Die Versprechen der modernen Demokratie: zur Debatte parlamentarischer Parität
Es gibt Debatten, die in so schwierigen Problemen wurzeln, dass man am liebsten einen Bogen um sie machen würde. Etwa diese um das Prinzip der Repräsentation. Kein Buch scheint mehr Siegel zu haben als dieses Phänomen, das fast 500 Seiten benötigt, um allein die historische Verwendung von Wort und Begriff bis ins 19. Jahrhundert zu klären.
Warum also doch? Seit ein paar Wochen wird intensiv über Quoten für Bewerber_Innen zu Parlamentswahlen diskutiert. Der bleibend niedrige Anteil von Frauen in deutschen Parlamenten soll nicht länger hingenommen und die Parteien sollen verpflichtet werden, für eine parlamentarische Geschlechterparität zu sorgen. Während nun etwa der Brandenburgische Landtag ernst macht, verständigt sich die Verfassungsrechtsöffentlichkeit bereits auf die Verfassungswidrigkeit von derartigen Quotenregelungen (etwa hier, hier und hier). Die dabei verwendeten Argumentationsstrukturen sind aus anderen Quotendebatten, etwa in Bezug auf Aufsichtsräte, bekannt. Sie scheinen mir aber für eine Debatte über Demokratie noch weniger angebracht als dort. Ein Widerspruch also, trotzdem.
Auf der Suche nach Maßstäben
Für die Verfassungswidrigkeit der Paritätsquoten – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung – werden die schwereren Geschütze unserer Verfassung aufgefahren: etwa die Parteienfreiheit, die Wahlrechtsgleichheit und auch das Prinzip der Repräsentation. Diese wolle, das wird gebetsmühlenartig wiederholt, im Zeitalter der Demokratie nicht mehr für eine proportionale Abbildung der Bevölkerung im Parlament sorgen. Heutzutage könne der männliche Abgeordnete mit der Sonne des Gemeinwohls im Rücken ebenso gut für Frauenthemen einstehen. Auch wenn dies richtig sein mag, bleibt doch ein Unbehagen. Man denke etwa an die Bilder von der Bundestagsdebatte zur Straffreiheit der Vergewaltigung in der Ehe, in der es sich männliche Abgeordnete nicht nehmen ließen, ihre Position mit ganzer Inbrunst vorzutragen und dann auch noch zu lachen. Dass solche Vorgänge nichts mit demokratischer Repräsentation und ihren Defiziten zu tun haben, soll hier in Zweifel gezogen werden.
Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Forderung von Geschlechterparität in Zeiten des Pluralismus einem gewissen Begründungsdruck ausgesetzt ist. Soll es etwa einem Arbeiterkind abgesprochen werden, sich im Parlament authentisch für die Belange der Arbeiter_Innen einsetzen zu können, allein weil es eine Universität besuchen konnte? Die Antwort ist natürlich nein. Es wird jedoch klar, dass sich das normative Leitbild demokratischer Repräsentation nicht ohne weiteres und nicht eindimensional füllen lässt. Sie kann angesichts gesellschaftlicher Vielfalt, die das Lebenswerte unserer Gesellschaft ausmacht, keine Spiegelbildlichkeit fordern. Das muss aber nicht bedeuten, dass sie gänzlich darauf verzichten kann. Der Wandel, den das Prinzip im Laufe der Zeit durchlaufen hat, hat dessen Inhalt aber anscheinend undeutlich werden lassen. Dem wird nachzugehen sein.
Freiheit zur Dysfunktion?
Neben dem Repräsentationsprinzip werden noch die Wahlrechtsgleichheit und die Parteienfreiheit in Stellung gebracht. Erstere wird nicht die entscheidende Rolle spielen: Der Wähler hatte noch nie einen Einfluss darauf, wer ihm zur Wahl gestellt wird. Ein Eingriff in dieses Recht müsste über Ecken konstruiert werden, dem soll hier aber nicht nachgegangen werden. Dies gilt wohl auch für die Rechte der Kandidat_Innen in den Parteien.
Es bleibt also das Recht der Parteien auf die autonome Zielfestlegung und Mittelwahl. Dieses Recht ist in einer wettbewerbsförmig ausgestalteten Demokratie nicht zu unterschätzen. Die Parteien sollen möglichst frei von staatlichem Einfluss um die Erringung der Macht ringen. Sie haben das Recht auf „Tendenzfreiheit“ (Morlok), die Möglichkeit ihre interne Willensbildung und ihre Programmatik auf ihre ideologischen Grundlagen zu münzen.
Es ist jedoch wie immer: Auch der Parteienfreiheit als verfassungsmäßiges Recht ist die Absolutheit fremd. Die Parteien dürfen nicht darauf aus sein, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen und sie müssen sich bei ihrer Organisation demokratischen Regeln unterwerfen, Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG. Dies hindert sie etwa daran, den parteiinternen Pluralismus im Keim zu ersticken oder ihre Parteitage geheim abzuhalten.
Für die Parteien ist darauf zu verweisen, dass deren doch beträchtlicher Einfluss, ihre Rolle, keinen Selbstzweck darstellt. Die Freiheit der Parteien ist auch funktional zu verstehen, das unterscheidet sie von Kleingärtnervereinen oder Unternehmen. Ihre Aufgabe ist es, die Idee der Volkssouveränität zu verwirklichen. Diese macht die Beeinflussbarkeit staatlicher Entscheidungen durch das Volk zur Maßgabe, die realisiert wird durch Wahlen aber eben auch durch das Parteiwesen, das dem Volk die Möglichkeit bieten soll, auch zwischen den Wahlen auf verbindliche Entscheidungen des Staates Einfluss nehmen zu können.
Kommen sie diesem Auftrag nicht oder nicht in Gänze nach, kann der Gesetzgeber Maßnahmen ergreifen. Er hat dies auf Bundesebene getan, etwa indem er die Mittel der staatlichen Parteienfinanzierung erhöht hat. Warum dann nicht auch Paritätsgesetze, fordert die Verfassung nicht an prominenter Stelle die faktische Chancengleichheit von Mann und Frau?
Das Versprechen der Moderne
Dies würde eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im politischen Prozess erfordern. Eine solche könnte man dadurch erwiesen sehen, dass trotz des über hundertjährigen Frauenwahlrechts noch immer deutlich weniger Frauen als Männer in deutschen Parlamenten vertreten sind. An diesem Zusammenhang wird nun gezweifelt. Etwa dann, wenn behauptet wird, Frauen seien in Parlamenten gar überrepräsentiert. Immerhin übersteige der Anteil weiblicher Parlamentarierinnen diesen der Frauen in den Parteien! Sehet da, wird also gesagt, ihr könnt es schaffen, wenn ihr denn nur wollt.
Nun ist die Erzählung von den Frauen, die ihn nicht wollen, den gleichen Lohn, den Posten im Aufsichtsrat und nun den Parlamentssitz, schon alt. Wahrer wird sie dadurch nicht. Abgesehen davon, dass der Befund der Überrepräsentation begrifflich unscharf ist – ist doch die vom Bundestag zu repräsentierende Größe das Volk, nicht die politischen Parteien –, rückt uns das Argument näher an das eigentliche Problem: Das Verständnis von Chancengleichheit im politischen Prozess. Denn zum einen muss man sich fragen, ob nicht die geringe(re)n Karrierechancen in den Parteien bereits abschreckend für potentielle Mandatsträgerinnen wirken. Zum anderen scheint es doch unfair, diese Frauen, die den Widerständen zum Trotz den Sprung ins Parlament geschafft haben, zum Beleg für die Nichtexistenz des Problems zu machen. Diese Logik entspricht dieser der „Quotenfrauen“, vor denen Paritätsgegner immer warnen, was diese Warnung umso widersprüchlicher erscheinen lässt.
Was sind nun diese Widrigkeiten für Frauen in deutschen Parteien? Sie könnten in der politischen Handlungslogik liegen, die unter anderem von stark zugespitzten Rivalitätsverhältnissen gezeichnet ist, welche Verhaltensweisen erfordert, die traditionell-männlichen Rollenbildern zugeschrieben und entsprechend tradiert werden. Oder auch nur in den organisatorischen Bedingungen von Politik mit ihren abendlichen Sitzungen in Kneipen, informalen Strukturen und Pakten. Darüber müsste gesprochen werden.
Stattdessen aber der Verweis auf den mangelnden Willen der Frauen. Bereits bei den Aufsichtsräten scheint diese Behauptung leichtfertig: Das Motto „from rags to riches“ ist die Leitidee des Kapitalismus. Die Erzählung davon, dass in diesem System jeder es schaffen kann, unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Für die Wirtschaft hat sich diese in punkto Geschlecht als ein Trugbild erwiesen, das Korrekturen erforderte. Die Demokratie soll nun, darauf hat uns Joseph Alois Schumpeter hingewiesen, Wesenheiten mit dem Kapitalismus teilen. Hier ist es die politische Chancengleichheit, die jeder/jedem Bürger_In die gleiche Chance auf Teilhabe verspricht. Dieses Versprechen der Demokratie ist nun ein nicht unerhebliches: Die Möglichkeit, verbindliche Entscheidungen zu akzeptieren, hängt maßgeblich von der gleichen Chance ab, sie beeinflussen zu können. Darin scheint mir der zentrale Punkt des Paritäts- und auch des Repräsentationsproblems zu liegen. Das traditionell männlich dominierte Parlament führt Frauen immerzu vor Augen, dass ihre Chance, ein Mandat zu erringen, unter schlechten Vorzeichen stehen, jedenfalls gegenüber Männern gesteigerte Anstrengungen erfordert. Diese Wirkungen würde es auch dann entfalten, sollten strukturelle Benachteiligungen tatsächlich nur eingebildet sein.
Dass die Beeinflussbarkeit demokratischer Strukturen – auch unter Gleichheitsgesichtspunkten – von allen als real wahrgenommen wird, ist in der Demokratie ein wichtiger Baustein für die Herstellung von Legitimation. Ich meine nun, dass sich aus der Bedeutung dieses Prinzips Rückschlüsse auf das Verständnis dieser Gleichheit ziehen lassen, in der Art nämlich, dass die politische Chancengleichheit materiell verstanden wird. Sie hat also nicht allein die formale Gleichheit der Parteien und ihrer Mitglieder im Blick, sondern auch die tatsächlichen Umstände des Wettbewerbs. Von dieser Warte ist es einfach nicht hinreichend, Frauen auf die Möglichkeiten einer Kandidatur hinzuweisen, ohne auch bestehende Strukturen zu hinterfragen.
Zuletzt könnte der Aspekt der Beeinflussbarkeit auch Hinweise auf Facetten des Repräsentationsprinzips liefern. Vielleicht bleibt es Teil auch moderner Repräsentation, dass gesellschaftliche Gruppen sich im Parlament „wiederfinden“. Dieser theoretische Gedanke kann unter der Geltung von Art. 3 Abs. 2 GG zu einem rechtlichen werden. Diese Norm ermöglicht es auch, dem Dilemma der Folgerichtigkeit in Bezug auf andere Differenzierungskriterien, wie Bildungsabschluss und Migrationshintergrund, zu begegnen. Die Verfassung räumt der auch tatsächlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau eine herausgehobene Bedeutung zu. Daraus lässt sich vielleicht keine Rechtspflicht zur Herstellung von Parität in den Parlamenten herleiten, wohl aber die Möglichkeit. Zumindest sollte sie uns dazu anhalten, mit einer gewissen Überlegtheit an die rechtliche Bewertung derartiger Vorhaben heranzutreten.
Beeinflussbarkeit als legitimationserzeugendes Demokratieprinzip? Ernsthaft?
Ich sehe hier einen inhaltlichen Bruch:
-“Der Wähler hatte noch nie einen Einfluss darauf, wer ihm zur Wahl gestellt wird.”
vs
“Diese macht die Beeinflussbarkeit staatlicher Entscheidungen durch das Volk zur Maßgabe, die realisiert wird …eben auch durch das Parteiwesen…”
Der Wähler hat in seiner Rolle als Wähler keine Auswahl, da die Aufstellung der Wahlbewerber vor allem den Parteien obliegt. Er kann natürlich selbst in diese Rolle schlüpfen und die entsprechenden Strukturen nutzen.
Der Beitrag greift schon deshalb vielzu kurz, weil er übersieht, dass nicht nur die Parteifreiheit betroffen ist. Anders als vom Autor suggeriert, stellt eine Zwangsquote einen massiven Eingriff in die Freiheit und Gleichheit der Wahl dar. Diese gelten nämlich für den gesamten Wahlvorgang, mithin auch für das Wahlvorschlagsrecht (BVerfGE 60, 162, 167). Eine Rechtfertigung bedarf hierbei eines zwingenden Grundes (BVerfGE 95, 408, 418). Die von einigen Feministen herbeiphantasierte gefühlte Benachteiligung von Frauen (die sich empirisch eindeutig widerlegen lässt, siehe Morlok) stellt einen solchen gewiss nicht dar. Ohnehin erscheint es überaus zweifelhaft, die Wahlrechtsgrundsätze auf dem Altar irgendwelcher gesellschaftspolitischer Zielsetzungen zu opfern. Richtigerweise kann daher ein Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze nur durch Zwecke gerechtfertigt sein, die mit der Wahl selbst untrennbar verbunden sind (zB Funktionsfähigkeit des Parlaments). Alles andere ist gelenkte Demokratie.
Was mich an dieser Debatte echt wundert (und dann wiederum nicht),ist dass eine Frauenquote eigentlich die einzige ist, die wohl überwiegend negativ konnotiert wird.
Insbesondere im Vergleich zu einer anderen Quote, nämlich der Regionalquote. Wenn das mit der Repräsentation so ein bedeutungsloser Mumpitz ist: wieso haben wir dann Wahlkreise, die dafür sorgen, dass jede Region von zumindest einer Abgeordneten vertreten ist? Je nach Ebene wird sogar verlangt, dass Menschen tatsächlich da wohnen müssen, wo sie antreten. Wenn’s nun also wirklich nur um die freie Wahl geht und alle Abgeordneten das Volk gleich gut vertreten, warum sollte es dann rechtlich nicht möglich sein, dass z.B. nur Berliner*innen das Volk vertreten? Stattdessen werden die Parteien gezwungen, in möglichst jedem Wahlkreis jemanden aufzustellen, ob sie wollen oder nicht.
Der wesentliche Unterschied ist, dass die Parität für alle Parteien gleich gelten soll (jedenfalls bei Modellen wie in Brandenburg beschlossen), während sich die regionale Verteilung nach dem Wahlergebnis richtet und insbesondere die CDU nicht in Bayern kandidieren muss. (Es müsste auch nicht sein, dass Frauen Männer wählen dürfen.)
Oben wird argumentiert das man Wahlvorschläge nicht beeinflussen kann und daher nicht damit argumentieren könne, das die Wahlfreiheit bestünde.
Sagt man stattdessen “ist gegeben wenn man in die Rolle schlüpft” [Vorgabe GG demokratische Struktur], dann fällt ein Teil des Argumentes davor [dann ist die Liste nämlich demokratisch beeinflussbar].
Zudem wäre dann umso stärker die Erfordernis für die demokratische innerparteiliche Struktur zu gewichten.
Sonst läuft es darauf hinaus das man weder über die Partei noch als Wähler eine demokratische sondern nur eine “vorgegebene” Liste zu wählen hat. Wohin hat sich dann das Demokratie-Prinzip verabschiedet?
Es gibt hier prinzipiell das Spannungsverhältnis von Demokratie vs. verordneter Gleichstellung. Das hat auch zuletzt der wissenschaftliche Dienst in Berlin wieder festgestellt und gemutmaßt [mit Nennung gleichlautender wie gegenteiliger Ansicht], das der Versuch der Einführung der Parität gegen die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 20 GG verstoßen könne.
Ich halte das im Gesamtüberblick für nicht unrealistisch, denn irgendwo auf dem Weg von “unten” in einer Partei bis ins Amt muss für mich eine demokratische, uneingeschränkte Wahlfreiheit gegeben sein.
https://www.parlament-berlin.de/C1257B55002B290D/vwContentByKey/W2B2BCQT808WEBSDE/$File/20180627_Frauenquote_Wahl_Abgeordnetenhaus_2018.pdf
@pascal
Der Kandidat muss nicht aus seiner Region kommen, so das durchaus jeder im Parlament ein Berliner sein kann. Wahlkreise sorgen am Ende nur dafür das eine räumlich eingegrenzte Gruppe von Einwohnern sich einen Kandidaten wählen können.
Direktkandidaten – zumal nicht bekannt ist welche Partei einen Sitz erhält – mit einer Frauenquote zu versehen ist btw. völlig abwegig.
Es muss Demokratie > Gleichheit bestehen bleiben und nicht umgekehrt. Wenn man das demokratische Prinzip der Gleichheit der Geschlechter unterordnet hat man imho ein veritables Problem geschaffen. Dann ist Demokratie verhandelbar geworden.
Es ist durchaus erschreckend, dass die Forderung nach einer derartigen Einschränkung der Wahl-Freiheit – immerhin einer der Grundsätze demokratischer Wahlen – es inzwischen bis in den politischen Mainstream geschafft hat, in Form einer Parlamentsmehrheit in einem deutschen Landtag. Unter diesen Umständen ist es dann auch kaum erstaunlich, aber nicht weniger besorgniserregend, dass sogar Rechtswissenschaftler wie der Autor des Artikels dieses “Parité-Gesetz” verteidigen.
“das eigentliche Problem: Das Verständnis von Chancengleichheit im politischen Prozess. Denn zum einen muss man sich fragen, ob nicht die geringe(re)n Karrierechancen in den Parteien bereits abschreckend für potentielle Mandatsträgerinnen wirken.”
Muss man das? Zumindest einige der großen Parteien haben schon längst formell oder faktisch Frauenquoten für ihre Vorstände und Wahllisten eingeführt, die über dem Anteil der Frauen an den Parteimitgliedern liegen. Frauen haben also tatsächlich größere Karrierechancen in diesen Parteien.
Ganz egal ob “Widrigkeiten für Frauen in deutschen Parteien” eventuell in “stark zugespitzten Rivalitätsverhältnissen” oder “den organisatorischen Bedingungen von Politik mit ihren abendlichen Sitzungen in Kneipen, informalen Strukturen und Pakten” liegen mögen:
“Darüber müsste gesprochen werden.”
Sehr richtig, nicht aber über das Wahlrecht. Das Wahlrecht benachteiligt Frauen nämlich auf keinen Fall. Mögliche Benachteiligunen etwa durch übermäßig lange Sitzungen, auch in Verbindung mit dem höherem Arbeits- und Zeitaufwand vieler Frauen für ihre Familie, lassen sich durch eine Quotierung der Parlamentskandidaten nicht ausgleichen. Die würde hingegen am stärksten den Frauen nutzen, die sich im politischen Betrieb ohnehin wohlfühlen und eine Bevorzugung am wenigsten nötig haben.
Von den Befürwortern der Geschlechterquoten und ähnlicher feministisch inspirierter Ideen wird der angebliche Gleichstellungsauftrag (Gleichstellung ist ein schillernder Begriff ohne eindeutig erkennbare Bedeutung, kommt zumindest im GG aber glücklicherweise gar nicht vor) gerne als Allzweckwaffe betrachtet, der im Sinne der Frauenförderung eine Missachtung sämtlicher störender Grundrechte und Verfassungsprinzipien rechtfertige, wie der Gleichheit vor dem Gesetz, des Benachteiligungsverbotes, der Bestenauslese im Öffentlichen Dienst oder eben jetzt auch der Freiheit der Wahl. In dieser Linie sehe ich leider auch den vorliegenden Text:
“Das traditionell männlich dominierte Parlament führt Frauen immerzu vor Augen, dass ihre Chance, ein Mandat zu erringen, unter schlechten Vorzeichen stehen, jedenfalls gegenüber Männern gesteigerte Anstrengungen erfordert. Diese Wirkungen würde es auch dann entfalten, sollten strukturelle Benachteiligungen tatsächlich nur eingebildet sein.”
Wenn eine strukturelle Benachteiligung “tatsächlich nur eingebildet” ist, sind harte gesetzliche Regelungen offenkundig völlig ungeeignet zur Lösung des Problems! Es ist sogar recht wahrscheinlich, dass sie stattdessen die falsche Vorstellung noch verstärken (O-Ton: sonst bräuchte es ja kein Gesetz dafür). Wenn die Leute in einer entscheidenden Frage einem kapitalen Irrtum anhängen, kann es nur die Aufgabe des Staates sein, mit nüchterner Information zur Bereinigung dieses Irrtums beizutragen.
Tatsächlich steht es den Wählern frei, solche Parteien zu wählen (oder gegebenfalls auch zu gründen), die viele Frauen als Kandidaten aufstellen. Sie sind aber nicht dazu verpflichtet. Während der Staat, etwa bei der Auswahl öffentlich Bediensteter, niemanden des Geschlechts wegen benachteiligen darf, steht es den Wahlberechtigten frei, ihre Entscheidung nach beliebigen Kriterien zu treffen. Da die Parteien wichtige Prozesse der politischen Willensbildung organisieren und dabei eine innerparteiliche Demokratie vorgeschríeben ist, muss das auch für die insofern demokratische Abstimmung der Vertreterversammlungen über die Kandidatenaufstellung gelten:
Ein Bewerber für einen Listenplatz oder eine Wahlkreiskandidatur darf anhand des Geschlechtes oder des Alters ausgewählt werden, weil er einen Migrationshintergrund hat oder weil sie aus Oberbayern kommt. Die Freiheit der Kandidatenaufstellung ist notwendiger Bestandteil einer freien Wahl. (Übrigens müssen Landeslistenkandidaten bei der Bundestagswahl nicht im jeweiligen Bundesland wohnen und Kreiskandidaten nicht in diesem Wahlkreis. Parteikandidaten müssen auch nicht der Partei angehören, auch wenn sie aus mir unbekannten Gründen nicht Mitglied einer anderen Partei sein dürfen – immerhin ist das wohl keine wesentliche Einschränkung.)
“Die Verfassung räumt der auch tatsächlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau eine herausgehobene Bedeutung zu. Daraus lässt sich vielleicht keine Rechtspflicht zur Herstellung von Parität in den Parlamenten herleiten, wohl aber die Möglichkeit.”
Nein! Eine Parität im Parlament oder auch “in allen Bereichen”, wie es Frau Merkel im Interview mit der “Zeit” zuletzt sagte, hat mit Chancengleichheit nichts zu tun und ist damit überhaupt kein zulässiges Ziel, mindestens für harte gesetzliche Regelungen. Das Grundgesetz schützt neben der Chancengleichheit auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit, und die wird im Allgemeinen zu statistisch unterschiedlichen Verteilungen von Frauen und Männern führen. In keinem einzigen Bereich ist a priori klar, dass das ideal gerechte Ergebnis eine gleiche Verteilung wäre.
Zudem bin ich grundsätzlich der Meinung, dass geschlechtsspezifische Gesetzesregelungen nicht ohne zwingenden Grund verwendet werden sollten. Wenn irgendwelche Nachteile ausgeglichen werden sollen, die mit dem Geschlecht nur mittelbar durch Korrelation zusammenhängen, ist das ohnehin sachgerecht: Männer können ja beispielsweise ebenso durch die Übernahme von Sorgeaufgaben in der Familie eingeschränkt sein.
(Eine Quotierung nur für Wahllisten ist übrigens, anders als etwa Frau Lau in der letzten “Zeit” schrieb, keineswegs eine weiche Regelung. Nur für große Parteien wie die Union, deren Fraktion größtenteils oder gar ausschließlich mit Direktmandaten gefüllt ist, hat diese Quotierung eine geringere Bedeutung. Deswegen könnte man die gewählte Regelung sogar als Benachteiligung kleinerer Parteien ansehen.)
Sehr geehrter Mittelwert,
vielen Dank für die zahlreichen Anmerkungen. Ich fürchte, ich werde Ihre Bedenken nicht vollends zerstreuen können, gebe mir aber trotzdem Mühe.
“Es ist durchaus erschreckend, dass die Forderung nach einer derartigen Einschränkung der Wahl-Freiheit – immerhin einer der Grundsätze demokratischer Wahlen – es inzwischen bis in den politischen Mainstream geschafft hat”
Über die Tatsache, dass die von mir geteilten Ansichten den “Mainstream” darstellen, würde ich mich freuen, ich glaube aber selbst nicht daran. Die doch ganz überwiegende Verfassungsrechtswissenschaft hält das Vorhaben von parlamentarischen Geschlechterquoten für generell verfassungswidrig.
“Frauen haben also tatsächlich größere Karrierechancen in diesen Parteien”
Die von Ihnen genannten Quoten sind ja gerade eine Reaktion auf die zurückhaltende Beteiligung von Frauen. Tatsächlich bleibt die Ursache für diese niedrige Beteiligung ein zu beweisender Umstand. Ich kann Ihn aus meinem Büro heraus nicht beweisen und habe dies gar nicht versucht. Ich meine, dass viel dafür spricht,dass es Strukturen gibt, die Frauen benachteiligt. Das kann man in Zweifel ziehen, sollte dann aber sich doch Gedanken über Erklärungsansätze machen und die möglichst stark reflektieren.
“Das Wahlrecht benachteiligt Frauen nämlich auf keinen Fall”
Das ist eine interessante Aussage, weil sie unbestreitbar wahr zu sein scheint. Das wirklich interessante ist aber, dass der Wahrheitsgehalt dieser Aussage vom Verständis von Gleichheit abhängt. Versteht man Gleichheit rein formal, haben Sie vollständig Recht. Ich meine aber, wie im Beitrag geschrieben, dass es gute für ein materielles Gleichheitsverständis in bestimmten Bereichen des Rechts gibt. Ich würde Ihnen gerne ein Beispiel bringen: Die Regelung in NRW, die es Lehrer_Innen untersagt gilt für alle diese gleich. Sie verbietet es Männern wie Frauen (und natürlich auch Diversen) ein religiöses Symbol zu tragen. So gesehen stellt das Gesetz eine Gleichbehandlung dar. Nun hat das BVerfG jedoch festgestellt, dass die Regelung tatsächlich gesehen, mit ganz großem Abstand nur eine Gruppe betrifft: Frauen muslimischen Glaubens. Allein Sie trifft der Normbefehl, das Gesetz ist also eine zu rechtfertigende Benachteiligung von Frauen (das BVerfG hält das Gesetz freilich für gerechtfertigt, mit den in der Kopftuch II-Entscheidung geurteilten Einschränkungen, vielleicht möchten Sie zu dieser Frage Morlok/Jürgensen, Faktische Chancengleichheit – insbesondere im Recht der politischen Parteien, JZ 2018, 695 ff. lesen).
Die Frage ist tatsächlich ob das geltende Wahlrecht nicht auch die tatsächliche Folgen hat, dass Frauen benachteiligt sind. Diese Frage wäre zu klären, dazu kann ich ja nach oben verweisen.
“Mögliche Benachteiligunen etwa durch übermäßig lange Sitzungen, auch in Verbindung mit dem höherem Arbeits- und Zeitaufwand vieler Frauen für ihre Familie, lassen sich durch eine Quotierung der Parlamentskandidaten nicht ausgleichen”
Das wäre ja ein Folgeproblem, um dass sich die Parteien kümmern müssen. Da müsste man über Organisationsstrukturen nachdenken etc. Die Quote würde Sie ja dazu zwingen.
“Von den Befürwortern der Geschlechterquoten und ähnlicher feministisch inspirierter Ideen wird der angebliche Gleichstellungsauftrag (Gleichstellung ist ein schillernder Begriff ohne eindeutig erkennbare Bedeutung, kommt zumindest im GG aber glücklicherweise gar nicht vor) gerne als Allzweckwaffe betrachtet, der im Sinne der Frauenförderung eine Missachtung sämtlicher störender Grundrechte und Verfassungsprinzipien rechtfertige, wie der Gleichheit vor dem Gesetz, des Benachteiligungsverbotes, der Bestenauslese im Öffentlichen Dienst oder eben jetzt auch der Freiheit der Wahl. In dieser Linie sehe ich leider auch den vorliegenden Text”
Auch als Rechtswissenschaftler bin ich bei meinem Rechtsarbeit nicht frei von Vorverständnissen. Dazu mögen gewisse Gerechtigkeitsvorstellungen in Bezug auf die Geschlechterfrage gehören. Ich habe mich aber in meinem Beitrag bemüht dies offen zu legen und anders als andere Autoren nicht so getan, als gäbe es auf diese komplexe Rechtsfrage nur die eine offenkundige Antwort. Zu Art. 3 II GG: Diese Norm fordert die “tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung”, sie möchte also keine Ergebnisgleichheit erzwingen, aber eine vollständige Ergebnisgleichheit von Frauen und Männern ermöglichen. Das erfordert mitunter, Männer zu benachteiligen oder solche Maßnahmen wie Quoten, um diese tatsächliche Chancengleicheit herzustellen.
“Wenn eine strukturelle Benachteiligung “tatsächlich nur eingebildet” ist, sind harte gesetzliche Regelungen offenkundig völlig ungeeignet zur Lösung des Problems!”
Sie missverstehen mich hier. Ich sagte, der für die Beteiligung von Frauen abschreckende Effekt überwiegend männlicher Parlamente existiert, unabhängig von der Frage ob dieser Zustand zurecht oder zu Unrecht entstanden sind. Natürlich müssten diese Fälle aber unterschiedlich behandelt werden!
“Sie sind aber nicht dazu verpflichtet”
Die Quote verpflichtet den Wähler zu gar nichts.
“Die Freiheit der Kandidatenaufstellung ist notwendiger Bestandteil einer freien Wahl.”
Ich würde nicht wagen, das zu bestreiten. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass man sich, wenn man solche Sätze sagt, die Struktur der Kandidatenaufstellung vor Augen führen sollte. Tatsächlich gesehen ist die Kandidatenaufstellung ganz massiv von Quoten strukturiert – in allen relevanten Parteien! Da gibt es Flügel-, Orts-, Altersproporze, und und und. Der (durchaus massive) Eingriff der Geschlechterquote ist nun, dass ein Differenzierungskriterium vorgeschrieben wird. Deswegen benenne ich die Parteienfreiheit und nicht die Chancengleichheit als den entscheidenden” Maßstab für die Quote. Ich meine, ein Eingriff ließe sich rechtfertigen, wenn man die Benachteilgigung überzeugend darlegen kann (dazu oben)
“Nein! Eine Parität im Parlament oder auch “in allen Bereichen”, wie es Frau Merkel im Interview mit der “Zeit” zuletzt sagte, hat mit Chancengleichheit nichts zu tun und ist damit überhaupt kein zulässiges Ziel, mindestens für harte gesetzliche Regelungen.”
Ich hoffe, ich habe Sie überzeugen können, dass dies so einfach nicht. Der von der Quote erhoffte Effekt ist doch dieser, dass Strukturen sich derart anpassen, dass die benachteiligenden Effekte wegfallen, sie sich also selbst überflüssig macht. Sie wäre in der perfekten Welt unangebracht, ins unserer sicherlich nicht.
Sehr geehrter Herrn Jürgensen,
Sie schreiben
“””
Zu Art. 3 II GG: Diese Norm fordert die “tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung”, sie möchte also keine Ergebnisgleichheit erzwingen, aber eine vollständige Ergebnisgleichheit von Frauen und Männern ermöglichen. Das erfordert mitunter, Männer zu benachteiligen oder solche Maßnahmen wie Quoten, um diese tatsächliche Chancengleicheit herzustellen.
“””
Inwiefern bleibt denn bei einer Quotierung die Unterscheidung zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit erhalten ? Oder bricht die Unterscheidung letztendlich mit dem Hinweis auf die Faktizität in sich zusammen ?
Noch ein anderer Punkt:
Ich verstehe, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern verfassungsrechtlich eine besonders prominente und explizite Position hat. Aber gibt es Empirie zur Frage, ob sich eine Quotierung hinsichtlich einer Diskriminierungsachse (z.B. Männer und Frauen) positiv, negativ oder neutral hinsichtlich anderer bekannter Diskriminierungsachsen (z.B. Körpergröße, Vermögen, Abstammung, Gesundheit, Schönheit, etc. pp.) auswirkt ?
Die genannten Einschränkungen der Parteienfreiheit stehn alle in Art. 21 GG selber. Natürlich kann man da noch mehr reinschreiben, aber halt per Verfassungsänderung (wie auch zuletzt bei der Einschränkung der Parteienfinanzierung für verfassungsfeindliche Parteien, die man deutlich leichter anderweitig begründen hätte können als inhaltliche Vorgaben für die Parteien).
“Die genannten Einschränkungen der Parteienfreiheit stehn alle in Art. 21 GG selber”.
Das ist nicht richtig, der Gesetzgeber kann da durchaus Einschränkungen vornehmen. Schauen Sie mal ins Parteiengesetz! Viele Grüße
Was davon ist nicht lediglich Konkretisierung des Verfassungsgebots innerparteilicher Demokratie oder rein formeller Natur (wie etwa die Regelungen zum Namen oder die Rechenschaftspflicht jenseits der freiwilligen Teilnahme an der Parteienfinanzierung)? Den strafrechtlichen Ausschluss von der Mitgliedschaft kann man noch anführen, aber auch seine Verfassungsmäßigkeit bezweifeln, abgesehn davon, dass er eher das Individuum trifft als die Partei als Ganzes.
Als Laie wundere ich mich darüber, dass man hier überhaupt nicht mehr auf das Diskriminierungsverbot im GG Bezug nimmt. Nach meinem Verständnis hatten Frauenquoten in manchen Bereichen ihre Berechtigung, weil sie lediglich als “Ausnahme” und als Instrument des Gegensteuerns in Erscheinung traten, wo ein deutliches Ungleichgewicht nicht von der Hand zu weisen war. Dem einzelnen (meist männlichen) Individuum ist eine Diskriminierung per Gesetz oder betrieblicher Leitlinie dann ausnahmsweise zumutbar, weil es eben auch ein bißchen um das große Ganze gehen darf: “Du bist ein Mann, deswegen kriegst Du den Job jetzt nicht.” Eine Art ausgleichende Ungerechtigkeit, weil man annimmt, dass sonst mehrheitlich Frauen dieses Schicksal erleiden, nur nicht so offen praktiziert. Der einzelne Mann wird dann auch mal in Sippenhaft genommen für das Fehlverhalten anderer. Schön ist das nicht, aber gar nichts zu unternehmen, ist vielleicht auch nicht schön.
Dementsprechend waren Frauenquoten bisher immer Maßnahmen von kleinerem Format. Nun aber soll die vermeintliche “Gerechtigkeit” mit dem 50-50-Holzhammer herbei gezwungen werden. Das wundert mich doch sehr.
Das eigentliche Ideal ist doch nicht die 50-50-Verteilung, sondern dieses: “Es ist vollkommen egal, welches Geschlecht Du hast.”
So leicht können Sie meine Sorgen in der Tat nicht zerstreuen, Herr Jürgensen.
Auch wenn Sie sozusagen zu den moderateren Vertretern meiner Gegenseite gehören mögen, indem Sie Quoten nur als möglich, nicht aber rechtlich (und moralisch?) erforderlich ansehen, beruht ihre Haltung aus meiner Sicht auf gefährlichen Irrtümern.
Lassen Sie mich ganz am Ende beginnen:
“Ich hoffe, ich habe Sie überzeugen können, dass dies so einfach nicht. Der von der Quote erhoffte Effekt ist doch dieser, dass Strukturen sich derart anpassen, dass die benachteiligenden Effekte wegfallen, sie sich also selbst überflüssig macht. Sie wäre in der perfekten Welt unangebracht, ins unserer sicherlich nicht.”
Einfach ist die menschliche Gesellschaft gewiss nicht. Aber ist die Hoffnung auf diesen Effekt nicht auch eine etwas zu einfache Idee? Eine Quote, die sich selbst überflüssig macht: hat das schon mal irgendwo funktioniert?
“Das wäre ja ein Folgeproblem, um dass sich die Parteien kümmern müssen. Da müsste man über Organisationsstrukturen nachdenken etc. Die Quote würde Sie ja dazu zwingen.”
Wie ich bereits oben schrieb, gibt es auch die Möglichkeit, dass die Quote vor allem den Frauen zugute kommt, die mit den bestehenden Strukturen weitgehend problemlos zurechtkommen.
Eine Quote, die unmittelbar und nur an das Geschlecht anknüpft, ist nämlich prinzipiell schon ungeeignet, eine Benachteiligung durch Strukturen zu beseitigen, die nur mittelbar mit dem Geschlecht verbunden sind. Als anschauliches Beispiel dafür nehme ich gerne die folgende Tatsache: Eine Eigenschaft, die Frauen den Zugang zu einer Führungsposition und die Ausübung von Autorität erschweren kann, ist ihre durchschnittlich geringere Körpergröße. (In den meisten Fällen ist das heutzutage offensichtlich nicht sachlich gerechtfertigt.) Dieses Problem betrifft aber auch Männer mit derselben Eigenschaft.
Durch eine unübersehbare Vielzahl von Faktoren ist die Welt also in der Tat sehr kompliziert. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung macht es aber in keinem Fall erforderlich, Männer zu benachteiligen. Wenn sie tatsächlich ungerechtfertigte Vorteile haben, dürfen diese selbstverständlich aufgehoben, aber doch nicht durch eine Benachteiligung ersetzt werden (wie es etwa passiert, wenn zur möglichst schnellen Erhöhung eines Frauenanteils junge Frauen gegenüber ihren männlichen Altersgenossen bevorzugt werden).
“Tatsächlich gesehen ist die Kandidatenaufstellung ganz massiv von Quoten strukturiert – in allen relevanten Parteien! Da gibt es Flügel-, Orts-, Altersproporze, und und und.”
Das habe ich durchaus erkannt und in meinem obigen Kommentar als einen Aspekt der parteiinternen Wahlfreiheit bezeichnet: Informelle Quoten sind (ebenso wie beliebige andere Kriterien) im Rahmen der innerparteilichen Demokratie zulässig – das demokratische Prinzip verdrängt insoweit objektive Sachkriterien. Gegen formelle Quoten, die demokratisch von den Parteigremien beschlossen werden, habe ich auch keine Einwände, da die Bürger frei über die Unterstüzung bestehender und gegebenenfalls auch die Gründung neuer Parteien entscheiden können.
In einer pluralistischen Demokratie darf es viele *verschiedene* Parteien geben, die auch unterschiedliche Wählergruppen ansprechen. Gerade wenn man berücksichtigt, dass es erhebliche statistische Unterschiede zwischen den Wahlentscheidungen von Frauen und Männern gibt, ist eine Vorschrift zur paritätischen Kandidatenaufstellung ein gravierender Eingriff und daher inkompatibel mit dem Prinzip des Parteienpluralismus.
“Die Frage ist tatsächlich ob das geltende Wahlrecht nicht auch die tatsächliche Folgen hat, dass Frauen benachteiligt sind.”
Es gibt Gründe dafür, dass sich Frauen seltener als Männer politisch betätigen. Den Parteien können dabei höchstens die Gründe zugeschrieben werden, die in ihrem Einflussbereich liegen. Soweit Aspekte ihrer Strukturen das politische Engagement für Frauen weniger angenehm und erstrebenswert gestalten als für Männer, ist zunächst die Frage zu klären, ob sie sachlich gerechtfertigt sind – dann liegt nämlich keine unzulässige Benachteiligung vor. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, kann es immer noch von der Parteienfreiheit umfasst sein. (Frauen könnten ja prinzipiell Parteien gründen und aufbauen, die ihren Bedürfnissen besser angepasst sind.)
Auch eine mittelbare Benachteiligung von Frauen durch das Wahlrecht erscheint mir allerdings ausgeschlossen, da es nur formelle Regelungen für die Kandidatenaufstellung und den Wahlvorgang enthält, ohne dabei sachlich unangemessene Kriterien miteinzubeziehen (was im Rahmen einer allgemeinen, freien und gleichen Wahl auch unzulässig wäre).
Um noch einmal zum Anfang zurückzukommen:
Man könnte sich vorstellen, dass ein zeitlich befristeter Eingriff, als Experiment gewissermaßen, in die Geschlechterverteilung beispielsweise durch eine Quote Aufschluss geben würde über die Möglichkeit struktureller Veränderungen. Entweder die Strukturen ändern sich (die Quote hat “sich also selbst überflüssig” gemacht) oder eben nicht. Beurteilen könnte man das durch einen Vergleich der Situation nach Auslaufen des Eingriffs mit dem ursprünglichen Zustand.
Dass ich die Anknüpfung an das Geschlecht für ungeeignet halte, habe ich schon ausgeführt. Ferner habe ich aber auch keinerlei Vertrauen darin, dass ein ursprünglich nur für begrenzte Zeit vorgesehener Eingriff wirklich wie geplant beendet würde. Die großen Befürworter der Frauenförderung sehen erfahrungsgemäß nämlich weder den Erfolg einer Maßnahme noch dessen Ausbleiben als Grund, die Notwendigkeit oder die Eignung der Maßnahme zu überdenken. In beiden Situation wollen sie sie im besten Fall nur beibehalten, im schlechteren dagegen noch verstärken. Dass Frauenförderung einmal ein Ende finden sollte, ist in diesem Konzept nicht vorgesehen. (Da das Ziel einer Parität in allen Bereichen, in denen es Frauen nützen könnte, ohnehin unmöglich zu erreichen ist, stellt das aber auch kein praktisches Problem dar.)