Warum dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für den „Mietendeckel“ zusteht
Der Senat von Berlin hat sich heute endgültig auf den Entwurf eines „Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“ (MietenWoG) geeinigt. Verfassungsrechtlich ist insbesondere die Kompetenzfrage umstritten. Die einen meinen, das Land Berlin habe weder für das Einfrieren noch für das Deckeln und Kappen der Mietpreise die erforderliche Gesetzgebungskompetenz (so Hans-Jürgen Papier in einem Gutachten im Auftrag der Immobilienwirtschaft). Andere gestehen dem Land grundsätzlich die Kompetenz zu, öffentlich-rechtliche Mietpreisregeln zu erlassen, sehen die Kompetenzgrenze jedoch mit der Deckelung und Kappung der Mieten überschritten (so Ulrich Battis in einem unveröffentlichten, aber öffentlich kursierenden Gutachten im Auftrag des Regierenden Bürgermeisters). Wiederum andere streiten für eine umfassende Kompetenz des Landes Berlin (so Franz Mayer/Markus Artz in einem Gutachten für die SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses). Letzteres halten wir für richtig.
I. Ausgangslage
Der Berliner Gesetzesentwurf trifft zur zulässigen Miethöhe im Wesentlichen drei Entscheidungen: Erstens werden die Mietpreise für die kommenden fünf Jahre eingefroren (sog. Moratorium), d.h. im laufenden Mietverhältnis und bei Wiedervermietung sind Mieterhöhungen in den fünf Jahren nach Inkrafttreten nicht mehr möglich. Zweitens werden absolute Höchstpreise für Neu- und Wiedervermietungen festgelegt (sog. Deckel). Drittens wird Mieter_innen die Möglichkeit eingeräumt, im laufenden Mietverhältnis einen vereinbarten Mietzins, der den absoluten Höchstpreis um mehr als 20% übersteigt, durch Verwaltungsakt herabsetzen zu lassen (sog. Kappung).
Damit würde die Berliner Regelung die vertraglichen Rechtspositionen der Parteien von Wohnungsmietverträgen ändern, wie sie sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben: Der Vermieter darf im laufenden Mietverhältnis alle fünfzehn Monate die Miete bis zur Grenze der ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen (§ 558 BGB) und bei Wiedervermietung in gesetzlich bestimmten Gebieten nicht zu weit darüber liegen (§ 556d BGB). Gesenkt wird die Miete im laufenden Mietverhältnis, wenn dagegen verstoßen (§ 556g BGB) oder außerhalb der maßgeblichen Gebiete das allgemeine Wucherverbot verletzt wird (§ 138 Abs. 2 BGB).
Die Argumente derjenigen, die dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz bestreiten, lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: Die geplanten Regelungen seien dem Bürgerlichen Mietrecht zuzurechnen, das aber eine Materie der konkurrierenden Gesetzgebung sei, von der der Bund abschließend Gebrauch gemacht habe. Zumindest sei das Gebot rücksichtsvoller Kompetenzausübung verletzt. Denn die geplanten Berliner Vorschriften verfälschten das Regelungskonzept des Bundes im BGB-Mietrecht, so dass die Rechtsordnung insgesamt widersprüchlich würde.
II. Zum Verhältnis von Zivilrecht und öffentlichem Recht
Zunächst müssen wir die Struktur des Verhältnisses von Zivilrecht und öffentlichem Recht etwas aufklären. Die ist nämlich für die Frage der Gesetzgebungskompetenz durchaus erhellend.
Das Zivilrecht liefert eine Ordnung gleicher Freiheit, deren Struktur bestimmt ist durch die subjektiven Rechte an der eigenen Person, an Sachen (Eigentum) und an versprochenen Leistungen (vertragliche Forderungen). Eigentum und vertragliche Forderungen können erworben werden, in der Regel durch Vertrag. Wie das geht, unterliegt zivilrechtlichen Regeln. Relevant sind dafür stets die Regeln zum Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB, §§ 116 ff. BGB). Was oft übersehen wird: Geht es um den Erwerb einer Forderung durch entgeltlichen Vertrag, treten noch Regeln zum Inhalt des Vertrags hinzu. Zu diesen Regeln gehören neben dispositivem und zwingendem Vertragsrecht auch die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB) und das Wucherverbot (§ 138 Abs. 2 BGB). Diese Regeln sichern, dass beim entgeltlichen Vertrag die Leistungen zu fairem Preis und zu fairen Bedingungen getauscht werden.
Als Ordnung gleicher Freiheit ist Zivilrecht kein „öffentliches Recht in Verkleidung“. Aber es räumt öffentlich-rechtlicher Regulierung den Vorrang ein: Wie es § 903 S. 1 BGB für das Eigentum ausdrücklich ausspricht, kann durch öffentliches Recht – das ist das „Gesetz“, das in § 903 S. 1 BGB eigentlich gemeint ist – in die privatrechtlich konstituierten Rechte eingegriffen werden. Darüber hinaus kann das öffentliche Recht auch zusätzliche Regelungen zum Abschluss und zum Inhalt von vertraglichen Abreden treffen. Dies wird wiederum ausdrücklich angesprochen in § 134 BGB. Auch an Art. 14, 12 und 2 Abs. 1 GG kann man ablesen, dass die zivilrechtliche Ordnung gleicher Freiheit öffentlich-rechtliche Regelungen – im Rahmen des Verhältnismäßigen – generell hinzunehmen hat.
Betreffen öffentlich-rechtliche Regelungen den Inhalt eines Vertrags, dann haben sie einen essentiell anderen Sinn als die zivilrechtlichen Regeln zum Vertragsinhalt. Die zivilrechtlichen Regeln, Wucherverbot, AGB-Kontrolle, zwingendes und dispositives Vertragsrecht, garantieren den fairen Leistungsaustausch. Öffentlich-rechtliche Regeln liefern einen Beitrag zur Erfüllung von Staatsaufgaben: öffentliche Sicherheit, Gemeinwohl, Daseinsvorsorge.
III. Mietpreisbremse und Berliner MietenWoG
Überträgt man diese – unsere freiheitliche Rechtsordnung eigentlich prägende – Struktur auf die in Rede stehende Gesetzgebung, ergibt sich folgendes Bild:
Der Bundesgesetzgeber hat mit der Regelung in § 556d BGB (sog. „Mietpreisbremse“) das Wucherverbot aus § 138 Abs. 2 BGB konkretisiert – und zwar gegen eine jüngere, gegenüber den Ausbeutungslagen in großstädtischen Wohnungsmärkten recht unsensible Rechtsprechungslinie des Bundesgerichtshofes. Zivilrechtlich ist § 556d BGB damit lex specialis zu § 138 Abs. 2 BGB. Der Bundesgesetzgeber hat mit § 556d BGB erstens festgelegt, dass ein auffälliges Missverhältnis des Wertes der vereinbarten Leistungen bereits bei einer Mietzinsvereinbarung von 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete vorliegt (und nicht erst ab 20% entsprechend § 5 WiStrG). Der Bundesgesetzgeber hat, zweitens, ausformuliert, dass die für den Wuchertatbestand charakteristische Ausbeutungslage beim Wohnungsmietvertrag typischerweise in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt gegeben ist, und er hat es den Landesregierungen übertragen, diese Ausbeutungslage normativ festzustellen.
Mit all dem verknüpft sich kein neues Regelungskonzept. Das Konzept in § 556d BGB ist das ganz alte zivilistische Konzept des § 138 Abs. 2 BGB: Ausbeutung von Zwangslagen durch eminent unfaire Verträge ist verboten.
Der Berliner Gesetzgeber bewegt sich hingegen nicht im Bereich des Zivilrechts, sondern im Bereich der Staatsaufgaben: öffentliche Sicherheit, Gemeinwohl, Daseinsvorsorge. Er sieht Probleme für eine angemessene soziale Wohnraumversorgung. Er verfolgt das Gemeinwohlziel, die städtische Segregation und damit die Vertiefung sozialer Ungleichheit unter räumlichem Aspekt in Grenzen zu halten. Die Schwierigkeiten erscheinen ihm dabei so massiv, dass er ohne sein Einschreiten sogar den sozialen Frieden gefährdet sieht (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf, S. 14 f.).
Der Berliner Gesetzgeber spezifiziert entsprechend nicht § 138 Abs. 2 BGB – etwa durch eine zu § 556d BGB konkurrierende Festlegung des Missverhältnisses der Werte der vereinbarten Leistungen oder durch eine abweichende Bestimmung der Ausbeutungslage. Vielmehr erlässt er Regelungen, die als öffentlich-rechtliche der zivilrechtlichen Vertragsordnung vorgehen: Mieten dürfen jetzt erst einmal nicht erhöht werden, auch im Falle der Neuvermietung nicht; zu hohe Mieten, und zwar zu hoch im Lichte der genannten Zwecke des Berliner Gesetzgebers, dürfen nicht verlangt werden.
IV. Weder Widerspruch noch Verfälschung
Wie sieht es also aus mit den Argumenten, mit denen die Kompetenz des Landesgesetzgebers ganz oder teilweise bestritten werden sollen?
Die Landesebene ist dann nicht zuständig, wenn es sich um eine Materie der konkurrierenden Kompetenz (Art. 74 GG) handelt und der Bund von dieser abschließend Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Beides ist beim Bürgerlichen Recht der Fall. Die Länder dürfen namentlich im Vertragsrecht keine ergänzenden Regeln erlassen.
Kein Zivilrecht
Das tut das Land Berlin aber nicht. Wie schon erläutert, liefert der Berliner Gesetzesentwurfs keine Regeln, die das Mietvertragsrecht des BGB ergänzen oder modifizieren sollen, um den vertraglichen Leistungsaustausch irgendwie noch fairer oder anders fairer auszugestalten, als es sich der Bundesgesetzgeber gedacht hat. Vielmehr liefert er öffentlich-rechtliche Regelungen, welche im Dienst sozialer Wohnraumversorgung, sozialer Gerechtigkeit und sozialen Friedens stehen, und die die zivilrechtlichen Rechtspositionen einschränken.
Es würde von einigem Unverstand der Strukturdifferenz von Zivilrecht und öffentlichem Recht zeugen, wenn man Regelungen, weil sie in die zivilrechtlich konstituierte Vertragsfreiheit und in bestehende Rechte an versprochenen Leistungen eingreifen, selbst als zivilrechtliche Regeln ausgeben wollte, um anschließend dem Landesgesetzgeber dafür die Kompetenz zu bestreiten. Das gilt natürlich unabhängig davon, wie schwer ein Eingriff durch die öffentlich-rechtliche Regelung wiegt. Die Schwere eines Eingriffs hat keine Auswirkung auf den Gegenstand der Regelung und mithin auch keine Relevanz für die Frage der Gesetzgebungskompetenz. Die Schwere eines Eingriffs spielt allein für die Frage ihrer Vereinbarkeit mit materiellem Verfassungsrecht eine Rolle. (Wir halten das Berliner Gesetzesvorhabens mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Wohneigentum einerseits und auf die sozialstaatliche Verpflichtung zur sozialen Wohnraumversorgung und auf den Gemeinwohlzweck der Bekämpfung von Segregation andererseits auch materiell für verfassungsgemäß, ohne das hier weiter ausführen zu wollen.)
Kein Widerspruch zur Mietpreisbremse
Ganz folgerichtig will sich der Berliner Senat nicht auf die konkurrierende Kompetenz im Bereich des Bürgerlichen Rechts stützen, sondern auf die Auffangkompetenz der Länder in Art. 70 GG.
Hans-Jürgen Papier ist der Auffassung, die anvisierte Berliner Regelung verletze das Gebot der rücksichtvollen Ausübung einer Länderkompetenz, ebenso Ulrich Battis. Nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Gebote und Verbote der Rechtsordnung als Ganzer nicht durch eine landesgesetzliche Regelung widersprüchlich werden. Konzeptionelle Entscheidungen des Bundesgesetzgebers dürfen durch Entscheidungen eines Landes zudem nicht verfälscht werden.
Einen Widerspruch im Sinne einer gegenläufigen Anordnung von Ge- und Verboten würde die Berliner Regelung nicht erzeugen (so aber offenbar Papier, S. 12). Die Folge der Berliner Regelung wäre zwar in der Tat, dass das zivilrechtliche Mietrecht noch erlaubt, was erst durch Berliner Landesrecht verboten ist. Ein solcher Kontrast von (zivilrechtlicher) Freiheit und (öffentlich-rechtlicher) Beschränkung ist jedoch charakteristisch für jede das Zivilrecht betreffende öffentlich-rechtliche Regelung. Das kann nicht der Widerspruch sein, den das Bundesverfassungsgericht im Blick hatte. Andernfalls wäre auch der landesrechtliche Denkmalschutz eine Verletzung des Gebots bundesfreundlicher Kompetenzausübung, weil auch dieser Handlungen verbietet, die zivilrechtlich erlaubt sind.
Ulrich Battis meint, einen Widerspruch zur bundesrechtlichen Konzeption des mietvertraglichen Synallagmas zu entdecken (S. 17 ff.). Er zeichnet dabei ein Bild, als ob der Bundesgesetzgeber für das Mietverhältnis eine konzeptionelle Entscheidung getroffen hätte, bei der er sich spezifisch für das Synallagma und gegen Alternativen entschieden habe. Diesem Bild unterliegt offenbar ein grobes Missverständnis der Rolle des vertraglichen Synallagmas. Das Synallagma charakterisiert die entgeltlich erworbene vertragliche Forderung: Sie ist mit der Gegenleistung verknüpft (§§ 320 ff. BGB), und zwar auch im Hinblick auf ihren Wert (§ 138 Abs. 2 BGB, im Mietrecht auch § 536 BGB). Diese synallagmatische Bedingtheit der vertraglichen Forderung liefert ihre Grundform als entgeltliche Forderung. Diese Grundform ist im Recht der Wohnraummiete lediglich spezifiziert, und zwar allem voran mit dem preisrechtlichen Bezugspunkt der ortsüblichen Vergleichsmiete und den darin enthaltenen Preisbildungsfaktoren.
Die Berliner Regelungen greifen – in der Tat – inhaltsverkürzend in synallagmatische Mietforderungen und verwertungsverkürzend in die Freiheit zum Abschluss synallagmatischer Mietverträge ein. Inhalts- oder Verwertungsverkürzung sind jedoch ganz häufig die Folge von Eingriffen in zivilrechtliche Rechtspositionen. Wiederum gilt: Es handelt sich hier durchaus um schwerere Eingriffe, deren Rechtmäßigkeit nach materiellem Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Aber die Schwere eines Eingriffs hat keine Relevanz für die Ebene der Kompetenz, auch nicht unter dem Aspekt ihrer rücksichtsvollen Ausübung.
Keine Verfälschung eines umfassenden Konzepts
Einen konzeptionellen Widerspruch könnte man allenfalls darin sehen, dass der Bundesgesetzgeber mit der Mietpreisbremse politisch auf dieselben Ziele ausging wie der Berliner Landesgesetzgeber: Verbesserung sozialer Wohnraumversorgung und Bekämpfung von Segregation angesichts dramatischer Bodenpreisentwicklung. Der springende Punkt ist nur: Der etwaige empirische Beitrag zu diesen Zielen ist ein Effekt der bundesgesetzlichen zivilrechtlichen Regeln. Der normative Sinn der Regelung hingegen ist die Spezifikation des Wucherverbots. Letzteres war gerade auch zivilrechtlich geboten: Die frühere vermieterfreundliche Rechtsprechung unter § 138 Abs. 2 BGB war nicht bereit, den geänderten tatsächlichen Umständen im großstädtischen Wohnungsmarkt Rechnung zu tragen (s.o. unter III.), von denen das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutungslage natürlich abhängt. Mit anderen Worten: Nur weil sich der Bundesgesetzgeber insgesamt von der „Mietpreisbremse“ neben der Spezifikation des Wucherverbots, welche die Fairness des Leistungsaustauschs sichert, zusätzliche Effekte versprochen hat, wird daraus kein umfassendes Konzept für Wohnraumversorgung und gegen Segregation, das kein Landesgesetzgeber mehr „verfälschen“ dürfte.
Ein strikt instrumentalistisches Rechtsdenken, das die Idee des Zivilrechts als Ordnung gleicher Freiheit lange verloren hat, tut sich schwer damit, die Unterscheidung zwischen normativem Sinn und Effekt einer zivilrechtlichen Regelung zu begreifen. Deshalb machen wir unseren Punkt noch einmal aus anderer Warte:
Dem Bundesgesetzgeber stand wohnungspolitisch ironischerweise kraft der geltenden Kompetenzordnung wenig Anderes zur Verfügung als das Mietvertragsrecht (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG). Dieses ist aber naturgemäß in seiner Reichweite und Effektivität zur Bewältigung der politisch in Rede stehendenProbleme höchst beschränkt. Darum kann man die mit § 556d BGB unternommene Änderung sicher nicht als abgeschlossene Konzeption begreifen, um soziale Wohnraumversorgung zu verbessern, städtische Segregation zu bekämpfen und sozialen Frieden zu wahren. Der Berliner Landesgesetzgeber kann gewiss die Lücken füllen, die die – kompetenzrechtlich vorgegebene – Beschränkung des Bundes auf zivilrechtliche Mittel mit sich bringt.