Föderale Entscheidungssperre für Landesstaatsrecht
Warum das Bundesverfassungsgericht die vollständige Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl nicht überprüfen will
Das Bundesverfassungsgericht hat, wie wir erst jetzt wissen, am 25. Januar 2023 eine Grundsatzentscheidung zu den Verfassungs- und Verfassungsgerichtsbarkeitsräumen im deutschen Bundesstaat getroffen. An diesen Tag lehnte es einen Eilantrag ab, mit dem die vom Verfassungsgerichtshof Berlin verfügte vollständige Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ausgesetzt werden sollte. Daraufhin konnte die Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 stattfinden – und sie führte zu einem Regierungswechsel. Die in ihrem Kern überzeugenden Gründe der Ablehnung wurden erst gestern bekanntgegeben, sie werden hier kurz erläutert, kommentiert und eingeordnet.
Der Fall
Beim ersten Anlauf der Wahl zum Abgeordnetenhaus und bei der parallelen Bundestagswahl am 26. September 2021 war es in Berlin gehäuft zu Unregelmäßigkeiten gekommen; u.a. fehlende oder fehlerhafte Wahlzettel und zu wenig Wahlkabinen hatten vielerorts zu erheblichen Wartezeiten geführt. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hatte darin Wahlfehler gesehen, die sich überwiegend auch auf die Sitzverteilung ausgewirkt haben könnten. Unter Verweis auf ein systemisches Versagen bei der Wahlvorbereitung und -organisation, auf das Ausmaß der Fehlerhaftigkeit und der davon potenziell betroffenen Mandate und einen darauf zurückgehenden Vertrauensverlust bei den Wähler:innen hatte der Verfassungsgerichtshof die gesamte Wahl zum Abgeordnetenhaus für ungültig erklärt. Damit hatte er Neuland betreten, weil eine Wahl noch nie über das Ausmaß ihrer Fehlerhaftigkeit hinaus wiederholt und so eine Vielzahl rechtmäßig abgegebener Stimmen gewissermaßen annulliert wurde.
Am 26. September 2021 erhoben gewählte Abgeordnete sowie einige Wähler:innen gegen dieses Urteil Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Sie wollten die Aufhebung des Urteils sowie im Wege der einstweiligen Anordnung die Aussetzung der Wiederholungswahl erreichen. Diese Anordnung lehnte das Bundesverfassungsgericht am 25. Januar 2023 gut zwei Wochen vor der geplanten Wahlwiederholung ab, begründete das aber nicht; damit war klar, dass es seine Entscheidung auf in Ruhe zu verschriftlichende grundsätzliche Überlegungen gestützt hat, zumal eine bloße Folgenabwägung nicht zwingend zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre. Die Begründung hat das Bundesverfassungsgericht in offenherziger Auslegung von § 32 Abs. 5 BVerfGG heute nachgeliefert.
Über die Bundesgrundrechts aufs Landesstaatsorganisationsrecht zugreifen?
Warum man an der verfassungsrechtlichen Überzeugungskraft des angegriffenen Urteils des Verfassungsgerichtshofs zweifeln kann, hat die Richterin Ulrike Lembke in ihrem Sondervotum ausführlich und mich überzeugend dargelegt. Die Schwierigkeit für die Beschwerdeführer:innen bestand jedoch an darin, dass eine Wahlprüfungsentscheidung, die man aus staatsorganisationsrechtlichen Gründen für falsch hält, deshalb noch nicht notwendig Grundrechte verletzt, was aber die Voraussetzung für eine zulässige Verfassungsbeschwerde ist. Das Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ist zwar verfassungsbeschwerdefähig, es bezieht sich aber (jenseits der europäischen Integration) nur auf die Wahl zum Deutschen Bundestag und nicht auf Landtagswahlen (RNr. 110, 112). Und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG gibt die Wahlrechtsgrundsätze für die Länder nur als objektives Verfassungsrecht vor.
Daher mussten Einwände gegen das Urteil, die sich auf die Handhabung der Wahlrechtsgrundsätze oder des Demokratieprinzips beziehen – etwa auf die kursorisch bleibende Abwägung des Verfassungsgerichtshofs zwischen dem Bestandsinteresse jedenfalls des rechtmäßig gewählten Teils des Abgeordnetenhauses und des Korrekturinteresses hinsichtlich der mandatsrelevanten Wahlfehler (S. 141ff.) – irgendwie grundrechtlich „angebunden“ werden. Die Einwände bleiben dann aber, etwa wenn eine Verletzung des Willkürverbots oder eine unterbliebene Vorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG wegen Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Wahlfehlerfolgen (s. dazu hier) geltend gemacht wird, ihrem Wesen nach staatsorganisationsrechtlich: Sie wollen auf eine Überprüfung des Urteils in wahl(prüfungs)rechtlicher Hinsicht hinaus, die Grundrechte sind nur der Türöffner zum Bundesverfassungsgericht.
Das gilt auch für das nach dem Bundesverfassungsgericht in der Würde des Menschen wurzelnde und von den Beschwerdeführer:innen einfallsreich aufgegriffene „Grundrecht auf Demokratie“. Interessanterweise wird es hier zum ersten Mal außerhalb der europäischen Integration zum Einsatz gebracht, was das Bundesverfassungsgericht nicht prinzipiell zurückweist. Ohne erkennbare Anbindung an den Homogenitätsansatz – da es hier nicht um Art. 79 Abs. 3 GG geht, ist nicht klar, warum die würdebezogene Demokratierüge dem Sperrwirkungsschutz für die Landesverfassung nicht auch unterfallen sollte – wird knapp festgehalten, dass nicht ersichtlich sei, warum der Menschenwürdekern des Demokratieprinzips betroffen sein sollte (RNr. 182f.). Das ist nachvollziehbar, weil die Stoßrichtung dieses Arguments bisher immer die Abwehr von Fremdbestimmung war (ultra vires-Rechtsprechung). Man wird aber fragen dürfen, ob es nicht auch etwas mit demokratischer Selbstbestimmung zu tun hat, wenn so weitreichend nicht fehlerbehaftete Wählerstimmen für ungültig erklärt werden.
Nein, sagt das Bundesverfassungsgericht
Mit dieser grundrechtlichen Anbindung staatsorganisationsrechtlicher Probleme wirft die Verfassungsbeschwerde die Frage auf, ob das Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungsentscheidungen auf Landesebene entsprechend überprüfen kann und so in die Stellung einer zweiten Instanz über den Landesverfassungsgerichten einrücken würde. Mit der heute veröffentlichten „landesverfassungsrechtsfreundlichen“ Begründung wird diese Frage in Anknüpfung an frühere Rechtsprechung klar verneint: Der Selbständigkeit der Verfassungsräume des Bundes und der Länder, die im Wege der Homogenitätsvorgabe des Art. 28 Abs. 1 GG zwar ein Stück weit relativiert, aber nicht aufgehoben wird, entnimmt das Bundesverfassungsgericht erhebliche föderale Gestaltungsmöglichkeiten der Länder für das Wahl- und Wahlprüfungsrecht (RNr. 112ff.).
Daraus folgert es gut nachvollziehbar selbständige Entscheidungsräume der Landesverfassungsgerichte, damit die Länder nicht über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am Maßstab des Grundgesetz mittelbar doch wieder in eine Sogwirkung des Bundesrechts geraten. In das Wahl- und Wahlprüfungsrecht der Länder will es sich über Verfassungsbeschwerden gegen landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen nicht einmischen; Normenkontrollen gegen landesrechtliche Vorschriften bleiben auch in diesem Bereich aber möglich (RNr. 113). Die gleiche Zurückhaltung muss dann für das übrige Staatsorganisationsrecht gelten, etwa wenn es um Abgeordnetenrechte oder um wechselseitige Befugnisse von Verfassungsorganen der Länder geht. Wo genau auf der Zulässigkeitsebene die Sperrwirkung für die bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle verankert wird, bleibt etwas unklar, wenn auf die fehlende Statthaftigkeit verwiesen wird (RNr. 108, 115, 146). Viel spricht dafür, sie als eigenständiges Hindernis zu begreifen, weil es formal weder an der Angreifbarkeit als Akt öffentlicher Gewalt noch an der Möglichkeit der Grundrechtsverletzung fehlt.
Wahrung grundgesetzlicher Homogenitätsvorgaben als Sperrwirkungsbedingung
Eine kleine Hintertür bleibt allerdings offen: Voraussetzung der Sperrwirkung für die Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts ist, dass die Homogenitätsanforderungen des Art. 28 Abs. 1 GG gewahrt bleiben (RNr. 114, 131ff.). Werden die bundesverfassungsrechtlichen Mindestanforderungen des Staatsorganisationsrechts auf Landesebene unterschritten, kann – gewissermaßen kompensatorisch – das Bundesverfassungsgericht auch landesverfassungsgerichtliche Entscheidungen kontrollieren.
In der jetzigen Entscheidung wählt das Bundesverfassungsgericht dann einen recht geschickten Weg: Über die eingehende Darstellung, dass die Homogenitätsanforderungen im Land Berlin bei der Ausgestaltung des Wahl(prüfungs)rechts gewahrt sind, geht es auf viele einzelne Beanstandungen der Beschwerdeführer:innen doch in der Sache ein (RNr. 146ff.): Dann liegt dort entweder kein Problem oder es kann offenbleiben, ob ein Problem im Einzelfall gegeben ist, weil ein strukturelles Defizit (den Begriff verwendet der Senat nicht) bestehen müsste, für das keine Anhaltspunkte bestehen und das bisher auch nicht gerügt wurde.
Ganz ähnlich der Solange-Rechtsprechung markiert das Bundesverfassungsgericht hier einen Letztvorbehalt, der ein Einschreiten im Einzelfall nicht endgültig ausschließt, es aber unwahrscheinlich macht. Zwar besteht für die Aktivierung dieses Vorbehalts erheblicher Spielraum. Atmosphärisch sendet die jetzige Entscheidung aber ein klares Signal an die Landesverfassungsgerichte, das demjenigen der Bananenmarkt-Entscheidung für den EuGH entspricht: Es gibt eine Grenze der Nichtausübung der Prüfungskompetenz, aber die Hürde für eine erfolgreiche Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit einer landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Staatsorganisationsrecht liegt extrem hoch. In beiden Fällen gibt es dafür – unterschiedliche – gute Gründe. Und in beiden Fällen ist der eigene Spielraum beim Überspringen dieser Hürde groß (man denke an die Entscheidung zum Hessischen Wahlprüfungsgericht, wo die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerade weitmaschig verstanden wurden).
Überschießender Ausschluss des Grundgesetzschutzes
Dennoch geht die Sperrwirkung aus meiner Sicht etwas zu weit: Wenn grundrechtliche Rügen erhoben werden, die mit dem materiell-staatsorganisationsrechtlichen Gehalt der Entscheidung nichts zu tun haben und diesen nicht in Frage stellen, ist nicht von vornherein einzusehen, warum das umfassend mit der Grundrechtskontrolle auch der Landesstaatsgewalt betraute Bundesverfassungsgericht nicht eingeschaltet werden kann.
Im konkreten Fall werden auch die Rügen der Verletzung rechtlichen Gehörs sowie der Entziehung des gesetzlichen Richters durch die (nicht unwesentlichen) Amtszeitüberschreitungen von sechs der neun Richter:innen für unstatthaft erklärt, auch wenn sie mit Blick auf die generelle Wahrung der Homogenitätsanforderungen mittelbar adressiert werden (RNr. 152ff., 160ff.). Das Bundesverfassungsgericht zieht hier das Beschleunigungsgebot bei der Wahlprüfung heran und sieht in dem Ausschluss entsprechender Verfassungsbeschwerden wiederum die gebotene Vermeidung eines Übergriffs in den Verfassungsraum des betroffenen Landes (RNr. 122ff.). Eine etwaiger Verzögerung aber wäre lediglich ein faktischer Übergriff und eigentlich schon gar kein Übergriff, sondern nur ein Nachteil, der sonst auch nicht vor verfassungsgerichtlicher Kontrolle schützt.
Diese überschießende Sperrwirkung wird zwar ein Stück weit dadurch kompensiert, dass die Verfahrensgrundrechte zur rechtsstaatlichen Homogenitätsvorgabe gezählt werden und damit grundsätzlich gewahrt sein müssen (RNr. 139). Aber im krassen Einzelfall ist damit kein Schutz vor der landesverfassungsgerichtlichen Verletzung von Verfahrensgrundrechten gegeben, wenn die Entscheidungsmaterie Staatsorganisationsrecht ist: Homogenitätsschutz geht hier auf Kosten umfassenden Grundrechtsschutzes. Der konkrete Fall mag dieses Ergebnis erklären, aber über den Fall hinaus ist diese Maßstabsbildung nicht über jeden Zweifel erhaben, zumal nichts dagegen spräche, über solche Verfassungsbeschwerden bevorzugt und schnell zu entscheiden.
Spannungsverhältnis zur Marginalisierung des Landesverfassungsrechts bei den Grundrechten
Schließlich bewegt sich die sehr „landesverfassungsrechtsfreundiche“ Entscheidung in einem Spannungsverhältnis dazu, dass das Bundesverfassungsgericht eigenständigen Verständnissen der Grundrechte der Landesverfassungen eine Absage erteilt hat: Die Auslegung und Anwendung von Landesgrundrechten muss zu dem gleichen Ergebnis führen wie das Verständnis des parallelen Bundesgrundrechts durch das Bundesverfassungsgericht.
Dass dies für das Staatsorganisationsrecht auf Landesebene anders gesehen wird, lässt sich durchaus begründen: mit der nicht leicht verständlichen Sonderregelung zu den Landesgrundrechten in Art. 142 GG sowie mit der umfassenden Bindung auch der Landesstaatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes nach Art. 1 Abs. 3 GG. Und doch bleibt das Gefühl, dass die beiden Rechtsprechungslinien nicht perfekt miteinander harmonieren. Man sieht das besonders an der Divergenzvorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG, die bei den Grundrechten erfolgen muss, in der Konsequenz der heute begründeten Entscheidung zum Staatsorganisationsrecht aber unterbleiben kann, weil Landesverfassungsrecht in Sachen Demokratie oder Rechtsstaat eben anders ausgelegt werden darf als paralleles Bundesverfassungsrecht.
Fazit
Die noch anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs wird trotz der angedeuteten Möglichkeit, das Vorbringen hinsichtlich einer Unterschreitung der Homogenitätsanforderungen oder einer Verletzung des Kerns des Demokratieprinzips zu ergänzen, am Ende ohne Erfolg bleiben (s. – nicht völlig widerspruchsfrei – einerseits RNr. 108 und andererseits 180).; es hätte wohl gleich eine Entscheidung in der Hauptsache ergehen können. Mit dem dargestellten Ansatz kann das Bundesverfassungsgericht zur vollständigen Ungültigerkärung der Abgeordnetenhauswahl in der Sache schweigen.
Dadurch wird nicht nur ein potenzieller institutioneller Konflikt zwischen den Verfassungsgerichten in einem politisch nicht unheiklen Verfahren vermieden; das Bundesverfassungsgericht kann damit auch jeglicher Vorfestlegung für sein eigenes Wahlprüfungsverfahren ausweichen, das wegen der Unregelmäßigkeiten bei der parallelen Bundestagswahl anhängig gemacht worden ist. Der Deutsche Bundestag hat in seiner in diesem Verfahren angegriffenen Entscheidung eine Wiederholungswahl für rund 20% der Wahlbezirke hinsichtlich beider Stimmen angeordnet. Beide Wahlen sind durch unterschiedliche Arten und Häufungen von Fehlern allerdings ohnehin getrennt voneinander zu bewerten. Zum grundgesetzlichen Umgang mit den Vorkommnissen am 26. September 2021 wird deshalb erst die Überprüfung der Bundestagswahl Klarheit bringen.
Ich finde es erstaunlich, dass das “Grundrecht auf Demokratie” in diesem Beitrag recht wenig hinterfragt wird, weil es ja doch eine erstaunlich
wackelige dogmatische Überlegung ist. Die Überlegung, dass eine wie auch immer geartete Herrschaftsform ein Bestandteil der Menschenwürde
sei, ist erstaunlich. Nicht nur angesichts dessen, dass das “Recht auf Demokratie” in den Europa-Entscheidungen
immer noch firm in Art. 38 loziert wurde und gerade nicht in Art. 1 GG. Es ist insbesondere deswegen ein merkwürdiger Gedanke,
weil die Menschenwürde ja gerade auch mit dem Gedanken, eine Staatsräson unter Geltung des Grundgesetzes verhindern zu wollen, aufgenommen wurde.
Jede Herrschaftsform, auch die Demokratie, ist Grundsatz antithetisch zur Menschenwürde und nicht in ihr begründet. Die Menschenwürde ist keine Basis der
Demokratie oder irgendeiner anderen Herrschaftsform, sondern eine letzte Grenze, die auch eine demokratische Entscheidung nicht überschreiten darf.
Ich finde diese expansiven Grundrechtsbetrachtungen höchst problematisch. Voßkuhle sprach seiner Zeit in Bezug auf Europa von einem “Verfassungsgerichtsverbund”,
dem die Grundrechte eine Tür öffnen, damit ein Dialog zwischen den verschiedenen Höchstgerichten entstehen kann. Dass allerdings saubere Arbeit mit der Verfassung
einem Dialogdrang von Gerichten untergeordnet werden soll, halte ich nicht für überzeugend. Ebenso wenig, dass Grundrechte auf diese Weise zu “Türöffnern”
von selbsterhöhenden Diskussionen werden. Grimm nannte die allgemeine Handlungsfreiheit eine “Banalisierung der Grundrechte” – es ist allerdings tatsächlich
eine Banalisierung der Grundrechte, wenn sie lediglich als “Zulässigkeitsvoraussetzung” eines thematisch anders gelagerten Prozesses genommen werden.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Gegen die Existenz eines solchen Grundrechts und damit die Verschleifung von Staatsorganisationsrecht und Grundrechtsschutz habe ich mich aus ähnlichen Erwägungen immer gewendet (grds. etwa Der Staat 2019, S. 7 ff.). Ich fand jetzt nur, dass hier nicht der Ort war, das grundsätzlicher zu hinterfragen. Ich hatte verschiedentlich geschrieben, dass – wenn man die Existenz eines “Grundrechts auf Demokratie” anerkennt – bspw. auch rügefähig sein müsste, dass eine Rechtsverordnung über ihre parlamentarische Ermächtigung hinausgeht (o.ä.).
Ich würde also sagen: Wenn man meint, ein solches Recht gäbe es, dann sehe ich nicht recht den Grund dafür, es auf die eur. Integration zu beschränken. Von daher fand ich es interessant, dass die VerfB auf die Idee gekommen ist, das aufzugreifen, und dass das BVerfG das nicht grds. zurückgewiesen hat. Eine solche Rüge hat aber – wie Sie sagen – erhebliches entdifferenzierendes Potenzial, und besser wäre es ohnehin, man verstünde Art. 38 I 1 GG nicht ganz so breit.