Wer ist „Wir“ und wer darf (es) bleiben?
Friedrich Merz und die Ausbürgerung als lex ferenda
Friedrich Merz forderte jüngst die Möglichkeit der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, jedenfalls für diejenigen deutschen Staatsbürger, die nach ihrer Einbürgerung zwei Mal straffällig geworden sind. Dieser Fehler müsse korrigiert werden können, wobei Merz die Einbürgerung meint – die Straftat ist ja schon begangen. Merz‘ Begründung, „Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land“ rückt abermals die Frage nach der Zugehörigkeit zum Staatsvolk in das Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Wer nämlich die Anforderungen eines Einbürgerungsverfahrens erfüllt, wird nicht „ins Land geholt“, sondern lebt bereits seit mehreren Jahren in Deutschland.
Wer ist also dieses „Wir“, das sich „Probleme“ ins Land holt? „Wir“ – in Abgrenzung zu den eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen mit doppelter Staatsangehörigkeit? „Wir“ – die vorher „im Land“ waren? Ein Blick in Art. 116 GG wird der Unterscheidung von eingebürgerten und geborenen Staatsangehörigen eine schnelle Absage erteilen. Zugehörigkeit für eingebürgerte deutsche Staatsangehörige als immerwährend konditionales Unterfangen auszugestalten, widerspricht indes demokratischen Grundsätzen und ebnet den Weg für eine hierarchisierte Zweiklassen-Staatsangehörigkeit.
Die Möglichkeit der Ausbürgerung im bestehenden Recht
Die Staatsangehörigkeit ist als „Produkt der Rechtsordnung“ (Herzog, Grundrechte aus der Hand des Gesetzgebers, in: Fürst/Herzog/Umbach, Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, S. 1417) nicht in Stein gemeißelt. Das sie bestimmende Recht ist vielmehr dem politischen Prozess unterworfen, ob seiner Konstruiertheit veränderbar und kann also Tatbestände, Begriffe und Kategorien beliebig produzieren und verwerfen. In seiner jetzigen Form kennt das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht auch die Ausbürgerung: § 17 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) führt dazu als einfachgesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG die unterschiedlichen Verlustgründe auf. Nämlich den Verzicht (Nr. 1), den Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staates (Nr. 2) und die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (Nr. 3). Die Anknüpfungspunkte dieser Verlustgründe sind klar zu differenzieren: Die freiwillige Aufgabe durch den Staatsangehörigen (Nr. 1), die Verletzung einer implizierten Loyalitätspflicht (Nr. 2) sowie der Betrug innerhalb des Verfahrens durch den Staatsangehörigen (Nr. 3). Keiner dieser Verlustgründe knüpft an rein innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Sachverhalte ohne Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit und ihrem Erwerb an. Insbesondere gelten keine explizit unterschiedlichen Verhaltensmaßstäbe der Ausbürgerung für eingebürgerte Staatsangehörige und solche, die mit Geburt staatsangehörig sind.
Weder Verfahrensfehler noch Illoyalität
Lediglich die Ausbürgerung aufgrund eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, wie § 17 Abs. 1 Nr. 3 StAG sie aufführt, hat die administrative Einbürgerung zur notwendigen Voraussetzung und kann somit allein „naturalisierte“ Staatsangehörige betreffen. Es handelt sich bei §§ 17 Abs. 1 Nr. 3, 35 StAG jedoch um das Einbürgerungsverfahren an sich betreffende Vorschriften und damit gerade nicht um eine Regelung, die ex post strengere rechtliche Anforderungen an bereits eingebürgerte Staatsangehörige stellt.
Die Korrektur eines von Merz prophezeiten „Fehlers“ in Form der Einbürgerung, seiner Ansicht nach zutagetretend durch späteres Straffälligwerden des eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen, kann ebenso unmöglich unter den Regelungsgehalt der §“ 17 Abs. 1 Nr. 3 StAG, 35 StAG fallen. Soweit der Verlustgrund des rechtswidrigen Verwaltungsakts Straffälligkeit über das in § 35 Abs. 1 StAG explizit gelistete Vorgehen (Drohung, Bestechung) hinaus berücksichtigt, tut er dies lediglich hinsichtlich des Verschweigens einer – bereits begangenen – Straftat (bzw. einer Inhaftierung oder eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens) im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens (Hailbronner/Kau/Gnatzy/Weber/Hailbronner, 7. Aufl. 2022, StAG § 35 Rn. 35 f). Hypothetische, zukünftige Strafverfahren spielen hierbei gerade keine Rolle. Das abgeschlossene Einbürgerungsverfahren stellt keine (strafrechtlichen) Anforderungen in die Zukunft. Und dies aus gutem Grund: Nach dem deutschen Strafrecht straffällig gewordene Staatsangehörige werden nach dem deutschen Strafrecht verurteilt. Der Straffälligkeit von deutschen Staatsangehörigen ist nicht auf der Ebene der Angehörigkeit zum Staat zu begegnen, sondern auf der Ebene des Strafrechts.
Weiterhin stellt die reine Straffälligkeit eines deutschen Staatsangehörigen, wenn er auch eingebürgert ist und Inhaber einer weiteren Staatsangehörigkeit, keine Illoyalität dar, die als Abwendung von Deutschland die Ausbürgerung zur Folge haben könnte. Eine solche Abwendung trifft vielmehr allein auf die spezifischen Verlustgründe der §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, 28 StAG zu: Zum einen betrifft sie den Beitritt zu ausländischen Streitkräften (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG), da dieser die Belange eines fremden Staates betrifft. Ebenso fußt der Verlustgrund der konkreten Beteiligung an terroristischen Kampfhandlungen im Ausland (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG), wenn auch mit erheblichem Missbrauchspotential, in dieser Abwendung von Deutschland. Reine Straffälligkeit tut dies nicht. Eine solche Konstruktion, nämlich die Illoyalität bei bloßer Straffälligkeit, für eingebürgerte Staatsangehörige rechtlich festzuschreiben, würde eine hierarchisierte Zweiklassen-Staatsangehörigkeit bedeuten, innerhalb derer über eingebürgerten Staatsangehörigen allein aufgrund der Erwerbsform ihrer Staatsangehörigkeit als „Deutschen auf Bewährung“ dauerhaft das Damoklesschwert der Ausbürgerung schweben würde.
Das Kriterium der doppelten Staatsangehörigkeit
Die von der CDU abgelehnte, aber mit der durch die Staatsangehörigkeitsreform eingeführte Ermöglichung der Mehrstaatigkeit wird mit der Forderung kurzerhand zur Ermöglichung der erweiterten Ausbürgerung umfunktioniert. Dass Merz die doppelte Staatsangehörigkeit ausgerechnet als Möglichkeitsbedingung für den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit heranzieht, scheint jedoch mehr mit verfassungs- und völkerrechtlichen Vorgaben als mit einem christdemokratischen Mindestmaß an Verantwortungsbewusstsein begründet zu sein. Die Staatenlosigkeit als äußerste Grenze staatlicher Sanktionierungsmöglichkeiten setzen schließlich Art. 16 GG und das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit fest. Wer jedoch bereit ist, das Recht zugunsten von Ausbürgerungen zu verschärfen, den hält auch die Staatenlosigkeit irgendwann nicht mehr auf.
Vom „Wert“ rein konditionaler Zugehörigkeit
Was aber ist mit dem nicht selten gehörten Einwand anzufangen, wer nicht straffällig werde, habe nichts zu befürchten? – Eine Frage, die sich für Staatsangehörige qua Geburt schon gar nicht stellt. Was deutsche Staatsangehörige grundsätzlich zu befürchten haben, wenn sie straffällig werden, ist eine Bestrafung nach den Maßstäben des verfassungsrechtlich sanktionierten (BVerfG NJW 2023, 2405) Resozialisierungsprinzips. Mit der von Merz vorgeschlagenen Möglichkeit der Ausbürgerung wäre dieser Grundsatz für eingebürgerte Staatsangehörige faktisch außer Kraft gesetzt. Im Gegensatz zum geborenen Deutschen, dem die unwiderlegliche Vermutung sozialer Zugehörigkeit beiseite steht, bedeutet der (zweite?) Fehltritt für Eingebürgerte in der Gesellschaft eine Entfernung aus derselben. Wer sich nicht benimmt und mithin rausfliegt, muss auch nicht resozialisiert werden.
Schließlich ebnet die Ausbürgerung als Bestrafung für straffällige, unliebsame Staatsangehörige den Weg für verschärfte politische Verfolgung. Mit Blick auf die von der CDU geforderte Strafbarkeit der Leugnung eines Existenzrechts Israels (CDU Wahlprogramm, S. 44) scheint diese Schlagrichtung jedenfalls nicht außerhalb jeglicher Vorstellungskraft. Einen gruppenbezogenen Verdacht künftiger Straffälligkeit mit Aussicht auf Ausbürgerung als Stärkung eines immer wieder postulierten „Wertes“ der deutschen Staatsangehörigkeit zu verstehen anstatt in ihr eine Schwächung rechtsstaatlicher Prinzipien und demokratischer Ideale zu sehen – dazu bedarf es einiger Vorstellungskraft.
Das in Merz‘ Forderung implizierte Modell von Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung als rein konditionale Zugehörigkeit legt schließlich nahe, dass Eingebürgerte nie in vollem Sinne deutsch sein können und daher immer mit einer Entziehung ihrer Staatsangehörigkeit zu rechnen haben. Anders als diejenigen deutschen Staatsangehörigen, die in Shachars Bild der Birthright Lottery gesprochen das Losglück der Angehörigkeit qua Geburt hatten, ist die Existenz der Anderen als Teil des Staatsvolks zur Bewährung ausgesetzt. Ob die damit zum Ausdruck kommende Exklusion, das unweigerlich gesetzte stigma ein sinnvolles Mittel gegen Kriminalität und Radikalisierung darstellt, erscheint äußerst fraglich. Für Friedrich Merz und seine Union gilt nun gleichwohl: Wenn die Zivilisierungsmaßnahme der Naturalisierung fehlschlägt, ist das brachial zu korrigieren. Schließlich haben wir einen „Fehler“ begangen.
Leider geht der Artikel überhaupt nicht auf das Grundrecht ein, was ja als einziges einer solchen Regelung widersprechen könnte: Art. 16 GG. Da liegt aber der Hase im Pfeffer, weil nur der Grenzen für das setzt, was der Gesetzgeber darf. Und da wird die Entziehung eben sehr eng verstanden, grundsätzlich ist also ein Verlust auf der Grundlage einer Straftat de lege ferenda schlicht möglich, weil der Betroffene den Verlustgrund durch eigenes Verhalten vermeiden kann. Nur wenn man es nicht verhindern kann, liegt ein verbotener Entzug vor. Illoyalität oder Ähnliches als zusätzliche Anforderungen sind bloß einfaches Recht und finden im Wortlaut des GG einfach keine Stütze.
Resozialisierung als Argument anzuführen dürfte schwierig sein – weder der Führerscheinverlust, das Berufsverbot noch der Verlust des Wahlrechts, die als Nebenfolge möglich und üblich sind, befördern irgendwie wirkliche Resozialisierung. Dennoch steht ihre Verfassungsmäßigkeit nicht in Zweifel, zumal auch der Resozialisierungsgedanke kein bindendes Verfassungsrecht ist.
Zudem ist zu bedenken, dass die Forderung von Merz bezogen auf schwere Strafraten war – hier mit der Gefahr von Entziehung bei kleinen Delikten oder gar eine Ausbürgerung trotz Staatenlosigkeit zu befürchten, hat nicht mehr viel mit dem eigentlichen Anlass des Artikels zu tun.
Vielleicht lesen Sie die entsprechenden Absätze im Artikel noch einmal. Die Autorin stellt explizit fest, dass eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts nach Merz’ Vorstellung durchaus möglich wäre.
Sie legt daran anknüpfend, meiner Meinung nach, überzeugend dar, warum diese Vorstellung mit keiner bisher (einfachgesetzlich) anerkannten Regelung vereinbar ist. Und warnt anschließend davor, das Staatsangehörigkeitsrecht abseits der bisher anerkannten Fallgruppen zur Disposition zu stellen. Dass die Forderung der Union in irgendeiner Weise verfassungsrechtlich zu beanstanden sei, wird nicht behauptet.
Zudem: Der letzte Absatz Ihres Kommentars zeigt doch genau das Problem an solch einer Forderung auf. Die Aberkennung der Staatsangehörigkeit darf eben als Folge keiner(!) Straftat zur Debatte stehen. Ansonsten würde mit dem Verweis auf die (wie genau definierten?) schweren Straftaten eine grundlegende Möglichkeit eröffnet, die dann leicht ausgeweitet werden könnte. (Siehe ja nur die Debatte um eine mögliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Freigesprochene. )
Der alte Spruch “wehret den Anfängen” als Grundlage für manche Gesetzesregelung sollte Ihnen als Jurist ja nicht fremd sein.
Slippery slope-Argumente sind manchmal überzeugend, manchmal nicht. Gerade “Wehret den Anfängen” wird eben auch oft von politisch interessierter Seite als Totschlagargument gebraucht. So auch hier. Denn das, was der Text Friedrich Merz ohne irgendeine sachliche Grundlage nach unterstellt, wäre verfassungswidrig und völkerrechtswidrig. Ohne jede Grundlage behauptet der Text, jeder, der Ausbürgerungen von Doppelstaatlern erleichtern will, wolle letztlich auch “irgendwann” (in absehbarer Zeit?) 1. Art. 16 GG ändern, 2. aus dem Übereinkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit aussteigen und dann 3. deutsche Staatsbürger in die Staatenlosigkeit entlassen. Empfinden Sie das wirklich als gutes Argument?
Nochmal zur Erinnerung die Textstelle: “Wer jedoch bereit ist, das Recht zugunsten von Ausbürgerungen zu verschärfen, den hält auch die Staatenlosigkeit irgendwann nicht mehr auf.”
“…wäre Verfassungswidrig und Völkerrechtswidrig…”
Ach und das interessiert die CDU/CSU neuerdings? In etwa wie das Wiederaufleben lassen des Asozialenparagraph aus der Kaiserzeit mit der propagierten “Arbeitspflicht für Leistungsempfänger ansonsten Leistungsentzug”? Der dortige Paragraph 361 erlaubt es seit 1871, Bürger zu bestrafen, die als Landstreicher oder Bettler umherziehen, der Prostitution oder dem Glücksspiel nachgehen. Diese Personengruppen werden als Gefahr für die Öffentlichkeit angesehen und gelten deshalb als “Asoziale”. Zu Zeiten des Nationalsozialismus bleibt dieses Gesetz bestehen und findet in der Diktatur systematische Anwendung. Ganze Bevölkerungsgruppen gelten als “Ballast” für die Volksgemeinschaft. Obdachlose, Wanderarbeiter und Prostituierte werden als arbeitsscheu und “asozial” abgestempelt. Der Tatbestand sieht horrende Strafen vor, viele “Täterinnen” und “Täter” müssen ins Konzentrationslager. Kurz nach Kriegsende legen die Besatzer in der Sowjetischen Besatzungszone großen Wert auf den Arbeitswillen der Bevölkerung. Ohne Änderungen übernehmen sie das Gesetz von 1871. Eine eifrige Arbeitsmoral ist gern gesehen. In nicht seltenen Fällen erhalten die, die sich dem Arbeitsgebot widersetzen keine Lebensmittelkarten mehr. Das negative Bild der “Asozialen” verfestigt sich in der DDR-Gesellschaft. Die Verfassung schreibt die Verpflichtung “zur Gesellschaft nützlichen Tätigkeit für jeden Bürger” vor. Erwerbstätig sein wird zur sozialistischen Pflicht. Wer nicht arbeiten gehen kann oder will, gilt als sozialer Außenseiter: “Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht […] wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.” -Strafgesetzbuch der DDR §249
Wofür haben “Wir” denn bitte Art.1 GG, Art.12 GG und Art.20 GG, welche ohnehin schon damit missachtet werden. dass der Gesetzgeber bzw. in dessen Funktion das Jobcenter sich das “Recht” herausnimmt über die Zumutbarkeit eines Jobangebot (gegeben durch Ausstieg aus den Leistungsbezug) zu bestimmen.
Bundesverfassungsgericht Mittbestimmungsurteil bzgl. der Berufsfreiheit vom 1. März 1979 :
„Art.12 Abs.1 GG schützt die Freiheit des Bürgers in einem für die moderne arbeitsteilige Gesellschaft besonders wichtigen Bereich: Er gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Arbeit, für die er sich geeignet glaubt, als ‚Beruf‘ zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen. In dieser Deutung reicht Art. 12 Abs. 1 GG weiter als die – von ihm freilich umfasste – Gewerbefreiheit. Darüber hinaus unterscheidet er sich jedoch von ihr durch seinen personalen Grundzug: Der ‚Beruf‘ wird in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im Ganzen verstanden, die sich erst darin voll ausformt und vollendet, daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als ‚Beruf‘ hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde.“ – BVerfGE 50, 290 (362)
Da Art.12 Abs.1-3 GG aber in erster Linie ein Abwehrrecht gegen den Staat ist, kann die Berufsfreiheit nicht als ein „soziales Recht“ im Sinne eines Leistungsanspruchs verstanden werden. Insbesondere garantiert Art. 12 Abs. 1 GG kein „Recht auf Arbeit“. Der Staat kann dem Einzelnen nur helfen, seine Freiheit in beruflicher Hinsicht zu entfalten, gewährt aber keinen Anspruch auf die Einrichtung von bestimmten Arbeitsplätzen.
Reicht das vorerst an Verfassungswidrigkeiten? Wie schnell dann auf einmal Gegen-Ausländer Arbeitszwang-Gesetzgebungen seitens AfD von der CDU aufgeschnappt werden um gegen “Alle” vorzugehen, hat man in Schwerin doch gesehen. Also Sorry, einem Herr Merz, aus welchen Gründen auch immer, eine Verfassungstreue zu unterstellen ist bestenfalls Naiv.
lg
Inwiefern ist es eigentlich im Hinblick auf Gleichbehandlung vs Zwei-Klassen-Staatsbürgerschaft relevant, dass jeder Eingebürgerte ja grundsätzlich auch selbst die Möglichkeit hat, seine “andere” Staatsbürgerschaft aufzugeben?
Als “Nur-Deutscher” wäre er ja vor einer Ausbürgerung geschützt, weil er sonst staatenlos würde. Ich meine, auch auf diesem Wege könnte der Betreffende eine Ausbürgerung im Zweifel “durch eigenes Verhalten” vermeiden – oder?
Staaten wie Iran entlassen prinzipiell nicht aus ihrer Staatsbürgerschaft. Wäre nicht das Anknüpfen an die doppelte Staatsbürgerschaft nicht eher ein sachfremder Grund und problematisch im Hinblick auf Art. 3 GG?
Genau, das Problem liegt darin, dass die doppelte Staatsbürgerschaft mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eigentlich nichts zu tun hat. Das ist schon bei der Regelung zu “terroristischen Kampfhandlungen im Ausland” problematisch und betrifft prinzipiell nicht nur Eingebürgerte.
Wenn sich etwa ein – ggf. schon von Geburt an – deutscher und französischer Staatsbürger dem IS anschließt, könnten sowohl Deutschland als auch Frankreich (über das französische Recht bin ich allerdings zurzeit nicht hinreichend informiert) jeweils die Staatsangehörigkeit aberkennen, wegen der Beschränkung der Staatenlosigkeit aber nicht beide. Würde das dann nur dem Land gelingen, das schneller reagieren kann?
In diesem Fall und ebenso bei der Anknüpfung an mehr oder minder beliebige Straftaten ist die doppelte Staatsangehörigkeit nur dadurch relevant, dass dann keine Staatenlosigkeit zu befürchten ist. Der Grundgedanke sieht für mich aber so aus, dass ein Terrorist oder eben ein Verbrecher der deutschen Staatsbürgerschaft unwürdig sein soll, was bei einem Nur-Deutschen bloß nicht vollzogen werden kann.
Das ist natürlich genau der richtige Einwand. Dieser Einwand wird im Text aber leider nicht mit Gegengründen relativiert. Der Text unterscheidet nämlich ganz bewusst nicht zwischen Eingebürgerten ohne und Eigenbebürgerten mit doppelter Staatsangehörigkeit, sonst würde die Skandalisierung nicht so gut funktionieren.
Ein weiterer Einwand wäre der recht manifeste Widerspruch zwischen der Betonung der Konstruiertheit des Staatsvolks zu Beginn des Textes und dem Versuch, gegen Ende des Textes auf Teufel komm raus einen Widerspruch zwischen Merz’ Forderungen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen herzuleiten.
Diesen Widerspruch löst der Text aber nicht auf, ebensowenig erklärt er, ob und warum die Unterscheidung zwischen Eingebürgerten ohne und Eigenbebürgerten mit doppelter Staatsangehörigkeit irrelevant ist. Stattdessen wird mit paranoiden Unterstellungen gearbeitet. Letzteres scheint auch mit Blick auf den Text von letzter Woche am Lehrstuhl für Staatstheorie, Politische Wissenschaften und Vergleichendes Staatsrecht der Georg-August-Universität Göttingen nicht unüblich zu sein.
Erstens missversteht die von Ihnen thematisierte Unterscheidung den Text und dessen Gegenstand gründlich. Bezugspunkt des Merz’schen Vorschlags war nicht die doppelte Staatsbürgerschaft, sondern die “fehlgeschlagene” Einbürgerung. Eine drohende Staatenlosigkeit tritt insofern als bloße Ausnahme zur Ausbürgerungsregel auf. Die Unterscheidung von Eingebürgerten mit oder ohne doppelter Staatsangehörigkeit ist sekundär zur primären Differenzierung zwischen Eingeborenen und Eingebürgerten. Dies lässt noch außer Acht, ob sich diese Kriterien überhaupt vor Art. 3 I, III GG behaupten können (s. Kommentar v. P. Liebscher).
Zweitens verwechseln Sie Konstruiertheit und Konstruierbarkeit unter geltendem Verfassungsrecht – wie schon der Vorwurf, der Blogpost versuche Merz’ Forderungen verfassungsrechtlich zu widerlegen, nicht greift. Nirgends wird – dies entspricht der Anlage des Textes auch nicht, siehe Kommentar v. Simon – eine Unvereinbarkeit derer mit dem GG konstatiert.
Drittens ist ein Dammbruchargument in der Tat sehr häufig argumentativ heikel, allerdings kann es auf unplausibler oder plausibler Grundlage ruhen. Ob des oben dargelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis sowie der Semantik des CDU-Vorsitzenden, der ja die Einbürgerung(!) von (mehrfach, schweren, etc., das tut nichts zur Sache) Straffälligen als “Fehler” bezeichnet, ist die argumentative Tendenz extrapolierbar. Der Hinderungsgrund der potentiellen Staatenlosigkeit sorgt allein dafür, dass der bereits unterstellte Fehler tatsächlich nicht wiedergutgemacht werden kann. Dies ist der Logik des Vorschlages aber nicht immanent, sondern völlig extern.
1. Ist reiner Sophismus ohne argumentative Substanz.
2. Warum schreibt dann der verfassungsblog gestern: “Seine Forderungen werden nicht nur als „Dammbruch“, sondern auch als verfassungswidrig kritisiert.” Hat auch der verfassungsblog selbst den Text falsch verstanden?
3. Siehe 1.
Der Hyperlink auf dem Wort “kritisieren” sollte den Text lediglich als Beispiel für Kritik an dem Vorhaben ausweisen, war an der Stelle wegen des vorausgehenden Wortes “verfassungswidrig” aber tatsächlich missverständlich gesetzt.
1. Nur bei Naturalisierten kann der „Fehler“ unterlaufen. Die Einbürgerung ist notwendige Bedingung der Ausbürgerung nach Straffälligkeit. Die doppelte Staatsbürgerschaft hat mit der an sich indizierten Berichtigung des „Fehlers“ überhaupt nichts zu tun. Nicht alles, was Sie nicht verstehen, ist Sophismus.
2. Ein Verfassungsblog kann rechtsethische und begriffliche Argumentationen (Art. 116 GG) sehr wohl ebenso veröffentlichen wie dogmatisch-verfassungsrechtliche. Dass Sie erstere nicht als juristisch interessant befinden, liegt an Ihrem verkümmerten Rechts- und Verfassungsbegriff, nicht an der Art oder Qualität der Ausführungen.
Zu dem Text ein paar kritische Anmerkungen:
1. Das Resozialisierungsargument klingt nur auf den ersten Blick überzeugend. Tatsächlich ist es auch nach geltendem Recht keineswegs so, dass jeder Straftäter resozialisiert werden muss. Es gibt schon derzeit eine klare Differenzierung: § 54 Abs. 1 Nr. 1 ff. AufenthG gestatten die Ausweisung eines Ausländers bei einem nicht kleinen Katalog von Straftaten. Eine solche Ausweisung und die anschließende Abschiebung, ggf. mithilfe des § 456a StPO, sind völlig übliche Vorgänge – gegen die sich das Argument der Autorin aber auch richten müsste, denn die verfassungsrechtliche Aufhängung des Resozialisierungsgebots in Art. 2 I iVm 1 I GG gestattet keine Differenzierung zwischen Staatsangehörigen und Ausländern. Daher lässt sich auch nicht eine grundsätzliche Resozialisierungspflicht nur für Deutsche konstruieren. Entsprechend wird man wohl sagen müssen, dass die Pflicht zur Resozialisierung unter dem Vorbehalt des Verbleibs in der Bundesrepublik steht, aber ein solches Bleiberecht keineswegs selber trägt. Ansonsten wäre das derzeitige Aufenthaltsgesetz verfassungswidrig. Das wiederum mag man so sehen, aber die Begründung erforderte erheblich mehr Argumentation, als der Text sie derzeit enthält.
2. Die Analyse der gegenwärtigen Rechtslage ist einseitig. § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG enthält nach der Logik der Autorin längst den jetzt erst diagnostizierten Dammbruch. Dass in der Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland eine „Abwendung von Deutschland“ liegen soll, wiederholt die Gesetzesbegründung, aber ist pure Ideologie. Die „Abwendung“ kann man aufgrund des engen (aber in Vergessenheit geratenen) Zusammenhangs von Staatsangehörigkeit und Wehrpflicht als Begründung für § 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG anführen, aber nicht für Nr. 2. Auch dort handelt es sich um einen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit als politische Bestrafung. Daher lässt sich Merz’ Vorschlag nicht als der Systembruch beschreiben, für den die Autorin ihn hält.
3. Der Text enthält eine auffällige Leerstelle hinsichtlich des geltenden Verfassungsrechts. Er springt umstandslos von der Analyse des geltenden Rechts zu einem theoretischen Argument. Vermutlich, weil das geltende Verfassungsrecht sich gegen Merz’ Vorschlag nicht in Stellung bringen lässt. BVerfGE 116, 24 definiert den untersagten Entzug der Staatsangehörigkeit im Sinne des Art. 16 Abs. 1 GG als Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Damit ist also gerade nicht *jeder* Verlust gegen den Willen des Betroffenen gemeint. Gerade darum lässt sich gegen § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG auch kein verfassungsrechtliches Argument führen! Und auch für Merz’ Vorschlag muss man wohl konstatieren, dass er mit Art. 16 Abs. 1 GG vereinbar ist. Jedenfalls, wenn der Kreis der einschlägigen Straftaten sich in bestimmten Grenzen halten sollte, wovon man wohl ausgehen darf.
4. Das im Text angeführte slippery-slope-Argument – dass der Verlust der Staatsangehörigkeit bei Doppelstaatlern nur der Anfang sei und jemand, der diesen Anfang wage, auch bei drohender Staatenlosigkeit nicht haltmachen werde –, ist eine böswillige Unterstellung. Den Verlust der Staatsangehörigkeit für Doppelstaatler vorzuschlagen, ist, wie gesehen, einerseits im derzeitigen einfachen Recht (siehe erneut: § 28 StAG) bereits angelegt und andererseits verfassungsrechtlich unproblematisch. Davon auszugehen, dass der offene Bruch mit der klaren Anordnung des Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG der zu erwartende nächste Schritt wäre, ist reine Polemik (aber insoweit konsequent, denn die Autorin hat ja beide gerade genannten rechtlichen Aspekte verkannt). Zwischen verfassungsrechtlich unproblematischen und eklatant verfassungswidrigen Vorschlägen besteht ein kategorialer Unterschied, dessen Aufhebung man Merz nicht leichtfertig unterstellen sollte.
Was also bleibt von dem Text? Eine politische Ablehnung von Merz’ Vorschlag, deren rechtliche Begründung einer kritischen Betrachtung nicht standhält und deren politiktheoretische Untermauerung viel zu sehr im Assoziativen verbleibt. Für einen wissenschaftlichen Anspruch ist das nicht eben viel.
ich möchte folgendes Argument der Autorin hervorheben: “Zugehörigkeit für eingebürgerte deutsche Staatsangehörige als immerwährend konditionales Unterfangen auszugestalten, widerspricht indes demokratischen Grundsätzen und ebnet den Weg für eine hierarchisierte Zweiklassen-Staatsangehörigkeit.”
Unabhängig von den anderen genannten und auch von den Kommentatoren ergänzten Punkten ist meiner Meinung nach DAS eigentlich das wichtigste:
ab wann wäre man denn dann endlich “sicher” und absolut Staatsbürger? nach einem Jahr? nach 10 Jahren? wenn das erste Kind in Deutschland geboren ist?