Einbürgerung und Ausbürgerung
Warum die Staatsangehörigkeitsrechtsreform nicht ohne Ausbürgerungsrechtsreform funktioniert
Die von der Bundesinnenministerin vorangetriebene Staatsangehörigkeitsrechtsreform zur Erleichterung der Einbürgerung wirft altbekannte Fragen der Zuordnung von Personen zu Staaten und die damit verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen zu einem Staatsvolk auf, die in einer – für Debatten im Staatsangehörigkeitsrecht nicht ungewöhnlichen – scharfen und von Loyalitätsressentiments geprägten Rhetorik („Verramschen der deutschen Staatsangehörigkeit“/“Keine Entwertung des deutschen Passes“) diskutiert werden (siehe bereits hier und hier). Welche Menschen sind es „wert“ den deutschen Pass zu besitzen? Anhand welcher Voraussetzungen wird dies bewertet und in welchen Fällen sollte man die deutsche Zugehörigkeit wieder verlieren?
Allerdings liegt auch bei dem aktuellen Reformvorhaben die Aufmerksamkeit nur auf dem Erwerb der Staatsangehörigkeit. Dieser Fokus lässt die andere Seite der Medaille unberücksichtigt: Um die Möglichkeit von Mehrstaatigkeit konsequent für das gesamte Staatsangehörigkeitsrecht umzusetzen, muss die Diskussion zusätzlich für das Ausbürgerungsrecht geführt werden.
Mehrstaatigkeit und Exklusivität
Die Reformvorschläge aus dem Bundesinnenministerium sind nicht neu. Rechtlich ist die Zulassung mehrfacher Staatsangehörigkeit sowohl mit dem Völkerrecht als auch mit dem Verfassungsrecht vereinbar. Die jeweiligen rechtspolitischen und demokratietheoretischen Argumente für und gegen die Mehrfachstaatsangehörigkeit sind bekannt und wurden im deutschen Rechtsdiskurs bereits ausführlich im Rahmen der Reformdebatte des deutschen Staatsangehörigkeitsrecht in den 1990er Jahren, insbesondere gegen die Einführung des ius soli, diskutiert. Für Unionsbürger*innen und Schweizer*innen wird Mehrstaatigkeit schon hingenommen, § 12 Abs. 2 StAG. Daher ist die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit für alle Betroffenen ein längst überfälliger und konsequenter Schritt.
Beim Ausbürgerungsrecht geht es in Abgrenzung zu dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit um ihren Erhalt und damit um das Vertrauen auf die deutsche Zugehörigkeit. De lege lata kann der Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit sowohl durch Mehrfachstaatsangehörigkeit als auch durch „illoyales“ Verhalten gefährdet werden. Die Verlustgründe „auf Veranlassung des Staats“1) – in Abgrenzung zu denen auf Veranlassung „des Individuums“, wie etwa der Verzicht (§ 26 StAG) und die Entlassung (§§ 18 ff. StAG) – offenbaren ein ihnen zugrundeliegendes objektives sowie ein getarnt-subjektives Exklusivitätsprinzip bei der Zuordnung von Menschen zu Staaten, das der unbedingten Akzeptanz von Mehrstaatigkeit entgegensteht. Das jeweilige Exklusivitätsprinzip hat auch Konsequenzen für das Staatsverständnis. Die in bestimmten Konstellationen bereits hingenommene Mehrstaatigkeit und unterstellte Loyalität zeigen außerdem, dass von dem Exklusivitätsprinzip selektiv abgewichen wird.
Vermeidung von Mehrstaatigkeit als Ausdruck eines objektiven Exklusivitätsprinzips
Die Anzahl der Staatsangehörigkeiten entscheidet als „objektives“ Kriterium über den Erhalt der Staatsangehörigkeit – exclusivity at its best. Dies zeigt sich an den Verlustgründen „Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit“ (§ 25 StAG), „Annahme als Kind durch einen Ausländer“ (§ 27 StAG) und die „Optionspflicht“ (§ 29 StAG). Als Regelungszweck haben diese Verlustgründe gemeinsam, dass Mehrstaatigkeit in bestimmten Konstellationen vermieden werden soll.
Beim freiwilligen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit liegt das auf der Hand. Der Verlust tritt jedoch nicht ein, wenn ein*e Deutsche*r die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU, der Schweiz oder eines Staats erwirbt, mit dem die Bundesrepublik einen völkerrechtlichen Vertrag abgeschlossen hat, § 25 Abs. 1 S. 2 StAG. Das Herkunftsland bestimmt über die Vermeidung oder Akzeptanz der Mehrstaatigkeit. Auch bei der Adoption eines/einer Minderjährigen mit deutscher Staatsangehörigkeit durch eine*n Ausländer*in hängt der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit damit zusammen, dass der/die Betroffene durch die Adoption die Staatsangehörigkeit des/der Adoptierenden erwirbt. Als Grund für den Verlust wird die Gewährleistung einer staatsangehörigkeitsrechtlichen Familieneinheit genannt.2) Dass diese nicht auch gewahrt werden kann, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich bestehen bleibt, wie es auch in gewissen Konstellationen vom Gesetz (§ 27 S. 3 StAG) vorgesehen wird, offenbart die selektive Handhabung im Umgang mit Mehrstaatigkeit. Die Optionsregelung wiederum hatte in ihrer ursprünglichen Fassung bis Ende 2014 als explizites Regelungsziel, dauerhafte Mehrstaatigkeit bei einem Ius-Soli-Erwerb auszuschließen. Die aktuelle Fassung des § 29 StAG akzeptiert dauerhafte Mehrstaatigkeit von Ius-Soli-Deutschen, sofern die Betroffenen in Deutschland aufgewachsen sind. Auch hier geht die Akzeptanz der Mehrstaatigkeit mit gewissen Bedingungen einher.
Diese objektive Form der Bestimmung von Exklusivität sagt auch etwas über das Staatsverständnis aus: Der Staat wird fast schon technisch als Territorialstaat gedacht, in Abgrenzung zu einem Personenverbandsstaat, in dem dessen Angehörige anhand „objektiver“ Kriterien, nämlich der Anzahl der Staatsangehörigkeiten zugeordnet werden. Deswegen beruht diese Form der Zuordnung auf einem objektiven Exklusivitätsprinzip.
Illoyalität als Feigenblatt eines getarnt-subjektiven Exklusivitätsprinzips
Dass Exklusivität auch „subjektiver“ Natur sein kann, zeigen die Verlustgründe „Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staats“ und „Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ (§ 28 StAG). Im Unterschied zu den oben genannten Verlustgründen ist die Vermeidung von Mehrstaatigkeit nicht vordergründiger Regelungszweck der Verlustgründe, auch wenn die beiden Regelungen nur auf Mehrstaater*innen anwendbar sind. Vielmehr wird der Verlust der Staatsangehörigkeit in diesen Fällen vom Gesetzgeber damit begründet, dass das jeweilige Verhalten als eine „Abwendung von Deutschland und Hinwendung zu einem ausländischen Staat/einer terroristischen Vereinigung“ interpretiert wird. Die Zielsetzung des 2019 in Kraft getretenen § 28 Abs. 1 Nr. 2 StAG begründet die Bundesregierung mit dem bestehenden § 28 Abs. 1 Nr. 1 StAG, den sie als „(…) gravierenden, den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach sich ziehenden Fall der Illoyalität ansieht“. Die Gesetzesbegründung suggeriert, dass Loyalitätspflichten im Staatsangehörigkeitsrecht existieren, deren Verletzung zum Verlust von Staatsangehörigkeit führen können. Zwar waren entwicklungsgeschichtlich Loyalitätspflichten ein zentrales Element der Angehörigkeitsbeziehung zwischen Vasallen und Lehnsherrn in der Feudalgesellschaft, die die heutigen Strukturen des Staatsangehörigkeitsverhältnisses mitgeprägt haben. Im geltenden Staatsangehörigkeitsrecht findet man auf Verlustebene allerdings keine ausdrücklichen Loyalitätspflichten, anders als beispielsweise im Beamtenrecht. Inwiefern dennoch heutzutage implizit Loyalitätspflichten eine Rolle auf Verlustebene spielen, wie es die Gesetzesbegründungen suggerieren, ist in der Literatur umstritten. Die Beziehungen zwischen Bürger*innen und Staat entsprechen gerade nicht mehr mittelalterlichen Personenverbänden, in denen die Erfüllung von Loyalitätspflichten ein Bestandteil ihres gegenseitigen, hierarchischen Verhältnisses waren. Je nach Staatsbürgerschaftsverständnis kommt man hier zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Daneben zeigen diese Verlustgründe, dass der Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit an subjektive Kriterien, sei es der „illoyale“ Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staats oder die „loyale“ Einhaltung von bestimmten Werten, wie der freiheitlich demokratischen Grundordnung geknüpft wird. Diese Bedingungen tangieren nur bestimmte Personengruppen, wie Mehrstaater*innen und teilweise nur bestimmter Herkunftsländer. Beispielsweise gilt eine Zustimmung für den Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staats für die Deutschen als erteilt, die zugleich die Staatsangehörigkeit von einem EU-Staat, EFTA oder NATO Staat besitzen oder von einem Staat der Länderliste nach § 41 Abs. 1 AufenthaltsVO.
Diese Selektivität der Regelungen, die mit unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt wird (Verbot des Eintritts von Staatenlosigkeit, potentieller Staatenkonflikt), gründet letztendlich auf der Anname, dass Personen mit verschiedenen Zugehörigkeiten letztlich nur zu einem Staat wirklich loyal sein können. Das wiederum erinnert an Angehörigkeitsbeziehungen in einem Personalverbandsstaat, die von gegenseitigen, persönlichen Abhängigkeiten geprägt sind. In einem solchen Verhältnis genießen Loyalitätspflichten einen anderen Stellenwert als beispielsweise in einem Territorialstaat. Dies birgt die Gefahr, dass die Entscheidung über den Verlust der Staatsangehörigkeit an subjektive Wertvorstellungen oder politische Haltungen geknüpft wird.
Dabei tarnt das Loyalitätsargument, dass auch die beiden Verlustgründe subjektiv exklusiver Natur sind. Die Tarnung ermöglicht eine Verschiebung der „Schuld“ an dem Verlust der Staatsangehörigkeit auf das Individuum, obwohl eigentlich der Staat das Loyalitätsverhältnis mit einer bestimmten Erwartungshaltung aufmacht. So erst kann bestimmtes „freiwilliges“ Verhalten (mit Auslandsbezug) als illoyal und damit als Abwendung von Deutschland übersetzt werden, um den Verlust von Staatsangehörigkeit zu rechtfertigen.
Fazit
Das aktuelle Reformvorhaben, das insbesondere zur Akzeptanz von Mehrstaatigkeit einen Paradigmenwechsel einleiten könnte, bietet die Chance, den Blick auch auf das Ausbürgerungsrecht zu lenken und die dort verankerten objektiven und getarnt-subjektiven Exklusivitätsvorstellungen zu überdenken. Vor allem die selektive Handhabung von Exklusivität überzeugt in der Sache nicht und steht einer umfassenden Einführung von Mehrstaatigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht noch entgegen.