Grenzen des Parteienrechts
Zur Nichtzulassung der DKP zur Bundestagswahl und ihrer Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) kann an der Bundestagswahl 2021 teilnehmen, obwohl sie gegen ihre finanziellen Transparenzpflichten verstoßen hat. Nicht abgegebene Rechenschaftsberichte können seit 2016 den Verlust der Parteieigenschaft und damit des Zugangs zur Wahlteilnahme zur Folge haben. Der Bundeswahlausschuss hatte die DKP aus diesem Grund nicht zur Wahl zugelassen. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht auf kluge und maßvolle Weise korrigiert (BVerfG 2 BvC 8/21).
Hürden vor der Teilnahme an einer Bundestagswahl
Nur Parteien können mit eigenen Kandidaten an einer Bundestagswahl teilnehmen, abgesehen von Kreiswahlvorschlägen von mindestens 200 Wahlberechtigten. Um Wahlvorschläge einreichen zu können, müssen Parteien, die nicht seit der letzten Wahl in einem Parlament mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, vom Bundeswahlausschuss nach § 18 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BWahlG als Parteien anerkannt werden. Diese Wahlbeteiligungsvoraussetzung schränkt die Freiheit und das passive Wahlrecht der Parteien ein und ist deswegen rechtfertigungsbedürftig.
Die Rechtfertigung kann einmal in der Übersichtlichkeit des Wahlzettels gesehen werden. Vor allem aber dient die Forderung nach der Parteiqualität der Funktionsfähigkeit des Parlamentes. Dies nicht im Hinblick darauf, die Zahl der dort vertretenen Parteien bzw. Fraktionen zu begrenzen, dafür gibt es die wahlrechtliche Sperrklausel. Die Parteiqualität soll vielmehr eine gewisse Gewähr für kontinuierliche Arbeit der Abgeordneten im Parlament bieten. Es soll sich um Abgeordnete hinreichender politischer Homogenität handeln, die sich auf eine mitgliedschaftliche Basis und eine Organisation stützen, die auch öffentlich politisch wirksam wird. Dies gilt besonders in Deutschland, wo der Parlamentsbetrieb wesentlich von den Fraktionen getragen wird.
Damit diese Spezialisten für unterschiedliche Politikfelder ausbilden und arbeitsteilig vorgehen, zugleich aber auch die Arbeitsteilung auf der Basis einer einheitlichen Parteilinie wieder zusammenführen können, braucht es die Einbindung der Abgeordneten in eine Organisation, die dem Typus einer Partei entspricht. Dieses Erfordernis der organisierten politischen Homogenität liegt auch § 10 Abs.1 GOBT zugrunde.
Was eine Partei ausmacht, wird in § 2 PartG definiert. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses über die Anerkennung als Partei ist eine feststellende ohne Beurteilungsspielraum und gerichtlich nachprüfbar.
Rechtsschutz durch Wahlzulassungsbeschwerde
Gegen eine ablehnende Entscheidung des Bundeswahlausschusses ist seit 2012 die Wahlzulassungsbeschwerde nach Art. 93 Nr. 4c GG möglich. Die Einführung dieser Beschwerdemöglichkeit war aus zwei Gründen dringend geboten. Zum einen verlangt Art. 19 Abs. 4 GG eine Rechtsschutzmöglichkeit für nicht zur Wahl zugelassene Parteien. Bis 2012 fehlte diese wegen der Sperrwirkung von § 49 BWahlG, wonach Entscheidungen im Wahlverfahren nur im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden können. Das Wahlprüfungsverfahren selbst ist für Beschwerdeführer insofern unbefriedigend, als es nur das objektive Wahlrecht und nicht subjektive Rechte schützt. Das zentrale Kriterium des Wahlprüfungsverfahren ist die Relevanz von Wahlfehlern, Rechtsverletzungen, welche die Zusammensetzung des Parlamentes nicht beeinflussen, bleiben folgenlos. Die Verfassungsmäßigkeit von § 49 BWahlG wurde deswegen angezweifelt. Richtigerweise hat das Gesetz zur Verbesserung des Rechtsschutzes in Wahlsachen dem 2012 partiell Abhilfe geschaffen.
Vor allem aber war die Anfechtungsmöglichkeit gegen die Nichtzulassung einer Partei aus einem weiteren Grunde angezeigt: Wenn die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung einer Partei erst im Wahlprüfungsverfahren, also nach der Wahl, angegriffen werden kann, so ist damit das Risiko verbunden, dass als Ergebnis die Ungültigkeit der Wahl festzustellen ist und damit Neuwahlen nötig sind. Diese Folge tritt wegen des Kriteriums der Mandatserheblichkeit des Wahlfehlers zwar nur ein, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die verweigerte Wahlteilnahme einer Partei die Zusammensetzung des Bundestags beeinflusst haben könnte. Wie die Wähler sich entschieden hätten, wenn die nicht zugelassene Partei hätte teilnehmen können, ist allerdings nur spekulativ zu entscheiden. Die Verlagerung des Rechtsschutzes gegen die Nichtzulassung auf das Wahlprüfungsverfahren verlangte Beurteilungen auf höchst unsicherer Grundlage.
Selbstverständlich gab es auch relativ klare Fälle. So hat das Bundesverfassungsgericht 1993 in einem Wahlprüfungsverfahren die Mandatserheblichkeit der fälschlichen Nichtzulassung einer Partei einigermaßen überzeugend verneinen können (BVerfGE 89, 266 ff.). Ein Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments konnte „bei lebensnaher Betrachtungsweise“ für ausgeschlossen gehalten werden. Die Partei hatte lediglich sechs Kreiswahlvorschläge eingereicht und jeweils nur knapp über 100 Erststimmen erhalten. Dass die Dinge immer so klar liegen, ist indes keineswegs gesichert. Um das Risiko der Ungültigkeit der Wahl zu vermeiden und um des Rechtsschutzes der Parteien willen war die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde geboten (s. bereits Morlok/Bäcker, NVwZ 2011, 1153 ff.).
Was macht eine Partei zur Partei?
Die Entscheidung, ob eine Organisation Parteicharakter hat, wird in Deutschland nicht in einem allgemeinen Anerkennungsverfahren getroffen, sondern in jedem Einzelfall, in dem es auf die Parteiqualität ankommt, im Wahlverfahren zum Bundestag durch den Bundeswahlausschuss. Die Prüfung der Parteiqualität einer Organisation soll klären, ob sie in der Lage ist, die Rolle, die vom Grundgesetz und dem Parteiengesetz den Parteien zugemessen wird, zu erfüllen. Insofern kommt es auf objektive Merkmale an. Der Wille, eine Partei zu sein, genügt nicht.
§ 2 Abs. 1 PartG hebt als wesentliches Kriterium für die Parteieigenschaft die Mitwirkung in einem Landes- oder Bundesparlament hervor. Dies ist das zentrale Merkmal einer Partei, das diesen Organisationstyp von anderen Organisationen abhebt, die gleichfalls politische Ziele verfolgen. Das im Gesetz verlangte Merkmal der „Ernsthaftigkeit“ der Verfolgung dieses Ziels wird konkretisiert durch die Organisationstärke, die Zahl der Mitglieder, die Dauer des Bestehens und die öffentlichen politischen Aktivitäten.
Die Wesentlichkeit der Wahlteilnahme wird durch § 2 Abs. 2 S. 1 PartG hervorgehoben: Eine Partei verliert ihre Parteieigenschaft, wenn sie sechs Jahre lang an keiner Parlamentswahl teilgenommen hat. Um der Parteifreiheit willen und auch um die Offenheit des politischen Prozesses zu gewährleisten, erhalten politische Neugründungen sechs Jahre Zeit, um sich um den Aufbau der Organisation und die Gewinnung von Mitgliedern zu bemühen. § 2 Abs. 2 S.1 PartG bietet also einen gewissen „Welpenschutz“ für die Parteien.
2016 wurde § 2 Abs. 2 S. 2 PartG eingefügt, um eine Lücke bei der Durchsetzung der von Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG gebotenen Transparenz der Parteifinanzen zu schließen. Bis dahin hatten Parteien, die keinen Rechenschaftsbericht einreichen, als Sanktion lediglich die Streichung von Mitteln der staatlichen Parteienfinanzierung zu befürchten. Soweit sie die Voraussetzungen für die Zuweisung staatlicher Mittel ohnehin nicht erfüllten, konnte sie dies nicht schrecken, weswegen sie überwiegend keine Rechenschaftsberichte einreichten.
Dem sollte § 2 Abs. 2 S.2 PartG entgegenwirken: Parteien, die sechs Jahre keinen Rechenschaftsbericht einreichen, verlieren ihre Rechtsstellung als Partei und damit den Zugang zu Bundestagswahlen.
Insofern hat die Norm aber lediglich instrumentellen Charakter. Die Nichtanerkennungsbeschwerde hat bisher wenig Entscheidungsmaterial produziert. Erhobene Beschwerden warfen keine ernstlichen Rechtsprobleme auf, sie waren häufig unzulässig oder offenbar unbegründet.
Geltungserhaltende Auslegung
Der Fall der DKP bringt erstmals § 2 Abs. 2 S. 2 PartG ins Spiel. Der Bundeswahlausschuss verweigerte der DKP die Anerkennung als Partei, weil sie über sechs Jahre hin ihre Rechenschaftsberichte verspätet eingereicht hatte, damit sei der Tatbestand dieser Bestimmung erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht lässt die laut gewordene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung dahinstehen. Es greift nicht zur Keule der Verfassungswidrigkeit, sondern zum Skalpell der minutiösen Auslegung der Norm, wobei der Einfluss von Art. 21 Abs. 1 GG wirksam wird. Das Gericht wendet schulmäßig alle vier Auslegungskanons an, am breitesten den Zweck der Bestimmung.
Die Durchsetzung der Transparenzpflicht aus Art. 21 Abs. 1 Abs. 4 GG steht in § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG in einem Spannungsverhältnis zur Parteifreiheit. Das Gericht arbeitet heraus, dass die vom Bundeswahlausschuss gewählte Auslegung, wonach ein verspäteter Rechenschaftsbericht gleichzusetzen sei mit der Nichtabgabe eines Rechenschaftsberichts, nicht zutrifft. Immerhin gebe auch ein verspäteter Rechenschaftsbericht Auskunft über die Parteifinanzen und werde insofern Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG wenigstens einigermaßen gerecht. Für diese Wertung ist zu berücksichtigen, dass auch ein fristgemäßer Rechenschaftsbericht die finanzielle Lage einer Partei erst mit einer bis zu zweijährigen Verzögerung offenbart (§ 19a Abs. 3 PartG). Bereits die einmalige Einreichung eines Rechenschaftsberichts innerhalb von sechs Jahren verhindert den Verlust des Parteistatus. Verglichen damit erfüllt die wiederholt verspätete Einreichung eines Rechenschaftsberichts durch die DKP das Transparenzgebot besser.
Auch in systematischer Hinsicht ist das Gericht nicht überzeugt von der Lesart, verspätete Rechenschaftsberichte erfüllten den Tatbestand des § 2 Abs. 2 S. 2 PartG. Es vergleicht diese Norm mit § 2 Abs. 2 S.1 PartG und hebt die Wahlbeteiligung als das entscheidende Kriterium für den Parteistatus hervor. Ihm leuchtet nicht ein, dass eine nicht fristgerechte Rechenschaftslegung ebenso strenge Konsequenzen haben soll wie eine sechsjährige Nichtkandidatur.
Der Argumentation des Gerichts ist noch der Hinweis hinzuzufügen, dass es kleinen Parteien schwerfällt, in die spezielle Materie eingearbeitete Prüfer für ihre Rechenschaftsberichte zu gewinnen.
Das Gericht hält es nach allem für rechtswidrig, der DKP aufgrund von § 2 Abs. 2 S. 2 PartG den Parteistatus vorzuenthalten. Es kommt damit zu einer Betrachtung des Gesamtbildes dieser Partei. Sie besteht seit 1968, ist in einen Bundesverband und 13 Landesverbände sowie weitere nachgeordnete Organisationseinheiten gegliedert und hat regelmäßig an Wahlen mit immerhin wahrnehmbaren Ergebnissen teilgenommen. Sie verfügt über einen nicht ganz unerheblichen Mitgliederbestand und ist auch in der Öffentlichkeit aktiv. Angesichts all dessen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht der DKP Parteiqualität zuerkannt und sie zur Bundestagswahl zugelassen.
Eine überzeugende Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hat § 2 Abs. 2 S. 2 PartG eine einleuchtende Interpretation gegeben. Es hat entsprechend der Maxime der verfassungskonformen Auslegung nicht auf die diskutable Verfassungswidrigkeit der Norm abgehoben, sich vielmehr schulmäßig in die Niederungen der Auslegungsarbeit begeben. Dass die politische Ausrichtung der Partei unerwähnt blieb, war von der politischen Neutralität des Parteienrechts geboten.
Während der Bundeswahlausschuss sich oberflächlich am Wortlaut des Gesetzes orientierte, hat das Gericht sehr viel mehr Sorgfalt aufgewandt und sich auch der verfassungsrechtlichen Dimension der Entscheidung vergewissert. § 2 Abs. 2 S. 2 PartG hat eine für künftige Entscheidungen über Nichtzulassungen richtige Lesart gefunden, welche die übermäßig strenge Interpretation des Bundeswahlausschusses ersetzen sollte. Die Nichtanerkennungsbeschwerde hat ihre erste ernstliche Prüfung bestanden.
Danke für die tolle und auch ohne Jurastudium gut verständliche Herausarbeitung!