Von der Politisierbarkeit der Bundespräsidentenwahl
Heute gab es in Karlsruhe ein sonderbares Schauspiel zu besichtigen: Drei der prominentesten Rechtsextremen dieses Landes, die NPD-Funktionäre Udo Pastörs, Peter Marx und Johannes Müller, sammelten sich zum Foto-Shooting vor dem Amtssitz des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Erst alle vor dem Haupteingang, dann noch einmal Marx alleine vorn am Einfahrtstor mit schwarz-rot-goldenem Bundesadler. Bitte lächeln!
An dem Ort, an dem ihr nach dem Willen der Landesinnenminister demnächst endgültig der Garaus gemacht werden soll, führt diese in jeder Hinsicht ohnehin ziemlich bankrotte Partei derzeit einen staunenswerten Tanz auf. Mit einigem Geschick sorgt sie seit geraumer Zeit dafür, dass dem Zweiten Senat die Arbeit nicht ausgeht. Gestern kam der Beschluss, der am Rande des Bankrotts stehenden Partei nicht vorläufig per Einstweiliger zu Geld aus der Parteienfinanzierungskasse zu verhelfen. In zwei Wochen wird es in Karlsruhe um die Frage gehen, ob der Bundespräsident die NPD als “Spinner” bezeichnen darf. Dabei hat das Verbotsverfahren noch gar nicht richtig begonnen. Dass ihr so oft gelingt, verfassungsrechtlich Staub aufzuwirbeln, hat offenbar viel mit dem vierten Mann im Bilde zu tun – dem jungen Saarbrücker Rechtsanwalt Peter Richter (l.). Der Mann, so schwer es mir fällt, das zu sagen, kann was.
Heute hatte Richter seinen ersten großen Auftritt in persona vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Es ging um die Klage von Pastörs, Müller und dem mittlerweile in Ungnade gefallenen (und vermutlich deshalb heute abwesenden) Holger Apfel, als Mitglieder der 13. und 14. Bundesversammlung in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Von dem Verfahren war hier schon mehrfach die Rede (hier und hier). Heute hat der Senat in dieser Sache mündlich verhandelt.
Die Bundesversammlung ist, anders als ihr so fundamental und allumfassend klingender Name vermuten lässt, unter den Verfassungsorganen das sicherlich unbedeutendste. Sie wählt den Bundespräsidenten, aber sie ist kein Ort, an dem Politik stattfindet – und soll ihrem Design nach auch keiner sein. Auch wenn es manchmal spannend wird, wie bei der erst im dritten Wahlgang erfolgreichen Wahl von Christian Wulff – in der Bundesversammlung selbst findet kein politischer Meinungskampf statt, weshalb das Grundgesetz ausdrücklich anordnet, dass die Wahl “ohne Aussprache” stattzufinden hat. So wie der Bundespräsident irgendwie unpolitisch sein soll, so soll dies auch das Gremium sein, das ihm ins Amt wählt.
Welche Rechte hat ein Mitglied der Bundesversammlung?
Hier wittert die NPD ihre Chance. Bei der Wahl von Wulff und der zweiten Wahl von Horst Köhler versuchten die NPD-Delegierten, ihrem Kandidaten in der Bundesversammlung eine politische Bühne zu verschaffen und durchzusetzen, dass sich die Kandidaten “vorstellen” können. Dies durchkreuzte der Bundestagspräsident in seiner Eigenschaft als Präsident der Bundestagsversammlung und lehnte die Anträge zur Geschäftsordnung der NPD-Delegierten als unzulässig, da mit dem Ausspracheverbot unvereinbar, ab.
So könne man mit Abgeordneten der Bundesversammlung nicht umgehen, behaupten die drei NPD-Kläger jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht. Doch kann man überhaupt von “Abgeordneten” sprechen? Wolfgang Zeh, der Bevollmächtigte und langjährige Haus-Parlamentsrechtsexperte des Bundestags (und, fun fact, Vater der Schriftstellerin Juli Zeh), bestritt dies vehement: Die Bundesversammlung sei kein Parlament und die Wahl des Bundespräsidenten kein parlamentarischer Prozess. Die Mitglieder der Bundesversammlung seien keine Volksvertreter, die sich als solche gegenüber dem Präsidenten der Bundesversammlung auf eigene organschaftliche Rechte berufen könnten. Dass sie keine Rechte wie die aus Art. 38 I 2 GG genießen, sei daher keine Regelungslücke, sondern habe vollkommen seine Richtigkeit. Deshalb sei die Organklage der NPD-Delegierten von vornherein unzulässig.
Die Prämisse schien mir der Richterbank im Prinzip plausibel – aber nicht unbedingt die Schlussfolgerung: Kann es sein, dass bei der Wahl des Staatsoberhaupts alle möglichen Fehler gemacht werden können, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hat, fragte Richter Huber. Das kann es nicht, räumte Zeh ein und bot als Ausweg an, eine Art analoge Wahlprüfungsbeschwerde zum Bundestag zu eröffnen. Da dieser aber die Hälfte der Bundesversammlung stellt, würde er damit zum Kontrolleur in eigener Sache gemacht, wandte der Senatsvorsitzende Voßkuhle ein und schlug vor, doch den Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht zuzulassen, aber mit einem zurückgenommenen Kontrollmaßstab: Nur bei evidenten Missbrauchsfällen solle Karlsruhe einschreiten können, damit nicht jede Wahl eines Bundespräsidenten durch einen Verfassungsstreit delegitimiert werden könne. Das akzeptierte Zeh.
Der angeblich so unpolitische Bundespräsident
Aber auch inhaltlich schien mir Zehs Argumentation, die Wahl des Bundespräsidenten müsse um jeden Preis von politischem Meinungsstreit sauber gehalten werden, nicht allen auf der Richterbank einzuleuchten. Voßkuhle fragte, was passiert, wenn es einmal wirklich eine “konfliktbeladene Situation” in der Bundesversammlung gibt – eine Situation also, in der das Recht ins Spiel kommt. Wenn das Ausspracheverbot bedeute, dass in der Versammlung überhaupt nicht darüber gesprochen werden darf, beraube man die Versammlung damit der Möglichkeit, selbst ihre Konflikte zu lösen. Ähnlich Richter Gerhardt: Angenommen, es kommt in der Bundesversammlung zu einer Pattsituation, ein völlig neuer Kandidat wird aus dem Hut gezaubert, den keiner kennt – wie machen sich dann die Mitglieder kundig, wen sie wählen sollen? Indem sie “in die Lobby rausgehen, sich dort unterhalten, dann wieder rein, und der schöne Schein ist gewahrt”? Ja, ungefähr so, erwiderte Zeh.
Richter Landau stellte in Frage, ob das Bild vom unpolitischen Bundespräsidenten, der über den Parteien steht, wirklich dem Amt noch gerecht wird. Zeh räumte ein, dass die Idee des über den Parteien schwebenden Pouvoir Neutre an der Spitze des Staates niemand mehr plausibel findet, warnte aber davor, die Bundesversammlung so zu politisieren, dass dem Bundespräsidenten “politische Akzente schon im Wahlverfahren aufgedrückt” werden. Die Bundesversammlung müsse ein “befriedeter Prozess” bleiben.
Richterin Lübbe-Wolff bohrte nach, wie man zu einer Kontrollierbarkeit des Verfahrens in der Bundesversammlung gelangen kann, ohne sich auf so etwas wie die Abgeordnetenrechte aus Art. 38 I 2 GG zu stützen. Landau bot schließlich an, diese Rechte direkt aus Art. 54 GG (wo die Bundespräsidentenwahl geregelt ist) zu konstruieren. Ich könnte mir vorstellen, dass es auf so eine Konstruktion am Ende hinauslaufen wird.
In summa scheint mir ziemlich klar, dass das Gericht es nicht bei der Erkenntnis belassen wird, dass das, was in der Bundesversammlung passiert, vor lauter Angst vor der Politik von jeder Rechtsschutzmöglichkeit für ihre Mitglieder freigehalten werden muss. Es wird irgendeine Art geben, sich gegen Verfahrensentscheidungen des Versammlungspräsidenten zur Wehr zu setzen.
Kein Stich mit Blockwahl-Argument
Wenig Geduld zeigte dagegen der Senat mit einer Argumentationslinie der NPD-Kläger, die politisch auf den ersten Blick am meisten Spaß verspricht: dass nämlich die ganzen letzten Bundesversammlungen nicht korrekt zusammengesetzt waren, weil zehn Landtage die Delegierten nach einem Verfahren wählen, das der undemokratischen Blockwahl nahekommt. Dies hatten einst mehrere angesehene Staatsrechtler problematisiert, und die NPD glaubte, daraus Profit schlagen zu können.
Bei näherem Hinsehen blieb davon allerdings nicht allzu viel übrig. Denn selbst wenn man unterstellt, dass die Wahl dieser Landtags-Delegierten tatsächlich undemokratisch war – was hat das mit Herrn Pastörs und seinen Rechten zu tun? NPD-Anwalt Richter versuchte, eine rechtliche Betroffenheit seiner Mandanten über die “Erfolgswertgleichheit” zu konstruieren: Die undemokratisch gewählten Landtagsdelegierten hätten ausgeschlossen werden müssen (von wem? wie?), und dann wäre die Zahl der Mitglieder viel niedriger gewesen, und dann hätte die Stimme von Pastörs et.al. ein höheres Gewicht gehabt, und weil sie das nicht hatte, seien dessen Rechte verletzt.
Das machte wenig Eindruck. Richter Landau platzte regelrecht der Kragen: Was die Landtage tun, sei Landessache und könne im übrigen auch auf Landesebene verwaltungs- und verfassungsgerichtlich angegriffen werden. “Warum beschäftigen wir uns damit?” Lübbe-Wolff fragte, ob der Landtag von Rheinland-Pfalz nicht zu Recht keine Lust zeige, sich mit Beschwerden des MeckPomm-Landtagsabgeordneten Pastörs gegen seine Art, Bundesversammlungsmitglieder auszuwählen, zu beschäftigen. Das sei so, wie wenn sich ein Münchner auf Urlaub in Sylt über Windräder aufrege und dann ein Klagerecht fordere, weil die Sylter selbst nicht klagen. Wenn die knappe Ressource Rechtsschutz den unmittelbar Betroffenen vorbehalten bleibe, dann könne das durchaus seine Richtigkeit haben, auch wenn dann bestimmte Dinge halt nicht überprüft werden.
Die Gefahr, dass die Bundespräsidenten Köhler und Wulff nachträglich delegitimiert, weil von einer völlig falsch zusammengesetzten Bundesversammlung gewählt entlarvt werden könnten, scheint mir somit denkbar gering. Das bezieht sich auch auf den amtierenden Bundespräsidenten Gauck, dessen Wahl auf paralleler Grundlage angegriffen wurde, worüber aber gesondert verhandelt wird, wohl weil hier Richter Peter Müller an der Entscheidung mitwirken kann. Das konnte er bei der 13. und 14. Bundesversammlung deshalb nicht, weil er selbst Mitglied derselben gewesen und daher befangen war.
Zur Anregung bzgl. des ersten Satzes des letzten Absatzes:
Die Wahlen zu den Wahlmännern und Wahlfrauen im Landtag von NRW zu den letzten Bundeswahlversammlungen wurden erweislich jeweils von einem nicht ordnungsgemäß konstituierten Landtag abgehalten, weshalb die Bundesversamlungen zu den Wahlen zum Bundespräsidenten nicht ordnungsgemäß besetzt waren. Eigentlich schon seit den 80iger Jahren. Soweit zum Thema Formalitäten.
@ Max: Woher nehmen Sie es, dass RA Richter “was kann”. Das kommt im Text nicht so richtig rüber. Hat er in der Verhandlung was schlaues gesagt? Die Schriftsätze in dem Organstreitverfahren stammen jedenfalls nicht von ihm (sondern von Pastörs selbst, ob sie ihm jemand vorgeschrieben hat, weiß man natürlich nicht). Und die Richter-Schriftsätze an das BVerfG, die man so kennt (bspw. in dem Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz gegen ein noch nicht angestrengtes Parteiverbotsverfahren – oder was auch immer das gewesen sein soll), sind verfassungsrechtlich unterirdisch…
@Matthias: Wo kann man die Verfahrensschriftsätze einsehen?
@ Johann: Leider nur bei mir auf Arbeit. (Daher auch kein Klarname.) Aber den Schriftsatz der NPD in diesem Kasperle-Vor-Verfahren um das Parteiverbot konnte man dem Vernehmen nach auch auf der Webseite der NPD anschauen…
@Matthias: Grüßen Sie bitte den Kollegen Ministerialrat Dr. Hiegert recht herzlich.