Scharf, lückenhaft, unterbelichtet
Wie wehrhafte Demokratie in Österreich funktioniert
Vor kurzem wurde der Chefredakteur des rechtsextremistischen „Aula“-Magazins in Österreich wegen „Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn“ sowie Verharmlosung des Holocaust zu vier Jahren Haft verurteilt – bislang allerdings nicht rechtskräftig. Das Urteil macht sichtbar, dass sich die liberale Demokratie in Österreich auch von ihrer wehrhaften Seite zeigen kann, um sich gegen Extremismus zu behaupten. Angesichts einer Verfassung, die lange Zeit als „wertneutral“ oder bloße „Spielregelverfassung“ verstanden wurde, ist die Rede von einer wehrhaften Demokratie in Österreich dabei allerdings keineswegs selbstverständlich. Während dieses Konzept in Deutschland Allgemeingut und identitätsprägend ist, wird es in Österreich bislang eher sporadisch verwendet. Dabei verfügt die österreichische Rechtsordnung mindestens seit 1945 über mehrere rechtliche Instrumente zum Schutz der demokratischen Ordnung. Diese sind ziemlich einschneidend, aber sehr selektiv und unsystematisch. Dass trotz dieses Befundes wehrhafte Demokratie in Österreich bisweilen immer noch ein Fremdwort ist, mag also am Fortleben liebgewonnener Verfassungsmythen liegen. Dabei würde es der Begriff der wehrhaften Demokratie erlauben, diese verstreuten Mechanismen dogmatisch zu bündeln und damit überhaupt erst einen kohärenten rechtswissenschaftlichen Diskurs über rechtliche Formen der Verfassungsverteidigung zu eröffnen. Dieser Beitrag versteht sich als Anstoß, diese Debatte – auch grenzüberschreitend – zu führen.
Der Fall „Aula“
Von 2004 bis 2018 leitete der deutsche Staatsbürger und promovierte Jurist Martin Pfeiffer in Österreich das mittlerweile eingestellte Magazin „Aula“. Dieses galt lange als einflussreiches Organ des deutschnationalen und rechtsextremistischen Lagers. Während die FPÖ schon in den 1990er-Jahren zunehmend Abstand von dem selbst ihr zu radikal erscheinenden Blatt nahm, schlug die „Aula“ unter Pfeiffer einen nochmals deutlich extremistischeren Kurs ein. So bezeichnete 2015 in der „Aula“ ein Autor die befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen (Oberösterreich) als „Landplage“, die nach ihrer Befreiung „raubend und plündernd“ durch die Gegend gezogen seien. Eine Anklage wurde wegen dieser Aussagen jedoch zunächst nicht erhoben. Überlebende des Konzentrationslagers klagten in einem medienrechtlichen Verfahren auf Unterlassung, scheiterten aber, weil die Gerichte den einzelnen Klägern die Prozesslegitimation absprachen. Das handelte Österreich eine Verurteilung durch den EGMR ein: Die Klagelegitimation ohne eingehende Prüfung zu verneinen, verletze das aus Art. 8 EMRK abgeleitete Recht auf effektiven Schutz vor Ehrenbeleidigung.
Die österreichische Justiz scheint aus dieser Episode gelernt zu haben. Im jüngsten Strafverfahren wurden Martin Pfeiffer mehr als 300 Äußerungen aus den Jahren 2005 bis 2018 vorgeworfen. Diese umfassten die Verbreitung nationalsozialistischer Rassentheorien, offenen Antisemitismus, die Verherrlichung von NS-Funktionären sowie die Verharmlosung des Holocaust. Pfeiffer verteidigte seine Positionen im Gerichtssaal mit weiteren strafbaren Äußerungen, weshalb die Anklage ad hoc auf diese ausgeweitet wurde. Das Urteil lautet nun auf vier Jahre Freiheitsstrafe.
Das Verbotsgesetz
Rechtsgrundlage dieser Verurteilung ist das Bundesverfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP (VerbotsG), das seit 1945 jede Betätigung im nationalsozialistischen Sinn untersagt. § 3 VerbotsG enthält eine weit gefasste Generalklausel, wonach es jedermann verboten ist, sich „für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen“. Diese wird durch spezifische Straftatbestände ergänzt, etwa zur Wiedererrichtung der NSDAP, zur Werbung für sie oder zur Aufforderung zu nationalsozialistisch motivierten Taten. § 3g erfasst jede sonstige Betätigung „im nationalsozialistischen Sinn“, § 3h verbietet die Leugnung oder Rechtfertigung des Holocaust. Pfeiffer wurde nach diesen beiden Bestimmungen verurteilt. Die Strafdrohungen sind hoch: Sie reichen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, bei qualifizierter Öffentlichkeit oder besonderer Gefährlichkeit bis zu zehn oder zwanzig Jahren. Die Rechtsprechung legt diese Tatbestände traditionell weit aus; bereits der Hitlergruß oder das Zeigen der Zahl 88 genügt. Weder eine konkrete Gefährlichkeit noch ein besonderer Vorsatz sind erforderlich. Entscheidend ist allein, ob das Verhalten geeignet ist, den Geist der NSDAP zu propagieren.
Verfassungsrechtliche Immunisierung
Angesichts dieser vagen Tatbestände und der hohen Strafrahmen ruft das VerbotsG rechtsstaatliche Bedenken hervor. Hinzukommt, dass es verschiedene politische Weltanschauungen manifest ungleich behandelt. Denn das VerbotsG ist von seiner Intention her ein Sonderrecht zulasten einer bestimmten Personengruppe (nämlich Nazis) im größeren Kontext der Entnazifizierung nach 1945. An inhaltsbezogenen Einschränkungen der freien Meinungsäußerung darf man durchaus berechtigte verfassungsrechtliche Zweifel haben, wie der Wunsiedel-Beschluss des BVerfG illustriert. Diese Zweifel wurden in Österreich direkt beim Schopf gepackt und das VerbotsG schlicht als Verfassungsgesetz erlassen. Das ist ein Spezifikum des österreichischen Verfassungsrechts und seiner Praxis: Anders als nach Art. 79 Abs. 1 GG muss Verfassungsrecht nicht in der Stammurkunde des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 untergebracht werden. Es gibt daneben freistehende Verfassungsgesetze sowie einzelne Bestimmungen in einfachen Gesetzen und völkerrechtliche Verträge, die Verfassungsrang haben. Dieser Umstand lädt dazu ein, Gesetze, deren Verfassungskonformität nicht sicher ist, lieber gleich mit Verfassungsrang auszustatten. Innerstaatlich – also vonseiten nationaler Gerichte – sind diese damit unangreifbar. Aber auch der EGMR hat gegen das VerbotsG keine Einwände erhoben. Er begründet das mit Artikel 17 EMRK, der den Missbrauch der Grundrechte zu grundrechtsfeindlichen Zwecken verbietet. Die Förderung des Nationalsozialismus ist laut EGMR ein solcher Zweck. Man kann sich also nicht auf die Meinungsfreiheit des Art. 10 EMRK berufen, wenn man in Österreich nationalsozialistische Propaganda betreibt.
Die Sorge vor überschießender Wehrhaftigkeit
Das VerbotsG ist das schärfste Schwert der wehrhaften Demokratie in Österreich. Es errichtet – um eine Wendung des BVerfG aufzugreifen – ein besonders strenges „kommunikatives Tabu“. Dieser weite Anwendungsbereich erlaubt eine effektive Verfolgung neonazistischer Umtriebe, verlangt aber zugleich äußerste Zurückhaltung in der Anwendung. Das zeigt ein aktueller Fall: Vor einigen Tagen wurde ein Wiener Antiquar angeklagt, weil er über seinen Onlineshop auch eindeutig nationalsozialistische Propagandawerke der 1930er- und 1940er-Jahre verkaufte. Dieses Verhalten reiche aus, den Tatbestand der Wiederbetätigung zu erfüllen, obwohl, wie die Staatsanwaltschaft gleichzeitig einräumte, der Angeklagte weder Nazi noch Rechtsextremist sei. Der Antiquar verwies darauf, dass solche Werke auch in öffentlichen Bibliotheken zugänglich seien und er ohnehin versuche, rechtsextreme Interessenten auszuschließen. Er wurde freigesprochen. Der Fall zeigt, dass die Handhabe des VerbotsG über ihren strafrechtlichen Kontext hinaus von einem breiteren verfassungsrechtlichen Diskurs über Sinn und Grenzen wehrhafter Demokratie profitieren würde.
Ein „stilles“ Parteiverbot
Wie sieht es abseits des Verbots gewisser Äußerungen mit der Möglichkeit aus, auch verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten? Ein ausdrückliches Parteiverbotsverfahren wie in Art. 21 GG kennt die österreichische Bundesverfassung nicht. § 1 Abs. 3 Parteiengesetz erklärt (in Verfassungsrang) die Tätigkeit politischer Parteien grundsätzlich für frei, soweit verfassungsrechtlich „nichts anderes bestimmt ist“. Das Parteiengesetz enthält zwar strenge Finanzierungsregeln, aber keine inhaltlichen Anforderungen an das Programm und nur rudimentäre an die Struktur politischer Parteien. Diese Anforderungen entstehen, nachdem die Parteien ihre Satzung beim Bundesminister für Inneres hinterlegt haben; eine explizite Untersagungsmöglichkeit besteht nicht. Dies wird oft als Ausdruck einer besonders liberalen Parteiendemokratie gewürdigt. Mit den anderen Bestimmungen, auf die § 1 Abs. 3 ParteienG verweist, ist insbesondere das VerbotsG gemeint. Die Parteiengründungsfreiheit gilt ex constitutione jedenfalls nicht für neonazistische Gruppierungen. Ebenfalls damit gemeint ist Art. 9 des Staatsvertrags von Wien-Belvedere aus 1955. Dieser Vertrag mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, durch den Österreich seine volle Souveränität nach der Besatzungszeit zurückgewann, verpflichtet Österreich dazu, gegen faschistische, demokratiefeindliche und kriegshetzerische Gruppierungen vorzugehen. Dieser Artikel, der zunächst nur nach einer völkerrechtlichen Verpflichtung klingt, hat ebenfalls Verfassungsrang und geht schon seinem Wortlaut nach über den Nationalsozialismus hinaus.
Der Verfassungsgerichtshof hat nun aus diesem Normengefüge ein „stilles Parteiverbot“ entwickelt. Er erklärte das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung zu einem unmittelbar anwendbaren Verfassungsprinzip, an dem jede staatliche Tätigkeit auszurichten sei: „Die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit hat sich an diesem Verbot zu orientieren. Es darf kein behördlicher Akt gesetzt werden, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialistischer Wiederbetätigung bedeuten würde.“ (VfSlg. 10.705/1985)
Daraus folgt, dass neonazistische Gruppierungen keinen Parteistatus erlangen können. Verfassungskonform interpretiert ist ihre Satzungshinterlegung automatisch nichtig. Ein Feststellungs- oder Untersagungsverfahren gibt es allerdings trotzdem nicht. Die Behörden setzen das Verbot somit „still“ durch: Alle Behörden und Gerichte müssen in Verfahren mit diesen Gruppierungen jeweils inzident als Vorfrage beurteilen, ob dieses Gebilde möglicherweise aufgrund von NS-Wiederbetätigung nicht wirksam als Partei nach dem ParteienG entstanden ist und darum keine Rechtspersönlichkeit hat. Parteien, die sich ideologisch erst im Laufe der Zeit Richtung Nationalsozialismus entwickeln, verlieren automatisch ihre Rechtspersönlichkeit. Sanktion des „stillen“ Parteiverbots ist demnach, dass der Partei ihre Rechtsfähigkeit entzogen wird. Im Wahlrecht bedeutet dies, dass Wahlvorschläge solcher Gruppierungen zurückzuweisen sind (dazu besteht im Unterschied zur Parteiengründung eine gesetzliche Zuständigkeit). Passiert dies nicht, sind entsprechende Wahlen rechtswidrig und anfechtbar.
Ein lückenhaftes System
Das „stille“ Parteiverbot ist eine Behelfskonstruktion, die den Mangel eines verfassungsrechtlich ausdrücklich geregelten Verfahrens überspielt. Sie beweist damit nur, dass die österreichische wehrhafte Demokratie zwar historisch gewachsen, aber selektiv und unsystematisch ist. Sie richtet sich primär gegen den Nationalsozialismus; allgemeine Schranken für Parteien oder Vereinigungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung auftreten, fehlen. Anders als in Deutschland existiert kein umfassendes Instrumentarium gegen demokratiefeindliche Bestrebungen unterschiedlicher ideologischer Herkunft. Das hat viele Gründe, die man noch genauer erforschen müsste. Einer von ihnen mag sein, dass in Österreich nach 1945 kein verfassungsrechtlicher Neuanfang gemacht, sondern das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 wieder in Kraft gesetzt wurde.
Aufgrund der historischen Erfahrung Österreichs besteht etwa auch keine Vorschrift gegen die politische Betätigung im Sinne des Kommunismus: Mag das KPD-Verbotsurteil des BVerfG aus 1956 vor dem historischen Hintergrund der deutschen Teilung und des kalten Krieges einzuordnen und damit verständlich sein, so war die Lage in Österreich anders: Die KPÖ war 1945 gemeinsam mit ÖVP und SPÖ an der Ausrufung der Unabhängigkeit von Deutschland und der Wiedererrichtung der Republik beteiligt. Die Angst vor dem Kommunismus spielte spätestens nach dem Staatsvertrag von Wien-Belvedere 1955 keine große Rolle mehr; die Kommunisten als politische Kraft ebenso wenig.
Diese Selektivität erklärt auch den Umgang mit dem Islamismus. Soweit islamistische Propaganda nicht ohnehin zu Gewalt oder Terror aufruft, ist sie strafrechtlich nicht erfasst. Gerichtlich strafbar ist die bloße Verbreitung dieser Ideologie nicht. Immerhin wird seit 2014 durch das SymboleG mit Verwaltungsstrafe bedroht, wenn Symbole von radikalislamistischen Organisationen, wie der Al-Kaida, des Islamischen Staates oder der Hamas, gezeigt werden. Versammlungen können nunmehr untersagt werden, wenn sie der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen und mit den Grundwerten einer europäischen Demokratie unvereinbar sind. Das war eine Reaktion auf das türkische Verfassungsreferendum 2017.
Braucht es ein allgemeines Parteiverbotsverfahren?
Vereinzelt wird in Österreich – nicht zuletzt mit Blick auf die AfD-Debatte in Deutschland – über ein allgemeines Parteiverbotsverfahren diskutiert. Das VerbotsG ist auf den Nationalsozialismus zugeschnitten und erfasst „gewöhnlichen“ Rechtsextremismus nicht. Dass Art. 9 des Staatsvertrages seinem Wortlaut nach nicht nur nationalsozialistische, sondern eben auch allgemein Organisationen meint, „welche die Bevölkerung ihrer demokratischen Rechte zu berauben bestrebt sind“ oder gegenüber anderen Staaten eine „feindliche Tätigkeit“ entfalten, und damit das „stille Parteiverbot“ durchaus einen größeren Anwendungsbereich als nur den Neonazismus hätte, ist in der Praxis nicht angekommen. Es wäre aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ratsam, wollte ein Gericht diese Norm eigenständig ausweiten und gegen alle möglichen Gruppierungen einsetzen, die es für verfassungswidrig hält. Parteiverbote gehören zu den schärfsten Eingriffen in den demokratischen Prozess und bedürfen eines breiten gesellschaftlichen Rückhalts und einer intensiven verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung. Der Diskurs in Österreich ist aber wohl noch nicht so weit.
Von der Wichtigkeit des Diskurses
Zusammengenommen ist die Demokratie in Österreich weit weniger schutzlos, als es das Bild von der „wertneutralen Spielregelverfassung“ suggeriert. Dass die einschlägigen Vorschriften und Mechanismen unverbunden nebeneinanderstehen, verweist weniger auf ihre Bedeutungslosigkeit als auf den Bedarf dogmatischer Durchdringung. Der Begriff der wehrhaften Demokratie kann hier ordnend wirken, wenn man nur bereit wäre, traditionelle Narrative zu überwinden. Würde das Konzept der wehrhaften Demokratie im österreichischen Diskurs stärker rezipiert, rückten auch die verstreuten Instrumente demokratischer Selbstverteidigung vermehrt in den Fokus rechtswissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Diese würde dem Bereich gut tun. Die außergewöhnliche Weite und Schärfe des VerbotsG verlangt eine zurückhaltende Anwendung. Fälle wie jener des Wiener Antiquars zeigen, dass die Grenze zwischen legitimer Strafverfolgung und unverhältnismäßiger Kriminalisierung zu verschwimmen droht. Zugleich offenbart sich eine strukturelle Asymmetrie: Während der Nationalsozialismus mit verfassungsrechtlicher Kompromisslosigkeit bekämpft wird, fehlt ein vergleichbarer Umgang mit anderen demokratiefeindlichen Ideologien. Diese Ungleichbehandlung ist zwar historisch erklärbar, aber deshalb nicht problemfrei. Inhaltlich stellt sich damit die Frage, wie der Schutz der demokratischen Ordnung über den historischen Ausgangspunkt des Nationalsozialismus hinaus weiterentwickelt werden kann. Funktional verschiebt sich das zentrale Regelungsfeld dabei außerdem aus dem Parteien- und Vereinsrecht in den digitalen öffentlichen Raum. Viel Stoff also für weitere, auch politisch engagierte Rechtswissenschaft. Wehrhafte Demokratie als politikwissenschaftlich und verfassungsdogmatisch ausformuliertes Konzept kann dafür der Schlüssel sein.



