Studierendenproteste im Versammlungsrecht
Auch in Deutschland nehmen Studierendenproteste gegen den Gaza-Krieg zu. Wie in den Vereinigten Staaten errichten Studierende dabei häufig Protestcamps, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. In einigen Städten wurden entsprechende Protestcamps rasch geräumt, in anderen Städten reagierten die Behörden dagegen zunächst mit Auflagen. Während Proteste, die den Hochschulbetrieb schwerwiegend stören, beschränkt und notfalls auch verboten bzw. aufgelöst werden dürfen, sind Proteste unterhalb dieser Schwelle in den meisten Fällen grundsätzlich vom Versammlungsrecht gedeckt. Ob dabei aber Protestcamps eingerichtet werden dürfen, ist eine Einzelfallfrage. Hingegen sind die Hochschulen in der Regel nicht befugt, eigenmächtig gegen als Versammlung zu qualifizierende Protestformen vorzugehen.
Sind Studierendenproteste eine Versammlung?
Studierendenproteste sind im Regelfall als Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG zu qualifizieren und unterliegen damit auch dem Schutz des jeweils anwendbaren Versammlungsgesetzes (VersG). Nur in Sonderfällen kann bereits die Versammlungseigenschaft fehlen. Nach der Rechtsprechung ist es für die Qualifikation als Versammlung notwendig, dass der überwiegende Zweck der Zusammenkunft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ist. Solange nicht das bloße Bewohnen der Fläche als Zweck in den Vordergrund tritt, ist dies auch bei solchen Protesten grundsätzlich der Fall, bei denen Camps errichtet werden. Auch die Besetzung eines Hörsaals oder eines ganzen Hochschulgebäudes, die auf die Erzwingung eines bestimmten Verhaltens der Hochschule abzielt, wird man nach der Rechtsprechung wohl regelmäßig noch als Versammlung zu bewerten haben. Denn das BVerwG hat sich jüngst auf den Standpunkt gestellt, dass selbst handgreifliche Verhinderungsblockaden solange als Versammlung einzustufen sind, wie das kommunikative Anliegen nicht nur einen „bloßen Vorwand“ darstellt.
Wer ist für Maßnahmen gegen Studierendenproteste zuständig?
Für Maßnahmen nach dem jeweiligen VersG ist die durch Landesrecht bestimmte Versammlungsbehörde bzw. ggf. der Polizeivollzugsdienst zuständig. Allerdings stellt sich die Frage, ob öffentlich-rechtlich organisierte Hochschulen bei Protesten auf dem Hochschulgelände daneben auch selbst auf Basis des Hausrechts gegen Studierendenproteste vorgehen können. Maßnahmen auf Grundlage des privatrechtlichen Hausrechts sind aufgrund der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zu den Studierenden sowie des verfolgten Ziels der Abwehr von Störungen des Hochschulbetriebs nicht möglich. Hinsichtlich des öffentlich-rechtlichen Hausrechts ist es dagegen überzeugend, eine Sperrwirkung durch das jeweilige VersG anzunehmen. Denn nach den hergebrachten Grundsätzen des Versammlungsrechts entfaltet das jeweilige VersG hinsichtlich versammlungsspezifischer Gefahren grundsätzlich eine Sperrwirkung gegenüber anderen Ermächtigungsgrundlagen (sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts). Die Gefahren bzw. Störungen der öffentlichen Sicherheit, mit denen Hochschulen in Bezug auf Studierendenproteste konfrontiert werden, sind regelmäßig versammlungsspezifischer Natur. Bei etwaigen Äußerungsdelikten steht dies außer Frage. Aber auch eine Störung des Hochschulbetriebs ist versammlungsspezifisch. Denn Versammlungen neigen in besonderem Maße dazu, Dritte etwa physisch oder aber auch durch Lärm zu stören und heben sich insofern von anderen Zusammenkünften ab.
Insoweit manche VersG der Länder die Reichweite der Sperrwirkung mittlerweile ausdrücklich regeln (s. § 10 VersFG BE, § 10 HVersFG, § 9 VersG NRW und § 9 VersFG SH), ergibt sich aus diesen Bestimmungen nichts anderes. Sie schränken die Sperrwirkung nur zugunsten von polizeirechtlichen Eingriffsbefugnissen ein. Außerdem erlauben sie ohnehin nur Maßnahmen gegen Einzelpersonen, nicht aber gegen eine Versammlung insgesamt.
Von einer Sperrwirkung gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Hausrecht geht offenbar auch die Goethe-Universität Frankfurt aus, die in einer Stellungnahme des Präsidenten in Bezug auf etwaige Maßnahmen gegen Proteste ausdrücklich auf ihre eigene Unzuständigkeit verweist. Etwas unklarer drückt sich hingegen die FU Berlin aus, wobei sie sich der Problematik aber wohl bewusst zu sein scheint. Die Universität teilte in ihren offiziellen Informationen zu den Protesten mit, dass die Universität eine „von der Polizei genehmigte Kundgebung unter freiem Himmel […] auf ihrem eigenen Gelände dulden“ müsse, „wenn dieses Gelände öffentlich zugänglich ist“. Außerdem wird betont, dass „Veranstaltungen in geschlossenen Räumen […] hingegen (Herv. d. Verf.) dem Hausrecht“ unterlägen.
Die Möglichkeit von Hochschulen, gegen Protestaktionen auf Basis des Hausrechts vorzugehen, beschränkt sich vor diesem Hintergrund deshalb auf Ausnahmesituation, in denen die Sperrwirkung des VersG nicht eingreift. Dies schließt jedenfalls den bereits dargelegten, aber unwahrscheinlichen Ausnahmefall ein, dass es sich bei einer Protestaktion nicht um eine Versammlung handelt. Daneben könnte hierunter aber auch der wohl von der FU Berlin angedeutete Fall gefasst werden, dass der Protest an einem Ort stattfinden soll, an dem der allgemeine öffentliche Verkehr nicht eröffnet ist. Insoweit liegt es nahe, jedenfalls einen Hörsaal als einen solchen Ort einzustufen. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist die Inanspruchnahme solcher Orte nicht vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst. Dementsprechend dürfte aus der jüngst erfolgten Kehrtwende des BVerwG zugunsten einer engeren Kopplung der Sperrwirkung des VersG an die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG zu folgern sein, dass zumindest auf Basis dieser (bereits hier und hier kritisierten) Auffassung keine Sperrwirkung bei Orten besteht, die nicht für den allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet sind.
Ist das Einrichten von Protestcamps zulässig?
Stark umstritten ist bereits seit einigen Jahren, ob und unter welchen Voraussetzungen zur Durchführung einer Dauerversammlung Protestcamps dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterfallen und damit erlaubnisfrei errichtet werden dürfen. Allerdings schaffte ein Grundsatzurteil des BVerwG aus dem Jahre 2022 dann für die Praxis zumindest teilweise Klarheit. Diesem grundsätzlich überzeugenden Urteil zufolge können Protestcamps eine zulässige Protestform sein. Wie bereits erwähnt, liegt aber dann ausnahmsweise bereits keine Versammlung mehr vor, wenn etwa der Zweck des Bewohnens des ausgewählten Ortes den Zweck der Meinungskundgabe im Hinblick auf die gesamte Protestaktion überwiegt.
Daneben besteht nach allgemeiner Auffassung aber das weitere Erfordernis, dass es einen Bezug des Camps zur Meinungskundgabe geben muss. In seinem Grundsatzurteil konkretisierte das BVerwG dieses Erfordernis dahingehend, dass infrastrukturelle Einrichtungen entweder einen inhaltlichen Bezug zur konkreten Meinungskundgabe aufweisen oder die Einrichtungen jedenfalls logistisch erforderlich sein müssen. Ob der daneben noch in der Entscheidung für notwendig befundene „qualifizierte räumliche Zusammenhang“ eine eigenständige Bedeutung hat oder den vorgenannten Anforderungen bereits inhärent ist, sei hier dahingestellt.
Ab wann genau ein Protestcamp einen inhaltlichen Bezug aufweist oder logistisch erforderlich ist, wird in der gerichtlichen Praxis unterschiedlich beurteilt. Das BVerwG musste sich in seiner Entscheidung hierzu nicht im Detail festlegen. Denn das Protestcamp wurde in dem Fall in einer ländlichen Region eingerichtet, weshalb kaum alternative Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Bei Studierendenprotesten kann hingegen gerade die Frage der logistischen Erforderlichkeit virulent werden, da sich Hochschulen meistens in mittelgroßen bis großen Städten befinden. Ferner kommt hinzu, dass der Großteil der Studierenden ohnehin in zumutbarer Entfernung zur Hochschule einen Wohnsitz haben wird. Logistische Erforderlichkeit in Bezug auf Übernachtungsmöglichkeiten wird deshalb bei Studierendenprotesten regelmäßig abzulehnen sein.
Umso wichtiger ist die Frage, ob in diesen Fällen dann aber jedenfalls ein inhaltlicher Bezug der Infrastruktur zur Meinungskundgabe zu bejahen ist. Die grundsätzliche Anerkennung dieser anderen Form des Bezugs ist aufgrund der grundrechtlich geschützten Ausgestaltungsfreiheit hinsichtlich der Versammlung zwingend, bereitet aber praktische Probleme. Denn es dürfte nahezu immer möglich sein, zumindest einen mittelbaren Bezug infrastruktureller Einrichtungen zur konkret angestrebten Meinungskundgabe zu konstruieren. Beispielsweise könnte bei einem auf den Gaza-Krieg bezogenen Protest argumentiert werden, dass man deshalb lediglich in Zelten übernachten wolle, um Solidarität zur schlechten humanitären Situation von durch den Krieg Betroffenen zu zeigen. Auch wenn derartiges Vorbringen durchaus glaubhaft sein kann, wird häufig aber zugleich eine logistische Motivation hinter der Errichtung von Infrastruktur stehen. Eine systematisch überzeugende Lösung dieses Konkretisierungsproblems dürfte in folgender Abgrenzung bestehen (so bereits Friedrich, DÖV 2019, 55, 59; Fischer, NVwZ 2022, 353, 358): Wird der Zweck der Meinungskundgabe durch die Infrastruktur selbst von einem anderen Zweck überwogen, ist die Infrastruktur nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt. Dieser andere Zweck kann etwa darin liegen, (logistisch nicht erforderliche) organisatorische Abläufe zu erleichtern. Überwiegt der andere Zweck nicht, wird die Infrastruktur von Art. 8 GG erfasst.
Dabei überzeugt die Haltung des Hamburgischen OVG in seiner Entscheidung zum G20-Protestcamp, Angaben der Veranstaltenden zu etwaigen inhaltlichen Bezügen der Infrastruktur zur Meinungskundgabe dahingehend kritisch zu überprüfen, ob dieser Zweck mit der Infrastruktur tatsächlich verfolgt wird und ob er im Vergleich mit anderen Zwecken hinreichend gewichtig ist. Ohne die jeweils unerlässliche umfassende Gesamtbetrachtung des Einzelfalls vorwegnehmen zu können, ist aber jedenfalls zu vermuten, dass in einer erheblichen Zahl von Fällen ein geltend gemachter inhaltlicher Bezug entweder nicht besteht oder von anderen Zwecken überwogen wird. Im Rahmen von Studierendenprotesten dürften derartige infrastrukturelle Einrichtungen dann nicht mehr ohne Erlaubnis errichtet werden.
Können den Hochschulbetrieb störende Proteste unterbunden werden?
Greift die Sperrwirkung des Versammlungsrechts, müssen ferner die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot bzw. eine Versammlungsauflösung im Sinne des jeweiligen VersG vorliegen, um die Proteste unterbinden zu können. Im Hinblick auf Studierendenproteste kommen insbesondere Maßnahmen aufgrund von etwaigen Störungen des Hochschulbetriebs in Betracht. Derartige Störungen sind vor allem über die Schutzgüter der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG sowie den Schutz der Einrichtungen und Veranstaltungen von Hoheitsträgern als Störung der öffentlichen Sicherheit zu bewerten. Ob zusätzlich Straftaten wie etwa Hausfriedensbruch oder Äußerungsdelikte vorliegen, ist einzelfallabhängig. Aber auch in Abwesenheit von Straftaten ist der Erlass von Auflagen und notfalls auch ein Verbot bzw. eine Auflösung solcher Versammlungen grundsätzlich verhältnismäßig, wenn diese den Hochschulbetrieb schwerwiegend stören. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Versammlung physische Behinderungen auslöst, die dazu führen, dass Lehrveranstaltungen nicht mehr stattfinden können. Bloßer Lärm kann hingegen bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen sein. Wird zusätzlich damit argumentiert, dass auch Straftaten begangen werden, ist ferner zu beachten, dass ein Verbot bzw. eine Auflösung im Grundsatz nur dann verhältnismäßig ist, wenn die Versammlung ihrem Gesamtbild nach die öffentliche Sicherheit stört und die Störungen damit nicht nur von Einzelpersonen ausgehen. Denn andernfalls ist der Ausschluss jener Personen von der Versammlung ein ebenso wirksames, aber zugleich milderes Mittel.
Fazit
Studierendenproteste können auch in Bereichen des Hochschulgeländes stattfinden, die dem allgemeinen öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht sind. Bei schwerwiegenden Störungen des Hochschulbetriebs überwiegen jedoch die entgegenstehenden Rechtsgüter, weshalb Auflagen und notfalls ein Verbot bzw. eine Auflösung solcher Versammlungen möglich sind. Auch dürfte zumindest in einigen Fällen das Errichten von Protestcamps nicht geschützt sein, womit diese dann untersagt werden können. Allerdings sollten die Hochschulen den Erlass etwaiger Maßnahmen gänzlich den Versammlungsbehörden bzw. dem Polizeivollzugsdienst überlassen, da die Hochschulen regelmäßig unzuständig und daneben ohnehin zur Durchsetzung von Maßnahmen auf den Polizeivollzugsdienst angewiesen sind. Falls die zuständigen Behörden aus Sicht einer Hochschule unzureichende Maßnahmen treffen, bleibt dieser aber unbenommen, ihr Begehren auf Einschreiten der Behörden auch auf dem Rechtsweg zu verfolgen.