Wieso das N-Wort nie die richtige Bezeichnung für Schwarze Menschen ist
Wenn es um die Verwendung des N-Wortes geht, scheiden sich in Deutschland die Geister: Während es sich wohl für viele Personen um ein Unwort handelt, welches unter keinen Umständen verwendet werden sollte, stört sich manch andere*r an nicht an dem Wort oder verwendet es vielleicht sogar ganz bewusst. Immer wieder wird der Begriff auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Ein aktuelles Beispiel bietet ein Landtagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern: Er hatte während einer parlamentarischen Debatte mehrfach das N-Wort verwendet, weshalb die Vizepräsidentin des Landtages, Frau Dr. Mignon Schwenke, ihm einen Ordnungsruf erteilte. Gegen diesen Ordnungsruf zog er vor das Landesverfassungsgericht, welches letztlich zu seinen Gunsten entschied. Nach Auffassung der Richter*innen war die Erteilung des Ordnungsrufs nicht rechtmäßig, weil die Vizepräsidentin nicht ausreichend zwischen den einzelnen Nennungen des N-Wortes differenziert hatte. So sei nicht in jedem Fall zu bejahen, dass die Nutzung des Begriffs die Würde des Hauses verletzte – es käme stets auf den Kontext an. Was das Urteil vermittelt ist, dass das N-Wort nicht per se menschenverachtend und somit entwürdigend für die parlamentarische Debatte ist. Dass in dem konkreten Fall die Einstufung als nicht entwürdigend nicht nachvollziehbar ist, wurde bereits in einem Beitrag auf dem Verfassungsblog erörtert.
Als Reaktion auf das Urteil startete die Hamburger Aktivistin Charlotte Nzimiro eine Petition, mit der die rechtliche Anerkennung des rassistischen Charakters des N-Wortes erwirkt werden soll. Darüber hinaus gründete sich die Kölner Initiative „N-Wort Stoppen“, die durch Onlineveranstaltungen und Demos in verschiedenen Städten mehr Aufmerksamkeit in der Zivilgesellschaft für die Problematik hinsichtlich des N-Worts erregen möchte. Ein erster Schritt in die richtige Richtung erfolgte durch den Beschluss des Rates der Stadt Köln, das N-Wort künftig zu ächten.
Die negativen Konnotationen, die mit dem Begriff verbunden sind, sprechen dafür, dass das Wort in jedem Falle vermieden werden sollte. Nachfolgend soll deshalb dargestellt werden, wieso der Begriff vor dem Hintergrund seiner Geschichte, sowie seiner Bedeutung für Betroffene, niemals die richtige Bezeichnung für Schwarze Menschen sein kann.
Der Begriff
Schaut man sich das N-Wort zunächst aus einer etymologischen Perspektive heraus an, so ist festzustellen, dass der Begriff von dem spanischen Wort für Schwarz, „Negro“ stammt, welches seine Wurzeln wiederum im lateinischen „Niger“ findet. Der Impuls einiger vehementer Verteidiger*innen des Begriffs ist es, bei dieser vermeintlich bloßen Übersetzung zu bleiben und somit für die Neutralität des N-Wortes zu plädieren. Wie schlimm kann der Begriff schon sein, wenn er übersetzt nur „schwarz“ bedeutet? Eine solche Deutung des Wortes greift jedoch zu kurz.
Der Begriff des „N“ wurde im Zuge der Entwicklung der Rassentheorien im 18. Jahrhundert in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch integriert. Die Verknüpfung mit den rassentheoretischen Denkweisen zeigt, dass der Begriff von Anfang an kein neutrales Wort dargestellt hat. Die Kategorisierung von Menschen als „N“ bedeutete nie bloß die wertfreie Feststellung der dunklen Hautfarbe; vielmehr war und ist der Begriff mit vermeintlichen Eigenschaften verbunden: Der „N“ ist primitiv, animalisch, ignorant, faul, unrein, chaotisch usw. (Grada Kilomba, Plantation Memories, 5. Aufl. 2019, 101). Die Rassentheorien rechtfertigten die Unterdrückung und Versklavung der Bevölkerungen in den Kolonien, sodass die Kolonialherren, sowie die Bevölkerung der Staaten aus denen sie stammten, nicht das Gefühl hatten, fremden, aber dennoch ebenbürtigen Menschen Unrecht anzutun. Vielmehr erschien die koloniale Expansion wie ein Recht des Weißen, welches unmittelbar aus seiner Position in der vermeintlichen Rassenhierarchie resultierte. Es wurde somit vermittelt, dass die Expeditionen fast einem Geschenk für die wilden „N“ glichen, weil diese noch weit von der Zivilisation entfernt zu sein schienen. Untrennbar mit dem N-Wort verbunden ist also das Bild eines minderwertigen Menschen, eines Menschen minderer Würde. Die Verwendung des Wortes perpetuiert diese Vorstellung über Schwarze Menschen noch heute. Zu behaupten, es handle sich um eine neutrale Bezeichnung, verkennt den geschichtlichen Hintergrund des Begriffs – und so funktioniert Sprache nicht.
Die Konsequenzen
Aus diesen sprachlichen und historischen Erwägungen dürften sich auch Konsequenzen für die Rechtswissenschaft ergeben. Denn sofern es um die juristische Wertung des Begriffs geht, darf die tatsächliche Bedeutung des N-Wortes nicht außer Acht gelassen werden. Dennoch wurde z.B. im zuvor genannten Urteil bis ans Äußerste versucht, die Benutzung des Wortes zu legitimieren. Derartige Legitimationsversuche erscheinen bereits im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG problematisch. Dieser sieht die Unantastbarkeit der menschlichen Würde vor und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Wenn aber die Benutzung des N-Wortes – welches aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und seines Bedeutungsgehalts seinen dehumanisierenden Charakter förmlich aufzwingt – auch außerhalb von sachlichen Auseinandersetzungen legitimiert werden kann, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob denn die Würde aller Menschen gleichermaßen geschützt ist.
Die Menschenwürde iSd Art. 1 Abs. 1 GG impliziert einen sozialen Achtungsanspruch, der jedem Menschen aufgrund seiner Eigenschaft als solcher zukommt. Eine Verletzung der Menschenwürde können solche Verhaltensweisen darstellen, die der/dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch absprechen. Das BVerfG verlangt dabei mehr als eine bloße Ehrverletzung – vielmehr muss der Person das „[…] Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt […]“ werden. Genau dies bedeutet das N-Wort für Betroffene: Wie zuvor angeführt, impliziert der Begriff des „N“ per Definition die absolute Minderwertigkeit Schwarzer Menschen, sowie ihre dienende Funktion zu Gunsten „höherwertiger“ Menschen. Zwar werden Schwarze heute nicht mehr als Hofmohren gehalten, nicht mehr im Rahmen von sogenannten Völkerschauen wie exotische Tiere präsentiert und in Afrika nicht mehr von Kolonialherren ausgebeutet und aufs Härteste bestraft (zu Letzterem: Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 7. Aufl. 2018, 246f.). Aber die historische Tragweite der Klassifizierung Schwarzer Menschen als „N“ bleibt. Die Benutzung des N-Wortes zu akzeptieren impliziert, dass die Erlebnisse Schwarzer Menschen nicht gravierend genug waren, um den Schmerz, der im Zuge der Konfrontation mit dem Begriff bei den Betroffenen aufkommt, zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu behandeln. Wenn Menschen vor so einem historischen Hintergrund nicht darüber entscheiden dürfen, wie sie (als Kollektiv) genannt werden, ist dies entwürdigend. Man nimmt ihnen ihre Autonomie und bestimmt ihre Position in der Gesellschaft, ihre Geschichte und damit gewissermaßen auch ihre Zukunft.
Ein weiterer Faktor, aus dem sich ein Anreiz für einen sensibleren Umgang mit dem Thema Rassismus insgesamt – und somit auch mit dem N-Wort – ergeben könnte, ist die im Konsens verabschiedete Resolution 68/237, mit der die Generalversammlung der Vereinen Nationen im Dezember 2013 die „Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung“ ausgerufen hat. Ziel ist die verstärkte Bekämpfung der Diskriminierung und Marginalisierung von Schwarzen. In Deutschland erfolgte die Umsetzung bisher durch unterschiedliche Veranstaltungen, wie z.B. der PAD-Week im November 2019, in deren Rahmen ein Austausch zwischen Politik und Gesellschaft stattfand.
Auch wenn die Resolution der UN-Generalversammlung völkerrechtlich nicht bindend ist, so drückt sie als konsensual verabschiedete Resolution doch den politischen Willen der internationalen Gemeinschaft aus. Daher liegt es in unser aller Interesse, diese Dekade zu nutzen, um effektiver gegen Anti-Schwarzen-Rassismus vorzugehen – ansonsten bleibt die Resolution in Deutschland leider eine leere Hülle. Für die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Problematik spricht auch ein Bericht einer Arbeitsgruppe von Expert*innen des Menschenrechtsrats der UN. Darin bekundet die Arbeitsgruppe ihre Besorgnis über die Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland, aufgrund der von ihnen gemachten Erfahrungen mit Rassismus und wiederkehrenden Konfrontationen mit negativen Stereotypen. Als Beispiele dafür, wie sich Rassismus in Deutschland manifestiert, nannte der Bericht unter anderem das sogenannte „Racial Profiling“, die äußerst lückenhafte Aufklärung von Fällen wie den Fall des in einer Zelle verbrannten Oury Jalloh, sowie die Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt.
Das Fazit
Es ist also wichtig, Betroffene in die Diskussion über die „Legitimität“ der Verwendung des N-Wortes miteinzubeziehen und ihre Perspektive entsprechend zu würdigen. Denn der Begriff hat für Schwarze Menschen reelle Auswirkungen und ist somit nicht nur auf rhetorischer Ebene zu betrachten. Er impliziert auch mehr als eine „einfache“ Beleidigung. Als „N“ bezeichnet zu werden bedeutet, dass man aufgrund seiner bloßen Existenz als Schwarzer Mensch eine Angriffsfläche darstellt, an der sich Menschen vorbehaltslos auslassen können. Der Begriff vermittelt die Minderwertigkeit der eigenen Person. „N“ genannt zu werden bedeutet, dass die eigenen Gefühle und Emotionen nicht wichtig genug sind, als dass das Gegenüber darauf Rücksicht nehmen müsste und Empathie empfinden könnte. Als „N“ bezeichnet zu werden heißt, stets fremd im eigenen Land zu bleiben. Wer ernsthaft etwas gegen Rassismus unternehmen möchte, der muss bei der Sprache beginnen. Und dabei darf es nicht länger nur darauf ankommen, wie der sich Äußernde den Begriff versteht oder gemeint hat, sondern es muss darauf ankommen, was der Begriff tatsächlich bedeutet – was seine gesamte Historie und alle damit verbundenen Implikationen miteinschließt.