Wie Geld oder Gold
Der Beginn der europäischen Blockchain-Regulierung vernachlässigt Unionsgrundrechte
Das Bitcoin-Whitepaper datiert von 2008. Seitdem hat Bitcoin eine enorme Aufmerksamkeit und Wertzuschreibung erfahren, und dabei in einer Distanz zu Staat und Recht gestanden, die gut zu seinen libertären Idealen passt. Mit dem Erfolg kommt nun aber die Regulierung, die kulturabhängig sehr unterschiedlich ausfällt: Während die Volksrepublik China Handel und Mining verbietet, hat in den Vereinigten Staaten eine Executive Order von Präsident Biden eher explorativen Charakter.
In der Europäischen Union werden nun zwei Verordnungen zu Kryptowerten beraten, die Vorgaben für entsprechende Anbieter und Dienstleister machen: MiCA stellt Regeln für “Markets in Crypto Assets” auf, mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Anbieter von Stablecoins und Initial Coin Offerings. Bei den Verhandlungen im ECON-Ausschuss wurde versucht, ein Verbot des proof-of-work-Verfahrens in die Verordnung aufzunehmen, also des Authentifizierungsverfahrens, das u.a. bei Bitcoin die Kette fortschreibt und sichert. Der Berichterstatter im Europäischen Parlament hielt dies für nicht weniger als ein “Todesurteil”. Auslöser des Verbotswunsches sind die Energiekosten des Minings. Einstweilen hat sich eine Fassung durchgesetzt, in der in den Erwägungsgründen (5a, 5aa) auf die energetischen Nachteile des Verfahrens hingewiesen und Veränderungsbedarf angemeldet wird, ohne aber gleich zum Verbot zu schreiten. Eine weitere Verordnung regelt Informationspflichten von nun bankähnlich behandelten Kryptodienstleistern bei Transaktionen zur Vermeidung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung entsprechend der “Travel Rule” (im Folgenden Crypto Travel-Verordnung). Sie orientiert sich weitgehend an den Empfehlungen der FAT. Insgesamt adressiert die Union damit zwei zentrale Bereiche, in denen Kryptowährungen potentiell negative externe Effekte produzieren.
Wie tief die gerade erst im Entstehen begriffene europäische Regulierung das Krypto-Ökosystem treffen könnte, zeigt schon der Versuch des proof-of-work-Verbotes. Dass damit auch Grundrechtseingriffe verbunden sind, erkennen die Entwurfsbegründungen und die damit verbundenen Diskussionen nicht. Es ist daher höchste Zeit, einen Blick auf den grundrechtlichen Rahmen der anlaufenden Blockchain-Regulierung zu werfen – er ist weitestgehend unbesprochen.
Blockchain, Proof-of-Work und selbstgehostete Wallets
Eine Blockchain ist eine Anwendung der Distributed Ledger-Technologie, bei der Daten dezentral und konsensual gespeichert werden. Bitcoin, auf die sich die folgende Darstellung aufgrund ihrer Bedeutung bezieht, verwendet diese Technik zur Etablierung einer digitalen Währung: “…an electronic payment system based on cryptographic proof instead of trust, allowing any two willing parties to transact directly with each other without the need for a trusted third party”.1)
“Währung” ist bei Bitcoin untechnisch zu verstehen: Er ist rechtlich kein gesetzliches Zahlungsmittel und ökonomisch bisher ein Gut, das nicht primär gegen Waren, sondern gegen Euro und Dollar getauscht wird. Die Verordnungen sprechen daher von “Kryptowerten”. Sie funktionieren wie eine Art “digitales Gold”, ohne sich jedoch im Preis invers zur Zins- und Inflationsrate zu verhalten. Selbst wenn sie direkt gegen Güter getauscht werden, hängt die Menge zu zahlender Bitcoin an ihrem Marktpreis bei Umtausch in Dollar und Euro. Ob Geld oder Gold: Weil die Technik digitale Knappheit ermöglicht, können Datenspeicher als Wertspeicher funktionieren.
Bitcoin können über das Blockchain-Protokoll unmittelbar zwischen Inhabern transferiert werden. Wie bei Transaktionen mit Bargeld sind sie dafür nicht auf Mittelsmänner, regelmäßig Banken, angewiesen. Die Bitcoin-Blockchain speichert alle diese Transaktionen und ist öffentlich einsichtig. Diese Transparenz wird durch den Umstand ausgeglichen, dass Nutzer unter öffentlichen Schlüsseln und damit unter Pseudonymen agieren – die Inhaberschaft hängt an der Kenntnis von Schlüsselpaaren. Einem öffentlichen Schlüssel, dem ein Wert zugewiesen ist und einem privaten Schlüssel, der, insofern einem Passwort vergleichbar, die Kontrolle über die dem öffentlichen Schlüssel zugewiesenen Werte gibt. Inhaber speichern Schlüssel in sogenannten “selbstgehosteten” Wallets, im Gegensatz zu „gehosteten“ Wallets, in denen ein Kryptodienstleister als Treuhänder die Schlüssel verwahrt.
Transaktionen werden der Kette als neue Blöcke hinzugefügt. Das Schaffen eines neuen Blockes heißt Mining und wird mit Transaktionsgebühren und neuen Bitcoin belohnt. Die “Geldmenge” ist dabei begrenzt. Mining erbringt immer weniger Bitcoin und ab einem Zeitpunkt in der Zukunft lediglich die Transaktionsgebühren. Die Tätigkeit ist für den Fortbestand der Bitcoin-Blockchain notwendig, denn sie ersetzt den Mittelsmann, der eine Verbuchung vornimmt und abwickelt. Mining ist damit nicht nur eine früher eher aus ideellen, heute aus wirtschaftlichen Motiven vorgenommene Handlung, sondern auch eine Bedingung für die Fortsetzung der Blockchain. Proof-of-work ist dabei nicht das einzige mögliche Konsensverfahren zur Fortsetzung der Kette. Proof-of-stake ist eine bekannte Alternative, auf die etwa die nach Bitcoin zweitwichtigste Etherium-Blockchain umzustellen plant. Weil die Chance, einen neuen Block hinzuzufügen, hier nicht am Aufwand außerhalb der Kette (Rechenleistung, damit Energie) liegt, sondern am vorhandenen Vermögen auf der Kette, handelt es sich um ein reichlich oligarchisches Verfahren, dem viele weniger Vertrauen entgegenbringen. Unter Sicherheitsaspekten hat der Energieverbrauch des proof-of-work jedenfalls den Vorteil, dass die Kette verlässlicher ist, gerade weil er einen echten Aufwand in der analogen Welt voraussetzt. Als Nachteil stehen dem die potentiell umweltschädigenden Folgen des hohen Energieverbrauchs gegenüber.
Grundrechts-Apathie der Regulatoren?
Sowohl das einstweilen gescheiterte proof-of-work-Verbot als auch die Informationspflichten für Dienstleister treffen die Inhaber von Kryptowerten über Eck: einmal mit Blick auf das Arbeitsverfahren, ohne das dem Netzwerk Stillstand droht, ein anderes Mal hinsichtlich der Regulierung seines Ein- und Ausgangs, der Schnittstelle mit dem fiat-Geldsystem. Blockchain und Grundrechte werden dabei kaum ins Verhältnis gesetzt.2) Die Entwurfsbegründungen der EU-Kommission selbst sind hier keine Ausnahme. So heißt es in der zu MiCA beim Thema Grundrechte, der Vorschlag “dürfte keinerlei direkte Auswirkungen auf die Rechte haben, die in (…) der untrennbar zu den EU-Verträgen gehörenden Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) niedergelegt sind.“ Die Crypto Travel-Verordnung macht es sich mit einem allgemeinen Grundrechtsbekenntnis noch leichter: ”Die EU hat sich der Gewährleistung hoher Standards für den Schutz der Grundrechte verschrieben.”
Das ist seltsam: Selbstverständlich genießen Kryptowerte, beziehungsweise der Umgang mit ihnen, Grundrechtsschutz. Einschränkungen sind gleichwohl möglich, aber jede Blockchain-Regulierung muss diesen grundrechtlichen Rahmen beachten, insbesondere verhältnismäßig sein. Dies könnte einen weiteren Vorteil haben: In einem Meinungsfeld, in dem einerseits Enthusiasten jede staatliche Regelung als übergriffig empfinden, und andererseits den Apologeten des Status quo insgeheim die chinesische Lösung die liebste ist, kann die Beachtung des grundrechtlichen Rahmens auch dazu beitragen, die Argumentation zu strukturieren. Dass sich die Regulierungsdiskussion bisher der Sprache der Grundrechte entzieht, ist unabhängig vom Ergebnis einer vorzunehmenden Abwägung bedauerlich.
Während in Deutschland der Sachbegriff des BGB den Kryptowerten den Zugang zum Eigentum verstellt, werden sie in anderen Mitgliedsstaaten mit weitem Sachbegriff als Eigentum begriffen. Sie fallen damit in den Schutzbereich des Art. 17 Abs. 1 GRCh. Mining wird zudem als Beruf und unternehmerische Tätigkeit von Art. 15, 16 GRCh geschützt. Eine die transparente Architektur der Blockchain balancierende, pseudonymisierte Schlüsselnutzung hat außerdem eine offensichtliche Datenschutz-Implikation: Ohne Schutz der Pseudonyme sind deren Teilnehmer einer totalen und dauerhaften Visibilität ausgesetzt. Damit sind auch die Art. 7, 8 GRCh betroffen. Schließlich mögen Unterschiede in der Regulierung von Kryptoanbietern, Banken und Börsen grundsätzlich gerechtfertigt sein, können aber Gleichbehandlungsprobleme erzeugen.
Wallets-Dienstleister als Torwächter
Bitcoin ist wie eine Währung einsetzbar, wenn durch Transaktionen von Wallet zu Wallet Güter bezahlt werden. Andererseits funktioniert er als Wertanlage. Als solche wird er gegen Dollar und Euro getauscht. Dieser Tausch findet regelmäßig über bank- und börsenanaloge Unternehmen statt, die Bitcoins e.a. auch als Treuhänder aufbewahren. Diese Kryptodienstleister werden nun banküblichen bzw. verschärften Meldepflichten unterworfen, die auch greifen, wenn Bitcoin e.a. auf Schlüssel überwiesen werden, die nicht Dienstleister als Treuhänder, sondern die tatsächlichen Berechtigten kontrollieren. Wallets werden insofern reguliert, als dass sie dann mit einem Klarnamen verbunden werden müssen, wenn sie Transaktionen nicht mit einem anderen Wallet, sondern mit einem Dienstleister tätigen. Kryptodienstleister funktionieren so als Wachposten am Ein- und Ausgang des Ökosystems: Immer dann, wenn fiat-Geld in Krypto getauscht wird und vice versa. Parallel zum Umgang mit echtem Geld ist der Transfer über das Protokoll genauso wie Bargeld-Austausch möglich. Aber die Finanzindustrie wird reguliert. Damit ist der Vorteil verbunden, Compliance-Pflichten auf breite Schultern zu laden.
Der Bargeld-Vergleich hinkt aufgrund der Transparenz der Kette. Wenn ich Bargeld abhebe, wird dies zwar ab einer bestimmten Höhe auch gemeldet, jedoch ist nur der erste Schritt sichtbar. Bei Bitcoin ist schnell der ganze Weg per Blockchain nachvollziehbar. Wenn ich Ein- und Ausgang kenne, kann ich oft genug den Weg dazwischen nachvollziehen. Freilich lassen sich Coins zwischen Schlüsseln, die sich per Dienstleister mit Klarnamen verbinden lassen, beliebig viele anonyme Schlüssel verwenden (was wiederum Transaktionskosten schafft). Außerdem gibt es Hilfsmittel, Zahlungsströme durch Stückelung oder Bündelung zu verbergen. Je mehr Bitcoin tatsächlich wie Fiat-Geld eingesetzt wird, desto notwendiger – oder begehrlicher – wird es, peer-to-peer-Zahlungen nachzuvollziehen. Das gilt für die Kette genau wie aufsetzende Technologien wie Lightning-Netzwerken. Insofern scheint es unsicher, ob die Überwachung lange an den Schnittstellen mit dem Fiat-System haltmachen wird.
Externalitäten und der ideelle Kern einer Währung
Während MiCA in der im ECON-Ausschuss beschlossenen Form einen maßvollen Eindruck macht, bleibt die Frage, ob auch ein proof-of-work-Verbot grundrechtlich möglich wäre. Dabei kann es hier nicht um eine gutachterliche Bewertung gehen. Einige abwägungsrelevante Umstände und Belange lassen sich dennoch formulieren.
Ganz ohne Zweifel ist Klimaschutz ein wichtiges Anliegen, das Regulierung rechtfertigt. Doch auch die muss verhältnismäßig sein. Und ein milderes Mittel ist jedenfalls eine Verpflichtung zur Nutzung von erneuerbarer Energie. Zur Nutzung erneuerbarer Energien zu verpflichten, wird als Alternative von den Proponenten eines Verbotes abgelehnt, weil das Verfahren auch Verschwendung von erneuerbare Energie sei, so etwa die schwedische Finanzaufsicht sowie die schwedische Umweltbehörde in einer gemeinsamen Erklärung. Negative Externalitäten einzupreisen ist das eine, das komplette Verbot einer Freiheitsausübung das andere – letztlich findet das Verbot seinen Grund in der Überzeugung, dass es Bitcoin und Co. nicht wert sind. Das zu entscheiden ist jedoch Sache der Freiheitsträger, nicht des Staates. Äußerungen von staatlichen Behörden wie Zentralbanken und Finanzaufsicht sind ohnehin mit einem Korn Salz zu genießen, adressieren sie schließlich neue Konkurrenten. Das Argument, das bestimmten Grundrechtsausübungen letztlich grundsätzlich wertlose Vergeudung unterstellt, ist jedenfalls ökonomisch wie ideell bedenklich – mit juristischen Folgen.
Ökonomisch geht das Argument von einem statischen Markt aus – dabei kann der Mehrbedarf durch Mining auch zu erhöhten Investitionen in erneuerbare Energien führen und so einen positiven Effekt haben. Das Mining folgt einem ökonomischen Kalkül aus Stromkosten und Bitcoin-Preis, das ganz klassisch durch Einpreisen der Externalitäten reguliert werden kann. Aufgrund der hohen europäischen Energiekosten wird in der EU im Übrigen kaum gemint. Verbote verdrängen das Mining nur weiter in Länder ohne CO2-Regime. Hinsichtlich der Folgen wäre es besser, Öko-Mining hier zu fördern und, ähnlich wie in Teilen der energieintensiven Industrie, eine Vorbild-Funktion zu gewinnen. Ein Konflikt Bitcoin versus ESG, wie Peter Thiel ihn herbeiredet, wird jedenfalls durch ein Verbot wahrscheinlicher.Das Argument, man könne doch auf proof-of-stake umsteigen, verpflichtet auf eine bestimmte Technologie und erzeugt Pfadabhängigkeiten, ist für Bitcoin als wichtigster und wirklich dezentraler Krypto-Währung im Übrigen nicht durchsetzbar.
Vor allem aber geht die Vorstellung von Bitcoin als Kabale von Codern und Finanzhaien am ideellen Kern der “Währung” vorbei. De facto eine Währung zu verbieten, berührt mehr Grundrechtsgehalte als ein Verbot von personalisierter Werbung oder Kraftfahrzeugen ohne Katalysator. Währungen haben regelmäßig einen ökonomischen use case, aber auch einen politischen Überschuss: Einheiten einer Währung verkörpern Werte, die Währung als Ganzes trägt regelmäßig eine Idee und impliziert eine organisatorische Präferenz. Der Dollar repräsentiert die Vereinigten Staaten mit allem, was dazu gehört. Der Euro ist das Symbol der europäischen Einigung. Und der Bitcoin? Er verkörpert die Hoffnung auf die technische Realisation von Freiheit. Es steht einer politischen Gemeinschaft wie der EU, die sich ihrer Selbstbeschreibung nach auf Vielfalt und Freiheit gründet, schlecht zu Gesicht, das Experimentieren mit einer technischen Verwirklichung dieser Werte zu verbieten.
References
↑1 | Bitcoin-Whitepaper, S. 1; zur Technologie im Währungskontext Prasad, The Future of Money, S. 106 ff.; zur Kultur Mangold, Das schlaue Gold; zur Demographie der Nutzer und ihren Motiven Auer/Tercero-Lucas, Distrust or speculation? The socioeconomic drivers of US cryptocurrency investments; zu rechtlich wie technisch verwandten NFT Lennartz/Kraetzig: Kette ins nichts?: Blockchain als Regulierungsproblem, VerfBlog, 2022/2/26 |
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↑2 | siehe aber Rueckert, Cryptocurrencies and fundamental rights, Journal of Cybersecurity, Volume 5, Issue 1, 2019 |
Libertär? Zur Durchsetzung greift man dann doch gerne auf die Staaten und ihre Justiz zurück und ist dankbar dafür, dass es sich nicht um minimal states (oder Inseln …) handelt … passende Lektüre: Pistor: Der Code des Kapitals!