe bedienen diese Logik des Verbergens von Gewalt, die Foucault als das „Spiel von subtileren, geräuschloseren und prunkloseren Schmerzen“ beschreibt. Zugleich entsprechen sie in dieser Subtilität, aber auch in ihrer zweckmäßigen Effizienz einer Erscheinungsweise der Macht, die für die Gegenwart typisch ist. Dass sie gerade Konjunktur haben, ist deshalb wenig überraschend.


SUGGESTED CITATION  von Dömming, Eric: Versteckte Gewalt: Zur Polizei, Schmerzgriffen und moderner Empfindsamkeit, VerfBlog, 2024/7/05, https://verfassungsblog.de/versteckte-gewalt/, DOI: 10.59704/7b733844747872e4.

21 Comments

  1. Gerd Tue 9 Jul 2024 at 13:52 - Reply

    Ich glaube, dass Schmerzgriffe schon eine notwendige Abstufung der polizeilichen Gewaltausübung sind, wobei die Angemessenheit eine wichtige Rolle spielt. Alle “Gewalt” (und darum geht es hier) geht vom Staate aus, so heisst es und dieses ist auch notwendig, damit der Staat der Gewalt, die von Bürgern oder Krimininellen ausgeht etwas entgegensetzen kann. Dieses muss aber immer “angemessen” sein, was für mich bedeutet, dass ich bspw. nur potentiell tödliche Gewalt (Messerangriffe, Schusswaffen, etc.) auch nur mit ebensolcher Begegnen darf und dass ich passiven Widerstand immer zuallererst versuche auch mit ebensolchen polizeilichen Mitteln wie Wegtragen, Wegdrängen, etc. versuche beizukommen und nur zu Schmerzgriffen oder auch Reizmitteln greife, wenn diese Mittel keine Wirkung zeigen oder das Wegtragen mit körperlicher gewalt wie Schlagen oder Treten beantwortet wird, was ebenso ein körperlicher Angriff ist der Schmerzen oder nachhaltige körperliche Schäden am Polizisten hervorrufen kann. Dann wäre es aus meiner Sicht ein angemessenes Mittel noch ganz deutlich vor dem Einsatz des Schlagstocks der ernste Blessuren erzeugen kann, da richtig angwendete und professionell trainierte Schmerzgriffe immer zum Ziel haben müssen keine langfristigen körperlichen Folgen zu haben sondern nur kurzfristig in dem Moment wirken um ein gesetztes Ziel zu erreichen und die Maßnahme danach auch sofort wieder zu beenden. Für mich (und ich bin kein Polizist, aber ein ehemaliger Kampfsportler der Selbstverteidungsdissziplinen gelernt hat) ein wichtiges und gut dosierbares Mittel in der Polizeitarbeit, wie ich annehme, wenn es richtig verwendet wird.

  2. Holperbald Tue 9 Jul 2024 at 13:59 - Reply

    Also ehrlich gesagt, lässt mich der Artikel etwas ratlos zurück. Halten wir fest, dass die Polizei das mildestmögliche Mittel anwenden muss. Müssen sie sich dafür den Rücken kaputtmachen und Menschen spazierhenheben, die gehfähig sind und aus purer Bockigkeit wie Kleinkinder im Supermarkt sich hinsetzen?

    Den Vergleich mit Folter, mithin zu einer der grausamsten Hinrichtungen der Geschichte machts nicht besser:

    Eine Hinrichtung ist zwingend. Bei Folter geht es darum, Menschen zu verraten, Leben und Familien ins Unglück zu stürzen, damit die eigenen Schmerzen aufhören.

    Hier gehts darum, dass Leute freiwillig die Straße räumen können, wenn sie nicht wollen, dass ihnen die Schulter verdreht wird!
    Und davon

    Tut mir leid, also bei allem Verständnis – aber es kann nicht sein, dass die Quintessenz ist, dass die Staatsmacht das Recht auf Durchsetzung abgibt, weil Demonstrierende quengeln…

    • Sha Thu 11 Jul 2024 at 14:39 - Reply

      Die Schmerzgriffe werden nicht mit dem Ziel eingesetzt, den Rücken von Polizeibeamten zu schonen. Sitzblockierende setzen sich aus politischen und strategischen Gründen hin. Ich weiß nicht, woher du den Stereotyp des sitzenden Kindes im Supermarkt her hast und warum er geeignet scheint, Demonstrierende abzuwerten. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, wie sich ein Kind im Supermarkt hingesetzt hat. Wenn ich noch ein Kind wäre, würde ich mich vermutlich dann hinsetzen, wenn ich mit Worten nicht weiterkäme. Als Kind mit Worten nicht weiterkommen passiert leicht, weil Erwachsene mehr Macht haben. Vielleicht liegt darin die eigentliche Analogie zur Dyade Demonstrierende – Polizei.

      Folter hat eine Definition in der UN-Antifolterkonvention. Der Einsatz von Schmerzgriffen erfüllt mehrere Foltermerkmale, sodass er mindestens als grausame und unmenschliche Behandlung oder Strafe einzustufen ist.

      “Hier gehts darum, dass Leute freiwillig die Straße räumen können, wenn sie nicht wollen, dass ihnen die Schulter verdreht wird!”

      kann man auf andere Kontext von Folter übertragen:

      “Hier gehts darum, dass Leute freiwillig gestehen können, wenn sie nicht wollen, dass ihnen die Schulter verdreht wird!”

      Bereits die Androhung der Zufügung von Schmerzen durch Staatsbedienstete stellt einen Verstoß gegen das Folterverbot der EMRK dar, siehe EGMR Nr. 22978/05 – 30. Juni 2008.

  3. Muhamed Tue 9 Jul 2024 at 13:59 - Reply

    Die Polziei hat das Recht gewalt einzusetzen.
    Bei den in Ihnen genannten Beispielen hatte jeder “Aktivist” die Möglichkeit sich selber zu entfernen. Das weigern berechtigt die Polizei dazu Gewalt anzuwenden.
    Die Person die rumschreit hätte spätestens dann anfangen können selber wegzulaufen. Der Polizist hatte recht, das war eine Show für die Medien und sie sind darauf hereingefallen.
    Es ist einfach hier Artikel zu schreiben und Polizisten zu verteufeln.

    • Hans Olo Tue 9 Jul 2024 at 22:15 - Reply

      Reingefallen sind wohl Sie selber. Auf die neue Art der Polizei sich immer weiter von der Gesellschaft zu entfernen und Methoden zu entwickeln und nutzen, die vor allem der Polizei nützlich sind.
      Die Polizei IST zu verteufeln. Machtmissbrauch sind bei der Polizei an der Tagesordnung. Wer auch nur einmal die Erfahrung gemacht hat, dass die Polizei sich selber als Halbgötter in blau erleben, weiß wovon ich spreche. Menschen quälen, subtil und unsichtbar auf den ersten Blick. Statt Schlagstock halt Gewaltgriff. Ist weniger sicthbar, aber umso schmerzhafter.

    • Michael Tue 9 Jul 2024 at 23:58 - Reply

      Es ist nicht einfach solche Artikel zu schreiben, wohl aber wenig qualifizierte Kommentare. Wenn dem Körper ein Knochen gebrochen wird, wäre es eine Show nicht zu schreien vor Schmerz. Erst mal lesen!

  4. The Barbarian Tue 9 Jul 2024 at 15:51 - Reply

    I well understand what Mr. von Dömming is trying to say. On the other hand one should never forget what times we live in and what an ugly job the police people are doing nowadays. They are confronted on a daily basis with less and less respect and ever-growing aggressiveness. Many of them are literally fighting for their very lives every day.
    Not to forget that in recent times members of a police force have less and less support from people and politics alike. To survive in such an environment with ever-shrinking support is not easy, and I am a happy being to have no personal experience with what many of these people are experiencing each and every day. Many of them just defend their bare lives.
    Honestly, I am no fan of violence exercised by police staff, but to simply not even mention under what conditions these people are forced to do their work is not fair either. We cannot expect to live in a fair and just country without police forces being able (and enabled) to ensure and secure public safety and justified order.
    It would be good (in my personal opinion) if this article would be extended to incorporate the view of police people instead of merely talking about them. An honest and open discussion would do more fairness than picking one single point of view and spreading it over 15 minutes of reading.
    Having written that, please don’t get me wrong, I appreciate and value the analysis and the historical background in this article. But personally I consider this article partially single-minded and unfair.

    • Christoph Silber Sun 21 Jul 2024 at 12:15 - Reply

      Immer mehr Gewalt gegen Polizisten ist ein hausgemachtes Problem. Solange die Polizei Schläger und Sadisten in ihren Reihen duldet (auch in Deutschland vielfach belegt) wird Sie aus der Bevölkerung keinen Respekt erfahren können.

      Anstatt konsequent gegen Fehlverhalten vorzugehen wird in Korpsgeistmanier vertuscht, oder vor Gericht gelogen oder bei Beschwerden mit falschen “Gegenanzeigen” reagiert um die Problempolizisten zu schützen.

      Ein solches Verhalten hat keinen Respekt verdient!

  5. Regula Züger Tue 9 Jul 2024 at 16:42 - Reply

    Vielen Dank für diesen guten Artikel

  6. Frank Tue 9 Jul 2024 at 17:56 - Reply

    Letztlich, fürchte ich, stellen die von Eric von Dömming so präzise beschriebenen Dimensionen versteckter Gewalt auch die Praxis gewaltlosen Protests in Frage. Der beruht in seiner Außenwirkung ja gerade darauf, unangemessene staatliche Gewalt sichtbar zu machen und die ihr zugrunde liegenden Machtverhältnisse zu deligitimieren.

  7. Marco Rauch Tue 9 Jul 2024 at 18:15 - Reply

    Wenn man Schmerzgriffe vermeiden will, muss man den Anweisungen der Polizei eben Folge leisten. Ziviler Ungehorsam kann Strafen nach sich ziehen, das sollte jedem mündigen Bürger bewußt sein. Erst ungehorsam sein und dann deswegen weinen? Ich verstehe den Sinn dieses Artikels nicht.
    Die Staatsgewalten existieren aus gutem Grund und wenn man sie hindert, ihre Arbeit zu tun, bedeutet das Anarchie. Das kann niemand wirklich wollen.

    • Hans Olo Tue 9 Jul 2024 at 22:12 - Reply

      Ahh ja, so ist das. Wie heißt das so schön? Wer nicht hören will muss fühlen? Also doch ganz schon archaisch. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wegtragen geht auch. Kostet halt mehr Kraft, ist aber deutlich milder. Und hier nutz die Polizei eben nicht ihre milden MIttel, sondern das was ihre Arbeit beschleunigt.

      Denken Sie nochmal drüber nach: Schlagstock wäre dann auch okay? Wenn ich “weine” weil mir einer den Arm mit einem Schlag bricht ist das schlimmer als mit einem Griff?

    • Corina Mon 22 Jul 2024 at 18:37 - Reply

      “Ziviler Ungehorsam kann Strafen nach sich ziehen, das sollte jedem mündigen Bürger bewusst sein. Erst ungehorsam sein und dann deswegen weinen?” Die Polizei ist nicht dazu befugt, zu strafen. Dafür gibt es eine Justiz. Darüber hinaus ist jede körperliche Bestrafung nicht erlaubt in Deutschland. Sie sprechen den gewaltfreien Aktivisten weniger Rechte zu, als sie für Kindesmörder gelten.

  8. Berger Tue 9 Jul 2024 at 19:13 - Reply

    Unsinn!
    Die Polizei muss vor der Anwendung von unmittelbaren Zwang die Person darüber informieren, also kann sich jede Person selbst entscheiden ob sie der Aufforderung der Polizei nachkommt oder nicht.

    • Michael Wed 10 Jul 2024 at 00:12 - Reply

      Die Polizei wird, wenn überhaupt über einen Zugriff informiert wird, niemals sagen: “Wir werden ihnen schlimme Schmerzen zufügen. Es kann zu Knochenbrüchen kommen.” Das ist die Diskrepanz, um die es oben mit geht. Der Bürger wird nicht umfassend aufgeklärt über die Staatsgewalt und ist daher auch nicht mündig, sondern Opfer des Staates, dessen Souverän er dem Gesetz nach sein sollte.

  9. Hubertus Tue 9 Jul 2024 at 21:31 - Reply

    Ich finde, der Artikel gibt eine interessante schöne historische Einordnung zur veränderten Gewalt Akzeptanz – danke dafür.

    Was mich aber hier in der Kommentarspalte wirklich sprachlos macht, sind die ganzen Verharmlosungen der Anwendung von Schmerzgriffen an (ungehorsamen) Demonstranten/Bürgern.

    Unsere Polizei, insbesondere die in den Hundertschaften, ist sehr wohl in der Lage, sitzende, passive Demonstranten (die man von mir aus auch gerne als Kriminelle oder “Verbrecher” bezeichnen kann – wegen mindestens der Nötigungen) wegzutragen. Das machen nicht die 50+ Schreibtischpolizisten. Dabei bricht sich keiner den Rücken, absolut schwachsinnig dieses Argument.
    Wenn zwei Polizisten einen Demonstranten links und rechts unter den Arm nehmen und wegschleift, oder gleich anhebt, wie man es auf YT hundertfach sehen kann, ist das definitiv ein milderes Mittel.

    Die Androhung oder gar Verwendung von Schmerzgriffen ist hier (aus meiner Sicht) ganz und gar nicht gerechtfertigt und überschreitet in vielen Fällen (aus meiner Sicht) klar die Grenze zur Folter (wenn sich die Handlung gegen die jeweilige Person richtet) und zum staatlichem Terror, wenn dadurch Andere zur gefolglichem Verhalten gebracht werden sollen!

  10. J. Tue 9 Jul 2024 at 23:48 - Reply

    Vor einigen Jahren: Wasserwerfer gegen Demonstrierende, die gegen den Bau eines gigantomanischen Bahnhofsprojekts protestieren. Folge: Verlust des Augenlichts. Schmerzgriffe mit bleibenden Schäden als Folge für Protestierende, die passiven Widerstand leisten. Wollen Sie das wirklich rechtfertigen? Polizisten sollten gründlich nachdenken, bevor Sie so agieren. Vielleicht kann man als Polizist im Dienst aber auch sadistischen Neigungen nachgehen? Sehe ich die verlinkten Videos, stellt sich mir genau
    diese Frage.

    • Gerald Mackenthun Sat 10 Aug 2024 at 20:00 - Reply

      Der Mann, der fast sein Augenlicht verlor, stellte sie frontal dem Polizei-Wasserwerfer entgegen. Die Polizei hatte vorher dazu aufgefordert, den Platz zu verlassen und die Demonstration aufzulösen. Dem widersetzten sich viele Demonstranten. Daraufhin setzt die Polizei Wasserwerfer ein. Sich dem Wasserwerfer mit ausgebreiteten Armen entgegenzustellen, zeugt von ausgesprochene Dummheit. Außerdem sehe ich keinen Grund, gegen den Neubau eines Bahnhofs zu demonstrieren.

  11. Schulz Tue 9 Jul 2024 at 23:50 - Reply

    Großartige und richtige Analyse! Danke für den Bogen über Foucault und Elias.

  12. Thomas Wed 10 Jul 2024 at 10:39 - Reply

    Das Gewaltmonopol liegt in Deutschland beim Staat und die Polizei hat das Recht und in bestimmten Situationen auch die Pflicht Massnahmen mit Zwang durchzusetzen. Das kann gem. UZwG bis hin zum rechtmässigen Einsatz der Schusswaffe gehen, z.B. um einen Mörder auf der Flucht zu stoppen. Ob das Zwangsmittel rechtmässig war, muss im Einzelfall geprüft werden. Pauschale Aussagen und Vergleiche mit Folter, wie hier im Artikel geschehen, sind einem Artikel mit wissenschaftlichen Anspruch unwürdig! Nur weil ein Protest sich selber als “friedlich” bezeichnet, kann er dennoch gegen Gesetze und Normen verstossen. Die Versammlung wird dann durch die Polizei beendet. Die ehem. Versammlungsteilnehmer stehen dann nicht mehr unter dem Schutz des VersG. Kommen sie dann zB der Anweisung der Polizei die Strasse zu räumen nicht nach, kann dies mit Zwang durchgesetzt werden. Das Wort “Schmerzgriffe” ist generell unpassend und nicht definiert. Eine Hebeltechnik, wie sie zumeist durch die Polizei eingesetzt wird, tut weh, ist aber kein “Schmerzgriff”. Ich verstehe unter einem “Schmerzgriff” eher ein Kneifen oder zB ein Griff in die Hoden. Sowas macht die Polizei eher nicht!

  13. Cassandra Parks Tue 20 Aug 2024 at 10:29 - Reply

    Der Artikel zeichnet historische diskursive Entwicklung hervorragend nach, mir fehlt aber ein wichtiger Punkt in der Kontextualisierung veränderter gesellschaftlicher Empfindsamkeit. –

    Schmerzgriffe sind die (zynische) konsequente Weiterentwicklung einer nicht nur individualisierenden, sondern individualpsychologisch fokussierten Adressierung gesellschaftlicher Subjekte. Bei der Zufügung von Schmerz nach lehrbarer Technik, die (vermeintlich) legitime disziplinierende Ziele hat und die Verletzung von Betroffenen vermeiden soll, wird die Legitimität eine Überprüfung durch Verfahren entzogen, die durch ihre Anwender anerkannt sind; eine juristische Einordnung findet zwischen UZwG und den Straftatbeständen der Körperverletzung statt. Dabei entsteht zwischen Gewaltmonopol und zu schützendem Individuum eine Lücke – ‘Schäden an der Gesundheit’ sind beweisfähig durch einen Arzt oder Psychotherapeuten zu dokumentieren, aber die Disziplinierung erfolgt nicht über Verursachen von Krankheit, sondern Zufügen von Leid. Leiden unter psychischer Einwirkung ohne Krankheitswert wird so in der Bearbeitung durch juristische Verfahren zunächst ‘unsichtbar’, ‘unfassbar’, weil individuelle Empfindsamkeit nicht beweisfähig ist.

    Die korrekte Anwendung von Schmerzgriffen muss demnach die Entwicklung von (juritischen) Begriffskategorien nach sich ziehen, wenn Rechtsstaatlichkeit das Gewaltmonopol eingrenzen und regeln soll und nicht eine vom Gesetz gelöste Exekutive, die mit “Polizeigewalt” treffend zu beschreiben wäre.

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