Verfassungsrecht in Paris
Zwei Wochen konnte ich als Professeur Invité das Institut Michel Villey der Université Paris II – Panthéon-Assas besuchen. Die Rechtswissenschaften spielen in Frankreich vielleicht die Rolle, vor der uns Anhänger der deutschen Staatsprüfung immer warnen: ein kleineres Fach, das keine politischen Karrieren generiert, mit weniger praktischem Gewicht. Nun, mir gefällt gerade dies sehr gut: eine wirklich akademische Disziplin, in welcher die Rechtsgeschichte, die Verfassungstheorie und Rechtsvergleichung eine größere Rolle spielen, ohne dass das Ganze weltfremd würde. Die Doktorarbeien sind rein wissenschaftliche Angelegenheit und im Schnitt von höherem Niveau als bei uns. Natürlich gibt es auch in Frankreich wie überall sonst in den akademischen Rechtswissenschaften die üblichen Animositäten zwischen Anwendern und Theoretikern, aber doch etwas anders gewichtet.
Das Institut Michel Villey ist klein, das Leben der Professoren in Paris ist deutlich härter als in Deutschland: Sie haben keine Büros, keine Mitarbeiter, keine eigene Sekretärin, sie arbeiten zu Hause, oft in der Banlieue, nicht in der teuren Stadt. Trotzdem gibt es einen relativ engen Gesprächszusammenhang namentlich durch Vortragseinladungen und gemeinsame Doktorandenseminare. Auch wenn man nicht in Paris wohnt, läuft man sich in der Umgebung der Universität oft über den Weg. Wie in Berlin gibt es so viele Veranstaltungen, dass man kaum weiß, was passiert, geschweige denn dazu kommt, sie zu besuchen. Anders als in Berlin sind die Veranstaltungen aber seltener angekündigt, man muss Bescheid wissen. Die Uni ist weniger ein öffentlicher Raum als bei uns. Trotzdem scheinen mir die Ähnlichkeiten zwischen Großstadtunis und Kleinstadtunis in vielem größer als die zwischen Universitäten verschiedener Länder. Im Institut Michel Villey wird vor allem zu Fragen der Theorie und der Vergleichung gearbeitet. Das Institut gibt eine hervorragende Zeitschrift heraus: Jus Politicum, die gerade auf deutsche und britische Perspektiven wert legt.
Die Frage, wie wir Verfassungsvergleichung betreiben sollen, dürfte ein zentrales Methodenprobleme der Zukunft sein. Bis heute dient das amerikanische Verfassungsrecht als eine Art gemeinsamer Sprache der Verfassungsvergleicher. Zugleich erwacht global das Bewusstsein dafür, dass das amerikanische Modell besonders wenig als Modell taugt, schon weil es ein äußerst seltenes rein präsidentielles System darstellt. Warum nicht mehr in ein Nachbarland schauen, das eine große demokratische Tradition, insbesondere eine große Geschichte juristischer Demokratietheorie hat, das zugleich charakteristische Wege etwa bei der verfassungserichtlichen Kontrolle gegangen ist und mit dem uns eine gemeinsame institutionelle Zukunft verbinden dürfte?
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