Luft holen
Repression hilft nur bedingt
Die Recherchen von correctiv über ein Treffen von AfD-Mitgliedern, Identitären und Mitgliedern der Werteunion in Potsdam haben einen Stein ins Rollen gebracht. Viele Menschen, die bisher schwiegen, aber dennoch mit Sorge auf eine erstarkende extreme Rechte blickten, konnten nun ihrer Meinung Ausdruck verleihen. Gerade in kleineren Gemeinden sind diese Kundgebungen und Demonstrationen ein ermutigendes Zeichen. Neben den vielen Demonstrationen findet auch die Forderung nach einem AfD-Verbot mehr Gehör. Von einem Parteiverbot darf man sich jedoch nicht mehr erhoffen als eine institutionelle Atempause – allerdings nicht in diesem Wahljahr.
Demokratie unter Druck – und das nicht erst seit gestern
In Potsdam wurden rassistische Pläne zur Deportation von Menschen aufgestellt. Nazis brüsteten sich mit Gewalt gegen Linke. Das ist schockierend, zugleich ist es weder neu noch überraschend. Seit Bestehen der AfD entwickelt sie sich weiter nach rechts. Innerhalb der Partei erringen die immer offensichtlicher rassistischeren und faschistischeren Strömungen die Hegemonie. Sie springt auf Verschwörungstheorien auf, lässt extrem rechte Gruppen in ihre Organisationsstrukturen kommen, forciert Geschichtsrevisionismus, treibt die anderen Parteien mit einem rassistischen Migrationsdiskurs vor sich her.
Um es einmal salopp zu formulieren: Eigentlich hätte man 2019/20 schon den Schuss hören können. Denn 2019 wurden in Sachsen und 2021 in Sachsen-Anhalt notgedrungen Koalitionen aus drei Parteien gebildet. Einige mögen sich auch an den Fall des FDP-Mitglieds Thomas Kemmerich erinnern, der sich 2020 im dritten Wahlgang mit den Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten wählen ließ. Aufgrund der allgemeinen Empörung trat er kurz darauf zurück. Seitdem regiert in Thüringen eine Minderheitsregierung aus der Linken, der SPD und den Grünen. Immer wieder kommt es vor, dass die Brandmauer bröckelt und Parteien mit der AfD gemeinsam für Gesetze stimmen. Eine Regierungsminderheit erfordert mehr Kompromissbereitschaft in verschiedene Richtungen und beständiges Aushandeln mit den anderen Parteien. Beispielsweise wurde der Thüringer Haushalt hart verhandelt. Regierungsarbeit wird so immer wieder blockiert, dringende Projekte sind schwerer zu realisieren.
Nun ist man ähnlich aufgeregt und die Jahre zwischen den Wahlen mussten Landes- und Kommunalpolitiker:innen ihre Politik auf eine prekäre Grundlage stellen oder gar Bedrohungen und Anfeindungen aushalten, so wie erst jüngst in Gotha und Suhl. Seit Jahren haben Engagierte oder Menschen mit Rassismuserfahrungen und Personen aus der queeren Community in Landkreisen und Kommunen mit rechten Angriffen zu kämpfen. Demokratieprojekte und Opferberatungen müssen jedoch immer wieder um ihre finanzielle Unterstützung bangen. Wen interessiert es schon, wenn irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern Scheiben zu Bruch gehen oder ein rechter Konsens so bleiern ist, dass sich niemand mehr traut etwas zu sagen? Im Zweifel sind gar die alternativen Jugendlichen noch das Problem, weil sie bunte Haare haben und die ruhige Idylle stören und das Nest beschmutzen.
Kurz nach dem Kemmerich-Eklat im Thüringer Landtag brach im März 2020 die Corona-Pandemie über die Welt herein, 2022 überfiel Russland die Ukraine und darauffolgende Preissteigerung von Energie, Lebensmitteln und Mieten macht(e) den Menschen zu schaffen. Währenddessen wusste die AfD die Angst der Menschen zu nutzen und Ressentiments zu mobilisieren. Antisemitische Vorfälle sind während der Pandemie sichtbarer geworden und unerwartete Querfront-Bündnisse haben sich gegründet. Insbesondere beim Thema Migration werden Interessen von marginalisierten Gruppen gegeneinander ausgespielt und rassistische Stereotype gestärkt.
Die Geister, die man rief
Was bringt wohl ein Verbot der AfD gegen all das? Eventuell eine Erleichterung für Regierungsbildungen – allerdings noch nicht in diesem Superwahljahr. Das Verbot der AfD könnte eine, nennen wir es, institutionelle Atempause schaffen, um Koalitionen überhaupt noch bilden zu können. Auch kommunale Gremien könnten ihre Arbeit wieder leichter verrichten. So sitzen AfD-Vertreter:innen beispielsweise in Aufsichtsräten von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, Verkehrsbetrieben oder Wasserwerken und erschweren dort die Arbeit.
Ein Parteiverbot ist jedoch eine repressive Maßnahme, keine Demokratieförderung. Die Geschichte dieses Instruments der wehrhaften Demokratie ist ambivalent. Die Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 und der KPD 1956 waren getragen von einem antitotalitaristischen Zeitgeist. Die im Kalten Krieg entwickelten Instrumente der wehrhaften Demokratie hatten eine starke antitotalitaristische, viel mehr noch antikommunistische, Schlagseite.
Der späte Wandel der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Urteil zur NPD 2017 deutete jedoch eine Liberalisierung an. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wurde hier als ein Dreiklang aus Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip definiert. Vor allem sollen Demokratie und Rechtsstaat die Basis bilden, auf der sich die Würde des Menschen und seine Subjektqualität überhaupt erst entfalten könne. Das impliziert, dass rassistische Deportationspläne und ein biologistisches Volksverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen, mithin die wehrhafte Demokratie nicht mehr als Staats-, sondern als Demokratieschutz gedacht wird. Die wehrhafte Demokratie der frühen 1950er Jahre hatte einen etatistischeren Vorbau, der den Staat vor seinen Bürger:innen und nicht Bürger:innen vor Deportation schützen wollte.
Diese inhaltliche Verschiebung ergibt sich aus Deutungskämpfen um Hegemonie und Definitionsmacht. Ein Sieg in diesen Kämpfen ist aber nicht ausgemacht. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde schon vielfach um eine liberalere oder antifaschistische Auslegung der wehrhaften Demokratie und ihres Kerns, der fdGO, gerungen.1) Aktuell ist die extreme Rechte mehr im Fokus. Nicht lang jedoch ist es her, dass sich – vor allem in Sachsen – Demokratieprojekte gegen Extremismusvorwürfe verteidigen mussten.
Die institutionellen Grundlagen der wehrhaften Demokratie sind zudem behäbiger als der politische Diskurs. Ehe sich eine Behörde wie der Verfassungsschutz wandelt, braucht es viel Zeit, eine klare Personalpolitik und politischen Willen. Der Fokus kann sich von der AfD schnell wieder wegbewegen und zurück in bekannte Muster fallen. Die Stichworte sind hier der Radikalenbeschluss der 1970er Jahre oder die Extremismusklausel der 2010er Jahre. Ein aktuelles Beispiel ist die Resolution der CDU (DS/1114/VI) in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg vom 20. März 2024. Während der laufenden Fahndung nach flüchtigen mutmaßlichen Mitgliedern der RAF, die sich jahrelang in Berlin versteckt haben sollen, stimmte die AfD dieser Resolution mit dem Titel „Wir sind die Brandmauer – #ZusammenGegenLinks#“ zu. Das Hufeisen schlägt zurück. Die zarte Liberalisierung der wehrhaften Demokratie und ihre Ausrichtung auf die extreme Rechte ist nicht nachhaltig. Stärkt man die repressiven Instrumente der wehrhaften Demokratie, wird man die Geister, die man rief, vielleicht nicht mehr los.
Institutionelle Erleichterung, aber keine Lösung für das Wahljahr 2024
Bei aller Skepsis: Ein Antrag auf Verbot der AfD wird sich gut begründen lassen. Ein Antrag auf ein Parteiverbot hat jedoch wenig Bestand, wenn er sich in seiner Begründung nach den Konjunkturen der medialen Berichterstattung richtet. Was heute die Schlagzeilen bestimmt, ist oft binnen weniger Wochen vergessen. Ein verfassungsgerichtliches Parteiverbot muss der juristischen Prüfung standhalten. Dazu müssen Informationen gerichtsfest aufbereitet sein.
Doch auch wenn mediale Aufmerksamkeit noch keine juristischen Argumente schafft, scheint die Zeit günstig und die politischen Argumente passen zu den juristischen. Weder die „Potentialität“, wie im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur NPD 2017 als Bedingung genannt, noch das Verhalten oder Äußerungen der Anhänger:innen der Partei lassen aktuell viele Zweifel an den Zielen der AfD. Das Bundesverfassungsgericht wird sich jedoch nicht auf Medienberichte oder Informationen der Verfassungsschutzämter allein berufen, sondern auch eine eigene Beweisaufnahme vornehmen.
Die Wahlprognosen für die Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen 2024 sind beunruhigend. Ein Parteiverbot ist jedoch keine realistische Antwort auf diese Sorge. Ein Verbotsverfahren braucht viel Zeit. Zunächst müssten sich die Antragsteller:innen finden und dann einen begründeten Antrag mit Belegen erstellen, die gerichtsfest sind. Die Verhandlungstermine müssen anberaumt werden und das Gericht benötigt Zeit zur Entscheidungsfindung. Die AfD wird jede juristische Möglichkeit zur Prozessverzögerung und – selbstverständlich – Verteidigung nutzen. Für dieses Jahr, ist ein Verbot keine realistische Option, schon gar nicht bis zu den Wahlterminen im September. Ein Parteiverbot ist ein repressives Instrument, dass nicht für kurzfristige Wahlmanöver taugt und auf das man nicht zu den nächsten Wahlterminen hoffen sollte. Vielmehr gilt es politische Antworten zu finden.
Das Verbot einer Partei lässt ohnehin ihre Anhänger:innen nicht von heute auf morgen anders denken. Man könnte sogar das Gegenteil vermuten: Die Beobachtung der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden hat die Menschen nicht davon abgehalten, die Partei zu wählen. Die Zustimmung ist seither sogar gestiegen. Ein Verbot könnte diese Stimmung weiter stärken. Das heißt nicht, dass man sich argumentativ auf den Opfermythos der „Antisystem“-Partei einlassen muss. Doch ein Verbot ist eine repressive Maßnahme, eine Abwehr, keine in die Zukunft gerichtete Politik. Es wird die Menschen, die die AfD wählen, nicht überzeugen. Ein Verbot zielt auf die Organisationsstruktur und staatliche Finanzierung. Das kann ein sinnvolles Vorgehen sein. Aber es löst das gesellschaftliche Problem nicht. Es hält die rechte Mobilisierung im günstigsten Fall institutionell etwas auf.
Nachhaltige soziale und kulturelle Förderung in der Fläche
Neben der sicheren finanziellen und ideellen Grundlage für Demokratie- und Aufklärungsprojekte braucht es eine infrastrukturelle Stärkung von Kommunen und ländlichen Räumen. Hier sind Projekte zur politischen Bildung angesprochen, für Schüler:innen genauso wie für ihre Lehrer:innen oder auch die Justiz, die rassistische Gewalt erkennen muss, wenn gegen sie strafrechtlich vorgegangen werden soll. Viel zu lang sind Bildung und soziale Infrastruktur, aber auch Mobilität und schlicht Versorgung des ländlichen Raumes vernachlässigt und einer rein ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen worden. Doch nur tatsächliche Selbstwirksamkeit, ob an Schulen, in Unternehmen oder Pflegeheimen lässt Menschen nicht ohnmächtig vor Krisen und Umbrüchen kapitulieren, sondern gemeinsam Wege suchen. Jedes selbstverwaltete Jugendzentrum, jede Stadtbibliothek, jeder Lebensmittelladen und jedes Rufbussystem sind Möglichkeiten von Kontakt, Austausch, Lernen, Gestalten.
Das gilt für Ost wie West und Nord wie Süd. Dennoch sehen wir, dass der Osten eine Vorreiterrolle hatte. Die Ergebnisse der AfD sind hier als erstes nach oben geschnellt. Die Erklärungsansätze dafür sind vielschichtig und gerade in den letzten Jahren sind einige literarische und wissenschaftliche Auseinandersetzungen dazu veröffentlicht worden, auch soziologische Studien zu anderen Ländern hat die Wissenschaft zu bieten. Bundes- und Landespolitik muss sich dem annehmen und Brüche in Biographien ernstnehmen. Hier muss kulturelle und soziale Förderung nachhaltig verankert werden. Es gibt Mut machende Beispiele, die mit der Kraft des Theaters die komplexen politischen Entwicklungen und die individuelle Verwobenheit mit Systemumbrüchen verdeutlichen, annehmen und besprechbar machen. Diese Arbeit ist deutlich nachhaltiger als das Verbot einer Partei, aber auch viel weniger effekthascherisch und beugt sich nicht medialen Konjunkturen. Sie ist oft nur prekär finanziert und wenig institutionalisiert. Sie braucht vor allem einen langen Atem. Wenn man rechter Hegemonie begegnen will, ist der nötig.
References
↑1 | Prominent wären hier zu nennen: Axel Azzola, Peter Römer oder Gerhard Stuby. Skeptisch demgegenüber waren stets: Ulrich K. Preuß, Ingeborg Maus und Helmut Ridder. |
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